Bellsche Ungleichung

Die bellsche Ungleichung (auch Bell'sche Ungleichung) betrifft Messreihen an quantenverschränkten Teilchenpaaren. Sie wurde 1964 von John Stewart Bell veröffentlicht, um ein Konzept Einsteins zu analysieren und gegebenenfalls experimentell zu widerlegen, was dann später auch gelang.

Schon 1935 hatten Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen, kurz EPR, gezeigt, dass der lokal-realistische Standpunkt der klassischen Physik dazu zwingt, den Teilchen individuelle Eigenschaften zuzuschreiben, die ihr unterschiedliches Verhalten bei Messungen steuern und damit den quantenmechanischen Zufall vortäuschen. Die drei Autoren schlossen daraus, dass die Quantentheorie möglicherweise unvollständig sein könnte.

Bell zeigte jedoch, dass bei bestimmten Experimenten an verschränkten Teilchenpaaren die Messergebnisse stets seine Ungleichung erfüllen müssten, falls man Einsteins Konzept folgt und gleichzeitig davon ausgeht, dass sich Informationen maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Die Quantentheorie sage aber in bestimmten Fällen die Verletzung der Ungleichung voraus. Was 1964 bei Bell ein Gedankenexperiment war, wurde ab 1972 durch echte Experimente, zuerst von Stuart Freedman und John Clauser, bestätigt.

Aufgrund der durchgeführten Experimente gilt Einsteins Konzept der individuellen Teilcheneigenschaften bei gleichzeitig maximaler Informationsausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit im strengen Sinne eines lokalen Realismus heute als widerlegt. Mindestens eines der beiden Prinzipien von Lokalität und Realismus muss also bei der Betrachtung quantenphysikalischer Systeme aufgegeben werden.

Realismus und Lokalität

Die bellsche Ungleichung zeigt insbesondere, dass aus der Gültigkeit bestimmter grundlegender Annahmen der Quantenmechanik ein Widerspruch zur gleichzeitigen Annahme von Realismus und Lokalität folgt:

  1. Eine physikalische Theorie ist realistisch, wenn Messungen nur Eigenschaften ablesen, die unabhängig von der Messung vorliegen, wenn also das Ergebnis jeder denkbaren Messung (z.B. durch den Einfluss verborgener Parameter) schon feststeht, bevor es durch die Messung bekannt wird.
  2. Eine physikalische Theorie ist nicht lokal, wenn bei Messungen, die (im Sinne der speziellen Relativitätstheorie) in raumartiger Relation an zwei Teilchen stattfinden, die Messergebnisse an den zwei Teilchen korreliert sind (eine dem Zufall widersprechende Beziehung zeigen). Ein Einfluss einer Messung auf die andere könnte höchstens mit Lichtgeschwindigkeit erfolgen und ist in raumartiger Situation nicht möglich.

Die Verwendung dieser Begriffe in der Analyse der Interpretation der Quantenmechanik stammt aus dem Aufsatz zum Gedankenexperiment von Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen (Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon oder kurz EPR-Paradoxon). Die Arbeit von Bell kann als quantitative Version dieses Paradoxons aufgefasst werden, mit der die Alternativen experimentell überprüft werden können.

„Klassische“ Theorien wie die newtonsche Mechanik oder die maxwellsche Elektrodynamik besitzen beide dieser Eigenschaften. Die bellsche Ungleichung ist damit in besonderer Weise dazu geeignet, eine Gegenüberstellung oder einen Vergleich der Eigenschaften von Quantenmechanik und klassischer Physik durchzuführen.

Die Quantenmechanik ist keine realistische lokale Theorie. Bestimmte in der Quantenmechanik berechnete Mittelwerte verletzen die bellsche Ungleichung. Daher kann die Quantenmechanik – im Gegensatz zu einer Annahme Albert Einsteins – nicht durch Hinzufügen von verborgenen Variablen zu einer realistischen und lokalen Theorie vervollständigt werden.

