Millersche Indizes
Millersche Indizes dienen in der Kristallographie der eindeutigen Bezeichnung von Kristallflächen bzw. Ebenen im Kristallgitter. Die Schreibweise (hkl) wurde im Jahr 1839 von William Hallowes Miller (1801–1880) vorgeschlagen. In der gleichen Arbeit führte Miller auch die heute gebräuchlichen Schreibweisen [uvw] für Richtungen (Richtungsindizes) und {hkl} für Kristallformen, d.h. die Menge aller symmetrisch äquivalenten Flächen, ein.
Die millerschen Indizes werden wie folgt gebildet: Man bestimmt die Schnittpunkte der Kristallebene mit den drei Koordinatenachsen, kürzt gemeinsame Faktoren, bildet die Kehrwerte und multipliziert mit dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen der Nenner, so dass sich drei ganze, teilerfremde Zahlen ergeben.
Anwendungen
In der Mineralogie werden die millerschen Indizes verwendet, um Kristallflächen eindeutig zu beschreiben. Auch zur Angabe der Spaltbarkeit oder von Verzwillingungen werden sie benötigt.
Bei Beugungsmethoden wie der Röntgenbeugung oder der Elektronenbeugung bezeichnen sie eine Netzebenen-Schar. Hier werden auch höhere Indizes – beispielsweise 222 – eingesetzt, um die Beugung höherer Ordnung anzugeben. Diese Indizes werden als Laue-Indizes oder Laue-Symbol bezeichnet. Sie werden zur Unterscheidung von den nach Definition teilerfremden millerschen Indizes üblicherweise ohne Klammern geschrieben. Laue-Indizes werden z.B. bei der Angabe von systematischen Auslöschungen verwendet und gehen in die Formel des Strukturfaktors ein. Die Laue-Indizes sind die mit der Ordnung n der Interferenz (siehe Bragg-Gleichung) multiplizierten Miller-Indizes, z.B. wird die Reflexion 2. Ordnung an der Gitterebene mit den Miller-Indizes (100) mit Laue-Indizes 200 bezeichnet.
In der Materialwissenschaft werden sowohl Gitterebenen als auch Gittervektoren benötigt, um Gitterfehler wie Versetzungen zu charakterisieren. Auch Gleitsysteme, Texturen oder die Kristallorientierung von Einkristallen können mit millerschen Indizes beschrieben werden.
Notation
Abhängig von seinem Kristallsystem wird jedem Kristall ein Koordinatensystem zugeordnet. Die drei Vektoren , und mögen die Basis dieses Gitterkoordinatensystems bilden (nicht zu verwechseln mit den primitiven Translationen des Gitters). Die Basis des zugehörigen reziproken Gitters sei durch die Vektoren , und gegeben (sie werden über die Basisvektoren des Gitters definiert).
Gitterebene (millersche Indizes)
Die millerschen Indizes sind drei ganzzahlige, teilerfremde Indizes , und , die das Zahlentriplett bilden. Negative Indizes werden mit einem über die Zahl geschriebenen Balken gekennzeichnet, also beispielsweise . Jedes solche Triplett bezeichnet eine spezifische Ebene.
Sind anstatt einer spezifischen Netzebene alle symmetrisch äquivalenten Ebenen gemeint, so wird die Notation verwendet. Beispielsweise bezeichnet man mit im kubischen Kristallsystem die aufgrund der kubischen Symmetrie äquivalenten Ebenen , , , , und , was den sechs Oberflächen eines Würfels entspricht.
Jeder Netzebenen-Schar im direkten Gitter entspricht ein Punkt bzw. Ortsvektor im reziproken Gitter des Kristalls. Dieser Vektor hat im reziproken Raum die Koordinaten ; er steht immer senkrecht auf der gleichnamigen Netzebene und hat als Länge den Kehrwert des Netzebenenabstandes.
Es ergeben sich zwei äquivalente Möglichkeiten, eine Gitterebene zu beschreiben:
Gitterebene im Ortsraum
Betrachtet man eine Gitterebene mit den Spurpunkten , und , ( sind die Einheitsvektoren eines rechtwinkligen Koordinatensystems des Raums) so ist die Achsenabschnittsform gegeben durch:
Hierbei ist
ein Normalenvektor der Ebene. Man bilde nun ein Vielfaches dieses Normalenvektors, sodass alle Einträge dieses Vielfachen des Normalenvektors ganze teilerfremde Zahlen sind. Sei dies z.B. im Folgenden durch die ganze Zahl gewährleistet (möglich, da die , da die Schnittpunkte auf dem Kristallgitter liegen sollen), dann gilt
Die Komponenten des Tupels heißen die millerschen Indizes. Negative Zahlen werden dabei durch einen Strich über dem zugehörigen Index anstelle des Minuszeichens gekennzeichnet. Ein Index von Null bezeichnet dabei einen Schnittpunkt im Unendlichen (wie man aus der Achsenabschnittsform sieht), d.h., der zugehörige Basisvektor ist parallel zur Ebene.
