PT2-Glied

Als PT2-Glied bezeichnet man ein LZI-Übertragungsglied
in der Regelungstechnik,
welches ein proportionales
Übertragungsverhalten mit einer Verzögerung 2. Ordnung aufweist. Bedingt durch
seine konjugiert komplexen Pole antwortet das PT2-Glied (auch -Glied
bezeichnet) gegenüber einer Eingangssignal-Änderung mit einem oszillatorisch gedämpften
Ausgangssignal.
Der Dämpfungsgrad
bestimmt mit dem Zeitverhalten die Schwingeigenschaften des Systems. Bei einem
Dämpfungsgrad
lässt sich das PT2-Glied in zwei PT1-Glieder zerlegen. Bei
einem Dämpfungsgrad
entsteht Instabilität mit steigenden Schwingamplituden.
Schwingfähige lineare Übertragungsglieder entstehen durch Energieaustausch
seiner verkoppelten Einzelelemente. Besteht ein Regelkreis mit einer
Regelstrecke aus zwei -Gliedern
und einer P-Verstärkung von ca.
entsteht bereits nach einer Eingangserregung ein gedämpft schwingendes
Ausgangsverhalten.
In der Regelungstechnik ist ein schwaches Überschwingverhalten eines Regelkreises in der Größenordnung von ca. 10 % des Sollwertes häufig erwünscht, weil die Regelgröße schneller den Sollwert erreicht.
Differentialgleichung und Übertragungsfunktion
Gebräuchliche Beispiele eines PT2-Gliedes sind in der Elektrotechnik der R-L-C-Schwingkreis und im Maschinenbau das gedämpfte Federmassependel.
Die allgemeine Form der zugehörigen Differentialgleichung mit der
Eingangsvariable
und der Ausgangsvariable
lautet in den verschiedenen Schreibweisen:
.
und
sind die Koeffizienten (Gewichte) der Differentialglieder.
Wird die Differentialgleichung eines Übertragungssystems mittels des
Laplace-Differentiationssatzes in den s-Bereich (auch Bildbereich)
transformiert, entsteht aus einer linearen Differentialgleichung mit konstanten
Koeffizienten die Übertragungsfunktion
als eine rational gebrochene Funktion in Polynom-Darstellung. Sie ist ein
wichtiges mathematisches Hilfsmittel zur Lösung von Differentialgleichungen.
Laplace-Transformation der oben genannten Differentialgleichung:
.
Die Übertragungsfunktion ist definiert als das Verhältnis des Ausgangssignals
zum Eingangssignal
eines Systems als Funktion der komplexen Frequenz
:
Die Übertragungsfunktion
wird in eine Normalform des
-Gliedes
gebracht, indem alle Terme durch
dividiert werden. Der Term
wird
gleichgesetzt.
Damit entsteht die Normalform der Übertragungsfunktion des -Schwingungsgliedes
mit
als Eigenkreisfrequenz:
oder mit :
Hierbei bezeichnet:
die Übertragungskonstante bzw. den Verstärkungsfaktor,
die Kennkreisfrequenz oder Eigenkreisfrequenz und
die dimensionslose Dämpfung (der Dämpfungsgrad). Häufig wird auch
für Dämpfung verwendet.
ist die unabhängige Laplace-Variable im komplexen Frequenzbereich (Bildbereich, s-Bereich) mit
als Realteil und
als Imaginärteil. Sie erlaubt beliebige algebraische Operationen im s-Bereich, ist aber nur ein Symbol für eine vollzogene Laplace-Transformation und enthält keinen Zahlenwert. Exponenten von s entsprechen dem Grad der Ableitung der Differentiale.
Bestimmung der Pole
Die Nullstellen des Nennerpolynoms (= Pole) einer Übertragungsfunktion
bestimmen ausschließlich das Zeitverhalten eines Übertragungssystems.
Die Pole bewirken folgendes globales Systemverhalten:
- Pol reell,
- Die Sprungantwort eines Übertragungssystems höherer Ordnung mit nur
reellen Polen hat ein globales asymptotisches Systemverhalten. Es enthält
lauter
-Glieder.
- Pole konjugiert komplex,
. Unter Konjugation versteht man in der s-Ebene einen um die reelle Achse gespiegelten Doppelpol. Bei
-Gliedern mit Schwinganteilen sind die Pole konjugiert komplex.
- Die Sprungantwort eines Übertragungssystems höherer Ordnung mit nur einem konjugiert komplexen Doppelpol hat ein globales gedämpftes Schwingverhalten.
- Pol
entspricht einem fehlenden Abschlussglied der Übertragungsfunktion. Koeffizient
- Die Sprungantwort eines Übertragungssystems höherer Ordnung ohne
Abschlussglied
bildet die Teilübertragungsfunktion
und bewirkt ein globales integrales Systemverhalten.
