Empirische Verteilungsfunktion

Eine empirische Verteilungsfunktion – auch Summenhäufigkeitsfunktion oder Verteilungsfunktion der Stichprobe genannt – ist in der beschreibenden Statistik und der Stochastik eine Funktion, die jeder reellen Zahl x den Anteil der Stichprobenwerte, die kleiner oder gleich x sind, zuordnet. Die Definition der empirischen Verteilungsfunktion kann in verschiedenen Schreibweisen erfolgen.

Definition

Allgemeine Definition

Wenn x_1, \ldots, x_n die Beobachtungswerte in der Stichprobe sind, dann ist die empirische Verteilungsfunktion definiert als

F_{n}(x)={\frac  {{\text{Anzahl der Beobachtungswerte in der Stichprobe}}\leq x}n}={\frac  {1}{n}}\sum _{{i=1}}^{n}{\mathbf  {1}}_{{\{x_{i}\leq x\}}}

mit {\mathbf  {1}}_{{\{x_{i}\leq x\}}}=1, wenn x_{i}\leq x und Null sonst, d.h. {\mathbf  {1}}_{A} bezeichnet hier die Indikatorfunktion der Menge A. Die empirische Verteilungsfunktion entspricht somit der Verteilungsfunktion der empirischen Verteilung.

Empirische Verteilungsfunktion für unklassierte Daten.

Alternativ lässt sich die empirische Verteilungsfunktion mit den Merkmalsausprägungen a_{1}<\ldots <a_{k} und den zugehörigen relativen Häufigkeiten h_{1},\dotsc ,h_{k} in der Stichprobe definieren:

{\displaystyle F_{n}(x):={\begin{cases}0,&{\text{falls }}x<a_{1},\\\sum _{j=1}^{i}h_{j},&{\text{falls }}a_{i}\leq x<a_{i+1},~i\in \{1,\ldots ,k-1\},\\1,&{\text{falls }}a_{k}\leq x.\end{cases}}}

Die Funktion F_{n}(x) ist damit eine monoton wachsende rechtsstetige Treppenfunktion mit Sprüngen an den jeweiligen Merkmalsausprägungen.

Definition für klassierte Daten

Empirische Verteilungsfunktion für klassierte Daten.

Manchmal liegen Daten nur klassiert vor, d.h. es sind J Klassen mit Klassenuntergrenzen x_{j}^{u}, Klassenobergrenzen x_{j}^{o} und relativen Klassenhäufigkeiten h_{j} gegeben, j=1,\ldots ,J.

Dann wird die Verteilungsfunktion definiert als

{\displaystyle F_{n}(x):={\begin{cases}0,&{\text{falls }}x<x_{1}^{u},\\\sum _{j=1}^{i-1}h_{j}+{\frac {x-x_{i}^{u}}{x_{i}^{o}-x_{i}^{u}}}h_{i},&{\text{falls }}x_{i}^{u}\leq x<x_{i}^{o},~i\in \{1,\ldots ,J\},\\1,&{\text{falls }}x_{J}^{o}\leq x.\end{cases}}}

An den Klassenober- und -untergrenzen stimmt die Definition mit der Definition für unklassierte Daten überein, in den Bereichen dazwischen jedoch findet nun eine lineare Interpolation statt, bei der man unterstellt, dass die Beobachtungen innerhalb der Klassen gleichmäßig verteilt sind. Empirische Verteilungsfunktionen klassierter Daten sind damit (ebenso wie Verteilungsfunktionen stetiger Wahrscheinlichkeitsverteilungen, z.B. der Normalverteilung) zwar stetig, doch nur zwischen den Klassengrenzen differenzierbar, wobei ihr Anstieg der Höhe der jeweiligen Säule des zugrundeliegenden Histogramms entspricht.

Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Intervallgrenzen klassierter Daten nach Möglichkeit so gewählt werden, dass die beobachteten Merkmalsausprägungen zwischen und nicht (wie im Fall unklassierter Daten) auf den Intervallgrenzen liegen, wodurch je nach Wahl der Klassengrenzen für ein und denselben Datenbestand ggf. leicht verschiedene Summenhäufigkeitspolygone entstehen können.

