Stehwellenverhältnis
Das Stehwellenverhältnis (SWV) und auch als Welligkeit bezeichnet, (englisch standing wave ratio, SWR) ist im Bereich der Nachrichtentechnik und Hochfrequenztechnik ein Ausdruck für die Übereinstimmung des Leitungswellenwiderstandes mit der Impedanz einer an diese Leitung angeschlossenen Last. Weicht der Leitungswellenwiderstand von der Impedanz der Last ab, kommt es an dem Übergangspunkt zu einer Reflexion einer übertragenen Welle und es bildet sich eine reflektierte Welle aus. Die Überlagerung der beiden Wellen, der vorlaufenden Welle (V) mit der rücklaufenden Welle (R), bildet entlang der Leitung eine sogenannte stehende Welle und das Verhältnis der vor- und der zurück laufenden Welle auf näherungsweise verlustlosen Leitungen beschreibt das Stehwellenverhältnis.
Eine Leitung kann in diesem Zusammenhang physikalisch unterschiedlich realisiert sein. Beispielsweise kann es eine elektrische Leitung wie ein Koaxialkabel oder Flachbandleitung sein, oder ein Hohlleiter oder ein anderer geeigneter Wellenleiter. Die Wellengröße auf einer elektrischen Leitung ist üblicherweise die elektrische Spannung, in der englischsprachigen Fachliteratur wird daher das Stehwellenverhältnis auch synonym als englisch voltage standing wave ratio, VSWR bezeichnet. Es kann aber je nach Bezug auch jede andere physikalische Wellengröße, wie beispielsweise der elektrische Strom in der Leitung oder die elektrische Feldstärke in einem Hohlleiter, in diesem Sinn aufgefasst werden.
Ohne Reflexion, bei Abschluss der Leitung mit ihrem Leitungswellenwiderstand, ist das Stehwellenverhältnis 1. Dabei wird die gesamte eingespeiste Leistung der Welle an den Abschluss der Leitung übertragen. Dieser Fall wird auch als Leistungsanpassung bezeichnet. Bei kurzgeschlossener oder offener Leitung tritt vollständige Reflexion der einlaufenden Welle ein, es ist dann das Stehwellenverhältnis unendlich. Es wird dabei keine Leistung übertragen, sondern die Welle vollständig reflektiert.
Historisches
Kurz nach dem Nachweis der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz entdeckte Ernst Lecher, dass die Spannung zwischen zwei längeren, parallelen Drähten, die von einem Hertzschen Oszillator gespeist werden, nicht überall gleich groß ist. Diese Versuchsanordnung wurde als sogenannte Lecher-Leitung bekannt. Bei hinreichend hoher Leistung kann man durch Annäherung von Geißlerröhren in periodischen Abständen von λ/2 maximale Spannungsunterschiede Umax messen. Genau mittig dazwischen ist die Spannung null, weshalb man beide Leitungen dort auch problemlos kurzschließen kann.
Die Wellenlänge der ursprünglichen Messungen dürfte bei 1 m gelegen haben und entspricht dem heutigen UKW-Bereich; in den Folgejahren wurde nachgewiesen, dass die entdeckten Gesetzmäßigkeiten unverändert für alle anderen Wellenlängenbereiche gelten. Später entdeckte man mit dieser Anordnung, dass diese „Mittenspannung“ nicht mehr null ist, sondern einen minimalen Wert Umin annimmt, wenn man das Leitungsende mit einem ohmschen Widerstand belastet. Durch Wahl eines bestimmten Wertes dieses Lastwiderstandes lässt sich sogar erreichen, dass Umax = Umin ist. Diesen Wert des Widerstandes bezeichnet man als den Leitungswellenwiderstand und in diesem Fall tritt keine Reflexion auf.
Allgemeines
Bei einem Stehwellenverhältnis von größer 1 kommt es im stationären Zustand durch die hin- und rücklaufende Welle zu einer Stehwelle auf der näherungsweise als verlustlos angenommenen Leitung, und es bilden sich abhängig von der Wellenlänge entlang der Leitung ortsfeste Maximal- und Minimalwerte der Wellengröße, in diesem Bezug der elektrischen Spannung. Die Maxima wiederholen sich dabei mit halber Wellenlänge, ebenso die Minima wie in nebenstehender Abbildung für drei Stehwellenverhältnisse mit SWR = 4, 2, 9 grafisch an der einhüllenden Kurvenform dargestellt. Dabei ist erkennbar, dass je näher das SWR bei 1 liegt, die Differenz zwischen den maximalen und minimalen Amplituden der Wellengröße umso kleiner wird.
