Schalenmodell (Kernphysik)
Das Schalenmodell ist in der Kernphysik ein Modell des Aufbaus von Atomkernen. Es führt diesen auf quantenmechanische Gesetzmäßigkeiten zurück, vor allem auf die Drehimpuls- Quantisierung und das Pauli-Prinzip, und erklärt so z.B. erfolgreich die magischen Zahlen.
Beschreibung
Während das Tröpfchenmodell den Atomkern mit einem Wassertropfen vergleicht, dessen Verhalten im Wesentlichen mit der klassischen Mechanik beschrieben werden kann, betrachtet das Schalenmodell die einzelnen Nukleonen und ihre Bewegung in einem Potentialfeld nach den Regeln der Quantenmechanik, ähnlich wie das Schalenmodell für Elektronen in der Atomhülle. Proton und Neutron haben wie das Elektron die Spinquantenzahl 1/2. Jedoch gibt es wichtige Unterschiede zur Atomhülle:
- der Atomkern besteht aus zwei verschiedenen Teilchenarten,
- es gibt kein gemeinsames Kraftzentrum des Potentials, sondern das Feld, das auf ein einzelnes Teilchen wirkt, wird von den übrigen Teilchen erzeugt,
- zwischen den Nukleonen wirken viel stärkere Kräfte.
Gut geeignet zur Beschreibung erscheint ein Woods-Saxon-Potential. Da sich dieses aber nur numerisch behandeln lässt, wählt man zur analytischen Behandlung beispielsweise ein ähnlich verlaufendes modifiziertes Potential eines harmonischen Oszillators. Man erhält als Lösungen der Schrödingergleichung diskrete Energieniveaus, die je nach Quantenzahlen bestimmte Anzahlen von Teilchen aufnehmen können; sie werden - in Anlehnung an die Beschreibung der Atomhülle - als "Schalen" bezeichnet.
Die Niveaus für Protonen und Neutronen sind nicht die gleichen, denn die Ladung der Protonen sorgt durch die gegenseitige Abstoßung dafür, dass die Protonen-Niveaus etwas höher liegen als die der Neutronen. Bei den meisten Nukliden (bis hinauf zu etwa 80 Protonen) sind die Abstände der Niveaus untereinander aber für Protonen und Neutronen annähernd gleich, die beiden Niveauschemata sind also im Wesentlichen nur gegeneinander verschoben. Dies lässt sich an Spiegelkernen bestätigen. Dieser Verschiebung entspricht im Tröpfchenmodell der Coulomb-Anteil.
Die magischen Zahlen
Die Anzahl gleicher Teilchen, die sich auf einer Schale befinden können, wird begrenzt durch das Pauli-Prinzip. Die 1s-Schale z.B. ist mit zwei Nukleonen bereits voll besetzt, und das nächste Nukleon „muss“ die 1p-Schale mit entsprechend höherer Energie besetzen.
Wenn in einem Kern alle Protonen- oder Neutronenschalen entweder vollständig gefüllt oder leer sind, ist dies eine besonders stabile Konfiguration, vergleichbar den Edelgasen in der Chemie; die besondere Stabilität zeigt sich in vielen Eigenschaften und Messgrößen. Solche Kerne werden auch magische Kerne genannt. Die magischen Zahlen, die an natürlich vorkommenden Nukliden beobachtet werden, sind 2, 8, 20, 28, 50, 82 und 126. Kerne, bei denen Protonen und Neutronen die Bedingung erfüllen, heißen doppelt magisch.
Diese Zahlen unterscheiden sich von den entsprechenden Zahlen in der Atomhülle. Der Grund ist die im Atomkern stärker wirkende Spin-Bahn-Kopplung. Die Energielücke, also der energetisch große Abstand zwischen erlaubten Zuständen, entsteht bei insgesamt 28 Teilchen einer Art nicht durch volle Besetzung einer Schale, sondern durch die Spin-Bahn-Kopplung des 1f-Niveaus. f-Niveau bedeutet wie bei den Elektronen, dass die Nebenquantenzahl (Bahndrehimpulsquantenzahl) l=3 ist. Mit der Spinquantenzahl s=±0,5 ergeben sich daher als mögliche Gesamtdrehimpulse j=l+s die Werte 3,5 und 2,5, wobei j=3,5 energetisch tiefer liegt als j=2,5. Sind alle Zustände mit j=3,5 besetzt, so erhält man ein stabileres Niveau bei der magischen Zahl 28.
Die Spin-Bahn-Kopplung ähnelt grundsätzlich der Feinstrukturaufspaltung der Elektronenniveaus im Atom. Jedoch tritt im Atomkern die starke Kernkraft an die Stelle der elektromagnetischen Wechselwirkung; die Aufspaltung der Nukleonen-Orbitale ist dadurch sowohl absolut als auch relativ viel größer als bei Hüllenelektronen, und der Zustand mit j=3,5 liegt hier energetisch günstiger (tiefer) als der mit j=2,5. Anschaulich ausgedrückt: Elektronen „wollen“ den Gesamtdrehimpuls j minimieren, Nukleonen „wollen“ ihn maximieren.
Entsprechend sind die magischen Zahlen 50, 82 und 126 auf die Spin-Bahn-Kopplungen der 1g-, 1h- und 1i-Orbitale zurückzuführen.
Kernspin und Parität
Das Schalenmodell sagt auch den Kernspin und die positive oder negative Parität für den Grundzustand der meisten Nuklide richtig voraus. Zum Beispiel haben alle gg-Kerne im Grundzustand den Spin Null und positive Parität.
Geschichte
Das Schalenmodell wurde erstmals 1932 von Dmitri Iwanenko und Jewgeni Gapon vorgeschlagen. 1949 wurde es von Maria Goeppert-Mayer und unabhängig im gleichen Jahr von J. Hans D. Jensen und Mitarbeitern postuliert. Goeppert-Mayer und Jensen erhielten dafür 1963 den Nobelpreis für Physik. Dass das Schalenmodell trotz der starken Nukleon-Nukleon-Kraft (s. oben) sinnvoll anwendbar ist, wurde erst ab 1955 durch Keith Brueckner u. M. verständlich gemacht, die Näherungslösungen für das Vielkörperproblem entwickelten.
Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de Seite zurück© biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 19.07. 2020