Sind die Realteile von Nullstellen und Polstellen negativ, handelt es sich um ein stabiles System. Negative Realteile der Pole bedeuten asymptotische Stabilität des Teilsystems.
Die Pole (Nullstellen des Nennerpolynoms) lassen sich nun bestimmen, indem das Nennerpolynom der Übertragungsfunktion gleich Null gesetzt wird.
Sind Zahlenwerte einer Übertragungsfunktion in der Polynomdarstellung gegeben, können mit verschiedenen Methoden, wie mit der pq-Formel, die Pole für Systeme zweiter Ordnung bestimmt werden. Im Internet stehen verfügbare Programme bis 4. Ordnung mit dem Aufruf - "Nullstellen (Lösungen) von Polynomen bestimmen" zur Verfügung.
Für Systeme mit Polynomen 2. Ordnung der Form
errechnen sich die Nullstellen bzw. die Pole:
.
Bestimmung der Eigenkreisfrequenz
des
-Gliedes
Aus der Normalform der Übertragungsfunktion kann die Eigenkreisfrequenz
aus dem Koeffizienten
gebildet werden. Bei einer gegebenen Übertragungsfunktion sind die Koeffizienten
wie auch
je Zahlenwerte.
Aus dem Koeffizienten
wird die Kennkreisfrequenz
des dämpfungslosen Systems bestimmt.
.
Aus dem Zahlenwert des Koeffizienten für
wird die Dämpfung D errechnet.
Mit steigendem Dämpfungswert
verringert sich die Schwingfrequenz und die Amplitude der Systemantwort
(Übergangsfunktion). Bei
geht die gedämpfte Schwingung in einen aperiodischen Verlauf zweiter Ordnung
bzw. bei weiter steigendem
in einen Kriechfall über.
Die Eigenkreisfrequenz des gedämpft schwingenden System wird bestimmt durch:
Die Schwingfrequenz
des gedämpften Systems lautet:
Die Periodendauer
des gedämpft schwingenden Systems lautet:
Bestimmung
der Übertragungsfunktion eines
-Gliedes
aus einer gegebenen graphischen Darstellung der Sprungantwort
Stabiles
schwingfähiges System 

Ist die Sprungantwort dieses Systems grafisch gegeben, kann die
Übertragungsfunktion des -Gliedes
(
Schwingungsglied)
aus dem Amplitudenverhältnis der zwei ersten Halbwellen errechnet werden.
Mit
wird die Amplitude in positiver Richtung und mit
die Amplitude in negativer Richtung der ersten Schwingung bezeichnet.
Zunächst wird die Dämpfung der Schwingung berechnet:
Der Koeffizient T errechnet sich aus der Periodendauer
der 1. Schwingung und aus der Dämpfung D:
Damit ergibt sich die Übertragungsfunktion mit den errechneten Werten von K=1, D und T zu:
Stabiles
nicht schwingfähiges System 
Das folgende Verfahren und die Gleichungen wurden durch numerische Simulation und der Optimierung von Funktionen bestimmt.
Vorgehensweise:
.png)
- Messung der Sprungantwort des Systems mit dem Eingangssprung
und der Sprungantwort des Systems
.
- Bestimme die Zeiten
und
ausgehend vom Sprungzeitpunkt bis zu dem Zeitpunkt, wo die Sprungantwort
bzw.
vom stationären Ausgangswert erreicht hat.
- Bestimme die stationäre Verstärkung
- Berechne folgende Zwischengrößen
- Berechne die beiden Zeitkonstanten
und
mit
- Berechnung der identifizierten Übertragungsfunktion
Beispiel
-
Gegeben Übertragungsfunktion mit Nennerpolynom für
Gesucht: Pole, Dämpfung, EigenKreisfrequenzen
,
, Periodendauer
.
- Polynom:
,
,
Ergebnis: Das
-Glied lässt sich nicht in weitere
-Glieder zerlegen.
Ermittlung der Dämpfung
:
- Durch Faktorenvergleich aus der gegebenen Normalform der Übertragungsfunktion ergibt sich die Beziehung:
.
.
Bestimmung der gedämpften Eigenkreisfrequenz
nach einem Eingangssprung
:
Die ungedämpfte Kennkreisfrequenz
der Sprungantwort des
-Gliedes lautet:
.
Die gedämpfte Eigenkreisfrequenz
der Sprungantwort des
-Gliedes lautet:
Die Schwingfrequenz
des gedämpften Systems lautet:
Die Periodendauer der gedämpften Schwingung lautet:
Ergebnis: Siehe Periodendauer der Grafik! Bei schwacher Dämpfung sind
und
ähnlich.
