Zeigermodell
Das Zeigermodell ist ein Konzept der Physik und insbesondere der Physikdidaktik. Es stellt periodische Vorgänge als Rotation eines Zeigers dar und findet vor allem in der Schwingungslehre, der Wechselstromlehre, der Wellenoptik und der Quantenmechanik Anwendung.
Der Zeiger dreht sich dabei meist zeitabhängig in der komplexen Ebene. Ein fester, zeitunabhängiger Zeiger wird in der komplexen Wechselstromrechnung verwendet, um den Phasenunterschied von Strom und Spannung in einem Stromkreis mit ohmschem Widerstand, Spule und Kondensator zu erklären. Manche Autoren bezeichnen die festen Zeiger als Phasor und verwenden dabei die in der Technik benutzte Versor-Schreibweise von komplexen Zahlen (Versor = „Dreher“).
Grundidee
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Ein Zeiger der Länge
dreht
sich mit einer konstanten Winkelgeschwindigkeit
um den Koordinatenursprung. Sein momentaner Winkel gegenüber der
-Achse
wird mit dem Formelzeichen
bezeichnet.
Wenn man diesen Zeiger parallel zur -Achse
mit einer Lampe anstrahlt, so wirft er einen Schatten der Länge
auf eine senkrechte Wand. Es gilt dabei die einfache trigonometrische
Beziehung
wobei
der Startwinkel ist.[1]
Die Veränderung des Schattens ist eine harmonische Schwingung. Dabei kommen den verwendeten Größen folgende Bedeutungen zu:
Formelzeichen | Einheit | Bedeutung im Zeigermodell | Bedeutung für die Schwingung |
---|---|---|---|
beliebig | Länge des Zeigers | Amplitude der Schwingung | |
beliebig | „Schatten“ des Zeigers | Momentanauslenkung | |
Momentanwinkel | Phasenwinkel | ||
Startwinkel | Nullphasenwinkel | ||
Winkelgeschwindigkeit | Kreisfrequenz | ||
Drehzahl | Frequenz | ||
Umlaufdauer | Periodendauer |
Komplexe Zahlenebene
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Häufig wird das Zeigermodell in der komplexen
Zahlenebene dargestellt. Der Zeiger
ist dann eine komplexe
Größe
mit dem Realteil
und dem Imaginärteil
.
Mit der Eulerschen
Formel lässt sich dann das Auslenkungs-Zeit-Gesetz der Schwingung wie folgt
schreiben:
Die komplexe Größe
wird manchmal auch als Phasor
oder „komplexe Amplitude“ bezeichnet. Nimmt man von
nur den Imaginärteil, so kommt man zu einer Gleichung wie aus dem
vorangegangenen Abschnitt. Man kann aber ebenso gut mit dem Realteil arbeiten.
An die Stelle der Sinusschwingung tritt dann die Kosinusschwingung. Da sich die
Sinus-
und Kosinusfunktionen nur durch den konstanten Phasenverschiebungswinkel von
unterscheiden, sind beide mathematischen Formulierungen gleichwertig; innerhalb
einer Problemstellung muss man sich jedoch entweder für die eine oder die andere
Darstellung entscheiden.
Anwendungen
Elektrotechnik: Wechselstromlehre
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In der Wechselstromlehre betrachtet man die sinusförmige Wechselspannung
und die sinusförmige Wechselstromstärke
.[2]
Beide können als Zeiger dargestellt werden, die gemeinsam mit der
Winkelgeschwindigkeit
um den Koordinatenursprung rotieren und dabei den konstanten Phasenverschiebungswinkel
aufweisen.
Wenn man analog zu der Beziehung ,
die für Gleichströme gilt, die Gleichung
für Wechselströme und -spannungen aufstellt, erhält man die Impedanz, deren Betrag auch
„Scheinwiderstand“ genannt wird. Man beachte, dass die Impedanz nicht
zeitabhängig ist, denn der Faktor
kürzt sich heraus. Sie ist im allgemeinen Fall jedoch komplexwertig:
Dabei ist der Realteil
der ohmsche
Widerstand oder Wirkwiderstand.
Den Imaginärteil
bezeichnet man als Blindwiderstand.
Er setzt sich zusammen aus
- dem induktiven
Blindwiderstand
und
- dem kapazitiven
Blindwiderstand
Der Vorteil der Darstellung sinusförmiger Wechselstromgrößen als komplexe Zeiger im Wechselstromdiagramm besteht darin, dass die wesentlichen Gesetze der Elektrizitätslehre (Verwendung der Impedanz wie ein Widerstand, Kirchhoffsche Regeln) auch in der Wechselstromlehre anwendbar bleiben, ohne dass komplizierte trigonometrische Berechnungen notwendig werden.
Hinweis: In der Praxis verwendet man in der Elektrotechnik für die Zeigerlänge (den Absolutbetrag) von Spannungen und Strömen statt der Amplitude ("Amplitudenzeiger") Û; Î oft den Effektivwert ("Effektivwertzeiger"): U; I.
Wellenoptik
Im eindimensionalen Fall wird eine Sinuswelle[3] durch folgende Gleichung beschrieben:
Dabei ist
die Kreiswellenzahl
.
Der Nullphasenwinkel soll der Einfachheit halber Null betragen.
Auch hier kann man sich die Momentanauslenkung durch einen rotierenden Zeiger
vorstellen, wobei diesmal der Winkel nicht nur von der Zeit, sondern auch vom
Ort abhängt. Betrachtet man die Welle an einem Ort, der sich eine Wellenlänge vom
Ursprung entfernt befindet, so hat der Zeiger an diesem Ort eine Umdrehung
weniger zurückgelegt als ein Zeiger im Koordinatenursprung. Man muss also
von dem Winkel
jeweils das
-fache
der Entfernung abziehen.
