Differential (Mathematik)

Ein Differential (oder Differenzial) bezeichnet in der Analysis den linearen Anteil des Zuwachses einer Variablen oder einer Funktion und beschreibt einen unendlich kleinen Abschnitt auf der Achse eines Koordinatensystems. Historisch war der Begriff im 17. und 18. Jahrhundert der Kern der Entwicklung der Infinitesimalrechnung. Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Analysis durch Augustin Louis Cauchy und Karl Weierstraß auf der Grundlage des Grenzwertbegriffes mathematisch korrekt neu aufgebaut, und der Begriff des Differentials verlor für die elementare Differential- und Integralrechnung an Bedeutung.

Besteht eine funktionale Abhängigkeit y=f(x) mit einer differenzierbaren Funktion f, dann lautet der grundlegende Zusammenhang zwischen dem Differential \mathrm dy der abhängigen Variablen und dem Differential \mathrm dx der unabhängigen Variablen

\mathrm dy = f'(x) \mathrm dx,

wobei f'(x) die Ableitung von f an der Stelle x bezeichnet. Anstelle von \mathrm dy schreibt man auch \mathrm df(x) oder \mathrm df_x. Diese Beziehung lässt sich mit Hilfe partieller Ableitungen auf Funktionen mehrerer Variabler verallgemeinern und führt dann auf den Begriff des totalen Differentials.

Differentiale werden heute in verschiedenen Anwendungen in unterschiedlicher Bedeutung und auch mit unterschiedlicher mathematischer Strenge verwendet. Die in Standardschreibweisen wie \textstyle \int _{a}^{b}f(x)\,{\mathrm  d}x für Integrale oder {\tfrac  {{\mathrm  d}f}{{\mathrm  d}x}} für Ableitungen auftretenden Differentiale werden heutzutage üblicherweise als bloßer Notationsbestandteil ohne eigenständige Bedeutung angesehen.

Eine rigorose Definition liefert die in der Differentialgeometrie verwendete Theorie der Differentialformen, wo Differentiale als exakte 1-Formen interpretiert werden. Einen anders gearteten Zugang vermittelt die Nichtstandardanalysis, die den historischen Begriff der Infinitesimalzahl wieder aufgreift und im Sinne der modernen Mathematik präzisiert.

Einordnung

In seinen 1924 erstmals erschienenen „Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung“ schreibt Richard Courant, dass die Idee des Differentials als unendlich kleine Größe keine Bedeutung habe und es deshalb nutzlos sei, die Ableitung als Quotient zweier solcher Quantitäten zu definieren, dass man aber trotzdem versuchen könne, den Ausdruck \frac{\mathrm dy}{\mathrm dx} als tatsächlichen Quotienten zweier Quantitäten \mathrm dy und \mathrm dx zu definieren. Dafür definiere man zunächst f^{\prime }(x) wie üblich als f^{\prime }(x):=\lim _{{h\to 0}}{\frac  {f(x+h)-f(x)}{h}} und betrachte dann für ein festes x den Zuwachs h=\Delta x als eine unabhängige Variable. (Diese bezeichne man als {\displaystyle h=\mathrm {d} x}.) Dann definiere man {\displaystyle \mathrm {d} y=hf^{\prime }(x)}, womit man tautologisch {\displaystyle f^{\prime }(x)={\frac {\mathrm {d} y}{\mathrm {d} x}}} bekomme.

In modernerer Terminologie kann man das Differential in x als lineare Abbildung vom Tangentialraum T_{x}\mathbb{R} \simeq \mathbb{R} in die reellen Zahlen auffassen. Dem „Tangentialvektor“ h\in \mathbb{R} \simeq T_{x}\mathbb{R} wird die reelle Zahl hf^{\prime }(x) zugeordnet und diese lineare Abbildung ist per Definition das Differential \mathrm df(x). Also {\displaystyle \mathrm {d} f(x)(h)=f^{\prime }(x)h} und insbesondere {\displaystyle \mathrm {d} x(x)(h)=h}, woraus sich tautologisch die Beziehung {\displaystyle f^{\prime }(x)={\frac {\mathrm {d} f(x)}{\mathrm {d} x(x)}}} ergibt.

Das Differential als linearisierter Zuwachs

Ist f\colon \mathbb {R} \to \mathbb {R} eine reelle Funktion einer reellen Variablen, so bewirkt eine Änderung des Arguments um \Delta x von x auf x + \Delta x eine Änderung des Funktionswertes von y=f(x) auf y + \Delta y = f(x+ \Delta x); für den Zuwachs des Funktionswerts gilt also

\Delta y = f(x+\Delta x) - f(x).

