Ausdehnungskoeffizient
Der Ausdehnungskoeffizient oder Wärmeausdehnungskoeffizient ist ein Kennwert, der das Verhalten eines Stoffes bezüglich Veränderungen seiner Abmessungen bei Temperaturveränderungen beschreibt – deswegen oft auch thermischer Ausdehnungskoeffizient genannt. Der hierfür verantwortliche Effekt ist die Wärmeausdehnung. Die Wärmeausdehnung ist abhängig vom verwendeten Stoff, es handelt sich also um eine stoffspezifische Materialkonstante. Da die Wärmeausdehnung bei vielen Stoffen nicht gleichmäßig über alle Temperaturbereiche erfolgt, ist auch der Wärmeausdehnungskoeffizient selbst temperaturabhängig und wird deshalb für eine bestimmte Bezugstemperatur oder einen bestimmten Temperaturbereich angegeben.
Es wird zwischen dem thermischen Längenausdehnungskoeffizienten α (auch linearer Wärmeausdehnungskoeffizient) und dem thermischen Raumausdehnungskoeffizienten γ (auch räumlicher Ausdehnungskoeffizient oder Volumenausdehnungskoeffizient oder kubischer Ausdehnungskoeffizient) unterschieden.
Längenausdehnungskoeffizient
Der Längenausdehnungskoeffizient eines Festkörpers mit der Länge ist die Proportionalitätskonstante zwischen der Temperaturänderung und der relativen Längenänderung . Mit ihm wird demnach die relative Längenänderung bei einer Temperaturänderung beschrieben. Er ist eine stoffspezifische Größe, die die Einheit („pro Kelvin“ gesprochen) hat und über die folgende Gleichung definiert ist:
Die temperaturabhängige Länge eines Stabes kann über die Lösung dieser Differentialgleichung berechnet werden, sie lautet:
Bei einem von der Temperatur unabhängigen Ausdehnungskoeffizienten wird daraus zusammen mit der ursprünglichen Länge bei gleichmäßiger Erwärmung oder Abkühlung um die Temperaturdifferenz :
Für die meisten Anwendungen ist es ausreichend, folgende Näherung zu verwenden, bei der die Exponentialfunktion durch die ersten beiden Glieder ihrer Taylorreihe angenähert wurde:
Die Längenänderung in linearer Näherung lautet somit:
Bei anisotropen Festkörpern ist der Längenausdehnungskoeffizient ebenfalls richtungsabhängig. Dies ist insbesondere bei der Verwendung von Tabellenwerten aus der Literatur zu beachten.
Beispiele
Aluminium hat einen Wärmeausdehnungskoeffizient . Das bedeutet, dass sich ein 1000 Meter langes Aluminiumstück bei einer Temperaturerhöhung von 1 Kelvin um 2,31 cm ausdehnt.
Ein 8 Meter langes Aluminiumstück, das um 70 Kelvin erwärmt wird, dehnt sich um 1,3 Zentimeter aus, denn
Letzteres Beispiel beschreibt z.B. acht seitlich aneinandergeschraubte Solarmodule mit Aluminiumrahmen und deren ungefähren maximalen Temperaturunterschied zwischen Sommer (sonnenbestrahltes Aluminium) und Winter (Lufttemperatur in der Nacht). Man erkennt daran, dass die Wärmeausdehnung bei der Konstruktion der Befestigungs- und Rahmenbauteile berücksichtigt werden muss, z.B. durch flexible oder verschiebbare Befestigungselemente.
Raumausdehnungskoeffizient
Der Raumausdehnungskoeffizient hat wie der Längenausdehnungskoeffizient die Einheit . Er gibt das Verhältnis zwischen der relativen Volumenzunahme und der Temperaturänderung eines Körpers an. Mathematisch ist er definiert durch:
wobei die den partiellen Ableitungen als Index nachgestellten Größen Druck und Teilchenzahl konstant zu halten sind. Die temperaturabhängige Lösung hierfür lautet analog zu oben:
Bei einem von der Temperatur unabhängigen Raumausdehnungskoeffizient ergibt sich zusammen mit :
Ebenso wie für den Längenausdehnungskoeffizienten kann hier die Linearisierung als Näherung für kleine Temperaturänderungen benutzt werden:
Mit einer Maxwell-Relation ist es möglich, den Raumausdehnungskoeffizienten mit der Entropie in Verbindung zu bringen:
Da die Masse wegen der Massenerhaltung temperaturunabhängig ist, ergibt sich der Raumausdehnungskoeffizient aus der Dichte in Abhängigkeit von der Temperatur:
Ist der Ausdehnungskoeffizient als Funktion der Temperatur bekannt, so ergibt sich die Dichte aus:
Hierbei ist eine beliebige Temperatur, z.B. , bei der die Dichte bekannt ist.
