Begriffsschrift

Das Titelblatt der Begriffsschrift

Die Begriffsschrift ist ein schmales, nur etwa achtzig Seiten umfassendes Buch des Jenaer Mathematikers und Philosophen Gottlob Frege zur Logik. Es wurde 1879 mit dem Untertitel „Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens“ veröffentlicht und gilt allgemein als die wichtigste Veröffentlichung im Bereich der Logik seit Aristoteles’ Organon.

Frege gelang in diesem Buch zum ersten Mal eine Formalisierung der klassischen Prädikatenlogik und damit die erste Formalisierung einer Logik, in der sich ein hinreichend großer Teil der Mathematik, aber auch der natürlichen Sprache ausdrücken ließ. Gemeinsam mit George Booles Mathematical Analysis of Logic von 1847 markiert die Begriffsschrift deshalb den Beginn der modernen formalen Logik. Die Bezeichnung Begriffsschrift wird auch für den von Frege definierten logischen Kalkül sowie für Freges logische Notation verwendet. Frege entwarf die Begriffsschrift zur Unterstützung seiner Forschung an den Grundlagen der Mathematik.

Freges Kalkül führte erstmals den Allquantor sowie mehrstellige Prädikate (Relationen) ein. Es handelt sich um einen klassischen prädikatenlogischen Kalkül zweiter Stufe mit Identität, allerdings in einer im Vergleich zu heute üblichen Schreibweisen eigenwilligen, zweidimensionalen Notation.

Stellung der Begriffsschrift im Gesamtwerk Freges

Trotz ihrer epochalen Bedeutung ist die Begriffsschrift nicht Freges Hauptwerk. Ihr folgten 1884 Die Grundlagen der Arithmetik sowie 1893 und 1903 die beiden Bände der Grundgesetze der Arithmetik, die auch aufgrund ihres Umfangs als Freges Hauptwerk gelten können.

Frege um 1880, etwa zur Zeit der Publikation der Begriffsschrift

Freges vorrangiges Ziel war es, die Mathematik als Teil der Logik auszuweisen, also zu zeigen, dass alle mathematischen Sätze aus wenigen rein logischen Axiomen abgeleitet werden können. Dieses Unternehmen war nur aussichtsreich, wenn ein Mittel zur Verfügung stand, mit dem sich die Lückenlosigkeit einer Schlusskette zweifelsfrei überprüfen ließ. Da sich die traditionelle Aristotelische Logik als unbrauchbar für diesen Zweck herausstellte, nahm sich Frege zunächst der Aufgabe an, eine neue, geeignetere Logik zu schaffen. Dies geschah in Form der Begriffsschrift. Für Frege war die Begriffsschrift demnach nur die erste Etappe auf dem Weg zu einer vollständigen Formalisierung der Mathematik insgesamt, die er in den Grundgesetzen der Arithmetik für die Zahlentheorie teilweise durchführte. Freges logizistisches Programm scheiterte zunächst (noch vor dem Erscheinen des zweiten Bandes der Grundgesetze) an der Russellschen Antinomie, es wurde aber von Bertrand Russell, Rudolf Carnap und anderen fortgeführt.

Die Begriffsschrift war jedoch keineswegs ausschließlich für den Einsatz in der Mathematik vorgesehen. Im Gegenteil stellte Frege seine Schrift im Vorwort ausdrücklich in den Kontext der Leibnizschen Idee einer lingua characterica universalis, einer Universalsprache, die ein geordnetes System aller Begriffe nach mathematischem Vorbild darstellen sollte. Freges 1879 vorgelegte Schrift sollte das logische Herzstück einer solchen Universalsprache bilden. Es ist zu vermuten, dass die Bezeichnung Begriffsschrift aus einer Abhandlung Friedrich Adolf Trendelenburgs über Leibniz’ Entwurf dieser Universalsprache entlehnt ist, die Frege im Vorwort zitiert. Im Übrigen war das Wort „Begriffsschrift“ um die Wende zum 20. Jahrhundert als Eindeutschung von „Ideographie“ allgemein gebräuchlich.