Bei verschränkten Photonenpaaren ist die Verletzung der bellschen Ungleichung gemessen worden. Ihre beobachteten Polarisationseigenschaften stimmen mit der Quantenmechanik überein und sind nicht mit der Annahme von Realität und Lokalität verträglich. Dies bedeutet, dass nicht alle Messwerte vor der Messung feststehen oder dass die Werte aus verschiedenen Messungen nichtlokal korreliert sein können, d. h. in Situationen, die etwa auf Grund der Entfernung den Einfluss einer auf die andere Messung ausschließen.

Bell hatte in der 1932 von John von Neumann veröffentlichten mathematischen Widerlegung der Theorie verborgener Variablen, die lange als unbestritten galt, einen elementaren Fehler in den Voraussetzungen gefunden (in der linearen Additivität der Erwartungswerte, von ihm 1966 veröffentlicht). In seinem Aufsatz von 1964, der die bellschen Ungleichungen einführte, wollte er zeigen, dass die eigentliche Grundannahme, an der Theorien verborgener Variablen scheitern, die Lokalität ist. Eine schon 1952 veröffentlichte Theorie verborgener Variabler von David Bohm war stark nicht-lokal.

Versuchsaufbau

Schema des Bell-Tests: Die Quelle (Source) erzeugt ein verschränktes Photonenpaar. Die beiden Photonen interagieren jeweils mit einem Filter und passieren entweder den Filter oder werden reflektiert. Anschließend wird bei beiden Photonen detektiert, ob sie den Filter passiert haben oder reflektiert wurden.

Die ursprüngliche Überlegung war nur ein Gedankenexperiment, so dass der Versuchsaufbau bei Bell nur theoretisch war. Später wurde der Versuchsaufbau aber real umgesetzt, um die Überlegungen des Gedankenexperimentes experimentell zu bestätigen.

In einer Quelle wird ein quantenverschränktes Photonenpaar erzeugt, wobei sich die Photonen in entgegengesetzte Richtungen fortbewegen. Die beiden Photonen treffen auf je einen Filter; die Filter sind unabhängig voneinander auf die Messrichtung {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} } oder {\mathbf  c} eingestellt. Normalerweise werden für die Messrichtungen {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} ,\,\mathbf {c} } die folgenden Werte gewählt:

Für beide Filter wird zufällig bestimmt, in welcher dieser drei Richtungen der Filter ausgerichtet ist. Dabei wird die zufällige Bestimmung für beide Filter unabhängig voneinander durchgeführt. Das heißt, aus der Richtung des ersten Filters lässt sich nicht auf die Richtung des zweiten Filters schließen. Die Richtung des Filters wird festgelegt, nachdem das Photonenpaar erzeugt wurde, aber bevor es den Filter erreicht.

Anschließend wird für beide Photonen gemessen, ob sie den Filter passiert haben oder ob sie reflektiert wurden.

Dieses Experiment wird mehrere Male hintereinander ausgeführt. Die Durchgänge, in denen beide Filter zufällig in die gleiche Richtung ausgerichtet sind, werden ignoriert. Für die Durchgänge, in denen beide Filter in unterschiedliche Richtungen ausgerichtet sind, wird gemessen, wie häufig die beiden Photonen des Photonenpaares sich gleich bzw. unterschiedlich verhalten haben.

Insbesondere wird gemessen:

Je nachdem, ob man ein klassisches Modell (realistisch und lokal) oder ein quantentheoretisches Modell zugrunde legt, besteht im Gedankenexperiment eine unterschiedliche Beziehung zwischen diesen Werten.

Das tatsächliche Experiment zeigt dann, ob das klassische Modell (realistisch und lokal) oder das quantentheoretische Modell zutrifft.

