Identitätssatz für holomorphe Funktionen
Der Identitätssatz für holomorphe Funktionen ist ein wichtiger Satz der Funktionentheorie. Er besagt, dass aufgrund der starken Einschränkungen an holomorphe Funktionen oft schon die lokale Gleichheit zweier solcher Funktionen ausreicht, um diese auch global zu folgern.
Identitätssatz
Seien
und
holomorphe Funktionen auf einer Umgebung
von
und sei
ein Häufungspunkt
der Koinzidenzmenge
,
dann existiert eine Umgebung
von
mit
auf ganz
.
Identitätssatz für Gebiete
Für Gebiete, insbesondere da sie zusammenhängend sind, lässt sich die Aussage des Identitätssatzes leicht verschärfen und wird auch fundamentaler Satz der Funktionentheorie genannt.
Aussage
Seien
ein Gebiet
und
und
auf diesem Gebiet holomorphe Funktionen. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
für alle
, das heißt die Funktionen stimmen auf dem ganzen Gebiet überein.
- Die Koinzidenzmenge
hat einen Häufungspunkt in
.
- Es gibt ein
, so dass
für alle
, das heißt in einem Punkt von
stimmen die Funktionen und alle ihre Ableitungen überein.
Beweis
Holomorphe Funktionen sind analytisch, d.h. lokal jeweils durch ihre Taylorreihe darstellbar.
- 2. folgt sofort aus 1., da jeder Punkt in
ein Häufungspunkt von
ist.
- 3. folgt aus 2. durch Widerspruchsbeweis. Sei
ein Häufungspunkt der Koinzidenzmenge. Ohne Einschränkung können wir
voraussetzen. Annahme: Es gibt ein
mit
. Sei
das kleinste solche. Dann ist in einer Umgebung der Null
mit
und die Nullstellenmenge von
ist gleich der Konzidenzmenge, da
stetig ist. Insbesondere gilt
im Widerspruch zur Minimalität von
.
- 1. folgt aus 3., weil
zusammenhängend ist. Es genügt zu zeigen, dass die Menge
nichtleer, offen und abgeschlossen in
ist. Ersteres gilt nach Voraussetzung, letzteres ist klar, da
ist, wobei die
als stetige Urbilder der abgeschlossenen Menge
wieder abgeschlossen sind und der Durchschnitt abgeschlossener Mengen wieder abgeschlossen ist. Schließlich ist
offen: Ist
, dann ist
als analytische Funktion in einer Umgebung von
gleich ihrer Taylorreihe, also identisch null. Diese Umgebung gehört also auch zu
.
Beispiel
Beim zweiten Punkt ist es essentiell, dass der Häufungspunkt im Gebiet
und nicht auf dessen Rand liegt. Betrachte dazu folgendes Beispiel:
Die Funktion
ist holomorph auf
,
die Folge
liegt darin und konvergiert gegen 0. Also ist 0 ein Häufungspunkt der Folge
und es gilt
,
aber natürlich gilt auch
.
Also stimmt
auf der Menge der
(die den Häufungspunkt 0 besitzt) mit der Nullfunktion
überein, aber offensichtlich nicht auf ganz
.
Folgerungen
- Eindeutige Fortsetzbarkeit reeller Funktionen
- Eine wesentliche Folgerung aus dem Identitätssatz ist die eindeutige
Fortsetzbarkeit reeller
Funktionen:
Kann man eine reelle Funktion holomorph auf die komplexe Ebene fortsetzen (dies ist im Allgemeinen nicht möglich), so ist diese Fortsetzung eindeutig.
Der komplexe Sinus ist daher wirklich die einzige holomorphe Fortsetzung des reellen Sinus. Insbesondere gelten auch die Additionstheoreme für den komplexen Sinus. - Sonderfall g=0
- Ein Sonderfall des Identitätssatzes für Gebiete, der sehr häufig
angewendet wird, ergibt sich mit
:
Hat die Nullstellenmenge vonin einem Gebiet
einen Häufungspunkt, so gilt
auf ganz
.
- Nullteilerfreiheit des Rings der holomorphen Funktionen
- Der Ring
der holomorphen Funktionen auf einem Gebiet
ist nullteilerfrei, d.h. aus
folgt stets
oder
. Seien hierzu
holomorph mit
und
. Dann gibt es einen Punkt
in
und eine Umgebung
von
mit
für alle
. Dann gilt aber
, und somit
nach dem Sonderfall.
- Identitätssatz für Potenzreihen
- Es seien
und
- zwei Potenzreihen
um den gleichen Entwicklungspunkt
mit reellen oder komplexen Koeffizienten
bzw.
und einem gemeinsamen nichttrivialen Konvergenzbereich
. Stimmen die Werte für alle
einer Folge (
) mit
und
überein, so sind die Reihen identisch, d.h.
- Der Beweis ergibt sich induktiv über gliedweise Differentiation einer Potenzreihe aus dem Identitätssatz für holomorphe Funktionen.
- Identitätssatz für Polynome
- Der Identitätssatz für Polynome ist ein Spezialfall des Identitätssatzes für Potenzreihen und ist Grundlage für den Koeffizientenvergleich.
Mehrere Veränderliche
In der Funktionentheorie mehrerer Veränderlicher treten Nullstellenmengen mit
Häufungspunkten auf. Die holomorphe Funktion
verschwindet auf der Geraden
ohne selbst die Nullfunktion zu sein. In der Funktionentheorie mehrerer
Veränderlicher gilt ein Identitätssatz in folgender Form:
- Ist
ein Gebiet und sind
zwei holomorphe Funktionen, die auf einer nicht-leeren offenen Teilmenge von
übereinstimmen, so ist
auf ganz
.
Literatur
- E. Freitag, R. Busam: Funktionentheorie 1. 4. Auflage. Springer-Verlag, ISBN 3-540-67641-4.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 13.08. 2020