Beispiele

Allgemeiner Fall: Unklassierte Daten

Als Beispiel sollen die Pferdetrittdaten von Ladislaus von Bortkewitsch dienen. Im Zeitraum von 1875 bis 1894 starben in 14 Kavallerieregimentern der preußischen Armee insgesamt 196 Soldaten an Pferdetritten:

>
Empirische Verteilungsfunktion der unklassierten Pferdetritt-Daten.
Jahr 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 \sum
Tote 3 5 7 9 10 18 6 14 11 9 5 11 15 6 11 17 12 15 8 4 196

Schreibt man die Tabelle mit den Merkmalsausprägungen und relativen Häufigkeiten auf, dann ergibt sich

x_{i} 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 14 15 17 18
Jahre 1 1 2 2 1 1 2 1 3 1 1 2 1 1
h_i 0,05 0,05 0,10 0,10 0,05 0,05 0,10 0,05 0,15 0,05 0,05 0,10 0,05 0,05
F_{n}(x_{i}) 0,05 0,10 0,20 0,30 0,35 0,40 0,50 0,55 0,70 0,75 0,80 0,90 0,95 1,00

Die letzte Zeile enthält den Wert der Verteilungsfunktion an der entsprechenden Stelle x=x_{i}. Beispielsweise an der Stelle x=6{,}5 ergibt sich F_{n}(6{,}5)=0{,}3.

Klassierte Daten

Klassiert man die Daten, so erhält man folgende Datentabelle. Die Grafik dazu findet man bei der Definition.

ab x_{i}^{u} 2 4 6 8 10 12 14 16
bis x_{i}^{o} 4 6 8 10 12 14 16 18
h_i 0,10 0,20 0,10 0,15 0,20 0,05 0,10 0,10
F_{n}(x_{i}^{o}) 0,10 0,30 0,40 0,55 0,75 0,80 0,90 1,00

Die letzte Zeile enthält den Wert der Verteilungsfunktion an der entsprechenden Stelle x=x_{i}^{o}. An der Stelle x=6{,}5 ergibt sich F_{n}(6{,}5)=0{,}3+{\tfrac  {6{,}5-6}{8-6}}\cdot 0{,}1=0{,}325.

Konvergenzeigenschaften

Das starke Gesetz der großen Zahlen sichert zu, dass der Schätzer F_{n}(x) fast sicher für jeden Wert x gegen die wahre Verteilungsfunktion F(x) konvergiert:

{\displaystyle F_{n}(x)\ {\xrightarrow {f.s.}}\ F(x)},

d.h. der Schätzer F_{n}(x) ist konsistent. Damit ist die punktweise Konvergenz der empirischen Verteilungsfunktion gegen die wahre Verteilungsfunktion gegeben. Ein weiteres, stärkeres Resultat, der Satz von Glivenko-Cantelli sagt aus, dass dies sogar gleichmäßig geschieht:

{\displaystyle \|F_{n}-F\|_{\infty }\equiv \sup _{x\in \mathbb {R} }{\big |}F_{n}(x)-F(x){\big |}\ {\xrightarrow {f.s.}}\ 0}.

Diese Eigenschaft ist die mathematische Begründung dafür, dass es überhaupt sinnvoll ist, Daten mit einer empirischen Verteilungsfunktion zu beschreiben.

Ogive

Ogive (Verteilungsfunktion) einer theoretischen und einer empirischen Verteilung.

Ogive bezeichnete ursprünglich das gotische Bau-Stilelement Spitzbogen sowie die verstärkten Rippen in den Gewölben. Der Ausdruck wurde in der Statistik für eine Verteilungsfunktion erstmals 1875 von Francis Galton verwendet:

„When the objects are marshalled in the order of their magnitude along a level base at equal distances apart, a line drawn freely through the tops of the ordinates..will form a curve of double curvature... Such a curve is called, in the phraseology of architects, an ‘ogive’.“

Francis Galton: Aus Statistics by intercomparison with remarks on the Law of Frequency of Error., Philosophical Magazine 49, S. 35

Auf der horizontalen Achse des Koordinatensystems werden hier die geordneten (oft gruppierten) Merkmalsausprägungen aufgetragen; auf der vertikalen Achse die relativen kumulierten Häufigkeiten in Prozent.

Die Grafik rechts zeigt die kumulierte Verteilungsfunktion einer theoretischen Standardnormalverteilung. Wird der rechte Teil der Kurve an der Stelle x=0 gespiegelt (rot gestrichelt), dann sieht die entstehenden Figur wie eine Ogive aus.

Darunter wird eine empirische Verteilungsfunktion gezeigt. Für die Grafik wurden 50 Zufallszahlen aus einer Standardnormalverteilung gezogen. Je mehr Zufallszahlen man zieht desto stärker nähert man sich der theoretischen Verteilungsfunktion an.

Literatur

Siehe auch

Trenner
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
Seitenende
Seite zurück
©  biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 09.04. 2023