Apomorphie

Apomorphie (von altgriechisch από apo „ab, weg“ und μορφή morphē „Form, Gestalt“) ist ein grundlegendes Konzept der Kladistik (Methode der biologischen Systematik). Es beinhaltet ein im Zuge der Phylogenese eines Taxons neu entstandenes („fortschrittliches“, „abgeleitetes“) Merkmal. Das entsprechende Adjektiv für ein solches Merkmal lautet apomorph. Im Gegensatz dazu steht die Plesiomorphie, das ursprüngliche („primitive“) Merkmal. Alle diese Konzepte und Bezeichnungen gehen auf den deutschen Entomologen und Begründer der Kladistik Willi Hennig zurück.[1]

Unterbegriffe

Einfaches Beispielkladogramm mit Verzeichnung der Merkmale. Die Merkmale 3 bis 6 sind jeweils Autapomorphien der vier terminalen Taxa A bis D. Merkmale 1 und 2 sind jeweils Autapomorphien der Kladen A+B und C+D und zugleich Synapomorphien der terminalen Taxa A und B bzw. C und D. Man beachte, dass für die Topologie (die Gestalt der Verzweigungen) nur die beiden Synapomorphien ausschlaggebend sind. Die vier Autapomorphien der terminalen Taxa sind in dieser Hinsicht uninformativ.
Für den Fall, dass die terminalen Taxa A und B jeweils noch eine Schwestergruppe hätten (A′ und B′), die ebenfalls jeweils Merkmal 1 aufwiese, wäre für die vier terminalen Taxa A bis B′ dieses Merkmal plesiomorph.

Je nachdem, ob die Merkmale eines einzelnen Taxons in Abgrenzung zu anderen Taxa oder die gemeinsamen Merkmale der Subtaxa eines Taxons vergleichend betrachtet werden, spricht man entweder von Autapomorphien oder von Synapomorphien:

Welche der beiden Bezeichnungen im konkreten Fall für ein Merkmal zu verwenden ist, Autapomorphie oder Synapomorphie, ist also davon abhängig, ob der abgrenzende Charakter des Merkmals eines einzelnen Taxons oder der vereinigende Charakter dieses Merkmals auf der nächstexklusiveren Hierarchieebene betont werden soll: Haare sind eine Autapomorphie des Taxons Säugetiere, aber im Vergleich der beiden Hauptlinien der Säugetiere sind Haare eine Synapomorphie der Taxa Kloakentiere und Theria (Beuteltiere + Plazentatiere).

In ähnlichem Maße relativ ist der Apomorphiebegriff insgesamt, denn die Autapomorphie an der Basis einer Klade hat innerhalb der in ihr enthaltenen weniger inklusiven Kladen den Charakter einer (Sym-)Plesiomorphie,[4] d. h. die Haare, die an der Basis der Säugetiere autapomorph sind, sind bei den Untergruppen der Theria (sym-)plesiomorph. Dies bedeutet ferner, dass auch Symplesiomorphien homolog sind,[3] wenngleich sie nicht auf den jüngsten gemeinsamen Vorfahren zurückgehen.

* In der Kladistik wird bisweilen aufgrund des Konzeptes der (zwangsläufig paraphyletischen) Stammart zwischen Arten und monophyletischen Taxa unterschieden.[3]

Beispiele

Man beachte, dass insbesondere höherrangige Taxa oft nach ihrer Apomorphie oder einer ihrer auffälligsten Apomorphien benannt sind.

Einzelnachweise

  1. Stefan Richter, Rudolf Meier: The development of phylogenetic concepts in Hennig’s early theoretical publications (1947–1966). Systematic Biology. Bd. 43, Nr. 2, 1994, S. 212–221, Extern doi:10.2307/2413462 (alternativer Volltextzugriff: Extern ResearchGate)
  2. Mario G. G. de Pinna: Concepts and tests of homology in the cladistic paradigm. Cladistics. Bd. 7, Nr. 6, 1991, S. 367–394, Extern doi:10.1111/j.1096-0031.1991.tb00045.x (alternativer Volltextzugriff: Extern CiteSeerX), S. 369 ff.
  3. Hochspringen nach: a b c Olivier Rieppel: Einführung in die computergestützte Kladistik. Pfeil, München 1999, ISBN 3-931516-57-1, S. 30 f.
  4. John S. Wilkins: Species: A History of the Idea. University of California Press, 2009, ISBN 978-0-520-26085-6, S. 206
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 27.12. 2024