Daraus folgt die Definition des Stehwellenverhältnisses als Relation zwischen dem maximalen Spannungswert und minimalen Spannungswert entlang der Leitung:
bezeichnet die an einen bestimmten Punkt der Leitung messbare maximale elektrische Spannung, die im Abstand einer viertel Wellenlänge minimale elektrische Spannung. Die beiden Ausdrücke und stehen dazu gleichwertig für die vorwärts bzw. rückwärtslaufende Spannungswelle. Dabei ist erkennbar, dass der Wert der punktuellen Spannungsmaxima bei einem Stehwellenverhältnis von ∞ den doppelten Betrag zum angepassten Fall mit einem Stehwellenverhältnis von 1 aufweist. Bei einem Stehwellenverhältnis von 1 weist die Spannung entlang der Leitung überall den gleichen Betragswert auf.
Äquivalent dazu lässt sich das SWR auch durch die von den vorwärts () bzw. rückwärtslaufenden () Wellen transportierte Leistungen ausdrücken als:
Im Spezialfall einer rein ohmschen Last , welcher ungleich dem Leitungswellenwiderstand der Übertragungsleitung ist, ergibt sich das SWR aus dem Verhältnis der beiden reellwertigen Widerstandswerte zu:
wobei mit der Funktion der Wert mit einem Betrag größer als Eins gewählt wird.
Der Zusammenhang mit dem Reflexionsfaktor , dieser entspricht dem Streuparameter , ist gegeben als:
und
- .
Der Kehrwert des Stehwellenverhältnisses wird als Anpassungsfaktor bezeichnet:
Der Anpassungsfaktor, die Bezeichnung leitet sich aus der Antennentechnik ab, ist 1 wenn perfekte Anpassung der Antennenspeiseleitung an die Antennen vorliegt. Der Anpassungsfaktor ist bei Leerlauf oder Kurzschluss der Speiseleitung 0.
Die Rückflussdämpfung ist ein Ausdruck für die Dämpfung zwischen der vorwärts und der reflektierten rückwärts laufenden Welle und wird üblicherweise als logarithmische Relation in dB ausgedrückt als:
Messungen
Das Stehwellenverhältnis kann mit einem Stehwellenmessgerät messtechnisch ermittelt werden. Eine übliche Anwendung der Stehwellenmessung ist die Anspeisung einer Sendeantenne und den Abgleich der Sendespeiseleitung an die Impedanz der Antenne. Dabei kann das Stehwellenverhältnis folgende Werte annehmen:
- SWR gleich 1: Bei diesem Idealfall tritt keine Reflexion auf, es liegt Leistungsanpassung vor. Die Antennenimpedanz ist exakt gleich dem Wert des Leitungswellenwiderstandes.
- SWR knapp über 1: Praktisch in vielen Fällen erzielbarer Fall und liegt beispielsweise nach einem Abgleich vor. Der Abgleich bei einer Antennenspeiseleitung an die Antenne erfolgt bei größeren Sendeanlagen in einem eigenen Sendergebäude. Spannungen und Ströme unterscheiden sich an unterschiedlichen Stellen der Antennenspeiseleitung nur geringfügig.
- SWR deutlich über 1: Ein schlechtes SWR bedeutet, dass sich der Leitungswellenwiderstand stark vom Wert der Impedanz der Antenne unterscheidet. Nur ein geringer Teil der von der Sendeendstufe eingespeisten Leistung wird über die Antenne abgestrahlt, der Großteil der Leistung wird reflektiert und kann ohne Schutzmaßnahmen zur thermischen Zerstörung der Sendeanlage führen. Spannungen und Ströme unterscheiden sich an unterschiedlichen Stellen der Leitung stark.
- SWR gleich ∞. Bei offenem oder kurzgeschlossenem Leitungsende und fehlender Antenne tritt vollständige Reflexion der Leistung auf. Es kann keine Leistung übertragen werden. Zum Betrieb ohne Sendeantenne, beispielsweise im Rahmen von Versuchen, wird die Sendespeiseleitung daher mit einer Ersatzlast abgeschlossen.
Literatur
- Otto Zinke, Heinrich Brunswig: Hochfrequenztechnik 1: Hochfrequenzfilter, Leitungen, Antennen. 6. Auflage. Springer, 1999, ISBN 978-3-540-66405-5.
- Alois Krischke, Karl Rothammel: Rothammels Antennenbuch. 13. Auflage. DARC Verlag, Berlin, ISBN 978-3-88692-065-5.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 17.09. 2023