Bestimmung der Übertragungsfunktion für reelle Pole
:
- Gegeben: Übertragungsfunktion
- Gesucht: Zerlegung in weitere
-Glieder:
- Polynom:
.
Das zu Null gesetzte Polynom wurde oben durch den Faktor
dividiert und muss berücksichtigt werden.
Übertragungsfunktion in Pol-Darstellung und Zeitkonstanten-Darstellung:
Methoden
der Berechnung des Zeitverhaltens von Übertragungsgliedern 
- Lösung aus der gewöhnlichen Differentialgleichung bis maximal zweiter Ordnung (sehr umständlich).
- Lösung aus der Übertragungsfunktion:
- durch Partialbruchzerlegung in einfache additive Terme, die sich leicht in den Zeitbereich transformieren lassen.
- durch Anwendung von Laplace-Transformationstabellen, welche die korrespondierenden Gleichungen im Zeitbereich enthalten.
- Anmerkung: enthält ein Übertragungssystem Schwingungsanteile, ergeben sich laut Transformationstabellen aufwendige trigonometrische Gleichungen.
- Benutzung fertiger kommerzieller Programme, wie Matlab und Simulink.
- Umwandlung von gewöhnlichen Differentialgleichungen eines Übertragungssystems in Differenzengleichungen, die sich tabellarisch leicht lösen lassen.
Die Berechnung des Zeitverhaltens eines -Gliedes
aus der Übertragungsfunktion
wird üblicherweise für normierte Eingangssignale
durchgeführt. Zur Berechnung der Sprungantwort mit dem Eingangssignal
wird der Übertragungsfunktion der Term
multiplikativ angehängt. Wird letzteres nicht durchgeführt, erhält man an Stelle
der Sprungantwort die Impulsantwort.
Berechnung der Sprungantwort eines
-Gliedes
im Zeitbereich
Die in jedem guten Fachbuch der Regelungstechnik dargestellten wichtigsten
Laplace-Transformationstabellen erlauben die Berechnung des Zeitverhaltens eines
Übertragungssystems für eine gegebene Übertragungsfunktion .
Die Korrespondenz-Tabellen enthalten für die nachfolgend dargestellten
definierten Formen der Eingangssignale U(s) die zugehörigen Gleichungen zur
Berechnung des Ausgangssignals im Zeitbereich y(t). Um die Gleichung zur
Berechnung das Zeitverhaltens des Übertragungssystem zu bestimmen, muss die
gegebene Übertragungsfunktion
mit der Art des Eingangssignals
multipliziert werden.
Folgende normierte Laplace-transformierte Eingangssignale
lauten:
- Impulsfunktion:
.
- Einheitssprung, Sprungfunktion:
.
- Anstiegsfunktion
.
- Sinusfunktion
.
Für die Bestimmung des Zeitverhaltens eines -Gliedes
lautet die in der Transformationstabelle zu suchende Form der Gleichung:
.
.
Die Laplace-Rücktransformation in den Zeitbereich mit Hilfe von
Laplace-Transformationstabellen erfolgt mit der gesuchten Funktion ,
multipliziert mit dem gewünschten Eingangssignal
.
Für den Einheitssprung
auf das
-Glied
gilt:
oder
Fallunterscheidung
der Sprungantwort nach dem Dämpfungsgrad 
- Für D=0: Das System antwortet mit einer konstanten Dauerschwingung um den
Wert der Verstärkung K. Damit verschwindet der Term
in der Übertragungsfunktion und die Gleichung für die Berechnung des Zeitverhaltens vereinfacht sich.
- Für
vereinfacht sich die Gleichung zur Berechnung des Zeitverhaltens, weil das Übertragungsverhalten durch zwei
-Glieder der Übertragungsfunktion bestimmt wird.
- Bei
sind die Zeitkonstanten der Übertragungsfunktion
.
- Für
ergibt sich ein konjugiert komplexer Doppelpol mit positivem Realteil. Der Term
wird negativ. Das Übertragungsglied antwortet mit instabilen zunehmend steigenden Amplituden.
- Anmerkung: Die instabilen Verzögerungsglieder, fälschlicherweise
instabile
-Glieder genannt, haben kein proportionales Verhalten. Man kann sie als Instabile
-Glieder bezeichnen.
Zeitverhalten
der Sprungantwort eines
-Gliedes
als Funktion der Dämpfung
Je nach gegebenen Zahlenwerten einer Übertragungsfunktion G(s) ergeben sich unterschiedliche Darstellungen des Systemzeitverhaltens.
.
- Liegen die Zahlenwerte einer Übertragungsfunktion in Polynomdarstellung
vor, lassen sich die 2 Pole
des Zählerpolynoms bestimmen. Sind sie negativ und reell lassen sich die Zeitkonstanten
errechnen.
