Satz von Gauß-Bonnet
Der Satz von Gauß-Bonnet (nach Carl Friedrich Gauß und Pierre Ossian Bonnet) ist eine wichtige Aussage über Flächen, die ihre Geometrie mit ihrer Topologie verbindet, indem eine Beziehung zwischen Krümmung und Euler-Charakteristik hergestellt wird. Dieser Satz wurde von beiden Mathematikern unabhängig voneinander gefunden.
Während Gauß seine Arbeiten dazu nicht vollständig veröffentlichte (in den Disquisitiones circa superficies curvas von 1827 ist ein Spezialfall), wurde die Integralformel von Gauß und Bonnet zuerst 1848 von Bonnet veröffentlicht.
Flächen mit glatten Rand
Aussage
Sei
eine kompakte
und orientierbare
zweidimensionale riemannsche
Mannigfaltigkeit mit Rand
.
Bezeichne mit
die Gaußkrümmung
in den Punkten von
und mit
die geodätische
Krümmung der Randkurve
.
Dann gilt
wobei
die Euler-Charakteristik
von
ist. Der Satz kann im Besonderen auf Mannigfaltigkeiten ohne Rand angewendet
werden. Dann fällt der Term
weg.
Man kann den Satz von Gauß-Bonnet auch auf simpliziale Flächen verallgemeinern, wobei man den Winkeldefekt einer Ecke als diskrete Gaußkrümmung definiert.
Erklärung des Satzes
Verzerrt man eine Fläche, so bleibt ihre Euler-Charakteristik unverändert, im Gegensatz zur Gaußkrümmung an den einzelnen Punkten. Der Satz sagt aus, dass das Integral über die Krümmung, also die Gesamtkrümmung, unverändert bleibt.
Beispiele
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- Der Torus
hat die konstante Gaußkrümmung
und der Rand des Torus ist die leere Menge. Daher entfallen die beiden Integralterme und es folgt
. Da das Geschlecht des Torus
ist und der Torus eine orientierbare Fläche ohne Rand ist, gilt auch aufgrund der Formel
, wobei
das Geschlecht bezeichnet, die Gleichheit
.
- Die runde Sphäre
mit Radius 1 hat in jedem Punkt die Gauß-Krümmung 1. Das Integral über die Gauß-Krümmung entspricht also ihrem Flächeninhalt, dieser beträgt
. Andererseits ist die Euler-Charakteristik 2, da man die Sphäre als Verklebung von zwei (runden) Flächen entlang einer Kante mit einer Ecke bekommt (also 2-1+1=2).
- Die Halbsphäre mit Rand ist ebenfalls eine Fläche im Sinne des Satzes von
Gauß-Bonnet. Aufgrund der Überlegungen aus dem Beispiel zur Sphäre wird klar,
dass das Integral über die Gaußkrümmung in diesem Fall den Wert
annimmt. Der Rand der Halbsphäre ist gerade der
, da sie ein Maß der Abweichung einer Kurve von einer geodätischen Kurve ist und jede Kurve auf dem Kreis eine geodätische Kurve sein muss. Die Euler-Charakteristik ist
, da die Halbsphäre mit einem (sphärischen) Dreieck trianguliert werden kann. Dies entspricht dem, was der Satz von Gauß-Bonnet postuliert.
Flächen mit stückweise glattem Rand
Hat die Fläche
eine stückweise differenzierbare Randkurven, so kann der Satz von Gauß-Bonnet
auch für diesen Fall formuliert werden. In diesem Fall ergibt sich auf der
linken Seite ein Zusatzterm.
Aussage
Sei wie zuvor
eine kompakte
und orientierbare
zweidimensionale riemannsche
Mannigfaltigkeit mit Rand
und sei
die Gaußkrümmung
in den Punkten von
und mit
die geodätische
Krümmung der Randkurve
.
Dann gilt
Die Außenwinkel
sind definiert als die Winkel zwischen dem rechts- und dem linksseitigen Limes
der Tangentialvektoren an den Knickstellen von
.
Die Randkurve muss so orientiert sein, dass
zur Fläche zeigt. Dabei ist
der Normalenvektor
der Fläche und
der Tangentialvektor an die Randkurve.
Beispiel
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- Ein Rechteck
zusammen mit dem Standardskalarprodukt kann als Fläche mit stückweise glattem Rand im Sinne des Satzes verstanden werden. Um die Euler-Charakteristik zu bestimmen, kann man eine Diagonale im Rechteck eintragen und erhält zwei Dreiecke. Die Triangulierung besteht nun aus zwei Dreiecksflächen, fünf Kanten und vier Ecke. Laut der Definition der Euler-Charakteristik gilt also
. Da das Rechteck selbst als auch seine Randkurve die konstanten Krümmungen 0 aufweisen, sind die beiden Integralterme aus dem Satz jeweils 0 und die Summe der Außenwinkel beträgt
. Daher reduziert sich die Aussage des Satzes von Gauß-Bonnet in diesem Fall auf die Gleichheit
.
Theorema elegantissimum
Diese von Gauß stammende Folgerung besagt, dass die Gesamtkrümmung
eines einfach zusammenhängenden geodätischen Dreiecks gleich dessen Winkelexzess
ist. Für den Spezialfall der 2-Sphäre sieht man über die Außenwinkelsumme eines
infinitesimalen (also flachen) Dreiecks von
die Äquivalenz zum Satz von Gauß-Bonnet. Die Äquivalenz gilt allerdings – im
zweidimensionalen Fall – auch allgemein, was mithilfe einer Triangulierung
eingesehen werden kann, denn für sie gilt:
Satz von Gauß-Bonnet-Chern
Der Satz von Gauß-Bonnet lässt sich auf
Dimensionen verallgemeinern, was von André Weil und Carl B. Allendoerfer 1943 und mit
neuen Beweisen von Shiing-Shen Chern
1944 gemacht wurde.
Sei
eine kompakte orientierte riemannsche
Mannigfaltigkeit mit gerader Dimension und sei
der riemannsche
Krümmungstensor. Da für diesen
gilt, kann dieser als vektorwertige Differentialform
verstanden werden. Unter diesen Voraussetzungen gilt dann
wobei
die pfaffsche
Determinante ist.
Mit dem Wissen, dass für den Fredholm-Index von
die Gleichheit
gilt, wobei
die äußere
Ableitung ist, kann dieser Satz als Spezialfall des Atiyah-Singer-Indexsatzes
verstanden werden. In diesem Zusammenhang bietet der Satz von Gauß-Bonnet-Chern
also eine Möglichkeit zur Berechnung des topologischen Index des Operators
.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 27.01. 2022