Die Ungleichung bei Annahme von verborgenen Variablen

Ein aus mehreren Komponenten (α und β) zusammengesetztes System muss in der Quantentheorie häufig als ein Objekt (α,β) mit eigenen Zuständen behandelt werden. Unter den möglichen Zuständen gibt es dann stets auch solche, die nicht beschrieben werden können, indem man einen Zustand von α und einen von β benennt. In einem solchen Zustand des Systems heißen α und β miteinander verschränkt. So können zwei Photonen α und β derart miteinander verschränkt sein, dass bei einem Test an parallelen Polarisationsfiltern stets beide passieren oder beide absorbiert werden, und dies für jede beliebige Orientierung der (parallelen) Filter. Ein verschränktes System bleibt ein Quantenobjekt, auch, wenn die Komponenten räumlich voneinander getrennt werden. Die Tests an α und β können daher räumlich wie zeitlich beliebig entfernt voneinander stattfinden. Ob die zwei Photonen das eine oder das andere Schicksal haben, ist nicht vorhersehbar. In dem hier betrachteten Experiment wird ein Strom von derart verschränkten Photonenpaaren erzeugt und davon jeweils ein Photon an das Labor von Alice, das andere an das davon entfernte Labor von Bob verschickt. Alice testet die lineare Polarisation ihrer Photonen in zufälliger Wahl mit gleicher Wahrscheinlichkeit in einer von drei Messrichtungen {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} ,\,\mathbf {c} }. Bob misst ebenso zufällig in den gleichen Richtungen {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} ,\,\mathbf {c} }. Der gewählte Zustand bewirkt, dass Alices und Bobs Photonen gleich reagieren, wenn sie in der gleichen Richtung getestet werden.

Die beiden möglichen mit einem Filter bestimmten Werte der linearen Polarisation werden in der Literatur üblicherweise mit h für horizontal und v für vertikal bezeichnet. Die Hypothese besteht in der Annahme, dass jedes Photon eine Art von individuellen Eigenschaften besitzt, die verborgenen Variablen, die ihm für jede Messrichtung vorgeben, ob es bei einem Test als horizontal oder vertikal polarisiert reagieren wird. Das korrelierte Verhalten verschränkter Photonen beruht nach dieser Hypothese darauf, dass ihre verborgenen Variablen entsprechend korreliert sind. Zu den drei Orientierungen {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} ,\,\mathbf {c} } der Filter in dem betrachteten Experiment hat demnach jedes der einlaufenden Photonen eine Voreinstellung auf horizontal oder vertikal, in Zeichen {\displaystyle \mathbf {a} _{h},\,\mathbf {a} _{v},\,\dots \,\mathbf {c} _{v}}. Jede Messung offenbart die entsprechende Voreinstellung, und diese Voreinstellungen sind wegen der Verschränkung für Alices und Bobs Photon identisch.

Für einen Moment sollen anschauliche Codeworte die mathematischen Zeichen ersetzen: groß/klein statt {\displaystyle \mathbf {a} _{h},\,\mathbf {a} _{v}}, blond/dunkel für {\displaystyle \mathbf {b} _{h},\,\mathbf {b} _{v}} und Frau/Mann für {\displaystyle \mathbf {c} _{h},\,\mathbf {c} _{v}}. Bezüglich dieser drei Aspekte bilden Alices und Bobs Photonen je ein Paar von identischen Zwillingen. Beide sind z. B. groß, blond und weiblich. Jedes der beiden Photonen lässt sich nur in einer Messrichtung testen. Jede Messung ermittelt also entweder Größe, Haarfarbe oder Geschlecht eines Zwillings. Wenn nun Alice ihrem Photon eine und Bob seinem Photon eine andere Frage stellt, erfahren sie für das Paar zwei der interessierenden Eigenschaften. Deshalb lässt sich eine einfache kombinatorische Feststellung treffen. Unter den insgesamt von Alice und Bob vermessenen Photonen, bzw. Zwillingen ist die Anzahl der großen Blonden gleich der Anzahl der großen blonden Männer plus der Anzahl der großen blonden Frauen. Lässt man nun eine der drei genannten und einschränkenden Eigenschaften weg, so bleiben die gefundenen Anzahlen entweder gleich oder werden größer. Damit ist die Anzahl der großen Blonden also kleiner oder gleich der Anzahl an blonden Männern plus der Anzahl an großen Frauen. Mit dem Zeichen N für Anzahl und zurückübersetzt in die Formelzeichen ist das die hier passende Variante der bellschen Ungleichung:

{\displaystyle N(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})\leq N(\mathbf {b} _{h},\mathbf {c} _{v})+N(\mathbf {a} _{h},\mathbf {c} _{h}).}

Diese Ungleichung müssen die Messwerte des beschriebenen Experiments also erfüllen, wenn das Polarisationsverhalten verschränkter Photonen auf lokalen verborgenen Variablen beruht.