Ist beispielsweise f eine (affin) lineare Funktion, also y = f(x) = m x + b, so folgt \Delta y = m \cdot \Delta x. Das heißt, der Zuwachs des Funktionswerts ist in diesem einfachen Fall direkt proportional zum Zuwachs des Arguments und das Verhältnis {\tfrac {\Delta y}{\Delta x}} entspricht gerade der konstanten Steigung m von f.

Das Differential \textstyle \mathrm dy als linearer Anteil des Zuwachses \textstyle \mathrm \Delta y

Bei Funktionen, deren Steigung nicht konstant ist, ist die Situation komplizierter. Ist f an der Stelle x differenzierbar, dann ist die Steigung dort gegeben durch die Ableitung f'(x), wobei diese als Grenzwert des Differenzenquotienten definiert ist:

f'(x) = \lim_{h \to 0} \frac{f(x+h) - f(x)}{h}.

Betrachtet man nun für \Delta x\neq 0 die Differenz zwischen dem Differenzenquotienten und der Ableitung

\phi (\Delta x):={\frac  {f(x+\Delta x)-f(x)}{\Delta x}}-f'(x),

so folgt für den Zuwachs des Funktionswertes

\Delta y = f'(x) \cdot \Delta x + \phi(\Delta x) \cdot \Delta x.

In dieser Darstellung wird \Delta y zerlegt in einen Anteil f'(x) \cdot \Delta x, der linear von \Delta x abhängt, und einen Rest, der von höherer als linearer Ordnung verschwindet, in dem Sinne, dass \lim _{{h\to 0}}\phi (h)=0 gilt. Der lineare Anteil des Zuwachses, der deshalb für kleine Werte von \Delta x im Allgemeinen einen guten Näherungswert für \Delta y darstellt, wird Differential von f genannt und mit \mathrm dy bezeichnet.

Definition

Es sei f\colon D\to \mathbb {R} eine Funktion mit Definitionsbereich D\subseteq \mathbb {R} . Ist f an der Stelle x\in D differenzierbar und h \in \R, dann heißt

{\displaystyle \mathrm {d} f(x)(h):=f'(x)\cdot h}

das Differential von f an der Stelle x zum Argumentzuwachs h. Statt h schreibt man häufig auch \mathrm dx. Gilt y=f(x), so schreibt man auch \mathrm dy anstelle von \mathrm df(x).

Für ein fest gewähltes x ist das Differential \mathrm df(x) also eine lineare Funktion, die jedem Argument h\in \mathbb{R} den Wert f^{\prime }(x)h\in \mathbb{R} zuordnet.

Beispielsweise für die identische Funktion \mathrm{id} \colon \R \to \R, \mathrm{id}(x) = x gilt also wegen \mathrm{id}'(x) = 1 die Gleichung \mathrm d x = \mathrm{d (id)}(x) = 1 \cdot h = h und somit in diesem Beispiel {\mathrm  d}y={\mathrm  d}x.

Differentiale höherer Ordnung

Ist f\colon D\to \mathbb {R} an der Stelle x \in D \subseteq \R n-mal differenzierbar (n\in \mathbb {N} ) und \mathrm dx = h \in \R, so heißt

\mathrm d^n y := \mathrm d^n f(x) := f^{(n)}(x) \, \mathrm dx^n

das Differential n-ter Ordnung von f an der Stelle x zum Argumentzuwachs h. In diesem Produkt bezeichnet f^{(n)}(x) die n-te Ableitung von f an der Stelle x und \mathrm dx^n die n-te Potenz der Zahl \mathrm dx.

Die Bedeutung dieser Definition wird bei Courant wie folgt erklärt. Wenn man sich h fest gewählt denkt, und zwar denselben Wert \textstyle h für verschiedene \textstyle x, also \textstyle \Delta x festgehalten, dann ist {\mathrm  d}y=hf^{\prime }(x) eine Funktion von x, von der man wieder das Differential \textstyle \mathrm d^2 y = \mathrm d (hf'(x)) bilden kann (s. Abb.). Das Ergebnis ist das zweite Differential {\mathrm  d}^{2}y={\mathrm  d}^{2}f(x), man erhält es, indem man in h\left\{f^{\prime }(x+h)-f^{\prime }(x)\right\} (dem Zuwachs von hf^{\prime }(x)) den Term in Klammern durch seinen Linearteil hf^{{\prime \prime }}(x) ersetzt, womit also {\mathrm  d}^{2}y=h^{2}f^{{\prime \prime }}(x) ist. Auf analoge Weise kann man die Definition von Differentialen höherer Ordnung motivieren. Es gilt dann entsprechend z.B. \textstyle {\mathrm  d}^{3}y=h^{3}f'''(x) und allgemein \textstyle {\mathrm  d}^{n}y=h^{n}f^{{(n)}}(x).

