Filtrierung (Wahrscheinlichkeitstheorie)

Eine Filtrierung (auch Filtration, Filterung oder Filtern) ist in der Theorie der stochastischen Prozesse eine Familie von verschachtelten σ-Algebren. Sie modelliert die zu verschiedenen Zeitpunkten verfügbaren Informationen zum Verlauf eines Zufallsprozesses.

Definition

Sei {\displaystyle T\subset \mathbb {R} } eine Indexmenge und (\Omega, \mathcal A, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum.

Des Weiteren sei für jedes t\in T eine Unter-σ-Algebra {\displaystyle {\mathcal {F}}_{t}} von  \mathcal A gegeben.

Dann heißt die Familie von σ-Algebren

{\displaystyle \mathbb {F} =({\mathcal {F}}_{t})_{t\in T}}

eine Filtration oder Filtrierung (in  \mathcal A oder auf (\Omega ,{\mathcal  A},P)), wenn sie aufsteigend geordnet ist, das heißt:

Für alle s,t\in T mit {\displaystyle s\leq t} gilt {\mathcal  {F}}_{s}\subseteq {\mathcal  {F}}_{t}.

Ist {\displaystyle \mathbb {F} =({\mathcal {F}}_{t})_{t\in T}} eine Filtrierung, so wird (\Omega ,{\mathcal  A},({\mathcal  F}_{t})_{{t\in T}},P) auch ein gefilterter Wahrscheinlichkeitsraum genannt.

Analog lassen sich Filtrierungen auch für beliebige halbgeordnete Indexmengen T definieren.

Beispiel

Betrachtet man als Beispiel einen Wahrscheinlichkeitsraum  (\Z, \mathcal P (\Z), P) mit abzählbarer Grundmenge \mathbb{Z } , die standardmäßig mit der Potenzmenge als σ-Algebra ausgestattet ist, so wäre eine mögliche Filtrierung beispielsweise

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{n}:=\sigma ({\mathcal {P}}(\{-n,\dots ,n\}))}.

Sie modelliert die Informationen, dass man bis zum n-ten Zeitschritt sich bis zu n Schritte vom Ursprung entfernt hat und wäre beispielsweise die passende Filtrierung für einen einfachen symmetrischen Random Walk.

Spezielle Filtrierungen

Erzeugte Filtrierung

Ist (X_{t})_{{t\in T}} ein stochastischer Prozess, so wird das durch {\mathcal  {F}}_{t}:=\sigma ({X_{s};s\leq t}) erzeugte System als erzeugte Filtrierung, kanonische Filtrierung oder natürliche Filtrierung des Prozesses bezeichnet (\sigma bezeichnet dabei den σ-Algebren-Operator). Es ist also zu jedem Zeitpunkt t die vollständige Information über den vergangenen Verlauf des Prozesses bis einschließlich zum Zeitpunkt t vorhanden.

Filtrierung der vollständigen Information

Durch die Festlegung {\mathcal  {F}}_{t}:={\mathcal  {A}} für alle t\in T wird die Filtrierung der vollständigen Information definiert. Hier ist also zu jedem Zeitpunkt t die vollständige Information vorhanden.

Stetige Filtrierungen

Definiert man für eine Filtrierung {\displaystyle \mathbb {F} =({\mathcal {F}}_{t})_{t\in T}}

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{t}^{+}:=\bigcap _{s>t}{\mathcal {F}}_{s}} und {\displaystyle {\mathcal {F}}_{t}^{-}:=\bigcup _{s<t}{\mathcal {F}}_{s}}

sowie

{\displaystyle \mathbb {F} ^{+}:=({\mathcal {F}}_{t}^{+})_{t\in T}} und {\displaystyle \mathbb {F} ^{-}:=({\mathcal {F}}_{t}^{-})_{t\in T}},

so gilt

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{t}^{-}\subseteq {\mathcal {F}}_{t}\subseteq {\mathcal {F}}_{t}^{+}}.

Ist

Filtrierung von Stoppzeiten

Eine Stoppzeit \tau \colon \Omega \rightarrow [0,\infty ] bezüglich einer beliebigen Filtrierung ({\mathcal  {F}}_{t})_{{t\in [0,\infty )}} erzeugt in Analogie zur natürlichen Filtrierung eine σ-Algebra, die sogenannte σ-Algebra der τ-Vergangenheit

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{\tau }:=\{A\in {\mathcal {F}}_{\infty }\mid \forall t\in [0,\infty ):A\cap \{\tau \leq t\}\in {\mathcal {F}}_{t}\}} mit {\mathcal  {F}}_{\infty }=\sigma \left(\bigcup _{{t\in [0,\infty )}}{\mathcal  {F}}_{t}\right).