Verletzung der Ungleichung in der Quantentheorie

Da Alice und Bob unabhängig von einander die drei Orientierungen der Filter jeweils mit gleicher Wahrscheinlichkeit (=1/3) verwenden, wird jede der Kombinationen {\displaystyle \mathbf {a} /\mathbf {b} ,\,\mathbf {b} /\mathbf {c} ,\,\mathbf {a} /\mathbf {c} } mit geringen Fehlern in gleicher Häufigkeit {\displaystyle N_{T}} getestet, wenn die Gesamtzahl der Messungen hinreichend groß ist. Mit wachsender Zahl von Messungen nähern sich ferner die Quotienten {\displaystyle N(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})/N_{T}} etc. nach der Formel (Anzahl Erfolge)/(Anzahl Versuche) beliebig genau der jeweiligen Wahrscheinlichkeit {\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})} etc. Damit nimmt die Ungleichung die Form

{\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})\leq W(\mathbf {b} _{h},\mathbf {c} _{v})+W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {c} _{h})}

an.

Ein einzelnes linear polarisiertes Photon kann nun von einem Polarisationsfilter entweder transmittiert oder reflektiert werden. Die zugehörige Observable der Polarisation besitzt damit genau zwei Eigenzustände, die im Folgenden mit |t\rangle und {\displaystyle |r\rangle } bezeichnet werden können. Ein transmittiertes Photon wird an einem zweiten um 90° gedrehten Polarisationsfilter immer reflektiert. Wird der zweite Polarisationsfilter um einen Winkel \theta gedreht, so kann der Zustand des ursprünglich transmittierten Photons als Superposition der beiden genannten Eigenzustände wie folgt beschrieben werden:

{\displaystyle |\theta \rangle =\cos \theta \;|t\rangle +\sin \theta \;|r\rangle }

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Photon am zweiten Polarisationsfilter transmittiert wird, berechnet sich nun gemäß der bornschen Regel und in Übereinstimmung mit dem klassisch begründeten Gesetz von Malus gemäß

{\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h}|\mathbf {a} _{h})=\cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )}

und mit der Wahrscheinlichkeit {\displaystyle \sin ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )} reflektiert wird.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon an beiden Polarisationsfiltern transmittiert wird, ist also

{\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})=W(\mathbf {a} _{h})\cdot W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h}|\mathbf {a} _{h})=0{,}5\cdot \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )}

Obwohl die Messung an einem Photon des verschränkten Paars das andere Photon nicht wirklich beeinflusst, ist die quantentheoretisch berechnete Wahrscheinlichkeit für ein Paar von Messergebnissen an den zwei hier betrachteten Photonen die gleiche, als hätte die Messung an einem Photon das andere in den gemessenen Zustand überführt, bevor auch dieses gemessen wurde. Es ist rechnerisch also egal, ob ein verschränktes Photonenpaar mit zwei Polarisationsfiltern oder ein einzelnes Photon mit zwei hintereinander geschalteten Polarisationsfiltern nachgewiesen wird.

Damit gilt insgesamt {\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {b} _{h})=0{,}5\cdot \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )} und {\displaystyle W(\mathbf {a} _{h},\mathbf {c} _{h})=0{,}5\cdot \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {c} )}. Dagegen ist {\displaystyle W(\mathbf {b} _{h},\mathbf {c} _{v})=0{,}5\cdot \sin ^{2}\!\!\angle (\mathbf {b} ,\mathbf {c} ),} denn {\displaystyle \mathbf {c} _{v}} bedeutet, dass das Photon reflektiert wurde.

