Effektive Masse
Die effektive Masse ist in der Festkörperphysik die scheinbare Masse eines Teilchens in einem Kristall im Rahmen einer semiklassischen Beschreibung. Ähnlich wie die reduzierte Masse erlaubt die effektive Masse die Verwendung einer vereinfachten Bewegungsgleichung.
In vielen Situationen verhalten sich Elektronen und Löcher in einem Kristall als wären sie freie Teilchen im Vakuum, nur mit einer veränderten Masse. Diese effektive Masse wird üblicherweise in Einheiten der Elektronenmasse (me = 9,11 × 10−31 kg) angegeben. Experimentelle Methoden zur Bestimmung der effektiven Masse bedienen sich unter anderem der Zyklotronresonanz. Die Grundidee ist, dass sich der Energie-Impuls-Zusammenhang (d.h. die Dispersionsrelation) eines Teilchens oder Quasiteilchens in der Nähe eines lokalen Minimums als
mit p für den Impuls
und
für die höheren Terme entwickeln lässt. Der quadratische Term sieht dabei wie
die kinetische
Energie eines Teilchens der Masse m* aus.
Definition und Eigenschaften
Effektive Masse im Kristallgitter
Die effektive Masse wird in Analogie zum zweiten
Newtonschen Gesetz definiert (,
Beschleunigung gleich Kraft pro Masse). Eine quantenmechanische
Beschreibung des Kristall-Elektrons in einem äußeren elektrischen Feld E
liefert die Bewegungsgleichung
,
wobei a die Beschleunigung,
die Plancksche
Konstante, k die Wellenzahl
der dem Elektron zugeschriebenen Bloch-Funktion
(oft etwas lax als Impuls bezeichnet, da
der Quasiimpuls des Teilchens
ist),
die Energie
als Funktion von k (die Dispersionsrelation),
und q die Ladung des Elektrons sind. Ein freies Elektron im Vakuum
hingegen würde die Beschleunigung
erfahren. Somit beträgt die effektive Masse m* des Elektrons im Kristall
.
Für ein freies Teilchen ist die Dispersionsrelation quadratisch, und somit wäre die effektive Masse dann konstant (und gleich der tatsächlichen Elektronenmasse). In einem Kristall ist die Situation komplexer: Die Dispersionsrelation ist im Allgemeinen nicht quadratisch, was zu einer geschwindigkeitsabhängigen effektiven Masse führt, s.a. bei der Bandstruktur. Das Konzept der effektiven Masse ist deshalb am nützlichsten im Bereich von Minima oder Maxima der Dispersionsrelation, wo sie durch quadratische Funktionen angenähert werden kann. Die effektive Masse ist also proportional zur inversen Krümmung der Bandkante. Die interessante Physik des Halbleiters spielt sich in einem Minimum des Leitungsbandes (Krümmung positiv = effektive Masse der Elektronen positiv) und in einem Maximum des Valenzbandes (Krümmung negativ = effektive Masse der Elektronen negativ) ab. Einem Loch ordnet man die negative effektive Elektronenmasse im Valenzband zu, die somit wieder positiv ist.
Bei Elektronenenergien weit weg von solchen Extrema kann die effektive Masse auch im Leitungsband negativ oder sogar unendlich werden. Man kann sich diese auf den ersten Blick eigenartige Eigenschaft im Wellenbild durch die Bragg-Reflexion im eindimensionalen Gitter erklären: Mit der Bragg-Bedingung
für die Reflexion an den Ionen„ebenen“,
und
folgt
.
Für kleine Beträge von
wird die Bedingung kaum erfüllt, die Elektronen bewegen sich entsprechend ihrer
freien Masse me. Für größere Beträge von k wird zunehmend
reflektiert, bis effektiv keine Beschleunigung durch ein elektrisches Feld
möglich ist. Jetzt ist
.
Bei noch größeren k-Werten führt eine Beschleunigung durch ein externes Feld
durch die Wirkung der internen Kräfte (Wechselwirkung mit Phononen im Teilchenbild)
unter Umständen zu einer Beschleunigung entgegengesetzt zur erwarteten Richtung,
die effektive Masse ist folglich negativ.
Effektive Masse ohne Kristallfeld
Durch Modifikation der Energie-Impuls-Relation
der Atome in einem Bose-Einstein-Kondensat
gelang es 2017, ihnen in einem gewissen Impulsbereich eine negative effektive
Masse (gemäß der obigen Formel) zu geben.
Die Autoren schreiben klar von "effektiver Masse", Spekulationen über die
Erzeugung von "negativer Masse" als solcher
erscheinen derzeit unbegründet.
Effektive Masse als Tensor
Die effektive Masse ist im Allgemeinen richtungsabhängig (bezüglich der Kristallachsen) und somit eine tensorielle Größe. Für den Tensor der effektiven Masse gilt:
Dies bedeutet insbesondere, dass die Beschleunigung der Elektronen in einem
elektrischen
Feld
nicht parallel zum Feldvektor
sein muss. Insbesondere wird es (analog zum Trägheitstensor) aufgrund der
Symmetrie von m* ein Hauptachsensystem
geben, in welchem (1/m*)ij Diagonalform annimmt,
mit den zugehörigen Eigenwerten
auf der Diagonalen. Liegt das elektrische Feld
dann entlang einer dieser Hauptachsen (was sich durch Drehung des Kristalls im
konstanten Feld erreichen lässt), so geht nur der zugehörige Eigenwert ein. Da
nicht alle Eigenwerte gleich sein müssen, gibt es i.A. Hauptachsen mit
großem und kleinem Eigenwert der effektiven Masse. Kleine Eigenwerte führen bei
konstantem elektrischen Feld zu einer höheren Beschleunigung der Ladungsträger.
Mit steigender Temperatur nehmen die effektiven Massen zu.
Bei der Berechnung der Zustandsdichte fließt die effektive Masse mit ein. Um die Form des isotropen Falls beibehalten zu können, definiert man eine Zustandsdichtemasse
,
wobei der Entartungsfaktor N die Zahl der äquivalenten Minima angibt (N meist
6 oder 8) und
die Eigenwerte des Effektive-Masse-Tensors sind.
Die Leitfähigkeit bzw. Mobilität
ist proportional zur reziproken effektiven Masse. In anisotropen Systemen lässt
sich eine mittlere Mobilität angeben, in der man die Leitfähigkeitsmasse
verwendet:
Effektive Masse für Silizium
Leitungsband
Für Elektronen im Leitungsband gilt bei einer Temperatur von
nahe dem absoluten Nullpunkt:
Formelzeichen | Effektive Masse |
---|---|
Die zwei gleichen Massen
nennt man transversale Masse
und
longitudinale Masse
.
Die Zustandsdichtemasse ()
bei
ist
,
bei
ist sie
.
Die Leitfähigkeitsmasse bei
ist
.
Valenzband
Im Valenzband gibt es auf Grund von Spin-Bahn-Wechselwirkung
()
an der Bandkante zwei Subbänder. Das eine sind die schweren Löcher („heavy
holes“ mit
und
),
das andere die leichten Löcher („light holes“ mit
und
).
Beide haben unterschiedliche effektive Massen, bei
ist
und
.
Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres Subband („split off band“ mit
),
das energetisch abgesenkt gegenüber der Valenzbandkante ist. Bei
ist
.
Die Zustandsdichtemasse des Valenzbands bei
ist
und bei
ist sie
.



© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 03.10. 2021