- Sind die Pole konjugiert komplex mit negativem Realteil, lässt sich das
System nicht in
-Glieder aufspalten. Dabei handelt sich um einen (gespiegelten) Doppelpol, welcher bei der Sprungantwort des Systems eine gedämpfte Schwingung hervorruft.
- Je nach Zahlenwerten lassen sich mit
und
verschiedene Formen des Übertragungsverhaltens des Systems darstellen.
Anmerkung: Die Übertragungsfunktion als Suchfunktion in den
Laplace-Transformationstabellen ändert sich für die Dämpfungsgrade ,
und
.
Damit ändern sich auch die Gleichungen für den Zeitbereich.
Dämpfung | Normierte Sprungantwort |
Kommentar |
---|---|---|
Der Systemausgang enthält keine Schwinganteile. Der asymptotische
Zeitverlauf der Sprungantwort wird durch zwei | ||
Der Systemausgang enthält keine Schwinganteile. Der asymptotische
Zeitverlauf der Sprungantwort wird durch zwei | ||
stabiler Schwingfall |
Das System enthält 2 konjugiert komplexe Pole: |
![]() T=0,5;
D=0,125 |
grenzstabiler Schwingfall |
Das System enthält 2 konjugiert komplexe Pole: |
![]() T=0,5;
D=0; K=1 |
instabiler Schwingfall |
Das System enthält 2 konjugiert komplexe Pole mit positivem Realteil: |
![]() T=0,5;
D=-0,125 |
instabiler Kriechfall |
Das System enthält 2 reelle positive Pole und lässt sich damit in 2 instabile T1-Glieder aufspalten. |
![]() T1=10,
T2=5, D=-1,06, K=1. |

Beispielverläufe der Sprungantworten für unterschiedliche D-Werte:
.
Die Übertragungsfunktionen
der dargestellten Grafikverläufe lassen sich anhand von Faktorenvergleich mit
der Grundform bestimmen. Für alle Verläufe gilt T=1; K=2:
- Für das
-Glied mit
lautet die Übertragungsfunktion:
- Für das
-Glied mit
lautet die Übertragungsfunktion:
- Für das
-Glied mit
lautet die Übertragungsfunktion:
- Für das
-Glied mit
lautet die Übertragungsfunktion (Verfahren siehe Berechnungsbeispiel):
-
- mit
Grafische Methoden des Bodediagramms und der Ortskurve zur Bestimmung der Stabilität
Eine Phasenverschiebung von φ < −180° und eine Verstärkung > 1 führt von der Gegenkopplung zur Mitkopplung und damit zur oszillierenden Instabilität, wenn der Regelkreis geschlossen wird.
Aus diesem Verhalten hat der amerikanische Physiker Harry Nyquist eine Stabilitätskriterien abgeleitet, die sich auf den offenen Regelkreis beziehen und für die Schließbedingung des Regelkreises anzuwenden sind.
Die grafischen Stabilitätsverfahren über das Bodediagramm und der Ortskurve des Frequenzgangs dienen dem Verständnis von Teilgebieten der Systemtheorie, sind aber keine Alternativen zur numerischen Berechnung eines Regelkreises, bei dem tabellarisch das innere Teil-Systemverhalten für jede Berechnungsfolge y(k·Δt) dargestellt und grafisch der zeitliche Signalverlauf verschiedener Ausgangsgrößen für eine beliebige Eingangsgröße gezeigt wird.
Bodediagramm
Beim PT2-Glied ist
der Frequenzgang. Daher gilt für den Amplituden- und Phasengang im Bodediagramm:
Die folgende Abbildung zeigt den Amplituden- und Phasengang. Typisch für ein
PT2-Glied ist der Abfall der Amplitude um 40 dB je Dekade.
Auch ist die Phasenverschiebung von 180° kennzeichnend. An der Überhöhung im
Amplitudengang kann man erkennen, dass für die Dämpfung
gelten muss. Keine Überhöhung bedeutet eine Dämpfung
.
Bei der Kennkreisfrequenz (= Eckfrequenz )
hat die Phasenverschiebung einen Wert von -90°. Mit zunehmend steigenden
Frequenzen beträgt die Phasenverschiebung maximal |-180|°.

Ortskurve des Frequenzgangs
Die Frequenzganggleichung des offenen Kreises wird nach Realteil und Imaginärteil aufgelöst und in ein Koordinatensystem eingetragen. Die senkrechte Achse zeigt die Daten der Imaginärteile, die waagerechten Achse die Realteile.
Die Ortskurve ()
des PT2-Gliedes verläuft vom Punkt K auf der positiven reellen Achse
in Abhängigkeit von der Dämpfung d durch den vierten und dritten Quadranten für
aus Richtung der negativen reellen Achse in den Punkt 0.

Siehe auch



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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 29.09. 2019