Insgesamt ergibt sich

{\displaystyle 0{,}5\cdot \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )\,\,\leq \,\,0{,}5\cdot \sin ^{2}\!\!\angle (\mathbf {b} ,\mathbf {c} )+0{,}5\cdot \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {c} )}.
{\displaystyle \Leftrightarrow \cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )\,\,\leq \,\,\sin ^{2}\!\!\angle (\mathbf {b} ,\mathbf {c} )+\cos ^{2}\!\!\angle (\mathbf {a} ,\mathbf {c} )}.

Tatsächlich gilt dies nun aber nicht für beliebige {\displaystyle \mathbf {a} ,\,\mathbf {b} ,\,\mathbf {c} }. Wählt man {\displaystyle \angle (\mathbf {a} ,\mathbf {b} )=\angle (\mathbf {b} ,\mathbf {c} )=\pi /6=30^{\circ }}, {\displaystyle \angle (\mathbf {a} ,\mathbf {c} )=\pi /3=60^{\circ }} mit  {\displaystyle \cos ^{2}(\pi /6)=3/4,\,\sin ^{2}(\pi /6)=\cos ^{2}(\pi /3)=1/4}, so ergäbe sich

{\displaystyle {\frac {3}{4}}\,\,\leq \,\,{\frac {1}{4}}+{\frac {1}{4}},}

was offenbar falsch ist.

Gemäß der Quantentheorie gilt die bellsche Ungleichung also nicht immer.

Experimentelle Untersuchungen

Anforderungen

Um die Verletzung der bellschen Ungleichung überzeugend nachzuweisen, muss das Experiment folgende Anforderungen erfüllen:

  1. Die Messungen an den beiden Photonen jedes Paares müssen raumartig voneinander getrennt sein: Es muss ausgeschlossen sein, dass die Wahl der einen Messrichtung bei der Wahl der anderen bekannt ist. Dies wurde erstmals von Weihs und Mitarbeitern in der Gruppe von Anton Zeilinger sichergestellt.[A 1] indem die Richtungen erst so spät zufällig gewählt wurden, dass man von dieser Wahl selbst mit lichtschnellen Signalen bei der anderen Messung noch nichts wissen konnte. Es darf also kein Lokalitätsschlupfloch bezüglich unterlichtschneller oder lichtschneller Signale geben.
  2. Bei den Photonexperimenten gibt es aber noch ein zweites Problem: Jeder Photodetektor weist nur einen Bruchteil der Photonen nach (im Experiment von Weihs nur 5 Prozent). Man muss zusätzlich annehmen, dass die nicht nachgewiesenen Photonen dieselben Eigenschaften haben wie die nachgewiesenen. Das ist das sogenannte Nachweis- oder Fair-Sampling-Schlupfloch. Es wird beim Experiment von Rowe geschlossen.
  3. Ein drittes Schlupfloch, das erst spät identifiziert wurde, ist das Wahlfreiheitsschlupfloch. Es bezieht sich darauf, dass bei der Ableitung der bellschen Ungleichung angenommen wird, dass die Einstellungen der Detektoren bei jeder Messung unabhängig voneinander und unabhängig von möglichen verborgenen Variablen gewählt werden kann. Falls dagegen die verborgenen Variablen auch die Detektoreinstellungen vorherbestimmen, lässt sich leicht ein lokal-realistisches Modell mit Verletzung der Bellschen Ungleichung konstruieren. Strenggenommen lässt sich dieses Schlupfloch nicht schließen, da man „Superdeterminismus“ (die Annahme, dass alles von Anfang an vorherbestimmt ist) nicht ausschließen kann. Stattdessen versucht man, den Zeitpunkt, zu dem diese Vorherbestimmung stattgefunden haben müsste, immer weiter hinauszuschieben. Die bisher erreichte Grenze liegt bei 7,8 Milliarden Jahren.
  4. Gelegentlich werden noch weitere, technische Schlupflöcher (wie das Koinzidenz-Schlupfloch oder das Speicher-Schlupfloch) diskutiert, die sich aber durch geeignete Bestimmung des Zeitfensters bei der Detektion und Auswahl der statistischen Auswertungsmethoden schließen lassen.

