Eigenmode
Die Eigenmoden oder Normalmoden eines schwingfähigen Systems bilden eine diskrete Basis aller Bewegungen, die ein ungedämpftes und frei schwingendes System in harmonischer Näherung ausführen kann. Sie ergeben sich aus den Bewegungsgleichungen des Systems als Eigenvektoren dieses Gleichungssystems. Die Frequenzen der Eigenmoden werden die Eigenfrequenzen des Systems genannt, sie sind die Eigenwerte des Systems der Bewegungsgleichungen.
Die Anzahl der Eigenmoden eines solchen Systems steht in Verbindung zu dessen Freiheitsgraden: Das System kann maximal so viele Eigenfrequenzen wie Freiheitsgrade besitzen und besitzt genau so viele linear unabhängige Eigenmoden wie Freiheitsgrade.
Die Eigenmoden eines Systems können in eine gleichförmige Bewegung im Raum der verallgemeinerten Koordinaten und Eigenschwingungen oder Normalschwingungen eines Systems unterteilt werden. Dabei korrespondieren die gleichförmigen Bewegungen zu Eigenvektoren mit Eigenfrequenz Null und die Eigenschwingungen zu Eigenvektoren mit Eigenfrequenzen ungleich Null.
Jede Bewegung, die das System durchführen kann, kann als Überlagerung von Eigenmoden dargestellt werden.
Theorie
Die Lagrangefunktion
eines Systems mit
Freiheitsgraden sei
wobei
die Massenmatrix und
das Potential ist. Bei der Näherung der Lagrangefunktion bis in zweiter Ordnung
um die Gleichgewichtskoordinaten
und der Vernachlässigung des konstanten Terms wird dies zu
respektive mit der Koordinatentransformation
und den Abkürzungen
sowie
kurz
Aus den Lagrangegleichungen ergeben sich die Bewegungsgleichungen des Systems
wobei sowohl
als auch
-Matrizen
und
ein
-dimensionaler
Vektor ist. Da die kinetische Energie immer größer als Null ist, ist
positiv
definit. Damit sich das System in einem stabilen oder indifferenten
Gleichgewicht befindet, muss
positiv semidefinit sein. Insbesondere sind daher alle Eigenwerte von
und
nichtnegativ.
Der Lösungsansatz der Gleichung lautet:
Dies führt auf das Eigenwertproblem
.
Um dieses nichttrivial zu lösen, muss die Determinante
verschwinden. Diese ist ein Polynom
vom Grad
in
und besitzt daher
komplexe Nullstellen. Die Nichtnegativität der Eigenwerte von
und
sorgt jedoch dafür, dass diese alle reell und nichtnegativ sind. Physikalisch
kann dies wie folgt interpretiert werden: Angenommen, es gäbe eine Nullstelle im
Negativen oder Komplexen, dann würde
einen Imaginärteil besitzen und die Lösung divergieren. Dies steht im
Widerspruch zur Annahme des stabilen Gleichgewichts.
Die (positiven) Wurzeln der Nullstellen des Polynoms
sind die Eigenfrequenzen
des Systems, das durch
und
beschrieben wird. Ein System mit
Freiheitsgraden besitzt daher maximal
Eigenfrequenzen.
Die
Eigenschwingungen des Systems sind die
Eigenvektoren
des Eigenwertproblems, die die Gleichung
erfüllen. Insbesondere ist jedes Vielfache eines Eigenvektors auch ein
Eigenvektor. Das bedeutet, diese können normiert und mit einer komplexen
Konstanten
multipliziert werden.
Fallen mehrere Eigenfrequenzen zusammen, dann hat die Gleichung nicht vollen
Rang
und einige Komponenten der zugehörigen
können frei gewählt werden. Hat die Matrix
einen Eigenwert Null, liegt ein indifferentes Gleichgewicht vor. Dann ist auch
eine Eigenfrequenz des Systems Null. In diesem Fall lautet die
Eigenwertgleichung
,
sodass die Lösung eine gleichförmige Bewegung des Systems ist.
Die allgemeine Lösung des Gleichungssystems für die Schwingung des Systems ist daher eine Superposition seiner Eigenschwingungen und gegebenenfalls einer gleichförmigen Bewegung
Für jeden Freiheitsgrad existieren daher entweder 2 reelle oder 1 komplexer
freier Parameter. Es ergeben sich somit
Konstanten, die durch Anfangsbedingungen
festgelegt werden müssen.
Normalkoordinaten
Die Normalkoordinaten
des Systems sind definiert als
wobei
ist, also die Matrix der Eigenvektoren. Diese Matrix der Eigenvektoren
diagonalisiert sowohl
als auch
,
denn aus der Symmetrie von
folgt
sodass für alle nicht entarteten Eigenwerte alle Nichtdiagonalelemente von
verschwinden müssen. Eine entsprechende Normierung der Eigenvektoren führt auf
die Orthonormalitätsrelation
Für entartete Eigenwerte können die Eigenvektoren ebenfalls so gewählt
werden, dass diese Matrix diagonal wird. Ebenfalls kann gezeigt werden, dass
auch
diagonalisiert. Mit
kann die Bewegungsgleichung als
geschrieben werden, sodass die Behauptung durch Multiplikation mit
von links direkt folgt.
Somit entkoppelt eine Koordinatentransformation von den Auslenkungen aus der
Gleichgewichtslage
in die Normalkoordinaten
mittels
das Gleichungssystem, denn es gilt:
Insbesondere ist
Beispiele
Federpendel
Ein Federpendel ist ein System, an dem eine Masse an einer Feder aufgehängt
ist und das sich nur in eine Dimension bewegen kann. Es besitzt also nur einen
einzigen Freiheitsgrad, die Auslenkung
aus der Ruhelage.