Interferenz
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Überlagern sich an einem Punkt zwei Wellen, so müssen die Zeiger beider
Wellen vektoriell
addiert werden, wie dies in der nebenstehenden Abbildung exemplarisch für einen
Punkt gezeichnet wurde. Die Momentanauslenkung der resultierenden Schwingung
erhält man dann wieder durch Projektion des resultierenden (violetten) Zeigers
auf die an dem gewünschten Punkt eingezeichnete senkrechte Achse. Die Länge
dieses Zeigers gibt auch die Amplitude der resultierenden Welle an (violette
Linie). Entscheidend für das Ergebnis der Interferenz ist also – neben den
Amplituden der beteiligten Wellen – auch ihr Phasenunterschied .
Besonders einfach ist dies bei Wellen gleicher Frequenz, da hier der
Phasenunterschied konstant ist.
Es gilt:
: Konstruktive Interferenz. Die Amplituden der beiden Wellen addieren sich.
: Destruktive Interferenz. Die Amplituden der beiden Wellen müssen voneinander subtrahiert werden. Sind sie gleich, so löschen sie sich gegenseitig aus.
Überlagern sich in einem Punkt mehrere Wellen, so müssen die Zeiger aller Wellen vektoriell addiert werden.
Stehende Wellen
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Überlagern sich zwei gegenläufige Wellen gleicher Frequenz, so entsteht eine
stehende Welle. In der nebenstehenden Abbildung läuft die rote Welle nach
rechts, die blaue Welle nach links. Greift man einen bestimmten Punkt heraus, so
haben die Zeiger der beiden Wellen einen gewissen Phasenunterschied. Dieser
Unterschied hängt nicht von der Zeit ab, da sich beide Zeiger gleich schnell in
dieselbe Richtung drehen. Trotzdem hängt er vom Ort ab. An Orten, wo der
Phasenunterschied
oder
beträgt – wo also die beiden Welle in Phase sind – ist die
Momentanauslenkung verglichen mit anderen Orten stets maximal. Man nennt dies
einen „Schwingungsbauch“. An den Stellen, wo der Phasenunterschied
ist, gibt es überhaupt keine Auslenkung. Dies nennt man „Schwingungsknoten“. Da
sich weder die Schwingungsbäuche noch die Schwingungsknoten bewegen, hat es den
Anschein, als breite sich die Welle überhaupt nicht aus, daher der Name
„stehende Welle“. Der Maximalausschlag der stehenden Welle an einem
Schwingungsbauch ist durch die Summe der Zeigerlängen, sprich: die Summe der
Amplituden gegeben.
Beugung
Bei mehrdimensionalen Problemen (z.B. Einfachspalt, Doppelspalt, optisches Gitter, …)
muss berücksichtigt werden, dass Wellen, die an einem Punkt zusammentreffen,
unterschiedliche Wege zurückgelegt haben können. Man berechnet dann die Gangunterschiede. Ein
Gangunterschied
ist gleichbedeutend mit einem Phasenunterschied von
.
Man erhält das Beugungsmuster also durch Vektoraddition der Zeiger der
interferierenden Wellen unter Berücksichtigung des durch den Gangunterschied
entstehenden Phasenunterschieds.
Grenzen
Während sich Phasenunterschiede und ihre Auswirkungen auf die Interferenz mit dem Zeigermodell sehr gut erklären lassen, versagt es bei der Berechnung der Amplituden, da weder die Dämpfung noch die Verteilung einer Welle im Raum durch das Zeigermodell berücksichtigt werden können. Diese Schwäche haben aber auch alternative Konzepte, z.B. die Elementarwellen nach Huygens und Fresnel.
Quantenmechanik
Auch die Wellenfunktion der Quantenmechanik lässt sich im Zeigermodell darstellen. Feynman nennt die (komplexe) Länge des Zeigers „Wahrscheinlichkeitsamplitude“, da ihr Betragsquadrat nach den Regeln der Quantenmechanik ein Maß für die Wahrscheinlichkeitsdichte (z.B. für das Auffinden eines Teilchens) ist. Dabei kommt es ebenso zum Effekt der Interferenz, wie dies im Abschnitt Wellenoptik weiter oben beschrieben wurde. Wenn ein Quantenobjekt eine Versuchsanordnung durchläuft, müssen die Wahrscheinlichkeitsamplituden für alle möglichen Wege vektoriell addiert werden. Damit findet Feynman eine anschauliche Interpretation für die Methode der Pfadintegrale.
Anmerkungen
- ↑ Auf diese Weise werden die Schwingungen in vielen Schulbüchern der gymnasialen Oberstufe eingeführt, z. B. in Dorn, Bader: Physik Gymnasium(G8) 11/12. Schroedel, 2010, ISBN 978-3-507-10748-9; Meyer, Schmitt: Lehrbuch Physik, Gymnasiale Oberstufe. Duden, 2011, ISBN 978-3-8355-3311-0; Boysen u. a.: Oberstufe Physik Gesamtband. Cornelsen, 1999, ISBN 3-464-03440-2.
- ↑
In der Wechselstromlehre wird die imaginäre
Einheit als
geschrieben, um Verwechslungen mit der Stromstärke zu vermeiden.
- ↑ Im Abschnitt „Wellenoptik“ wird hier – wie in der Schulphysik üblich – eine Darstellung mit reellen Zeigern verwendet. Wenn mit komplexen Zahlen gearbeitet wird, tritt an die Stelle der Sinusfunktion die komplexe e-Funktion, wie dies im Abschnitt „Komplexe Zahlenebene“ beschrieben wurde. Die hier verwendete Vektoraddition entspricht der Addition komplexer Zahlen.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 16.02. 2021