Hans-Joachim Marseille
deutscher Militärpilot Jagdfliegergeboren: 13.12. 1919 in Berlingestorben: 30.09. 1942 bei El Alamein/Nordafrika Ritterkreuz 22.02.1942 Eichenlaub (097) 06.06.1942 Schwerter (012) 18.06.1942 Brillanten (004) 03.09.1942 |
Als treffsicherster Vorhalteschütze und vielleicht bester Jagdflieger der Luftwaffe ging der junge Berliner Hans-Joachim Marseille in die Geschichte ein. "Stern von Afrika" genannt, wurde er zum Schreckgespenst der britischen Luftwaffe in Nordafrika.
Als Sohn eines Jagdfliegerveteranen und späteren Generalmajors
der Luftwaffe in Berlin geboren, begeisterte sich Marseille bereits
in seiner Jugend für Flugzeuge. So wunderte es niemanden, dass er im
Jahre 1938 freiwillig in die Luftwaffe eintrat. Obwohl der junge
Mann bereits während seiner Ausbildung in Wien-Schwechat
erstaunliche fliegerische Fähigkeiten bewies, war er nicht zum
Soldaten geboren. Wenig an Disziplin und Respekt gegenüber
Vorgesetzten interessiert, wurde er wiederholt wegen verbotenen
Kunstflugs und diverser Verstöße verwarnt. So als sich Marseille mit
einigen Piloten einmal auf einem Übungsflug nahe Braunschweig befand
und plötzlich einen unangenehmen Drang verspürte. Da landete der
freche Fähnrich einfach auf einer nahen Schnellstraße, erleichterte
sich hinter einem Baum und flog dann weiter.
Die andere Seite
seiner Ausbildungszeit waren phänomenale Showeinlagen - so kappte
Marseille einmal im Tiefstflug ein an einem nur ein Meter hohen
Stock befestigtes Taschentuch mit der Tragfläche seiner
Messerschmitt.
Im August 1940 wurde Oberfähnrich Marseille nach
einer gründlichen Friedensausbildung ins Lehrgeschwader 2 an die
Kanalfront versetzt, wo er seine ersten Feindeinsätze flog. Im
Oktober wechselte er in die 4. Staffel des Jagdgeschwaders 52, die
zu dieser Zeit unter dem späteren Schwerterträger Steinhoff am
Ärmelkanal lag. Während der Luftschlacht um England flog Marseille
als Katschmarek und meldete am 24.08.1940 seinen ersten Luftsieg.
Als er Frankreich verließ, war er für 7 Abschüsse bereits mit beiden
Klassen des Eisernen Kreuzes dekoriert worden.
Zu diesem
Zeitpunkt hatte der hitzige Flieger aber auch bereits einen strengen
Verweis und insgesamt acht Tage Arrest erhalten.
Anfang Februar
1941 wurde Marseille in die 3. Staffel des Jagdgeschwaders 27
versetzt und mit ihr nach Nordafrika verlegt. Bereits während seines
ersten Feindfluges über Libyen konnte der voller Selbstvertrauen
strotzende Flieger eine britische Hawker Hurricane abschießen. In
den folgenden Wochen erzielte Marseille wiederholt Luftsiege, wobei
er sich jedoch den Unmut seines Staffelführers Oberleutnant Homuth
zuzog. Grund dafür war neben unmilitärischem Verhalten auch seine
ungestüme Angriffsart. Sobald Marseille einen Gegner entdeckte - und
aufgrund seiner guten Augen war er stets der erste - verließ er den
Verbandsflug und schoss ihn, meist beim ersten Angriff, ab. Obwohl
dies keinesfalls den Teamwork-Regeln einer guten Staffel entsprach,
erkannte Marseilles Gruppenkommandeur Hauptmann Neumann das
unglaubliche Talent des hitzigen Piloten. Im Mai 1941 wurde
Marseille zum Leutnant befördert, nachdem er 13 Luftsiege errungen
hatte.
