Konvergenz (Stochastik)
In der Stochastik existieren verschiedene Konzepte eines Grenzwertbegriffs für Zufallsvariablen. Anders als im Fall reeller Zahlenfolgen gibt es keine natürliche Definition für das Grenzverhalten von Zufallsvariablen bei wachsendem Stichprobenumfang, weil das asymptotische Verhalten der Experimente immer von den einzelnen Realisationen abhängt und wir es also formal mit der Konvergenz von Funktionen zu tun haben. Daher haben sich im Laufe der Zeit unterschiedlich starke Konzepte herausgebildet, die wichtigsten dieser Konvergenzarten werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Voraussetzungen
Wir werden die klassischen Konvergenzbegriffe immer im folgenden Modell
formulieren: Gegeben sei eine Folge
von Zufallsvariablen, die auf einem Wahrscheinlichkeitsraum
definiert sind und in denselben normierten
Raum abbilden. Dieser Bildraum wird mit seiner Borel-Algebra
in natürlicher Weise zu einem Messraum.
Um die Kernaussagen zu verstehen, genügt es, sich stets reelle
Zufallsvariablen vorzustellen. Andererseits können die folgenden
Definitionen in naheliegender Weise auf den Fall metrischer Räume als
Bildraum verallgemeinert werden.
Eine Realisierung
dieser Folge wird üblicherweise mit
bezeichnet.
Fast sichere Konvergenz
Der Begriff der fast sicheren Konvergenz ist am ehesten mit der Formulierung für Zahlenfolgen vergleichbar. Er wird vor allem bei der Formulierung von starken Gesetzen der großen Zahlen verwendet.
Man sagt, dass die Folge
fast sicher gegen eine Zufallsvariable
konvergiert, falls
gilt und schreibt dann .
Übersetzt bedeutet dies, dass für fast
alle Realisationen der Folge der klassische Konvergenzbegriff bezüglich der
Norm gilt. Die fast sichere Konvergenz entspricht damit
der punktweisen
Konvergenz μ-fast überall aus der Maßtheorie.
Konvergenz im p-ten Mittel
Ein integrationstheoretischer
Ansatz wird mit dem Begriff der Konvergenz im -ten
Mittel verfolgt. Es werden dabei nicht einzelne Realisationen betrachtet,
sondern Erwartungswerte
der Zufallsvariablen.
Formal konvergiert
im
-ten
Mittel gegen eine Zufallsvariable
,
falls
gilt. Dabei wird
vorausgesetzt. Dies bedeutet, dass die Differenz
im Lp-Raum
gegen
konvergiert. Man bezeichnet diese Konvergenz daher auch als
-Konvergenz.
Wegen der Ungleichung
der verallgemeinerten Mittelwerte folgt für
aus der Konvergenz im
-ten
Mittel die Konvergenz im
-ten
Mittel.
Konvergenz in Wahrscheinlichkeit
Ein etwas schwächerer Konvergenzbegriff ist die stochastische Konvergenz oder Konvergenz in Wahrscheinlichkeit. Wie der Name bereits suggeriert, werden nicht spezielle Realisationen der Zufallsvariablen betrachtet, sondern Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Ereignisse. Eine klassische Anwendung der stochastischen Konvergenz sind schwache Gesetze der großen Zahlen.
Die mathematische Formulierung lautet: Die Folge
konvergiert stochastisch gegen eine Zufallsvariable
,
falls
.
Für die Konvergenz in Wahrscheinlichkeit werden meist folgende Schreibweisen
verwendet:
oder
oder
.
Die stochastische Konvergenz entspricht der Konvergenz dem Maße nach aus der Maßtheorie.
Schwache Konvergenz
Der vierte prominente Konvergenzbegriff ist der der Konvergenz in Verteilung, manchmal auch schwache Konvergenz (für Zufallsvariablen) genannt. Er entspricht der schwachen Konvergenz für Maße der Maßtheorie.