Sei nun (\tau _{j})_{{j\in J}} eine geordnete Familie von Stoppzeiten mit P({\tau _{i}\leq \tau _{j}})=1 für alle i,j\in J mit i\leq j, dann ist die Familie ({\mathcal  {F}}_{{\tau _{j}}})_{{j\in J}} eine Filtrierung, diese ist beim Studium von Stoppzeiten stochastischer Prozesse von Bedeutung. In Analogie erzeugt man die rechtsstetige Version der Filtrierung ({\mathcal  {F}}_{{\tau _{j}+}})_{{j\in J}}, wobei:

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{\tau +}:=\{A\in {\mathcal {F}}_{\infty }\mid \forall t\in [0,\infty ):A\cap \{\tau \leq t\}\in {\mathcal {F}}_{t+}\}} und {\mathcal  {F}}_{{t+}}=\bigcap _{{u\in (t,\infty )}}{\mathcal  {F}}_{u}.

Es gilt immer {\mathcal  {F}}_{{\tau }}\subseteq {\mathcal  {F}}_{{\tau +}}.

Augmentierte Filtration

Eine augmentierte Filtration ist das Pendant einer Vervollständigung eines Maßraumes für Filtrationen. Ist (\Omega ,{\mathcal  A},P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und {\displaystyle \mathbb {F} =({\mathcal {F}}_{t})_{t\in T}} eine Filtration, so definiert man

{\displaystyle {\mathcal {N}}:=\{N\subset \Omega \mid \exists A\in {\mathcal {A}}:N\subset A\wedge P(A)=0\}}

als Mengensystem der (nicht notwendigerweise  \mathcal A -messbaren) Teilmengen von P-Nullmengen. Die augmentierte Filtration {\displaystyle \mathbb {F} ^{*}}(von  \mathbb F bezüglich P) wird dann definiert als

{\displaystyle {\mathcal {F}}_{t}^{*}:=\sigma ({\mathcal {F}}_{t}\cup {\mathcal {N}})}

und

{\displaystyle \mathbb {F} ^{*}=({\mathcal {F}}_{t}^{*})_{t\in T}}.

Standardfiltration und die üblichen Bedingungen

Eine Filtration  \mathbb F heißt eine Standardfiltration, wenn sie mit ihrer augmentierten Filtration übereinstimmt und rechtsstetig ist, also wenn

{\displaystyle \mathbb {F} =\mathbb {F} ^{*}=\mathbb {F} ^{+}}

gilt. Man sagt dann auch, dass die üblichen Bedingungen gelten.

Von jeder beliebigen Filtration kann zu einer Standardfiltration übergegangen werden, indem man zuerst zur rechtsstetigen und dann zur augmentierten Filtration übergeht.

Verwendung des Begriffes

Der Begriff der Filtrierung ist unerlässlich, um, ausgehend vom Begriff des stochastischen Prozesses, wichtige Begriffe wie Martingale oder Stoppzeiten einzuführen.

Als Menge T wird wie bei stochastischen Prozessen meist {\mathbb  {R}}_{+} oder  \mathbb{N}_0 gewählt und t\in T als Zeitpunkt interpretiert.

σ-Algebren modellieren verfügbare Information. Die Mengen der σ-Algebra {\mathcal  {F}}_{t} geben zu jedem Zeitpunkt t an, wie viele Informationen zur Zeit bekannt sind. Für jedes Ereignis A\subseteq \Omega bedeutet A\in {\mathcal  {F}}_{t} übersetzt, dass zum Zeitpunkt t die Frage „ist \omega \in A?“ eindeutig mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann. Dass die Filtrierung stets aufsteigend geordnet ist, bedeutet demnach, dass eine einmal erlangte Information nicht mehr verloren geht.

Ist ein stochastischer Prozess (X_{t})_{{t\in T}} an eine Filtrierung ({\mathcal  {F}}_{t})_{{t\in T}} adaptiert, bedeutet dies also, dass der Verlauf der Funktion s\mapsto X_{s}(\omega ) im Intervall [0,t] zum Zeitpunkt t (für beliebiges, aber unbekanntes \omega \in \Omega und in Hinsicht auf die durch Ereignisse A\in {\mathcal  F}_{s},s\in [0,t] formulierbaren Fragen) bekannt ist.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 05.04. 2021