Inhalt | [Vorwort zur zweiten Auflage]
Vorwort
Das zweite Buch des "Kapital" druckfertig herzustellen, und zwar so, daß es einerseits als zusammenhängendes und möglichst abgeschloßnes Werk, andrerseits aber auch als das ausschließliche Werk des Verfassers, nicht des Herausgebers dastand, war keine leichte Arbeit. Die große Zahl der vorhandnen, meist fragmentarischen Bearbeitungen erschwerte die Aufgabe. Höchstens eine einzige (Manuskript IV) war, soweit sie ging, durchweg für den Druck redigiert; dafür aber auch der größte Teil durch Redaktionen aus späterer Zeit veraltet. Die Hauptmasse des Materials war, wenn auch größtenteils sachlich, so doch nicht sprachlich fertig ausgearbeitet; abgefaßt in der Sprache, worin Marx seine Auszüge anzufertigen pflegte: nachlässiger Stil, familiäre, oft derbhumoristische Ausdrücke und Wendungen, englische und französische technische Bezeichnungen, oft ganze Sätze und selbst Seiten englisch; es ist Niederschrift der Gedanken in der Form, wie sie sich jedesmal im Kopf des Verfassers entwickelten. Neben einzelnen, ausführlich dargestellten Partien andre, gleich wichtige nur angedeutet; das Material illustrierender Tatsachen gesammelt, aber kaum gruppiert, geschweige verarbeitet; am Schluß der Kapitel, unter dem Drang zum nächsten zu kommen, oft nur ein paar abgerißne Sätze als Marksteine der hier unvollendet gelaßnen Entwicklung; endlich die bekannte, dem Verfasser selbst manchmal unleserliche Handschrift.
Ich habe mich damit begnügt, die Manuskripte so wörtlich wie möglich wiederzugeben, am Stil nur das zu ändern, was Marx selbst geändert haben würde, und nur da erläuternde Zwischensätze und Übergänge einzuschieben, wo dies absolut nötig und der Sinn obendrein ganz unzweifelhaft war. Sätze, deren Deutung nur im entferntesten Zweifel zuließ, sind lieber ganz wörtlich abgedruckt worden. Die von mir herrührenden Umarbeitungen und Einschiebungen betragen im ganzen noch keine zehn Druckseiten und sind nur formeller Natur.
Die bloße Aufzählung des von Marx hinterlaßnen handschriftlichen Materials zu Buch II beweist, mit welcher Gewissenhaftigkeit ohnegleichen, mit welcher strengen Selbstkritik er seine großen ökonomischen Entdeckungen bis zur äußersten Vollendung auszuarbeiten strebte, ehe er sie veröffentlichte; eine Selbstkritik, die ihn nur selten dazu kommen ließ, die Darstellung nach Inhalt und Form seinem stets durch neue Studien sich erweiternden Gesichtskreis anzupassen. Dies Material besteht nun aus folgendem.
Zuerst ein Manuskript "Zur Kritik der politischen Oekonomie", 1.472 Quartseiten in 23 Heften, geschrieben August 1861 bis Juni 1863. Es ist die Fortsetzung des 1859 in Berlin erschienenen ersten Hefts <Siehe Band 13, S. 3 - 160> desselben Titels. Es behandelt auf Seite 1 - 220 (Heft I - V) und dann wieder auf Seite 1159 - 1472 (Heft XIX - XXIII) die in Buch I des "Kapital" untersuchten Themata, von der Verwandlung von Geld in Kapital bis zum Schluß, und ist die erste vorhandne Redaktion dafür. Die Seiten 973 - 1158 (Heft XVI bis XVIII) handeln von: Kapital und Profit, Profitrate, Kaufmannskapital und Geldkapital, also von Thematen, die später im Manuskript zu Buch III entwickelt sind. Die in Buch II sowie sehr viele später in Buch III behandelten Themata sind dagegen noch nicht besonders zusammengestellt. Sie werden nebenbei behandelt, namentlich in dem Abschnitt, der den Hauptkörper des Manuskripts ausmacht: Seite 220 - 972 (Heft VI - XV): Theorien über den Mehrwert. Dieser Abschnitt enthält eine ausführliche kritische Geschichte des Kernpunkts der politischen Ökonomie, der Mehrwertstheorie und entwickelt daneben, in polemischem Gegensatz zu den Vorgängern, die meisten der später im Manuskript zu Buch II und III besonders und in logischem Zusammenhang untersuchten Punkte. Ich behalte mir vor, den kritischen Teil dieses Manuskripts, nach Beseitigung der zahlreichen durch Buch II und III bereits erledigten Stellen, als Buch IV des "Kapitals" zu veröffentlichen.[1] So wertvoll dies Manuskript, so wenig war es für die gegenwärtige Ausgabe des Buch II zu benutzen.
Das dem Datum nach jetzt folgende Manuskript ist das von Buch III. Es ist wenigstens größtenteils 1864 und 1865 geschrieben. Erst nachdem dies im wesentlichen fertig, ging Marx an die Ausarbeitung von Buch I, des 1867 gedruckten ersten Bandes. Dies Manuskript von Buch III bearbeite ich jetzt für den Druck.