Eduard Grüneisen hat gezeigt, dass der Quotient zwischen dem thermischen Ausdehnungskoeffizienten und der spezifischen Wärmekapazität näherungsweise unabhängig von der Temperatur ist.
Im Allgemeinen ist der Wärmeausdehnungskoeffizient eine positive Größe. Wegen des Massenerhaltungssatzes geht daher bei den meisten Stoffen eine Temperaturerhöhung mit einer Verringerung der Dichte einher. Manche Stoffe, wie beispielsweise Wasser zwischen und , zeigen jedoch in bestimmten Temperaturbereichen das als Dichteanomalie bezeichnete Verhalten, bei dem ein negativer Ausdehnungskoeffizient beobachtet wird. Außerdem gibt es Materialien, wie zum Beispiel einige Arten von Glaskeramik, deren Wärmeausdehnungskoeffizient nahezu null ist.
Der Wärmeausdehnungskoeffizient kann auf empirischem Wege durch Messungen ermittelt werden und gilt nur für den Stoff und für den Temperaturbereich, an dem beziehungsweise in dem die Messung erfolgte.
Zusammenhang zwischen Längen- und Raumausdehnungskoeffizienten
Für isotrope Festkörper kann das Dreifache des Längenausdehnungskoeffizienten verwendet werden, um die Volumenausdehnung zu berechnen:
Dies gilt aber nur näherungsweise für geringe Temperaturdifferenzen. Siehe dazu die folgenden Unterkapitel.
Die genannte (Grenzwert)formel für kleine Temperaturdifferenzen weist bei der Berechnung des Volumenausdehnungskoeffizienten von Aluminium einen relativen prozentualen Fehler von ca. −0,1 % auf, wenn die Temperaturdifferenz des Ausdehnungsversuches 50 K ist. Bei 200 K erreicht der relative Fehler des kubischen Ausdehnungskoeffizienten fast −0,5 %. Es wird jeweils ein etwas zu niedriger Wert des kubischen Ausdehnungskoeffizienten mit dieser Formel berechnet für große Temperaturdifferenzen.
Herleitung der Temperatur(differenz)abhängigkeit
Aus der Ausdehnung eines Würfels lässt sich die Gleichung der Temperatur(differenz)abhängigkeit der Verknüpfung beider mittlerer Ausdehnungskoeffizienten, also des linearen und des kubischen, eines Ausdehnungsversuches herleiten:
- Die Anfangswerte des Versuches sind (Anfangs-Kantenlänge) und (Anfangs-Volumen).
- Die Endwerte nach der thermischen Ausdehnung sind: und .
Es gilt: und .
Für die Längenänderung durch thermische Ausdehnung gilt: .
Das Volumen des Würfels nach der Ausdehnung, , ergibt sich zu:
- .
Nach Ausmultiplizieren des kubischen Binoms folgt somit:
- .
Durch subtrahieren des Anfangsvolumens folgt daraus die aus der thermischen Ausdehnung resultierende Volumenänderung des Würfels:
- und damit:
- .
Nun wird in der Definitionsgleichung des kubischen Ausdehnungskoeffizienten das Differenzvolumen substituiert (ausgetauscht) durch diese Gleichung:
- .
Es folgt durch substituieren von und :
- .
Kürzen von unter und über dem Bruchstrich sowie Kürzen von führt letztlich zu folgender Gleichung, die die Abhängigkeit beider Ausdehnungskoeffizienten bei einem Ausdehnungsversuch mit realen (endlichen) nichtdifferentiellen Temperaturdifferenzen beschreibt:
- .
Als Grenzwert zeigt diese Gleichung die bekannte Gleichung für den Fall, dass die Temperaturdifferenz gegen Null geht.