Eine Folge von Zufallsvariablen
konvergiert in Verteilung gegen die Zufallsvariable
,
wenn die Folge der induzierten Bildmaße
schwach gegen das Bildmaß
konvergiert. Das heißt, für alle stetigen beschränkten Funktionen
gilt
.
Für reelle Zufallsvariable ist nach dem Satz
von Helly-Bray die folgende Charakterisierung äquivalent dazu: Für die Verteilungsfunktionen
von
und
von
gilt
an allen Stellen ,
an denen
stetig ist.
Die wohl bekanntesten Anwendungen der Konvergenz in Verteilung sind zentrale
Grenzwertsätze.
Da die Konvergenz in Verteilung ausschließlich durch die Bildmaße bzw. durch die Verteilungsfunktion der Zufallsvariablen definiert sind, ist es nicht notwendig, dass die Zufallsvariablen auf demselben Wahrscheinlichkeitsraum definiert sind.
Als Notation verwendet man in der Regel
oder
,
manchmal aber auch
.
Die Buchstaben „W“ bzw. „D“ stehen dabei für die entsprechenden Begriffe im
Englischen, also weak convergence bzw. convergence in
distribution.
Zusammenhang zwischen den einzelnen Konvergenzarten
In der Reihe der wichtigsten Konvergenzbegriffe in der Stochastik stellen die beiden zuerst vorgestellten Begriffe die stärksten Konvergenzarten dar. Sowohl aus fast sicherer Konvergenz als auch aus Konvergenz im p-ten Mittel lässt sich immer die stochastische Konvergenz einer Folge von Zufallsvariablen ableiten. Ferner folgt aus stochastischer Konvergenz automatisch auch die Konvergenz in Verteilung, die die schwächste der hier vorgestellten Konvergenzarten ist. Kompakt gilt also
und
.
In Ausnahmefällen gelten auch noch andere Implikationen: Wenn eine Folge von Zufallsvariablen in Verteilung gegen eine Zufallsvariable X konvergiert und X fast sicher konstant ist, dann konvergiert diese Folge auch stochastisch.
Aus der Konvergenz im p-ten Mittel folgt im Allgemeinen nicht die fast
sichere Konvergenz. Umgekehrt lässt sich aus fast sicherer Konvergenz im
Allgemeinen auch keine Konvergenz im p-ten Mittel schließen. Allerdings ist
dieser Schluss erlaubt, wenn es eine gemeinsame Majorante in
gibt (siehe Satz
von der majorisierten Konvergenz). Eine Folge von Zufallsvariablen
konvergiert genau dann in
,
wenn sie stochastisch konvergiert und gleichgradig
integrierbar ist.
Beispiel
Auf dem Wahrscheinlichkeitsraum
mit
,
den Borelmengen
und
dem Borel-Lebesgue-Maß
betrachte man die Zufallsvariable
sowie die Folge
der Zufallsvariablen, die für
mit
(jedes natürliche
besitzt eine eindeutige Zerlegung dieser Art) folgendermaßen definiert ist:
Die Funktionen
sind sozusagen immer dünner werdende Zacken, die über das Intervall
laufen.
Wegen
konvergiert
im p-ten Mittel gegen
.
Aus dem oben beschriebenen Zusammenhang zwischen den einzelnen Konvergenzarten
folgt, dass
ebenso stochastisch gegen
konvergiert, wie sich auch aus
und wegen
für
,
also
erkennen lässt.
Für jedes fixe
gilt aber
für unendliche viele
,
ebenso ist
für unendlich viele
,
sodass also keine fast sichere Konvergenz von
vorliegt. Zu jeder Teilfolge
von
lässt sich allerdings eine Teilteilfolge
finden, die fast sicher gegen
konvergiert. Gäbe es eine Topologie
der fast sicheren Konvergenz, so würde aus dieser Eigenschaft folgen, dass
fast sicher gegen
konvergiert. Dieses Beispiel zeigt also auch, dass es keine Topologie der fast
sicheren Konvergenz geben kann.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 06.04. 2020