Für ein fest gewähltes x ist das Differential {\mathrm  d}^{n}f(x) also wieder eine (für n>1 nicht-lineare) Funktion, die jedem Argument h\in \mathbb{R} den Wert f^{{(n)}}(x)h^{n}\in \mathbb{R} zuordnet.

Rechenregeln

Unabhängig von der verwendeten Definition gelten für Differentiale die folgenden Rechenregeln. Im Folgenden bezeichnen x die unabhängige Variable, u, v, y, z abhängige Variablen beziehungsweise Funktionen und c eine beliebige reelle Konstante. Die Ableitung von y nach x wird {\tfrac  {{\mathrm  d}y}{{\mathrm  d}x}} geschrieben. Dann ergeben sich die nachfolgenden Rechenregeln aus der Beziehung

\mathrm dy = \frac{\mathrm dy}{\mathrm dx} \mathrm dx

und den Ableitungsregeln. Die folgenden Rechenregeln für Differentiale von Funktionen f\colon \R\to\R sind so zu verstehen, dass jeweils die nach Einsetzen der Argumente dx=h\in \mathbb{R} erhaltenen Funktionen übereinstimmen sollen. Die Regel \mathrm d(u + v) = \mathrm du + \mathrm dv zum Beispiel besagt, dass man in jedem x\in \mathbb {R} die Identität {\mathrm  d}(u+v)(x)={\mathrm  d}u(x)+{\mathrm  d}v(x) hat und dies bedeutet nach Definition, dass für alle reellen Zahlen h die Gleichung {\mathrm  (}u+v)^{\prime }(x)\cdot h=u^{\prime }(x)\cdot h+v^{\prime }(x)\cdot h gelten soll.

Konstante und konstanter Faktor

Addition und Subtraktion

Multiplikation

auch Produktregel genannt:

[Anm. 1]

Division

[Anm. 2]

Kettenregel

\mathrm dz = \frac{\mathrm dz}{\mathrm dy} \cdot \frac{\mathrm dy}{\mathrm dx}\; \mathrm dx.

Beispiele

\mathrm d (u v) = \mathrm d(x^2 \sin(x)) = x^2 \cos(x)\,\mathrm dx + \sin(x) 2x \, \mathrm dx.
\mathrm d(\sqrt{1+x^2}) = \mathrm dz =\frac{2 x\, \mathrm dx}{2 \sqrt{y}} = \frac{x}{z} \mathrm dx.

Erweiterung und Varianten

Anstatt \mathrm {d} finden sich folgende Symbole, die Differentiale bezeichnen:

Totales Differential

Hauptartikel: Totales Differential

Das totale Differential oder vollständige Differential einer differenzierbaren Funktion f(x_{1},\ldots ,x_{n}) in n Variablen ist definiert durch

{{\rm {d}}}f=\sum \limits _{{i=1}}^{n}{\frac  {\partial f}{\partial x_{i}}}\,{{\mathrm  d}}x_{i}.

Dies ist wieder interpretierbar als der lineare Anteil des Zuwachses. Eine Änderung des Arguments um \Delta x bewirkt eine Änderung des Funktionswertes um \Delta y=f(x+\Delta x)-f(x), welche zerlegbar ist als

\Delta y=\operatorname {grad}f(x)\cdot \Delta x+r(\Delta x),

wobei der erste Summand das Skalarprodukt der beiden n-elementigen Vektoren \operatorname {grad}f(x)=({\tfrac  {\partial f}{\partial x_{1}}}(x),\ldots ,{\tfrac  {\partial f}{\partial x_{n}}}(x)) und \Delta x darstellt und der Rest von höherer Ordnung verschwindet, also \textstyle \lim _{{\Delta x\rightarrow 0}}{\frac  {r(\Delta x)}{\parallel \Delta x\parallel }}=0.