Kurz darauf nach schweren Triebwerkstreffern zur
Notlandung im Niemandsland gezwungen, erreichte der junge Flieger
nach einem längeren Fußmarsch unbeschadet wieder die Stellungen der
eigenen Infanterie.
In den nächsten Monaten wirkte Marseille
immer besser mit seinen Staffelkameraden zusammen. Obwohl noch immer
brennend ehrgeizig, stand er den militärischen Grundregeln nicht
mehr so feindlich gegenüber. In den unzähligen Geleitschutz- und
Jagdeinsätzen dieser Zeit entwickelte der nun zum Rottenführer
ernannte Marseille eine unglaubliche Trefferpräzision, die ihm immer
wieder wahre Wunderabschüsse ermöglichte. Sein Rottenflieger und
Freund Rainer Pöttgen berichtete, dass er Treffer aus unglaublichen
Entfernungen und Winkeln zustande brachte. Außerdem war es
außerordentlich schwer, seinen tollkühnen Flugmanövern zu folgen.
Im Februar 1942 war Marseille bei 50 Luftsiegen angelangt, wofür
er als erfolgreichster Pilot des Geschwaders das Ritterkreuz erhielt
und zum Oberleutnant befördert wurde.
Als Homuth im Mai die
Gruppe übernahm, trat Marseille dessen Nachfolge als Kapitän der 3.
Staffel an. Aufgrund seiner großartigen Erfolge war er nicht nur bei
höchsten Stellen des Afrikakorps, sondern bereits auch in
Deutschland bekannt und äußerst beliebt. Ähnlich wie in unserer Zeit
ein Filmstar, erhielt er täglich Briefe von weiblichen Fans, sein
Bild wurde fast jeden Tag in einer Zeitung abgedruckt. Unter den
großen Persönlichkeiten, die Marseilles Staffel besuchten, befanden
sich u.a. GFM Kesselring, Erwin Rommel und Jagdfliegergeneral Adolf
Galland.
Von März bis August 1942 war Marseille in Hochform. In
täglich bis zu vier Einsätzen über der libyschen Wüste erzielte er
praktisch in jedem Luftkampf zwischen zwei und fünf Luftsiege. Doch
diese Erfolge waren innerhalb der Staffel ebenso "normal" wie sein
unglaublich niedriger Munitionsverbrauch - meistens verbrauchte der
Oberleutnant pro Abschuss nur 15 bis 20 Schuss seiner Kanonen.
Marseille konnte seine Bf 109 F so perfekt handhaben, dass er es
sich angeblich sogar erlauben konnte, die genaue Stelle der Treffer
zu bestimmen. Meistens lagen die Einschüsse im Motorblock oder in
der Pilotenkanzel des Gegners.
Zwischen Marseille und seinem
Bodenpersonal herrschte eine absolut lockere und kameradschaftliche
Stimmung. Als der erfolgreiche Jagdflieger seinen Mechanikern als
Gegenleistung für die stets perfekt gewartete Bf 109 für jeden
Abschuss spaßeshalber 50 Lire anbot, entgegneten diese: "Na, lieber
nicht - dabei werden Herr Oberleutnant ja ein armer Mann."
Dieser Mann, der täglich ihre besten Piloten bezwang, wurde dem
englischen Oberkommando in Afrika allmählich zum Begriff. In einem
abgefangenen Funkspruch wurde den britischen Staffelkapitänen sogar
befohlen, den jungen Deutschen entweder nur in Gruppen oder gar
nicht anzugreifen. Unter jenen Elitepiloten, die gezielt auf
Marseille angesetzt wurden, befand sich auch das Fliegerass Clive
"Killer" Caldwell, ein australischer Kittyhawk-Pilot, der bereits
über ein Dutzend Deutsche abgeschossen hatte. Unter diesen hatte
sich auch der erste Eichenlaubträger des JG 27 befunden, Hauptmann
Erbo von Kageneck (67 Siege). Später sollte ihm auch Marseilles
Freund und erfolgreicher Staffelkamerad Oberleutnant Hans-Arnold
Stahlschmidt (59) und der Spanienveteran Wolfgang Lippert (29) zum
Opfer fallen. Doch Caldwell traf nie auf Marseille, wurde später vom
Schwerterträger Oberleutnant Schröer bezwungen, konnte jedoch in den
Kampfeinsatz zurückkehren.
