Calciumcyanamid

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[2]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol
Gefahr
H- und P-Sätze H:
  • In Berührung mit Wasser entstehen entzündbare Gase.
  • Gesundheitsschädlich bei Verschlucken.
  • Verursacht Hautreizungen.
  • Kann allergische Hautreaktionen verursachen.
  • Verursacht schwere Augenschäden.
  • Kann die Atemwege reizen.
P:
  • Inhalt unter inertem Gas/… handhaben und aufbewahren. Vor Feuchtigkeit schützen.
  • Schutzhandschuhe/ Schutzkleidung/ Augenschutz/ Gesichtsschutz/ Gehörschutz/ … tragen.
  • Bei Verschlucken: Bei Unwohlsein Giftinformationszentrum, Arzt oder … anrufen. Mund ausspülen.
  • Bei Einatmen: Die Person an die frische Luft bringen und für ungehinderte Atmung sorgen. Bei Unwohlsein Giftinformationszentrum, Arzt oder … anrufen.
  • Bei Kontakt mit den Augen: Einige Minuten lang behutsam mit Wasser spülen. Vorhandene Kontaktlinsen nach Möglichkeit entfernen. Weiter spülen. Sofort Giftinformationszentrum, Arzt oder … anrufen.
  • Bei Hautreizung oder -ausschlag: Ärztlichen Rat einholen / ärztliche Hilfe hinzuziehen.
[2]
MAK

Calciumcyanamid ist eine anorganische chemische Verbindung des Calciums aus der Gruppe der Cyanamide. Den Handelsnamen Kalkstickstoff schlugen 1901 Albert Frank (Sohn von Adolph Frank) und Hermann Freudenberg vor. Beide leiteten von 1899 bis 1908 die Cyanidgesellschaft mbH Berlin.

Strukturformel
{\displaystyle \mathrm {Ca^{2+}\;[^{-}N{=}C{=}N^{-}]} }
Allgemeines
Name Calciumcyanamid
Andere Namen Kalkstickstoff
Summenformel CaCN2
Kurzbeschreibung farblose, hexagonale Kristalle[1]
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer Extern 156-62-7
EG-Nummer 205-861-8
ECHA-InfoCard Extern 100.005.330
PubChem Extern 56955933
ChemSpider Extern 21106503
DrugBank Extern DB09116
Eigenschaften
Molare Masse 80,11 g/mol−1
Aggregatzustand fest
Dichte 2,29 g/cm3 (20 °C)[2]
Schmelzpunkt 1340 °C[2]
Siedepunkt sublimiert ab 1150 °C[2]
Löslichkeit mit Wasser Hydrolyse[2]

Geschichte

Adolph Frank und Nikodem Caro entdeckten auf ihrer Suche nach einem neuen Verfahren zur Herstellung von Cyaniden mittels Cyanidlaugung für die Goldgewinnung die Eigenschaft von Erdalkalicarbiden, bei hohen Temperaturen atmosphärischen Stickstoff aufzunehmen.[6] Fritz Rothe, einem Mitarbeiter von Frank und Caro, gelang es 1898, Probleme bei der Verwendung von Calciumcarbid zu überwinden und zu klären, dass bei der Reaktion bei rund 1100 °C kein Calciumcyanid, sondern Calciumcyanamid (Kalkstickstoff) gebildet wird. Das eigentlich Zielprodukt Natriumcyanid lässt sich durch das Schmelzen von Calciumcyanamid mit Natriumchlorid in Gegenwart von Kohlenstoff gewinnen:[7]

{\displaystyle {\ce {CaCN2 + 2 NaCl + C -> 2 NaCN + CaCl2}}}

Frank und Caro entwickelten den wegen der hohen Temperaturen apparativ schwierigen Prozess der Kalkstickstoffsynthese – insbesondere durch den Verfahrensschritt der Initialzündung – zu einem großtechnisch handhabbaren kontinuierlichen Herstellungsverfahren. Im Jahr 1902 ließ sich Ferdinand Eduard Polzeniusz ein Verfahren patentieren, das Calciumcarbid in Gegenwart von 10 % Calciumchlorid bei 700 °C zu Kalkstickstoff umsetzt.[8] Der Vorteil einer um ca. 400 °C niedrigeren Reaktionstemperatur wird jedoch durch den hohen Calciumchloridzusatz und die diskontinuierliche Prozessführung relativiert. Gleichwohl haben sich beide Prozesse, das Rothe-Frank-Caro-Verfahren und das Polzeniusz-Krauss-Verfahren, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etabliert. Im Rekordjahr 1945 wurden weltweit insgesamt ca. 1,5 Mio. Tonnen nach beiden Verfahren hergestellt.[9] Frank und Caro stellten auch die Bildung von Ammoniak aus Kalkstickstoff fest.[10]