Virtuelle Verschiebung

Hauptartikel: Virtuelle Arbeit

Eine virtuelle Verschiebung \delta {\mathbf  {x}}_{{i}} ist eine fiktive infinitesimale Verschiebung des i-ten Teilchens, die mit Zwangsbedingungen verträglich ist. Die Abhängigkeit von der Zeit wird nicht betrachtet. Aus dem totalen Differential {\mathrm  d}g=\sum _{{i=1}}^{n}{\frac  {\partial g}{\partial q_{i}}}\,{\mathrm  d}q_{i}+{\frac  {\partial g}{\partial t}}\,{\mathrm  d}t  einer Funktion g(q_{1},\dots ,q_{n},t) entsteht die gesuchte virtuelle Änderung \delta g=\sum _{{i=1}}^{n}{\frac  {\partial g}{\partial q_{i}}}\,\delta q_{i}. Der Begriff „instantan“ ist dadurch mathematisiert.

Die s holonomen Zwangsbedingungen, f_{l}\,({\mathbf  x}_{1},\dots ,{\mathbf  x}_{N},\,t)=0\,\,,\quad l=1,\dots ,s\,\,  ,  werden durch Verwendung von n=3N-s sogenannter generalisierter Koordinaten \,q_{k} erfüllt:

\delta {\mathbf  {x}}_{{i}}=\sum _{{k=1}}^{{n}}{\frac  {\partial {\mathbf  {x}}_{{i}}}{\partial q_{{k}}}}\delta q_{{k}}

Die holonomen Zwangsbedingungen werden also durch Auswahl und entsprechende Reduzierung der generalisierten Koordinaten explizit eliminiert.

Stochastische Analysis

In der stochastischen Analysis wird die Differentialschreibweise häufig angewendet, etwa zur Notation stochastischer Differentialgleichungen; sie ist dann stets als Kurzschreibweise für eine entsprechende Gleichung von Itō-Integralen aufzufassen. Ist beispielsweise (H_t)_{t \geq 0} ein stochastischer Prozess, der bezüglich eines Wiener-Prozesses >(W_t)_{t\geq 0} Itō-integrierbar ist, dann wird die durch

X_t = X_0 + \int_0^t H_s \, \mathrm dW_s, \qquad t \geq 0

gegebene Gleichung für einen Prozess (X_t)_{t \geq 0} in Differentialform als \mathrm d X_t = H_t \, \mathrm dW_t notiert. Die oben genannten Rechenregeln für Differentiale sind jedoch im Fall stochastischer Prozesse mit nichtverschwindender quadratischer Variation gemäß dem Lemma von Itō zu modifizieren.

Heutiger Zugang: Differentiale als 1-Formen

Hauptartikel: Pfaffsche Form und Differentialform

Die oben gegebene Definition des Differentials df entspricht in heutiger Terminologie dem Begriff der exakten 1-Form df.

Es sei U eine offene Teilmenge des \mathbb {R} ^{n}. Eine 1-Form oder Pfaffsche Form \omega auf U ordnet jedem Punkt p\in U eine Linearform \omega_p\colon\mathrm T_pU\to\mathbb R zu. Derartige Linearformen heißen Kotangentialvektoren; sie sind Elemente des Dualraumes \mathrm T^*_pU des Tangentialraumes \mathrm T_pU. Eine pfaffsche Form \omega ist also eine Abbildung

\omega\colon U\to\bigsqcup_{p\in U}\mathrm T^*_pU,\quad p\mapsto\omega_p\in\mathrm T^*_pU.

Das totale Differential oder die äußere Ableitung \mathrm df einer differenzierbaren Funktion f\colon U\rightarrow\mathbb{R} ist die pfaffsche Form, die folgendermaßen definiert ist: Ist X\in\mathrm T_pU ein Tangentialvektor, so ist: (\mathrm df)_p(X)=Xf, also gleich der Richtungsableitung von f in Richtung X. Ist also \gamma\colon(-\varepsilon,\varepsilon)\to U ein Weg mit \gamma(0)=p und \dot\gamma(0)=X, so ist

(\mathrm df)_p(X)=\left.\frac{\mathrm d}{\mathrm dt}\right|_{t=0}f(\gamma(t)).

Mit Hilfe des Gradienten und des Standard-Skalarproduktes lässt sich das totale Differential von f durch

({\mathrm  d}f)_{p}(X)=\langle {\mathrm  {grad}}\,f,X\rangle

darstellen.

Für n=1 erhält man insbesondere das Differential df von Funktionen f\colon \mathbb {R} \to \mathbb {R} .

