Weingartenabbildung

Die Weingartenabbildung (nach dem deutschen Mathematiker Julius Weingarten), auch Formoperator genannt, ist eine Funktion aus der Theorie der Flächen im dreidimensionalen euklidischen Raum (\mathbb {R} ^{3}), einem Teilgebiet der klassischen Differentialgeometrie.

Vorbereitung

Eine reguläre Fläche sei durch die Parameterdarstellung

{\begin{aligned}X\colon \mathbb {R} ^{2}\supset A&\to \mathbb {R} ^{3}\\(u,v)&\mapsto X(u,v)\end{aligned}}

gegeben. Dabei sei X mindestens zweimal stetig differenzierbar und in jedem Punkt (u,v) habe die Ableitung DX_{{(u,v)}}, eine lineare Abbildung von \mathbb {R} ^{2} nach \mathbb {R} ^{3}, vollen Rang. Das Bild dieser linearen Abbildung ist dann ein zweidimensionaler Unterraum des \mathbb {R} ^{3}, der Tangentialraum der Fläche im Punkt p=X(u,v). Dabei denkt man sich die Bildvektoren im Punkt p=X(u,v) angeheftet. Der Tangentialraum wird von den beiden Vektoren

X_{1}(u,v)=X_{u}(u,v)={\tfrac {\partial X}{\partial u}}(u,v)=DX_{(u,v)}(e_{1}) und
X_{2}(u,v)=X_{v}(u,v)={\tfrac {\partial X}{\partial v}}(u,v)=DX_{(u,v)}(e_{2})

aufgespannt. (Hierbei bezeichnen e_{1} und e_{2} die Einheitsvektoren der Standardbasis des \mathbb {R} ^{2}.)

Die Einheitsnormale N(u,v) im Punkt p=X(u,v) der Fläche kann mit Hilfe des Vektorprodukts berechnet werden:

N(u,v)={\frac {X_{u}(u,v)\times X_{v}(u,v)}{|X_{u}(u,v)\times X_{v}(u,v)|}}

Somit ist N eine differenzierbare Abbildung vom Parameterbereich A\subset \mathbb {R} ^{2} in den Vektorraum \mathbb {R} ^{3}. Den Bildvektor N(u,v) denkt man sich angeheftet an den Punkt p=X(u,v). Die Ableitung DN_{{(u,v)}} im Punkt (u,v) ist eine lineare Abbildung von \mathbb {R} ^{2} nach \mathbb {R} ^{3}. Aus der Bedingung, dass N(u,v) ein Einheitsvektor ist, folgt, dass für jedes Parameterpaar (u,v) das Bild der Abbildung DN_{{(u,v)}} im Tangentialraum der Fläche im Punkt p=X(u,v) liegt und somit im Bild der Abbildung DX_{{(u,v)}} Da DX_{{(u,v)}} injektiv ist, existiert die Umkehrabbildung (DX_{{(u,v)}})^{{-1}} als Abbildung auf dem Tangentialraum im Punkt X(u,v).

Definition

Man kann nun die Weingartenabbildung als lineare Abbildung im Parameterbereich (klassische Sichtweise) oder auf dem Tangentialraum (moderne Sichtweise) definieren.

Im Parameterbereich

Die Abbildung DN_{{(u,v)}} bildet den \mathbb {R} ^{2} auf den Tangentialraum der Fläche im Punkt X(u,v) ab. Die Abbildung (DX_{{(u,v)}})^{{-1}} bildet diesen Tangentialraum wieder auf den \mathbb {R} ^{2} ab. Die durch Verkettung und Vorzeichenwechsel daraus entstehende lineare Abbildung

L_{(u,v)}=-(DX_{(u,v)})^{-1}\circ DN_{(u,v)}

von \mathbb {R} ^{2} nach \mathbb {R} ^{2} heißt Weingartenabbildung an der Stelle (u,v).

Auf der Fläche

Die Abbildung (DX_{{(u,v)}})^{{-1}} bildet einen Vektor des Tangentialraums der Fläche im Punkt p=X(u,v) in den \mathbb {R} ^{2} ab. Die Abbildung DN_{{(u,v)}} bildet den Bildvektor wieder in den Tangentialraum ab. Die durch Verkettung und Vorzeichenwechsel daraus entstehende lineare Abbildung

L_{X(u,v)}=-DN_{(u,v)}\circ (DX_{(u,v)})^{-1}

bildet den Tangentialraum im Punkt p=X(u,v) auf sich ab und heißt Weingartenabbildung am Punkt p=X(u,v). Es gilt also

L_{X(u,v)}X_{i}(u,v)=-N_{i}(u,v) für i=1,2.