Notation

Die Einführung der logischen Symbole in der Begriffsschrift.
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Frege verwendete in der Begriffsschrift eine eigens von ihm geschaffene Schreibweise (Notation) für Ausdrücke der Aussagen- und Prädikatenlogik. Die Notation der Begriffsschrift ist eine graphische, zweidimensionale Darstellung, in der Formeln durch waagerechte und senkrechte Striche miteinander verbunden werden. Sie verwendet als aussagenlogische Grundelemente Zeichen für die Negation und das Konditional, als prädikatenlogisches Element den Allquantor. Wie erst sehr viel später die – allerdings lineare, eindimensionale und daher wesentlich platzsparendere – polnische Notation kommt die Begriffsschriftnotation ohne Klammerungen aus.

Syntax

Die Begriffsschrift kennt nur zwei syntaktische Grundelemente: Funktionsausdrücke und Eigennamen, wobei beide auch durch Variablen vertreten werden können. Alle syntaktischen Operationen folgen dem Schema Funktion – Argument – Wert: Durch Anwendung einer Funktion mit n freien Stellen auf n Argumente erhält man einen bestimmten Wert der Funktion.

Näheres zum Funktionsbegriff: Wenn man beispielsweise in dem komplexen Ausdruck '1 × 1' beide Vorkommnisse des Zahlzeichens '1' durch die Variablen 'n' bzw. 'm' ersetzt, so erhält man den Funktionsausdruck 'n × m'. Die Variablen machen deutlich, dass der Ausdruck „ungesättigt“ ist, wie Frege sagt: Er bezeichnet in dieser Form keinen Gegenstand, sondern bedarf der Vervollständigung durch zwei Argumente. Durch erneute Substitution von Zahlzeichen für die Variablen erhält man eine Reihe von arithmetischen Termen, z.B. '1 × 1', '1 × 2', '2 × 1' usw. Die verschiedenen möglichen Einsetzungen für die Variablen sind Argumentausdrücke. Das durch den komplexen Ausdruck Bezeichnete ist der Wert der Funktion. Der Wert der Funktion n × m für die Argumente 2 und 3 ist beispielsweise die Zahl 6.

Dieses Grundschema ist in seiner Anwendbarkeit keineswegs auf den Bereich der Mathematik beschränkt: Ersetzt man beispielsweise in 'der Eroberer von x' die Variable 'x' durch 'Gallien', so nimmt die Funktion den Wert Julius Cäsar an. Auch Prädikate sind nach Frege Funktionen: Die durch 'x eroberte Gallien' ausgedrückte Funktion nimmt für das Argument Julius Cäsar den Wert Wahr an, für das Argument Hannibal den Wert Falsch. Die Ersetzung der Subjekt-Prädikat-Form durch die Funktion-Argument-Form des Urteils war bereits ein erheblicher Fortschritt gegenüber der traditionellen Logik, weil sie es ermöglicht, eine Logik der Relationen zu formulieren: Die moderne Logik kennt (anders als die Syllogistik) auch zwei- und mehrstellige Prädikate (Relationsausdrücke), wie 'x liebt y', 'x steht zwischen y und z' usw. (Siehe auch Logik – Klassische Logik.)

Wahrheitsfunktionalität

Frege fasste nun alle zusammengesetzten Ausdrücke als Ergebnisse der Anwendung einer Funktion auf Argumente auf; insbesondere behandelte er auch diejenigen Ausdrücke als Funktionsausdrücke, die heute allgemein als Junktoren bekannt sind. Ihre Argumente sind Aussagen, als Werte ergeben sich die Wahrheitswerte Wahr und Falsch, die bei Frege „das Wahre“ und „das Falsche“ heißen. Um die Bedeutung eines Junktors anzugeben, genügt es, festzulegen, unter welchen Bedingungen eine Aussage mit diesem Junktor wahr bzw. falsch wird. Heute wird dieser Zusammenhang als Wahrheitsfunktionalität bezeichnet, und man gibt die Wahrheitsbedingungen meist in Form sogenannter Wahrheitstabellen an. Die Wahrheitsfunktionalität ist eine wesentliche Voraussetzung für die Aufstellung einer extensionalen Semantik, wie sie Alfred Tarski in den 1930er Jahren entwickelte.