Differentiale in der Integralrechnung

Anschauliche Erklärung

Um den Flächeninhalt eines Bereiches zu berechnen, der von dem Graphen einer Funktion f, der x-Achse und zwei dazu senkrechten Geraden x=a und x = b eingeschlossen wird, unterteilte man die Fläche in Rechtecke der Breite \Delta x, die „unendlich schmal“ gemacht werden, und der Höhe f(x). Ihr jeweiliger Flächeninhalt ist das „Produkt“

 f(x) \cdot \Delta x ,

der gesamte Flächeninhalt also die Summe

\int _{a}^{b}f(x)\cdot {\mathrm  d}x

wobei hier \mathrm dx wieder eine endliche Größe ist, die einer Unterteilung des Intervalls [a, b] entspricht. Siehe genauer: Mittelwertsatz der Integralrechnung. Es gibt im Intervall [a, b] einen festen Wert \xi , dessen Funktionswert multipliziert mit der Summe der endlichen \mathrm dx des Intervalls [a, b] den Wert des Integrals dieser einen stetigen Funktion wiedergibt:

\int _{a}^{b}f(x)\cdot {\mathrm  d}x=f(\xi )\cdot \int _{a}^{b}{\mathrm  d}x

Das Gesamtintervall [a,b] des Integrals muss nicht gleichmäßig unterteilt sein. Die Differentiale an den unterschiedlichen Unterteilungsstellen können verschieden groß gewählt sein, die Wahl der Unterteilung des Integrationsintervalls hängt oft von der Art des Integrationsproblems ab. Zusammen mit dem Funktionswert innerhalb des „differentiellen“ Intervalls (beziehungsweise des Maximal- und Minimalwerts darinnen entsprechend Ober- und Untersumme) bildet sich eine Flächengröße; man macht den Grenzwertübergang in dem Sinne, dass man die Unterteilung von [a,b] immer feiner wählt. Das Integral ist eine Definition für eine Fläche mit Begrenzung durch ein Kurvenstück.

Formale Erklärung

Hauptartikel: „Integration von Differentialformen“ im Artikel Differentialform

Es sei f\colon \mathbb {R} \to \mathbb {R} eine integrierbare Funktion mit Stammfunktion F\colon \mathbb{R} \to \mathbb{R} . Das Differential

{\displaystyle \mathrm {d} F=f(x)\,\mathrm {d} x}

ist eine 1-Form, die nach den Regeln der Integration von Differentialformen integriert werden kann. Das Ergebnis der Integration über ein Intervall \left[a,b\right] ist genau das Lebesgue-Integral

{\displaystyle \int _{a}^{b}f(x)\,\mathrm {d} x}.

Historisches

Gottfried Wilhelm Leibniz verwendet erstmals in einem Manuskript 1675 in der Abhandlung Analysis tetragonistica das Integralzeichen, er schreibt nicht {\displaystyle \textstyle \int f(x)\,\mathrm {d} x} sondern \textstyle\int f(x). Am 11. November 1675 verfasste Leibniz einen Aufsatz mit dem Titel „Beispiele zur umgekehrten Tangentenmethode“ und hier kommt neben \textstyle\int f(x) zum ersten Mal {\displaystyle \textstyle \int f(x)\,\mathrm {d} x} vor, ebenso statt \tfrac{x}{d} die Schreibweise \textstyle \mathrm dx.

In der modernen Fassung dieses Zugangs zur Integralrechnung nach Bernhard Riemann ist das „Integral“ ein Grenzwert der Flächeninhalte endlich vieler Rechtecke endlicher Breite für immer feinere Unterteilungen des „x-Bereichs“.

Deshalb ist das erste Symbol im Integral ein stilisiertes S für „Summe“. „Utile erit scribi \textstyle \int pro omnia (Es wird nützlich sein, \textstyle \int anstatt omnia zu schreiben) und ∫ l um die Summe einer Gesamtheit ∫ zu bezeichnen … Hier zeigt sich eine neue Gattung des Kalküls; ist dagegen {\displaystyle \textstyle \int l=ya} gegeben, so bietet sich ein entgegengesetzter Kalkül mit der Bezeichnung {\displaystyle \textstyle l={\frac {ya}{d}}}, wie nämlich ∫ die Abmessungen vermehrt, so vermindert sie d. ∫ bedeutet aber die Summe, d die Differenz.“ schreibt Leibniz am 29. Oktober 1675 in einer Untersuchung, in der er die Cavalierischen Gesamtheiten verwendet. In der späteren Niederschrift von 11. November 1675 geht er von der Schreibweise {\displaystyle \textstyle {\frac {x}{d}}} zu dx über, er verzeichnet in einer Fußnote „dx ist gleich {\displaystyle \textstyle {\frac {x}{d}}}“, in derselben Rechnung kommt auch die Formel {\displaystyle \textstyle \int y\;\mathrm {d} y={\frac {y^{2}}{2}}} vor. Omnia steht dabei für omnia l und wird in dem geometrisch orientierten Flächenberechnungsverfahren von Bonaventura Cavalieri verwendet. Die zugehörige gedruckte Veröffentlichung Leibniz’ ist De geometria recondita aus dem Jahr 1686. Leibniz gab sich mit der Bezeichnungsweise Mühe, „um die Rechnung kalkülmäßig einfach und zwangsläufig zu machen.“