Widerlegungsexperimente

Seit Ende der 1960er-Jahre wurden viele Experimente durchgeführt, um die Verletzung einer bellschen Ungleichung nachzuweisen:

Das Resultat des jeweiligen Experiments – dass die bellsche Ungleichung verletzt ist – zeigt explizit, dass die relevante Physik – die der beteiligten Quantenphänomene – in einem nicht-superdeterministischen Universum nicht lokal-realistisch ist.

Folgerungen

Man kann die Quantenmechanik nicht einfach als falsch abtun. Sie stimmt mit den experimentellen Befunden überein.

Man kann stattdessen Einsteins Postulate, insbesondere die Vorstellung verborgener Variablen, aufgeben und hinnehmen, dass die Wellenfunktion nur die Wahrscheinlichkeit der Messwerte festlegt, nicht aber, welcher Messwert in jedem Einzelfall auftritt. Dies ist die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, die unter Physikern vorherrscht. So aufgefasst ist die Quantenmechanik nicht-real, im Gegensatz zu den Vorstellungen von Einstein, Podolski und Rosen (siehe Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon), weil eine Messung nicht einfach eine Eigenschaft abliest, sondern feststellt (präziser: herstellt), was zuvor nicht feststand. Zudem ist die Quantenmechanik auch nicht-lokal, weil sich der quantenmechanische Zustand des Photonenpaares über beide Messplätze erstreckt.

In ihrer Kopenhagener Deutung genügt die Quantenmechanik also nicht Einsteins Forderungen an eine vollständige, reale und lokale Beschreibung der Physik. Dies hatte Einstein erkannt und bemängelt. Aber er irrte in der Annahme, die Quantenmechanik könne durch Hinzufügen verborgener Variablen real und lokal werden.

Man kann die Lokalität aufgeben und an der Realität festhalten, wie beispielsweise in der bohmschen Mechanik. Bohm deutet die Wellenfunktion als nicht-lokales Führungsfeld klassischer Teilchen. Ob diese Deutung zu physikalischen Einsichten führt, ist unter Physikern strittig.

Verwandtes

Die CHSH-Ungleichung (1969 von John Clauser, Michael Horne, Abner Shimony und Richard Holt entwickelt) verallgemeinert die bellsche Ungleichung auf beliebige Observable. Sie ist experimentell einfacher zu überprüfen.

D. M. Greenberger, M. A. Horne und A. Zeilinger beschrieben 1989 einen Versuchsaufbau, das GHZ-Experiment mit drei Beobachtern und drei Elektronen, um mit einer einzigen Gruppe von Messungen die Quantenmechanik von einer quasi-klassischen Theorie mit verborgenen Variablen zu unterscheiden.

L. Hardy untersuchte 1993 eine Situation, mit der theoretisch Nicht-Lokalität gezeigt werden kann.

Die Experimente zur Verletzung der bellschen Ungleichung lassen offen, ob (wie in der Kopenhagener Interpretation) neben der Annahme der Lokalität auch die Annahme einer „objektiven Realität“ aufgegeben werden muss. Leggett formulierte 2003 eine Ungleichung, die unabhängig von der Annahme der Lokalität gilt und die Annahme objektiver Realität zu überprüfen erlauben soll. Aktuelle Experimente von Gröblacher et al. deuten darauf hin, dass die leggettsche Ungleichung verletzt wird.

Sonstiges

2001 veröffentlichten Karl Hess und der Mathematiker Walter Philipp Aufsätze, in denen sie auf ein mögliches Schlupfloch im bellschen Theorem hinwiesen. Ihr Argument und ihr Modell ist von Zeilinger und anderen kritisiert worden.

Literatur

Anmerkungen

  1. Ein früheres sehr einflussreiches Experiment von Alain Aspect und Mitarbeitern (Aspect et al. 1982) änderte zwar die Einstellung der Messungen schnell genug für raumartige Trennung, allerdings folgte die Änderung an beiden Detektoren je einem deterministischen (periodischen) Prozess und war damit im Prinzip vorhersagbar, sodass das Schlupfloch nicht strikt geschlossen wurde.
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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 12.06. 2022