Hinweis: durch das Kürzen der Temperaturdifferenz (unter dem Bruchstrich) reduzierte sich der Exponent (Hochzahl) der Temperaturdifferenzen (über dem Bruchstrich) in dieser Gleichung jeweils um den Wert 1 und ist damit immer kleiner als der des mittleren linearen Ausdehnungskoeffizienten . Für „reale“ Temperaturdifferenzen (bis zu mehreren Tausend Kelvin) ist der linke additive Term in der genannten Gleichung nicht praktisch relevant, da der lineare Ausdehnungskoeffizient als Kubikzahl (dritte Potenz) praktisch keinen relevanten Zuwachs zum kubischen Ausdehnungskoeffizienten leistet.
Sonderfall differentieller Temperaturdifferenzen des Ausdehnungsversuches
Für isotrope Festkörper gilt, dass sich die Längenänderung in allen drei Raumrichtungen gleich verhält. Das Volumen eines Quaders ist gegeben durch das Produkt seiner Kantenlängen . Das vollständige Differential des Volumens lautet dann:
Eingesetzt in die Definition des Raumausdehnungskoeffizienten ergibt sich:
Aufgrund der vorausgesetzten Isotropie sind die drei Terme auf der rechten Seite jeweils gleich dem Längenausdehnungskoeffizienten, es gilt also:
Für isotrope Festkörper kann also das Dreifache des Längenausdehnungskoeffizienten verwendet werden, um die Volumenausdehnung zu berechnen, wenn die Temperaturdifferenzen gering sind.
Bestimmung aus realen Temperatur-, Volumen- oder Dichtedifferenzen
Praktisch ist es nicht einfach, den Ausdehnungskoeffizient mit kleinen Temperaturdifferenzen zu bestimmen. Man wendet größere Differenzen an. Andernfalls gerät man schnell an die Grenzen der Messtechnik/Messgenauigkeit.
Aus den Definitionsgleichungen für Längenausdehnungskoeffizienten und Volumenausdehnungskoeffizienten folgen die zwei Grundgleichungen der Ausdehnung:
- und
- .
Für alle Feststoffe und Flüssigkeiten, die keine Dichteanomalie aufweisen, gilt daher:
- und für .
Die Ausdehnungskoeffizienten sind hier Mittelwerte für den Temperaturbereich von Anfangstemperatur bis Endtemperatur des Versuchs. Nun kann man die Definitionsgleichung des Würfelvolumens bzw. als Volumen oder als Kantenlänge ( oder ) in eine der beiden Gleichungen einführen. Danach setzt man das Endvolumen oder die Endlänge beider Gleichungen einander gleich. Durch Teilen durch Anfangsvolumen oder Anfangslänge entstehen die Quotienten von Länge und Volumen. Die Dichten sind umgekehrt proportional zu den Volumina; spezifische Volumina sind direkt proportional zu den Volumina. Dies führt auf folgende Relation zwischen Längen , Volumina , spezifischen Volumina und Dichten bei realen (nicht-differenziellen) Temperaturdifferenzen eines Ausdehnungsversuches:
Wie man sieht sind mittlerer Längenausdehnungskoeffizient und mittlerer Volumenausdehnungskoeffizient für endliche Temperaturdifferenzen nur ineinander (exakt) umrechenbar, wenn die Temperaturdifferenz bekannt ist:
- und
- .
Ist die Temperaturdifferenz des Versuches genau 1 K, vereinfachen sich die vorstehenden drei Gleichungen erheblich.
Alternative Definitionsgleichungen für reale Temperaturdifferenzen
für und (analog auch für Längen und Volumen) gilt:
Die Dichtequotienten sind den Volumenquotienten jeweils indirekt proportional.
Ausdehnungskoeffizienten einiger Stoffe
Feststoffe
Bezeichnung | α in 10−6 K−1 |
---|---|
Platin | 8,8 |
Diamant | 1,18 |
Silber | 18,9 |
Eisen | 11,8 |
Silizium | 2,6 |
Germanium | 5,8 |
Kochsalz | 40 |
Für Feststoffe werden in der Regel Längenausdehnungskoeffizienten verwendet. Da viele Materialien isotrop sind, können diese, wie oben beschrieben, auch zur Beschreibung der Volumenausdehnung verwendet werden. Für anisotrope Stoffe gelten verschiedene Ausdehnungskoeffizienten für die unterschiedlichen Raumrichtungen. Starke Anisotropie zeigen einige Verbundwerkstoffe, wie das Naturprodukt Holz: Die Ausdehnung quer zur Faser ist etwa zehnmal größer als längs der Faser. Ebenfalls stark anisotrop ist das Verhalten von Carbonfasern, welche in Faserrichtung sogar einen leicht negativen Ausdehnungskoeffizienten aufweisen. MIttels CFK ergibt sich damit die Möglichkeit, Bauteile herzustellen, die in gewünschten Vorzugsrichtungen bei Temperaturänderungen keine oder nur minimale Größenänderungen aufweisen.