Gitterebene im reziproken Gitter
Die andere Möglichkeit ist, mit den reziproken Gittervektor
zu bezeichnen. Dieser Vektor steht senkrecht auf den entsprechenden Gitterebenen.
Dabei werden diejenigen ganzen Zahlen , und verwendet, die keinen gemeinsamen Teiler mehr haben. Dies entspricht dem kürzesten reziproken Gittervektor, der senkrecht auf der Ebene steht.
Gittervektoren (Richtungsindizes)
Auch Vektoren innerhalb des Gitters können durch Indizes bezeichnet werden. Dabei wird die Notation verwendet, um einen spezifischen Vektor zu bezeichnen. Die Notation bezeichnet alle zum Vektor symmetrisch äquivalenten Richtungen.
Beispiele: Bei einem kubischen Kristall (also einem Würfel) ist eine Richtung parallel zu einer der Würfelkanten, die Richtung einer der Flächendiagonalen und die Richtung einer Raumdiagonalen.
Die Notation beschreibt einen Vektor im realen Gitter (Gittervektor)
Dieser Vektor steht im Allgemeinen nicht senkrecht auf der Ebene . Dies ist nur im kubischen Gitter der Fall.
Vierer-Schreibweise
Im trigonalen Kristallsystem und im hexagonalen Kristallsystem wird häufig die Schreibweise mit vier Indizes, verwendet. Diese abgewandelten millerschen Indizes werden als bravaissche Indizes (auch Bravais-Miller-Indizes oder Miller-Bravais-Indizes) bezeichnet. Ein Vorteil dieser Indizes im hexagonalen Kristallsystem ist, dass symmetrieäquivalente Flächen leicht zu identifizieren sind, da sie durch Permutation der ersten drei Indizes erhalten werden. So sind die Flächen , und beispielsweise Flächen des hexagonalen Prismas. Die Indizes , und stimmen mit den üblichen millerschen Indizes überein, ergibt sich immer als .
Auch für die Richtungsindizes gibt es eine Vierer-Schreibweise. In der Kristallographie und Mineralogie werden meist die normalen Richtungsindizes oder verwendet, wobei durch einen Platzhalter für angedeutet wird, dass das trigonale bzw. hexagonale Kristallsystem gemeint ist. t ist dabei immer null. Allerdings wird diese Schreibweise teilweise auch für die im Folgenden beschriebenen Weber-Indizes verwendet, weswegen es zu Verwechslungen kommen kann.
In der Werkstoffwissenschaft wird eine andere Schreibweise bevorzugt, die sogenannten Weber-Indizes oder Weber symbols (engl.). Die Umrechnung aus der Dreier-Schreibweise ist hier unterschiedlich zur Umrechnung der Ebenen-Indizes:
Der Vorteil dieser Schreibweise liegt darin, dass die Richtung , ähnlich wie in kubischen Kristallsystemen, senkrecht zur Ebene ist. In der Dreier-Schreibweise ist dies in diesen Kristallsystemen im Allgemeinen nicht der Fall. Zudem können wie bei den Miller-Bravais-Indizes in kubischen Kristallsystemen aus Symmetriegründen äquivalente Richtungen durch Permutation der ersten drei Indizes erhalten werden und eine bedeutet, dass die Richtung senkrecht zum entsprechenden Basisvektor ist. Da die Umrechnung von Richtungen in die Vierer-Schreibweise verglichen mit Ebenen komplizierter ist, werden in der Literatur Richtungen mit Weber-Indizes häufig falsch angegeben.
Herleitung
Die Richtung soll äquivalent zu sein, d.h. beide Indizes sollen in die gleiche Richtung zeigen. Also ist
Nun ist
weshalb sich dies als
schreiben lässt. Da
gilt, folgt
- .
Daher ist die Umrechnung von Webersymbolen in Richtungsindizes der Dreier-Schreibweise
wobei am Ende noch gekürzt werden muss. Aus Letzteren Gleichungen lassen sich durch Auflösen nach , und die Gleichungen zur Bestimmung der Weberindizes aus der Dreier-Schreibweise erhalten.
Literatur
- Werner Schatt, H. Worch: Werkstoffwissenschaft. 8. Aufl. Dt. Verl. für Grundstoffindustrie, Stuttgart 1996. ISBN 3-342-00675-7.
- Hans-Joachim Bautsch, Will Kleber, Joachim Bohm: Einführung in die Kristallographie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 1998
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 07.11. 2023