Blaise Pascals Betrachtungen zum Viertelkreisbogen: Quarts de Cercle

Das charakteristische Dreieck

Als Leibniz als junger Mann 1673 in Paris war, empfing er eine entscheidende Anregung durch eine Betrachtung Pascals in dessen 1659 erschienener Schrift Traité des sinus des quarts de cercle (Abhandlung über den Sinus des Viertelkreises). Er sagt, er habe darin ein Licht gesehen, das der Autor nicht bemerkt habe. Es handelt sich um folgendes (in moderner Terminologie geschrieben, siehe Abbildung):

Um das statische Moment

{\displaystyle \int \limits _{0}^{{\frac {1}{2}}a\pi }y\,\mathrm {d} s}

des Viertelkreisbogens bezüglich der x-Achse zu bestimmen[Anm. 3], schließt Pascal aus der Ähnlichkeit der Dreiecke mit den Seiten

 (\Delta x ,\Delta y ,\Delta s)

und

(y, (a-x), a)\,,

dass ihr Seitenverhältnis gleich ist

\frac{\Delta s}{a} = \frac{\Delta x} {y}\,,

und somit

 y \cdot\Delta s = a \cdot\Delta x\,,

so dass

{\displaystyle \int \limits _{0}^{{\frac {1}{2}}a\pi }y\,\mathrm {d} s=\int \limits _{0}^{a}a\,\mathrm {d} x=a^{2}} [Anm. 4]

gilt. Leibniz bemerkte nun – und dies war das „Licht“, das er sah –, dass dieses Verfahren nicht auf den Kreis beschränkt ist, sondern allgemein für jede (glatte) Kurve gilt, sofern der Kreisradius a durch die Länge der Kurvennormalen (die reziproke Krümmung, der Radius des Krümmungskreises) ersetzt wird. Das infinitesimale Dreieck

( \Delta x ,\Delta y ,\Delta s )

ist das charakteristische Dreieck . Es ist bemerkenswert, dass die spätere Leibniz'sche Symbolik der Differentialrechnung (dx, dy, ds) gerade dem Standpunkt dieser „verbesserten Indivisibilienvorstellung“ entspricht.

Ähnlichkeit

Alle Dreiecke aus einem Abschnitt \Delta s der Tangente zusammen mit den zur jeweiligen x- und y-Achse parallelen Stücken \Delta x und \Delta y bilden mit dem Dreieck aus Krümmungskreisradius a, Subnormaler x-a und Ordinate y ähnliche Dreiecke und behalten deren Verhältnisse entsprechend der Steigung der Tangente an den Krümmungskreis in diesem Punkt auch bei, wenn der Grenzwertübergang gemacht wird. Das Verhältnis von {\tfrac {\Delta y}{\Delta x}} ist ja genau die Steigung von \Delta s. Deshalb kann man für jeden Krümmungskreis an einem Punkt der Kurve dessen (charakteristische) Proportionen im Koordinatensystem auf die Differentiale dort übertragen, insbesondere wenn sie als infinitesimale Größen aufgefasst werden.

Nova methodus 1684

Tafel XII
Erste inhaltliche Seite

Neue Methode der Maxima, Minima sowie der Tangenten, die sich weder an gebrochenen, noch an irrationalen Größen stößt, und eine eigentümliche darauf bezügliche Rechnungsart. (Leibniz (G. G. L.), Acta eruditorum 1684)

Leibniz erläutert hier sehr kurz auf vier Seiten seine Methode. Er wählt ein beliebiges unabhängiges festes Differential (hier dx, s. Abb. r. o.) und gibt die Rechenregeln, wie unten, für die Differentiale an, beschreibt, wie man sie bildet.

