Schwerer Kreisel
In der Kreiseltheorie ist der schwere Kreisel ein Kreisel, bei dem ein auf ihn einwirkendes äußeres Drehmoment von seiner Gewichtskraft herrührt. Die klassische Kreiseltheorie ist fast ausschließlich dem schweren Kreisel mit Stützpunkt gewidmet und viel Aufwand wurde und wird in das Auffinden exakter Lösungen der Bewegungsgleichungen in Form der Euler-Poisson-Gleichungen gesteckt.
Durch die auf der Erde allgegenwärtige Schwerkraft bekommen die schweren Kreisel eine besondere Relevanz.
Schweremoment und Drehimpuls
Das Schweremoment berechnet sich aus dem Kreuzprodukt × des Hebelarms vom Stützpunkt zum Massenmittelpunkt mit der Gewichtskraft zu
Darin ist
- m die Masse,
- g die Schwerebeschleunigung und
- êz der antiparallel zur Gewichtskraft nach oben weisende Einheitsvektor.
Das Moment ist somit senkrecht zur Gewichtskraft horizontal orientiert und ist nach dem Drallsatz gleich der Geschwindigkeit des Endpunkts des Drehimpulses. Dessen Endpunkt bewegt sich daher beim schweren Kreisel mit Stützpunkt in einer horizontalen Ebene, deren Abstand zum Stützpunkt ein Integral der Bewegung ist.
Integrale der Bewegung
Bei jedem schweren Kreisel ist die Norm der Gewichtskraft, der Drehimpuls in Lotrichtung und die Gesamtenergie E konstant. Die Konstanten werden in der Kreiseltheorie Integrale genannt, die ersten beiden auch Casimir-Invarianten. Das zweite Integral Lz wird nach dem Drall- oder Flächensatz auch Drall- bzw. Flächenintegral genannt. Die Gesamtenergie ist wegen des Energieerhaltungssatzes konstant, siehe Euler-Poisson-Gleichungen.
Bewegungsgleichungen
Wird das Schweremoment in die Euler’schen Kreiselgleichungen eingesetzt, entsteht
Der Überpunkt bildet die Zeitableitung, mg ist die Gewichtskraft und für k = 1,2,3 ist jeweils
- ωk die Komponente der Winkelgeschwindigkeit,
- Lk die Komponente des Drehimpulses,
- sk die Komponente des Massenmittelpunkts,
- nk die Komponente des Einheitsvektors êz und
- Θk ein Hauptträgheitsmoment des Kreisels
im Hauptachsensystem. Häufig werden
- die Hauptträgheitsmomente Θ1,2,3 mit A, B bzw. C,
- die Winkelgeschwindigkeiten ω1,2,3 mit p, q bzw. r und
- die Richtungscosinusse n1,2,3 mit γ1,2,3 oder γ, γ', γ", gelegentlich auch mit umgekehrtem Vorzeichen
bezeichnet.
Die Winkelgeschwindigkeiten und -beschleunigungen sowie die Richtungscosinusse können mit den Euler- oder Kardan-Winkeln ausgedrückt werden, siehe z.B. Bezeichnungen beim Euler-Kreisel, was auf Differentialgleichungen zweiter Ordnung in den drei Winkeln führt.
Alternativ können die Richtungscosinusse als eigenständige Unbekannte eingeführt werden, was die Euler-Poisson-Gleichungen ergibt, die ein System aus sechs Differentialgleichungen erster Ordnung sind.
Wilhelm Hess konnte 1890 die Integrale der Bewegung nutzen, um die Richtungscosinusse mit dem Drehimpuls auszudrücken, was drei Differentialgleichungen für den Drehimpuls ergibt, siehe Euler-Poisson-Gleichungen.
Symmetrischer schwerer Kreisel mit Stützpunkt
Wenn beim symmetrischen Kreisel mit Stützpunkt vorrangig die Figurenachse ê3 interessiert und der Massenmittelpunkt auf ihr liegt oder höchstens um eine Distanz ρ in z-Richtung von ihr abweicht ( = ρ êz + s ê3) gelten bezüglich des Stützpunkts die koordinatenunabhängigen Vektorgleichungen
die auch in einem Inertialsystem benutzt werden können. Es ist ein System aus sechs gekoppelten Differentialgleichungen erster Ordnung. Die hier ausgenutzte Beziehung
ist beim symmetrischen Kreisel begründet. Es sind C das axiale und A das äquatoriale Hauptträgheitsmoment des Kreisels.
Siehe auch
Schwere symmetrische Kreisel:
Literatur
- K. Magnus: Kreisel: Theorie und Anwendungen. Springer, 1971, ISBN 978-3-642-52163-8
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.04. 2020