Für das Federpendel gilt
und
,
wobei
die Federkonstante
und
die Masse ist. Daher vereinfacht sich die Matrixgleichung auf eine skalare Gleichung
mit einem Polynom ersten Grades in
und einem Eigenvektor
.
Die Lösung ist also
CO2-Molekül
In erster Näherung kann ein Kohlendioxid-Molekül
als drei Massen angesehen werden, von denen die äußeren beiden identischen
Massen
mit der mittleren Masse
durch Federn verbunden sind. Da die Bindungen beide gleichartig sind, sind die
Federkonstanten beide
.
Die Indizes seien so gewählt, dass die Atome von links nach rechts
durchnummeriert seien und es sei ferner angenommen, dass sich das Molekül nur
entlang der Molekülachse bewegen könne, das heißt, es werden nur
Valenz-, aber keine Deformationsschwingungen
berücksichtigt. Daher existieren drei Freiheitsgrade des Systems: Die
Entfernungen der drei Moleküle von ihrer Gleichgewichtslage. Dann gilt mit
für die Determinante des Systems
Dessen drei Nullstellen liegen bei
und die Eigenvektoren sind
.
Dadurch ergibt sich die allgemeine Lösung zu
.
Die erste Eigenschwingung ist die Translation des gesamten Moleküls, die zweite beschreibt die gegenläufige Schwingung der beiden äußeren Sauerstoffatome, während das Kohlenstoffatom in Ruhe bleibt, und die dritte die gleichförmige Schwingung der beiden äußeren, wobei das mittlere Atom gegenläufig schwingt.
Schwingende Saite
Eine schwingende Saite besitzt unendlich viele Freiheitsgrade und entsprechend auch unendlich viele Eigenfrequenzen. Diese müssen jedoch den Randbedingungen des Problems genügen. Die Wellengleichung lautet
wobei
die Auslenkung der Saite und
die Phasengeschwindigkeit
der Welle ist. Die Lösung der Wellengleichung für ein festes
ist
mit .
Den Zusammenhang zwischen
und
nennt man die Dispersionsrelation
des Systems. Für eine Saite ist
eine Konstante, die von der Spannung
und der linearen Massendichte
der Saite abhängt.
Die Randbedingungen an die schwingende Saite ist, dass die Enden fest
eingespannt sind und sich daher für eine Saite der Länge
für alle
sein muss. Dies führt zu der Randbedingung
mit einem beliebigen
und somit abzählbar unendlich vielen verschiedenen
und entsprechend vielen
.
Die Eigenfrequenzen der Saite sind daher
und die allgemeine Lösung der Wellengleichung ist eine Superposition über alle Eigenschwingungen:
Normalschwingungen von Molekülen
Ein -atomiges
Molekül
hat
Freiheitsgrade. Davon sind 3 Translationsfreiheitsgrade und im Fall eines
linearen Moleküls 2 bzw. im Fall eines gewinkelten Moleküls 3
Rotationsfreiheitsgrade. Somit verbleiben
bzw.
Vibrationsfreiheitsgrade, die zu Eigenfrequenzen ungleich Null korrespondieren.
Die Symmetrien
dieser Molekülschwingungen
können durch die gruppentheoretischen
Charaktertafeln
beschrieben werden. Die Normalschwingungen einer entarteten, von Null
verschiedenen Eigenfrequenz stellen eine Basis für eine
irreduzible
Darstellung der Punktgruppe
des schwingenden Moleküls dar.
Beim obigen Beispiel sind die anderen beiden Normalschwingungen die vernachlässigten transversalen Schwingungen der Atome in den beiden übrigen Raumrichtungen, die sich nicht in der Linie der Atome befinden.
Quantenmechanik
In der Quantenmechanik
wird der Zustand eines Systems durch einen Zustandsvektor
dargestellt, der eine Lösung der Schrödingergleichung
ist. Wenn der Hamiltonoperator nicht zeitabhängig ist, ist eine formale Lösung der Schrödingergleichung
Da der Hamiltonoperator ein vollständiges System von Eigenzuständen, den Energieeigenzuständen,
besitzt, kann in diesen entwickelt werden. Mit
folgt
Dabei beschreiben die quantenmechanischen Eigenfrequenzen
keine Schwingung im Ortsraum, sondern eine Rotation im Hilbertraum, auf dem der
Zustandsvektor definiert ist.
Technische Beispiele
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- Eine Glocke, die angeschlagen wird, schwingt anschließend mit den Eigenfrequenzen. Durch Dämpfung klingt die Schwingung über die Zeit ab. Dabei werden höhere Frequenzen schneller abgedämpft als tiefere.
- Eine Stimmgabel ist so konstruiert, dass außer der tiefsten Eigenfrequenz kaum weitere Eigenschwingungen angeregt werden.
- In Gebäuden können Eigenfrequenzen angeregt werden. Wenn beim Nachbarn Musik läuft, kann es vorkommen, dass die Bässe mit einer Eigenfrequenz der Gebäudetrennwand gleichfrequent sind. Die von der Musik angeregten Schwingungen der Wand wären dann als Wummern wahrnehmbar, auch wenn die Musik selber gar nicht wahrnehmbar ist.
- Trommeln haben mehrere Eigenfrequenzen.
- Bei Membranen von Lautsprechern verschlechtern die Partialschwingungen die Wiedergabequalität.
Siehe auch
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.12. 2022