Im Juni 1942 schoss Oberleutnant
Marseille einmal sechs Gegner innerhalb von nur elf Minuten ab(!),
im selben Monat wurde ihm als zweiten Piloten des JG 27 nach 75
Luftsiegen das 97. Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen.
In den
Tagen nach der Verleihung flog Marseille mehrere Abfangeinsätze
gegen britische und südafrikanische Staffeln, wobei er wiederholt
bis zu sechs Gegner in kürzester Zeit abschießen konnte. Und so
meldete das JG 27 am 17.06.42 bereits seinen 100. Luftsieg -
Marseille war der erste, der diese magische Marke gegen
westalliierte Piloten erreichte.
Die Verleihung der nun fälligen
Schwerter fand in Berlin statt - und zwar lediglich 116 Tage nach
dem Ritterkreuz. Der junge Oberleutnant war der erst 12. Träger
dieser hohen Auszeichnung und davon der bereits 10. Jagdpilot der
Luftwaffe.
Marseille war endgültig zum deutschen Nationalhelden
geworden, wobei seine Berühmtheit schon fast legendäre Ausmaße
annahm. Auf dem Rückweg von Berlin nach Nordafrika meldete er sich
bei Benito Mussolini, der ihm für die erfolgreiche Unterstützung der
italienischen Luftwaffe die seltene Tapferkeitsmedaille in Gold
verlieh - sogar der Wüstenfuchs Erwin Rommel musste sich mit der
Silberfassung dieses Ordens begnügen. Nach der Rückkehr zu seiner
Staffel musste Marseille feststellen, dass die Luftwaffe in Afrika
endgültig in die Defensive gedrängt worden war.
Zahlenmäßig sechsfach unterlegen, hatten die eigenen Geschwader
in dieser Zeit schwere Verluste zu verkraften. Trotz der taktischen
Unterlegenheit konnte Marseille bereits am ersten Einsatztag 10(!)
Gegner abschießen - doch diese großartige Leistung war immer noch
nicht der Gipfel seines Könnens.
Am 1. September 1942 gelang ihm
in drei getrennten Einsätzen der bestätigte Abschuss von 17(!!)
britischen Jagdmaschinen und damit ein Gesamtergebnis von 121
Siegen. Obgleich diese Leistung durch Hauptmann Emil Lang (EL, 173
Siege) an der Ostfront übertroffen wurde (18 an einem Tag), ist
Marseilles Leistung aufgrund der besser ausgebildeten Gegner weit
höher einzustufen.
Als die Staffel nach dieser fulminanten
Leistung auf dem Feldflugplatz landete, waren alle von dem Gesehenen
wie elektrisiert. Ludwig Franzisket, ein befreundeter Staffelkapitän
und selbst Ritterkreuzträger, zeigte sich von Marseilles Angriffen
überwältigt und sagte zu seinem Gruppenkommandeur: "Ich vergaß vor
Staunen zu schießen, als ich Marseille im feindlichen Pulk
beobachtete!"
Am 02.09.42 unterlagen Marseille fünf weitere
Gegner.
Für das Erreichen von insgesamt 126 Luftsiegen erhielt
Marseille nun als vierter Offizier der Wehrmacht die Brillanten zum
Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern verliehen. Zwischen seiner
Ankunft in Afrika und der Verleihung der höchsten
Tapferkeitsmedaille waren nur 19 Monate vergangen.