Inhaltsstrich und Urteilsstrich

Der waagerechte „Inhaltsstrich“ besagt in der Begriffsschrift, dass das, was auf ihn folgt, ein (auf Wahrheit oder Falschheit hin) „beurtheilbarer Inhalt“ ist, in moderner Terminologie eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann. Durch den Inhaltsstrich wird nicht über den Wahrheitsgehalt einer Aussage befunden; sie wird nicht behauptet, sondern nur als potenziell wahr oder falsch gleichsam „in den Raum gestellt“:

Begriffsschrift-Inhaltsstrich.svg

Wohlgemerkt wäre eine absurd erscheinende Verbindung wie „— 2“ in der Begriffsschrift nicht syntaxwidrig; ihr Wert wäre das Falsche. Das hängt damit zusammen, dass Freges Begriffsschrift eine reine Termlogik ist; auch Aussagen sind singuläre Terme, gewissermaßen verschiedene Bezeichnungen für die beiden Wahrheitswerte.

Der senkrechte „Urteilsstrich“ vor dem Inhaltsstrich besagt, dass der Inhalt wahr ist:

Begriffsschrift-Urteilsstrich.svg

Frege sagte dazu, der Inhalt werde mit „behauptender Kraft“ geäußert.

Junktoren

Begriffsschriftnotation: Aussagenlogik

Frege verwendete von den heute üblichen fünf Junktoren 'nicht', 'und', 'oder', 'wenn – dann', 'genau dann, wenn' nur zwei: 'nicht' (Negation) und 'wenn – dann' (Implikation oder Konditional). Die Negation wird durch Anfügen eines kleinen senkrechten Striches an den Inhaltsstrich dargestellt. Die Negation „nicht A“ (\lnot A) wird folgendermaßen ausgedrückt:

framesess

Der Wert dieser Funktion ist genau dann das Wahre, wenn der Wahrheitswert von '— A' nicht das Wahre ist, andernfalls das Falsche.

Die Implikation B\rightarrow A (lies: 'wenn B, dann A') wird in der Begriffsschrift durch

framesess

ausgedrückt. Zur Bedeutung dieser Zeichenverbindung schrieb Frege:

„Wenn A und B beurtheilbare Inhalte bedeuten, so giebt es folgende vier Möglichkeiten:

  1. A wird bejaht und B wird bejaht;
  2. A wird bejaht und B wird verneint;
  3. A wird verneint und B wird bejaht;
  4. A wird verneint und B wird verneint.
BS-05-Kondicionaliskis-svg.svg

bedeutet nun das Urtheil, dass die dritte dieser Möglichkeiten nicht stattfinde, sondern eine der drei andern.“

Dies sind in heute ungewohnt erscheinender Formulierung die Wahrheitsbedingungen der materialen Implikation: Die Implikation ist nur dann falsch, wenn das Antezedens wahr und das Sukzedens falsch ist.

Disjunktion ('oder') und Konjunktion ('und') lassen sich durch Verbindungen dieser beiden Junktoren ausdrücken: die Disjunktion wird durch

Begriffsschrift connective4.svg

\neg B\rightarrow A – ausgedrückt, die Konjunktion durch

Begriffsschrift connective3.svg

\neg (B\rightarrow \neg A). Da Freges Logik eine Termlogik ist, in der auch Aussagen singuläre Terme sind, dient das „Zeichen der Inhaltsgleichheit“ \equiv (Identitätszeichen) zugleich als Ausdruck der materialen Äquivalenz.

Quantoren

Begriffsschriftnotation: Prädikatenlogik

Als Allquantor verwendet Frege eine Einbuchtung („Höhlung“) im Inhaltsstrich, in die die zu bindende Variable geschrieben wird (siehe nebenstehende Grafik). Aufgrund der in der klassischen Prädikatenlogik geltenden Äquivalenz

\exists xF(x)\leftrightarrow \lnot \forall x\lnot F(x)

ist ein eigener Existenzquantor nicht erforderlich; sein Inhalt kann durch Allquantor und Negator ausgedrückt werden.