{\displaystyle {\ce {CaCN2 + 3 H2O -> 2 NH3 + CaCO3}}}

Albert Frank erkannte die fundamentale Bedeutung dieser Reaktion als technischen Durchbruch bei der Bereitstellung von Ammoniak aus Luftstickstoff und empfahl im Jahr 1901 Calciumcyanamid als Stickstoffdünger. Zwischen 1908 und 1919 wurden in Deutschland fünf Kalkstickstoffwerke mit einer Gesamtkapazität von 500.000 Tonnen pro Jahr aufgebaut, da Calciumcyanamid als damals billigster Stickstoffdünger mit zusätzlicher Wirksamkeit gegen Unkräuter und Pflanzenschädlinge große Vorteile gegenüber herkömmlichen Stickstoffdüngern aufwies. Durch die großtechnische Umsetzung der Ammoniak-Direktsynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren erwuchs dem sehr energieintensiven Frank-Caro-Verfahren schon bald ernsthafte Konkurrenz. Der spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich stickstoffreichere (46 % gegenüber ca. 20 % N-Gehalt), billiger verfügbare und schneller wirksame Harnstoff reduzierte Calciumcyanamid allmählich zum multifunktionalen Stickstoffdünger in Nischenanwendungen. Die schmutzig-schwarze Farbe des stark staubenden, Augen und Schleimhäute reizenden Kalkstickstoffpulvers, sowie dessen Eigenschaft, im menschlichen Körper ein alkoholabbauendes Enzym zu hemmen, so dass bei zeitlich nahegelegenem Alkoholgenuss eine temporäre Anreicherung von Acetaldehyd im Körper und damit Schwindel, Übelkeit und Hitzewallungen die Folge sein können, trugen nicht unerheblich zum Popularitätsverlust des Kalkstickstoffs bei.

Darstellung

Es lässt sich durch exotherme Azotierung von Calciumcarbid bei 1000 °C herstellen.[1] Als Zwischenprodukt entsteht dabei Calciumcyanid. Da die Reaktion exotherm ist, lässt sie sich durch Initialzündung einer kleinen Menge mittels elektrischer Heizstäbe einleiten:

{\displaystyle \mathrm {CaC_{2}+N_{2}\longrightarrow \ Ca(CN)_{2}} }
{\displaystyle \mathrm {\longrightarrow \ Ca^{2+}\ ^{-}N=C=N^{-}\ +C} }

Das technische Verfahren verwendet in einer modernen Variante ein Gemisch aus ca. 80 Gew.% Calciumcarbid, 20 Gew.% Kalkstickstoff und < 1 Gew.% Calciumfluorid als Reaktionsbeschleuniger. Die Reaktion verläuft in einem Drehofen bei 1050 °C unter Stickstoff in einer Azotierausbeute von > 93 %, einem Restcarbidgehalt von ca. 0,1 % und einem N-Gehalt des erzeugten Kalkstickstoffs von > 24,5 %.[11] Steht eine billige Harnstoffquelle zur Verfügung, kann auch ein bei wesentlich niedrigeren Temperaturen ablaufender Zweistufenprozess zur Herstellung von Kalkstickstoff genutzt werden. Im ersten Schritt wird dabei aus Harnstoff und Calciumoxid bei ca. 250 °C Calciumcyanat Ca(OCN)2 [Anm: 1] erzeugt, das im zweiten Schritt bei ca. 750 °C zu reinem Calciumcyanamid in bis zu 97%iger Ausbeute und einem N-Gehalt des erzeugten Kalkstickstoffs von bis zu 34 % umgesetzt wird.[12][13]

Verwendung

Umsetzung von Kalkstickstoff im Boden

Calciumcyanamid dient als Ausgangsstoff für die Synthese von Cyanamid, Dicyandiamid, Melamin, Thioharnstoff oder Guanidinen.

Unter der Bezeichnung Kalkstickstoff gehört es zu den in der Europäischen Union zugelassenen Düngemitteln und hat wegen des im Zuge der Umsetzung zu pflanzenverfügbaren Stickstoffformen entstehenden Cyanamids eine abtötende Wirkung auf verschiedene Unkräuter, tierische Schädlinge, Weideparasiten sowie Plasmodien von Plasmodiophora brassicae. Für letzteren Einsatzzweck war Kalkstickstoff in den 1980er-Jahren von der seinerzeit noch für die Pflanzenschutzmittelzulassung verantwortlichen Biologischen Bundesanstalt als Pflanzenschutzmittel zugelassen.

Eigenschaften

Handelsübliches Calciumcyanamid ist meist noch mit Kohlenstoff, Calciumoxid, Eisen und Aluminium verunreinigt. Es hat dann gewöhnlich eine graue bis schwarze Farbe. Beim Lösen in Wasser zersetzt es sich zu Ammoniak und Calciumcarbonat.