Doch
noch war der September nicht vorbei - so konnte Oberleutnant
Marseille am 3. sechs, am 5. und 6. je vier und am 15. sieben
Luftsiege erzielen! Am 24.09.42 wurde er im Alter von erst 22 Jahren
zum bisher jüngsten Hauptmann der Luftwaffe befördert, kurz zuvor
zum bereits fünften Mal im Wehrmachtsbericht genannt.
Am
26.09.42 bezwang der Staffelkapitän mit 7 britischen Spitfire-Jägern
seinen 152. bis 158. Kontrahenten. Der Luftkampf mit seinem letzten
Gegner hatte sich ungewöhnlich lange, nämlich 15 unendliche Minuten,
hingezogen.
Nach Berichten seiner Kameraden und Freunde begann
zu dieser Zeit der Dauereinsatz in Marseilles Wesen Wirkung zu
zeigen. Er war oft übermüdet und abgekämpft - es wäre Zeit für eine
Frontpause gewesen. Als ihm GFM Rommel persönlich eine solche Ende
September anbot, lehnte Marseille jedoch ab - er wollte seine
Staffel nicht alleine lassen.
Während der Schlacht um El Alamein
flog das JG 27 rollende Jagd- und Abfangeinsätze über Ägypten. Am
30. September führte Marseille seine komplette Staffel, um "Tommys"
zu suchen. Der hochdekorierte Hauptmann flog in diesem Einsatz
erstmals die neue G-Version der Messerschmitt Bf 109. Während des
Rückfluges von dem kampflosen Einsatz meldete ein Pilot plötzlich
eine dünne Rauchfahne aus Marseilles Maschine. Nach kurzer Zeit fing
der Motor an zu bocken, die Messerschmitt verlor an Höhe. Von seiner
Staffel über Funk geleitet, manövrierte Marseille seine immer
stärker qualmende Maschine bis über eigenes Gebiet. "Habe
Motorschaden, ich steige aus!" rief er über Bordfunk und drehte die
Maschine auf den Rücken. Seine Kameraden konnten beobachten, wie er
das Kabinendach aufschob und sich aus der Maschine fallen ließ. Doch
die Freude über den guten Ausgang der Aktion währte nur eine
Sekunde: Marseille prallte gegen das Leitwerk und wurde bewusstlos
geschlagen. So hatte er keine Chance mehr, die Reißleine seines
Fallschirms zu ziehen.
Die von Hans-Joachim Marseille erzielten
158 bestätigen Luftsiege über britische Piloten wurden bis
Kriegsende auch nicht annähernd wieder erreicht (Schwerterträger Bär
124). Der junge, sympathische Jagdflieger starb nach 388
Feindflügen.
Die deutsche Bundesluftwaffe ehrte den
herausragenden Flieger und Scharfschützen mit der
"Marseille-Kaserne" in Uetersen nahe Hamburg.
Eine nur ganz seltene — da umstrittene Geschichte — soll sich
unmittelbar nach Marseilles Schwerterverleihung abgespielt haben.
Diese besagt, dass der junge Oberleutnant während seines kurzen
Aufenthaltes in Deutschland mit der Tatsache der sgn. Endlösung
gegen Juden konfrontiert wurde. Davon erschüttert, hätte sich
Marseille nicht auf den Rückweg nach Afrika gemacht, sondern sich
fünf Wochen lang in Italien versteckt. Erst als die Gestapo ihn
aufstöberte und unter Druck setzte, hätte das Fliegerass sich wieder
bereit erklärt, zu seinem Geschwader zurückzukehren.
Obwohl
diese Geschichte sehr wage erscheint und wie gesagt nicht belegt
ist, wurde sie Ende der Fünfzigerjahre in einem Film über Marseilles
Leben eingebaut und seitdem nicht ausdrücklich widerlegt. Es wäre
allerdings auch möglich, dass es sich — ähnlich wie beim sgn.
"Mölders-Brief" - um eine propagandistische Falschmeldung des
britischen Geheimdienstes handelte.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 08.09.2014