Die Legierung Invar wurde speziell entwickelt, um einen kleinen Ausdehnungskoeffizienten zu erhalten. Durch kleine Abweichungen der Zusammensetzung schwankt der Ausdehnungskoeffizient für diesen Stoff relativ stark.
Kunststoffe (Polymere) sind von der Struktur und den Eigenschaften sehr vielfältig und bestehen meist aus einem Gemisch verschiedener reiner Stoffe. Der Ausdehnungskoeffizient schwankt entsprechend mit der tatsächlichen Zusammensetzung, ist aber in der Regel deutlich höher als für Metalle, das heißt größer als 50 · 10−6 K−1. Unterhalb ihres Glasübergangs haben Polymere, bzw. allgemein amorphe Feststoffe, in der Regel einen deutlich kleineren Ausdehnungskoeffizienten als oberhalb.
Flüssigkeiten
Bezeichnung | γ in 10−3 K−1 |
---|---|
Chloroform | 1,21 |
Quecksilber | 0,1811 |
Ethanol | 1,40 |
Tetrachlormethan | 1,21 |
Essigsäure | 1,08 |
Wasser (bei 0 °C) | −0,068 |
Wasser (bei 20 °C) | 0,207 |
Wasser (bei 100 °C) | 0,782 |
Glycerin | 0,520 |
Methanol | 1,49 |
Für Flüssigkeiten kann der Raumausdehnungskoeffizient angegeben werden. Sie dehnen sich isotrop, also in alle Richtungen gleichermaßen aus. Ihre Form wird durch das sie beinhaltende Gefäß vorgegeben, weshalb es sich nicht anbietet, den Längenausdehnungskoeffizienten für sie zu bestimmen, obwohl er formal berechnet werden kann.
Flüssigkeiten haben in der Regel einen deutlich größeren Ausdehnungskoeffizienten als Feststoffe. Deshalb werden Angaben für sie oft in Tausendstel pro Kelvin gemacht, anstelle von Millionstel pro Kelvin für Feststoffe. In den Tabellen dieses Abschnitts sind die Einheiten dementsprechend gewählt.
Gase
Gase unter Normaldruck und weit oberhalb des Siedepunktes verhalten sich näherungsweise wie ein ideales Gas. Dieses dehnt sich proportional zur absoluten Temperatur aus. Dieser einfache lineare Zusammenhang zwischen Volumen und Temperatur resultiert in einem sich stark mit der Temperatur ändernden Ausdehnungskoeffizienten , der umgekehrt proportional zur absoluten Temperatur ist:
und für das Idealgas gilt:
Der Ausdehnungskoeffizient des Idealgases bei 0 °C (Bezugstemperatur) ist daher:
Der Ausdehnungskoeffizient für ideale Gase bei 20 °C ist 1 / (293,15 K) ≈ 3,411 · 10−3 K−1. Allgemein kann der Ausdehnungskoeffizient durch die thermischen Zustandsgleichung idealer Gase als γ(T) oder durch die thermischen Zustandsgleichung realer Gase als γ(T,p) berechnet werden.
Für das ideale Gas (bei niedrigem Druck) gilt nach der Idealgasgleichung für isobare (thermische) Ausdehnung:
Die Temperaturen müssen als absolute Temperaturen in [Kelvin] eingesetzt werden. Für Temperaturen, die sich um eine feste Temperaturdifferenz, beispielsweise um 1 K, unterscheiden, strebt das Volumenverhältnis für immer höhere Temperaturen gegen den Wert 1. Der Ausdehnungskoeffizient strebt für immer höhere Temperaturen daher gegen Null. Er sinkt also für ideale Gase mit steigender Temperatur ab.
Basierend auf einem Artikel in Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 06.07. 2021