Das folgende Beispiel zeigt die Aussage „zu jedem x mit der Eigenschaft F gibt es ein y, zu dem x in der Beziehung R steht“ (z.B. „jeder Mensch hat eine Mutter“). Es illustriert die beiden wesentlichen Errungenschaften der Begriffsschrift, die sie sowohl gegen die traditionelle Syllogistik als auch gegen die zeitgenössische logische Algebra abgrenzt: verschachtelte Quantoren („für alle x gibt es ein y“) und mehrstellige Prädikate („R(x,y)“).

BS-08-step1-svg.svg

Aus dieser Aussage folgt mit Axiom 9 (siehe unten):

BS-09-step2-svg.svg

Daraus kann in Verbindung mit der Aussage „F(c)“ mit Hilfe der Regel Modus ponens (siehe unten) die Aussage „es gibt ein y, zu dem c in R steht“ abgeleitet werden:

BS-10-step3-svg.svg

Die Quantorenlogik erlaubt (unter der Voraussetzung, dass der Subjektterm nicht leer ist) sämtliche Schlüsse der traditionellen Logik. Die nachstehende Abbildung zeigt links das „logische Quadrat“ aus der Originalausgabe der Begriffsschrift, rechts eines in moderner Schreibweise zum Vergleich:

Das logische Quadrat aus der Originalausgabe der Begriffsschrift   Das logische Quadrat in moderner Schreibweise

Dass bei Frege in der unteren Zeile „conträr“ statt „subconträr“ steht, ist offenbar ein Versehen.

Siehe auch die tabellarische Übersicht zur Notation am Ende des Artikels.

Das Axiomensystem der Begriffsschrift

Nach den Erläuterungen zur Schreibweise im ersten Kapitel geht Frege im zweiten Kapitel mit der Überschrift „Darstellung und Ableitung einiger Urtheile des reinen Denkens“ dazu über, einige logisch wahre Sätze auf der Grundlage weniger Axiome zu beweisen.

Frege rechtfertigte seine neun Axiome nicht-formal, indem er begründete, warum sie in ihrer intendierten Interpretation wahr sind. In moderne Schreibweise übersetzt, lauten die Axiome:

  1. \vdash \ \ A\to \left(B\to A\right)
  2. \vdash \ \ (A\to (B\to C))\ \to \ \left(\left(A\to B\right)\to \left(A\to C\right)\right)
  3. \vdash \ \ \left(D\to \left(B\to A\right)\right)\ \to \ \left(B\to \left(D\to A\right)\right)
  4. \vdash \ \ \left(B\to A\right)\ \to \ \left(\lnot A\to \lnot B\right)
  5. \vdash \ \ \lnot \lnot A\to A
  6. \vdash \ \ A\to \lnot \lnot A
  7. \vdash \ \ \left(c\equiv d\right)\to \left(F(c)\equiv F(d)\right)
  8. \vdash \ \ c\equiv c
  9. \vdash \ \ \left(\forall xF(x)\right)\ \to \ F(c)

Dies sind in Freges eigener Nummerierung die Sätze 1, 2, 8, 28, 31, 41, 52, 54 und 58. (1)–(3) betreffen die materiale Implikation, (4)–(6) die Negation. (7) und (8) betreffen die Identität: (7) ist das Identitätsprinzip von Leibniz. (8) fordert die Reflexivität der Identität. (9) erlaubt den Übergang von einer allquantifizierten Aussage zu einer beliebigen Instanz. Alle übrigen Sätze werden aus diesen Axiomen abgeleitet.

Die Begriffsschrift hat drei Folgerungsregeln. Zwei davon, der Modus ponens und die Generalisierungsregel, werden explizit genannt. Der Modus ponens erlaubt den Übergang von \vdash A\to B und \vdash A zu \vdash B. Die Generalisierungsregel erlaubt den Übergang von \vdash P\to A(x) zu \vdash P\to \forall xA(x), wenn die Variable 'x' nicht in P vorkommt. Die dritte, nicht explizit genannte Regel ist ein Substitutionsprinzip.