Danach gibt er die Kettenregel an:

„So kommt es, daß man zu jeder vorgelegten Gleichung ihre Differentialgleichung aufschreiben kann. Dies geschieht, indem man für jedes Glied (d.h. jeden Bestandteil, der durch bloße Addition oder Subtraktion zur Herstellung der Gleichung beiträgt) einfach das Differential des Gliedes einsetzt, für eine andere Größe jedoch (die nicht selbst ein Glied ist, sondern zur Bildung eines Gliedes beiträgt) ihr Differential anwendet, um das Differential des Gliedes selbst zu bilden, und zwar nicht ohne weiteres, sondern nach dem oben vorgeschriebenen Algorithmus.“

Das ist aus heutiger Sicht ungewohnt, weil er unabhängige und abhängige Differentiale gleich und einzeln, und nicht wie abschließend benötigt, den Differentialquotienten aus abhängiger und unabhängiger Größe betrachtet. Andersherum, wenn er eine Lösung angibt, ist die Bildung des Differentialquotienten möglich. Er behandelt die gesamte Bandbreite der rationalen Funktionen. Es folgen ein formales kompliziertes Beispiel, ein dioptrisches der Lichtbrechung (Minimum)[Anm. 5], ein leicht lösbares geometrisches, mit verwickelten Abstandsverhältnissen[Anm. 6], und eines, das den Logarithmus behandelt.

Weitere Zusammenhänge werden wissenschaftlich historisch bei ihm aus dem Zusammenhang mit früheren und späteren Arbeiten zu dem Thema betrachtet, die teils nur handschriftlich oder in Briefen und nicht veröffentlicht vorliegen. In Nova methodus 1684 steht zum Beispiel nicht, dass für das unabhängige dx gilt dx = const. und ddx=0. In weiteren Beiträgen behandelt er das Thema bis zu „Wurzeln“ und Quadraturen von unendlichen Reihen.

Grafische Veranschaulichung des Beauneschen Problems

Das Verhältnis von Unendlichklein und bekanntes Differential (= Größe) beschreibt Leibniz:

„Es ist auch klar, daß unsere Methode die transzendenten Linien beherrscht, die sich nicht auf die algebraische Rechnung zurückführen lassen oder von keinem bestimmten Grade sind, und zwar gilt das ganz allgemein, ohne besondere, nicht immer zutreffende Voraussetzungen. Man muß nur ein für allemal festhalten, daß eine Tangente zu finden so viel ist wie eine Gerade zeichnen, die zwei Kurvenpunkte mit unendlich kleiner Entfernung verbindet, oder eine verlängerte Seite des unendlicheckigen Polygons, welches für uns mit der Kurve gleichbedeutend ist. Jene unendlich kleine Entfernung läßt sich aber immer durch irgendein bekanntes Differential, wie dv oder durch eine Beziehung zu demselben ausdrücken, d.h. durch eine gewisse bekannte Tangente.“

Für die transzendente Linie wird die Zykloide als Nachweis herangezogen.

Als Anhang erklärt er 1684 die Lösung eines Problems, das Florimond de Beaune Descartes stellte, und das er nicht löste. Das Problem sieht vor, dass eine Funktion (w, der Linie WW in Tafel XII) gefunden wird, deren Tangente (WC) die x-Achse immer so schneidet, dass der Abschnitt zwischen Schnittpunkt der Tangente mit der x Achse und dessen Abstand zur zugehörigen Abszisse x, dort wählt er dx immer gleich b, konstant, er nennt es hier a, ist. Diese Proportionalität vergleicht er mit der arithmetischen Reihe und der geometrischen und erhält als Abszisse die Logarithmen und als Ordinate die Numeri. „Es werden also die Ordinaten w“ (Wertzunahme) „den dw“ (Steigungszunahme)", ihren Inkrementen oder Differenzen, proportional, ..." Er gibt die Logarithmusfunktion als Lösung an: „… wenn die w die Numeri sind, so sind die x die Logarithmen.“: w=a/b dw, oder w dx = a dw. Dies erfüllt

\textstyle \log w =\frac x a + \log c

oder

\textstyle w = c e^{\frac x a}.

Cauchys Differentialbegriff

In den 1980er Jahren fand in Deutschland eine Auseinandersetzung statt, inwieweit die Grundlegung der Analysis bei Cauchy logisch einwandfrei ist. Detlef Laugwitz versucht mit Hilfe einer historischen Lesart Cauchys, den Begriff unendlich kleiner Größen für seine \Omega -Zahlen fruchtbar zu machen, findet aber daraus resultierend bei Cauchy Unstimmigkeiten. Detlef Spalt korrigiert den (ersten!) historischen Lesansatz der cauchyschen Arbeiten und fordert die Verwendung von Begriffen aus Cauchys Zeit und nicht heutigen Begriffen zum Nachweis seiner Sätze und kommt zu dem Ergebnis, dass Cauchys Grundlegung der Analysis logisch einwandfrei ist, jedoch bleiben weiterhin die Fragen nach der Behandlung unendlich kleiner Größen offen.