Koordinatendarstellung

Die beiden Versionen der Weingartenabbildung sind auf völlig verschiedenen Vektorräumen definiert. Wählt man jedoch im Parameterbereich die Standardbasis und im Tangentialraum die Basis X_{u}(u,v), X_{v}(u,v), so stimmen die zugehörigen Abbildungsmatrizen

{\begin{pmatrix}h^{1}{_{1}}(u,v)&h^{1}{_{2}}(u,v)\\h^{2}{_{1}}(u,v)&h^{2}{_{2}}(u,v)\end{pmatrix}}

überein. Sie sind durch die Gleichungen

L_{X(u,v)}(X_{u}(u,v))=-N_{u}(u,v)=h^{1}{_{1}}(u,v)X_{u}(u,v)+h^{2}{_{1}}(u,v)X_{v}(u,v)
L_{X(u,v)}(X_{v}(u,v))=-N_{v}(u,v)=h^{1}{_{2}}(u,v)X_{u}(u,v)+h^{2}{_{2}}(u,v)X_{v}(u,v)

charakterisiert. In Einsteinscher Summenkonvention, mit X_{1}=X_{u}, X_{2}=X_{v}, N_{1}=N_{u}=DN_{(u,v)}(e_{1}), N_{2}=N_{v}=DN_{(u,v)}(e_{2}) und unter Weglassung des Arguments:

L(X_{j})=-N_{j}=h^{i}{}_{j}X_{i}

Zusammenhang mit der zweiten Fundamentalform

Für jedes Parameterpaar (u,v) ist die erste Fundamentalform g_{{(u,v)}} ein Skalarprodukt im \mathbb {R} ^{2} und die zweite Fundamentalform h_{{(u,v)}} eine symmetrische Bilinearform. Diese sind durch die Weingartenabbildung wie folgt verbunden: Für Vektoren w_{1},w_{2}\in \mathbb {R} ^{2} gilt

h(w_{1},w_{2})=g(w_{1},Lw_{2}).

Für die zugehörigen Matrixdarstellungen gilt in Einsteinscher Summenkonvention

h_{ik}=g_{ij}h^{j}{_{k}}

und

h^{i}{}_{k}=g^{ij}h_{jk}.

Eigenschaften

Die Hauptkrümmungen sind Eigenwerte der Weingartenabbildung

Beispiel

Dem Beispiel aus den Artikeln erste Fundamentalform und zweite Fundamentalform folgend, wird wieder die Oberfläche einer Kugel vom Radius r>0 betrachtet. Diese Fläche wird wieder durch

X(u,v)={\begin{pmatrix}r\sin u\cos v\\r\sin u\sin v\\r\cos u\end{pmatrix}} parametrisiert.

Die Matrixdarstellung der ersten Fundamentalform besteht aus den Komponenten g_{uu}=r^{2}, g_{{uv}}=g_{{vu}}=0, sowie g_{vv}=r^{2}\sin ^{2}u.

Die Matrixdarstellung der zweiten Fundamentalform besteht aus den Komponenten h_{{uu}}=-r, h_{{uv}}=h_{{vu}}=0, sowie h_{vv}=-r\sin ^{2}u.

Beide sind durch die Gleichung h_{ik}=g_{ij}h^{j}{_{k}} miteinander verbunden. Diese liefert durch Ausschreiben der Einsteinschen Summenkonvention folgende vier Gleichungen:

h_{uu}=g_{uu}h^{u}{_{u}}+g_{uv}h^{v}{_{u}}
h_{uv}=g_{uu}h^{u}{_{v}}+g_{uv}h^{v}{_{v}}
h_{vu}=g_{vu}h^{u}{_{u}}+g_{vv}h^{v}{_{u}}
h_{vv}=g_{vu}h^{u}{_{v}}+g_{vv}h^{v}{_{v}}

Durch Einsetzen der Komponenten der Matrixdarstellungen erhält man die Komponenten der Weingartenabbildung:

h^{u}{_{u}}=h^{v}{_{v}}=-{\frac {1}{r}}
h^{u}{_{v}}=h^{v}{_{u}}=0

Alternativ hätte auch die explizite Formel h^{i}{}_{k}=g^{ij}h_{jk} genutzt werden können. Dazu hätte allerdings die Matrix der ersten Fundamentalform invertiert werden müssen, um die g^{ij} zu erhalten.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Extern Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 04.09. 2020