Das einer Prädikatenlogik der ersten Stufe entsprechende Fragment des in der Begriffsschrift angegebenen Kalküls ist vollständig und widerspruchsfrei. Erst die Erweiterung des Systems um eine Theorie der Begriffsumfänge, die Frege später in den Grundgesetzen der Arithmetik vornahm, führte zur Inkonsistenz.>

Das dritte Kapitel trägt die Überschrift „Einiges aus einer allgemeinen Reihenlehre“. Die wichtigsten Ergebnisse betreffen die Erblichkeit einer Eigenschaft in einer Reihe und das Nachfolgen in einer Reihe. Ist eine Relation R gegeben, so ist eine Eigenschaft F nach Frege erblich in der R-Reihe genau dann, wenn gilt:

\forall x\forall y\ (F(x)\land xRy\to F(y))

Anschließend definiert Frege: b folgt in der R-Reihe auf a genau dann, wenn b jede in der R-Reihe erbliche Eigenschaft hat, die alle x mit aRx haben. Schreibt man R* für diese Relation des Folgens in der R-Reihe, so lässt sich Freges Definition wie folgt wiedergeben:

aR^{\ast }b\equiv \forall F[\forall x(aRx\to F(x))\wedge \forall x\forall y(F(x)\wedge xRy\to F(y))\to F(b)]

Kürzer, wobei „Erbl(F,R)“ bedeuten soll „F ist erblich in der R-Reihe“:

aR^{\ast }b\equiv \forall F[\forall x(aRx\to F(x))\wedge Erbl(F,R)\to F(b)]

Über diese R*-Relation beweist Frege in der Folge einige Sätze, die zeigen, dass es sich um eine Ordnungsrelation handelt. Diese Betrachtungen sind ganz offensichtlich als Vorarbeiten zu den beiden Nachfolgewerken zu den Grundlagen der Zahlentheorie intendiert. Wenn man als xRy die Relation y=x+1 betrachtet, dann ist 0R*y (oder 1R*y) die Eigenschaft von y, eine natürliche Zahl zu sein.

Rezeption und Wirkung

Die Begriffsschrift fand zunächst eine bemerkenswert kühle Aufnahme. Nicht zuletzt aufgrund ihrer ungewohnten und schwer lesbaren Symbolik scheint die breite Fachöffentlichkeit zunächst wenig Notiz von ihr genommen zu haben. Der Tenor der zeitgenössischen Rezensionen war größtenteils verhalten bis kritisch. Einhellig wurden Bedenken gegenüber der raumgreifenden, schwer handhabbaren Schreibweise geäußert. Vor allem aber warfen die Kritiker Frege vor, den algebraischen Ansatz in der symbolischen Logik (Ernst Schröder, Giuseppe Peano, George Boole, Augustus De Morgan, Charles Sanders Peirce) zu ignorieren. Die Kritik ist berechtigt: Es ist auffällig, dass Frege die seinerzeit dominante Strömung der formalen Logik völlig übergeht und seine eigene Arbeit nicht zu der anderer zeitgenössischer Forscher in Beziehung setzt. Dieses Versäumnis holte er in einigen unmittelbar auf die Begriffsschrift folgenden Aufsätzen nach.

Zu den wenigen, die schon früh die Bedeutung der Begriffsschrift erkannten, zählten der britische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell, der Phänomenologe Edmund Husserl, Freges Schüler Rudolf Carnap sowie der österreichisch-britische Philosoph Ludwig Wittgenstein, der im Vorwort zu seinem berühmten Tractatus logico-philosophicus (1921) schrieb: „Nur das will ich erwähnen, daß ich den großartigen Werken Freges und den Arbeiten meines Freundes Herrn Bertrand Russell einen großen Teil der Anregung zu meinen Gedanken schulde.“

Das logizistische Programm, zu dem die Begriffsschrift nur der Auftakt war, wurde insbesondere durch Russell und Alfred North Whitehead in ihren monumentalen Principia Mathematica (1910ff.) fortgeführt, die geraume Zeit als das kanonische Standardwerk zur Logik galten. Russell und Whitehead verwendeten bereits im Wesentlichen eine der heute üblichen logischen Notationen, die an die Schreibweise der Algebra angelehnte sogenannte Peano-Russell-Notation.