Die Differentiale bei Cauchy sind endlich und konstant \mathrm d x =h (h endlich). Der Wert der Konstanten ist nicht näher bestimmt.

\Delta x ist bei Cauchy unendlich klein und veränderlich.

Die Beziehung zu h ist \Delta x=i=\alpha h, wobei h endlich und \alpha infinitesimal (unendlich klein) ist.

Ihr geometrisches Verhältnis ist als

\frac{\mathrm d y}{\mathrm d x}=\lim_{\alpha=0}\frac{\Delta y}{\Delta x}

bestimmt. Dieses Verhältnis unendlich kleiner Größen, oder genauer die Grenze geometrischer Differenzenverhältnisse abhängiger Zahlgrößen, einen Quotienten, kann Cauchy auf endliche Größen übertragen.

Differentiale sind endliche Zahlgrößen, deren geometrische Verhältnisse streng gleich den Grenzen der geometrischen Verhältnisse sind, welche aus den unendlich kleinen Zuwächsen der vorgelegten unabhängigen Veränderlichen oder der Veränderlichen der Funktionen gebildet sind. Cauchy hält es für wichtig Differentiale als endliche Zahlgrößen zu betrachten.

Der Rechner bedient sich der Unendlichkleinen als Vermittelnden, welche ihn zu der Kenntnis der Beziehung führen müssen, die zwischen den endlichen Zahlgrößen bestehen; und nach Cauchys Meinung dürfen die Unendlich kleinen in den Schlussgleichungen, wo ihre Anwesenheit sinnlos, zwecklos und nutzlos bliebe, nie zugelassen werden. Außerdem: Wenn man die Differentiale als beständig sehr kleine Zahlgrößen betrachtete, dann gäbe man dadurch den Vorteil auf, der darin besteht, dass man unter den Differentialen von mehreren Veränderlichen das eine als Einheit nehmen kann. Denn um eine klare Vorstellung einer beliebigen Zahlgröße auszubilden, ist es wichtig, sie auf die Einheit ihrer Gattung zu beziehen. Es ist also wichtig, unter den Differentialen eine Einheit auszuwählen.

Insbesondere fällt für Cauchy die Schwierigkeit weg, höhere Differentiale zu definieren. Denn Cauchy setzt \mathrm d x=h nachdem er die Rechenregeln der Differentiale durch Übergang zu den Grenzen erhalten hat. Und da das Differential einer Funktion der Veränderlichen x eine andere Funktion dieser Veränderlichen ist, kann er y mehrmals differenzieren und erhält in dieser Weise die Differentiale verschiedener Ordnungen.

 \mathrm d y=\mathrm d y = h \cdot y'=y'\mathrm d x
 \mathrm {dd} y=\mathrm d^2 y = h\mathrm d y'=y''h^2
 \mathrm {ddd} y=\mathrm d^3 y = h^2\mathrm d y''=y'''h^3

Anmerkungen

  1. Wenn man durch uv dividiert, wird die Symmetrie plus zu minus bei der Division deutlicher:
    {\displaystyle {\frac {\mathrm {d} (uv)}{(uv)}}={\frac {\mathrm {d} u}{u}}+{\frac {\mathrm {d} v}{v}}}
  2. Wenn man durch {\displaystyle {\frac {u}{v}}} dividiert, wird die Symmetrie minus zu plus bei der Multiplikation deutlicher:
    {\displaystyle {\frac {\mathrm {d} \left({\frac {u}{v}}\right)}{\left({\frac {u}{v}}\right)}}={\frac {\mathrm {d} u}{u}}-{\frac {\mathrm {d} v}{v}}}
  3. Bei konstanter Dichte deckt sich die Teilmasse m_{\nu} mit dem Bogen \Delta s an dieser Stelle und \mathrm{d}s entsprechend.
  4. \frac {1} {2} a \pi ist die Grenze für die Unabhängige s, a die entsprechend umgerechnete für den „Parameter“ x. Man sieht auch anschaulich in der Abbildung, dass man mit dem Viertelbogen eine Radiuslänge auf der x-Achse durchläuft und umgekehrt.
  5. Grafik Tafel XII, links Mitte
  6. Grafik Tafel XII unten links

Siehe auch

Literatur

Trenner
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
Seitenende
Seite zurück
© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.10. 2021