Calciumcyanamid müsste nach der Röntgenstrukturanalyse[14] eigentlich als Calciumcarbodiimid bezeichnet werden, weil es zwei Doppelbindungen zwischen dem zentralen C- und den beiden N-Atomen enthält. Ein echtes Cyanamid mit einer C-N-Einfach- und einer C-N-Dreifachbindung liegt dagegen mit dem Bleicyanamid PbCN2 vor.[15] Die ungenaue Bezeichnung für CaCN2 geht vermutlich auf die Nähe zum Cyanamidmolekül H2CN2 (mit Einfach- und Dreifachbindung) zurück sowie auf die Tatsache, dass die strukturellen Verhältnisse im festen Zustand gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch unbekannt waren.[16]

Sicherheitshinweise

Calciumcyanamid kann in Verbindung mit Ethanol zu Hyperämie der Haut, Schwindel und Atemnot führen. Auslöser der Alkoholunverträglichkeitsreaktion ist das im Körper gebildete Cyanamid, das wie das als Alkoholaversivum eingesetzte Disulfiram durch Hemmung der Acetaldehyddehydrogenase die Anhäufung des toxischen Acetaldehyds im Blutkreislauf induziert.[17] Die Vergiftungssymptome treten bei späterem Kontakt mit Alkohol oder weiteren acetaldehydbildenden Substanzen auch längerfristig erneut in abgeschwächter Form auf. Dies ist als Kalkstickstoff-Krankheit bekannt.

Einzelnachweise

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  1. Hochspringen nach: a b Eintrag zu Kalkstickstoff. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag.
  2. Hochspringen nach: a b c d e f g Eintrag zu Extern Calciumcyanamid in der GESTIS-Stoffdatenbank des Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.
  3. Eintrag zu Extern Calcium cyanamide im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung Extern erweitern.
  4. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Extern Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 156-62-7 bzw. Calciumcyanamid).
  5. Extern Stoffliste (MAK-Werte und TRK-Werte), Verordnung des Bundesministers für Arbeit über Grenzwerte für Arbeitsstoffe sowie über krebserzeugende und fortpflanzungsgefährdende (reproduktionstoxische) Arbeitsstoffe (Grenzwerteverordnung 2021 – GKV).
  6. Patent Extern DE88363C: Verfahren zur Darstellung von Cyanverbindungen aus Carbiden. Angemeldet am 31. März 1895, veröffentlicht am 26. August 1896, Erfinder: Nikodem Caro, Adolph Frank.
  7. H.H. Franck, W. Burg: Zur Chemie des Kalkstickstoffes. V. In: Zeitschrift für Elektrochemie und angewandte physikalische Chemie, Bd. 40, 1934, S. 686–692. Extern doi:10.1002/bbpc.19340401004
  8. Patent Extern US725361A: Method of making Nitrogen Compounds. Angemeldet am 20. Mai 1902, veröffentlicht am 14. April 1903, Erfinder: Ferdinand Eduard Polzeniusz.
  9. ACS Chemical Landmarks 1998, "Discovery of the commercial processes for making calcium carbide and acetylene".
  10. Angewandte Chemie, Band 29, Ausgabe 16, Seite R97, 25. Februar 1916.
  11. DE-Patent 3705049C2, Anmelder: SKW Trostberg AG, erteilt am 1. August 1991.
  12. Wincenty Wojtkiewicz: Extern Über die Herstellung von Calciumcyanamid aus Calciumcarbonat und Ammoniak, S. 21. (PDF) ETH Zürich, 1946.
  13. US-Patent 5,753,199, Anmelder: SKW Trostberg AG, erteilt am 19. Mai 1998.
  14. N.-G. Vannerberg, Acta Chem. Scand. 1962, 16, 2263–2266. Extern doi:10.3891/acta.chem.scand.16-2263
  15. X. Liu, A. Decker, D. Schmitz, R. Dronskowski, Z. Anorg. Allg. Chem. 2000, 626, 103–105, doi:Extern 10.1002/(SICI)1521-3749(200001)626:1<103::AID-ZAAC103>3.0.CO;2-7, Extern onlinelibrary.wiley.com
  16. X. Liu, P. Müller, P. Kroll, R. Dronskowski, W. Wilsmann, R. Conradt, ChemPhysChem 2003, 4, 725–731. Extern doi:10.1002/cphc.200300635
  17. Extern „Aversionsmittel stärken langfristige Alkoholabstinenz“, Forschungsmeldung der Max-Planck-Gesellschaft, 9. Januar 2006.

Anmerkungen

  1. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Calciumcyanat: CAS-Nummer: 6860-10-2, PubChem: Extern 23161384, ChemSpider: Extern 16194089
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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 13.09. 2024