Aus Freges Symbolik überlebte (wohl durch Vermittlung der Principia Mathematica) das Zeichen \vdash , die Kombination aus seinem Urteils- und Inhaltsstrich, allerdings meist in einer verallgemeinerten Bedeutung als Ableitungsrelation. Ferner kann das heute übliche Negationszeichen \neg , das Arend Heyting 1930 einführte (ursprünglich zur Unterscheidung des intuitionistischen Negators vom klassischen), als Inhaltsstrich mit angefügtem Verneinungsstrich betrachtet werden.

Auch wenn Freges eigenwilliger Schreibweise kein großer Erfolg beschieden war, fußt nahezu jede Arbeit in der modernen Logik wenigstens mittelbar auf den Grundgedanken der Begriffsschrift. Da die Logik ferner Hilfs- und Grundlagendisziplin u.a. der Mathematik, Linguistik und Informatik ist, sind die indirekten Auswirkungen von Freges Werk kaum zu überschauen. In der Philosophie beziehen sich bis in die allerjüngste Vergangenheit immer wieder anerkannte Persönlichkeiten auf Ideen aus der Begriffsschrift, darunter beispielsweise Michael Dummett und Robert Brandom.

Tabellarische Übersicht der Schreibweise

Freges Notation Moderne Notation Umgangssprachliche Wiedergabe Bezeichnung
Begriffsschrift-Urteilsstrich.svg keine direkte Entsprechung;
eine Ähnlichkeit bei:
\emptyset \vdash A
\vdash A
bei Frege und Russell: A ist eine Tatsache
modern: A ist beweisbar
Ähnlichkeit bei moderner Notation:
Ableitung
Begriffsschrift connective1.svg \lnot A A ist nicht der Fall
non-A
Negation
Begriffsschrift connective2.svg B\to A Wenn B, dann A Implikation, Konditional, Subjunktion
Begriffsschrift connective3.svg A \land B
\neg (B\to \neg A)
A und B Konjunktion
Begriffsschrift connective4.svg A \lor B
\neg B\to A
A oder B Disjunktion, Adjunktion
BS-11-connective5-svg.svg A\leftrightarrow B
A\,=\,B
A genau dann, wenn B
A gleich B
Äquivalenz, Bisubjunktion;
Identität
BS-12b-Begriffsschrift Quantifier1b-svg.svg \forall xF(x) Alles ist F Allquantifikation, Universalquantifikation
BS-13b-Begriffsschrift Quantifier2b-svg.svg \lnot \exists xF(x)
\forall x\lnot F(x)
Nichts ist F
Es gibt kein F
 
BS-14b-Begriffsschrift Quantifier3b-svg.svg \exists xF(x)
\lnot \forall x\lnot F(x)
Es gibt ein F
Mindestens ein x ist F
Existenzquantifikation, Partikularquantifikation
BS-15-Begriffsschrift Quantifier41-svg.svg \forall x(G(x)\to F(x)) Alle G sind F  
BS-16-Begriffsschrift Quantifier42-svg.svg \exists x(G(x)\land F(x))
\lnot \forall x(G(x)\to \lnot F(x))
Einige G sind F
Mindestens ein G ist F
 
BS-17-Begriffsschrift Quantifier43-svg.svg \lnot \exists x(G(x)\land F(x))
\forall x(G(x)\to \lnot F(x))
Kein G ist F
Alle G sind nicht F
 
BS-18-Begriffsschrift Quantifier44-svg.svg \exists x(G(x)\land \lnot F(x))
\lnot \forall x(G(x)\to F(x))
Einige G sind nicht F
Nicht alle G sind F
 

Ausgaben

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 16.01. 2022