Aus der nächsten Periode - nach Erscheinen des Buch I - liegt vor für Buch II eine Sammlung von vier Manuskripten in Folio, von Marx selbst I - IV numeriert. Davon ist Manuskript I (150 Seiten), vermutlich von 1865
oder 1867 datierend, die erste selbständige, aber mehr oder weniger fragmentarische Bearbeitung von Buch II in seiner gegenwärtigen Einteilung. Auch hiervon war nichts benutzbar. Manuskript III besteht teils aus einer Zusammenstellung von Zitaten und Hinweisen auf Marx' Auszugshefte - meist auf den ersten Abschnitt des Buch II bezüglich - teils aus Bearbeitungen einzelner Punkte, namentlich der Kritik der A. Smithschen Sätze über fixes und zirkulierendes Kapital und über die Quelle des Profits; ferner eine Darstellung des Verhältnisses der Mehrwertsrate zur Profitrate, die in Buch III gehört. Die Hinweise lieferten wenig neue Ausbeute, die Ausarbeitungen waren sowohl für Buch II wie Buch III durch spätere Redaktionen überholt, mußten also auch meist beiseite gelegt werden. - Manuskript IV ist eine druckfertige Bearbeitung des ersten, und der ersten Kapitel des zweiten Abschnitts von Buch II, und ist da, wo es an die Reihe kommt, auch benutzt worden. Obwohl sich herausstellte, daß es früher abgefaßt ist als Manuskript II, so konnte es doch, weil vollendeter in der Form, für den betreffenden Teil des Buchs mit Vorteil benutzt werden; es genügte, aus Manuskript II einige Zusätze zu machen. - Dies letztre Manuskript ist die einzige einigermaßen fertig vorliegende Bearbeitung des Buch II und datiert von 1870. Die gleich zu erwähnenden Notizen für die schließliche Redaktion sagen ausdrücklich: "Die zweite Bearbeitung muß zugrunde gelegt werden."
Nach 1870 trat wieder eine Pause ein, bedingt hauptsächlich durch Krankheitszustände. Wie gewöhnlich füllte Marx diese Zeit durch Studien aus; Agronomie, amerikanische und namentlich russische ländliche Verhältnisse, Geldmarkt und Bankwesen, endlich Naturwissenschaften: Geologie und Physiologie, und namentlich selbständige mathematische Arbeiten, bilden den Inhalt der zahlreichen Auszugshefte aus dieser Zeit. Anfang 1877 fühlte er sich soweit hergestellt, daß er wieder an seine eigentliche Arbeit gehn konnte. Von Ende März 1877 datieren Hinweise und Notizen aus obigen vier Manuskripten als Grundlage einer Neubearbeitung von Buch II, deren Anfang in Manuskript V (56 Seiten Folio) vorliegt. Es umfaßt die ersten vier Kapitel und ist noch wenig ausgearbeitet, wesentliche Punkte werden in Noten unter dem Text behandelt; der Stoff ist mehr gesammelt als gesichtet, aber es ist die letzte vollständige Darstellung dieses wichtigsten Teils des ersten Abschnitts. - Ein erster Versuch, hieraus ein druckfertiges Manuskript zu machen, liegt vor in Manuskript VI (nach Oktober 1877 und vor Juli 1878); nur 17 Quartseiten, den größten Teil des ersten Kapitels umfassend, ein zweiter - der letzte - in Manuskript VII, "2. Juli 1878", nur 7 Folioseiten.
Um diese Zeit scheint Marx sich darüber klar geworden zu sein, daß ohne eine vollständige Revolution seines Gesundheitszustandes er nie dahin kommen werde, eine ihm selbst genügende Bearbeitung des zweiten und dritten Buchs zu vollenden. In der Tat tragen die Manuskripte V - VIII die Spuren gewaltsamen Ankampfs gegen niederdrückende Krankheitszustände nur zu oft an sich. Das schwierigste Stück des ersten Abschnitts war in Manuskript V neu bearbeitet; der Rest des ersten und der ganze zweite Abschnitt (mit Ausnahme des siebzehnten Kapitels) boten keine bedeutenden theoretischen Schwierigkeiten; der dritte Abschnitt dagegen, die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Kapitals, schien ihm einer Umarbeitung dringend bedürftig. In Manuskript II war nämlich die Reproduktion behandelt zuerst ohne Berücksichtigung der sie vermittelnden Geldzirkulation und sodann nochmals mit Rücksicht auf diese. Dies sollte beseitigt und der ganze Abschnitt überhaupt so umgearbeitet werden, daß er dem erweiterten Gesichtskreis des Verfassers entsprach. So entstand Manuskript VIII, ein Heft von nur 70 Quartseiten; was Marx aber auf diesen Raum zusammenzudrängen verstand, beweist die Vergleichung von Abschnitt III im Druck, nach Abzug der aus Manuskript II eingeschobnen Stücke.
Auch dies Manuskript ist nur eine vorläufige Behandlung des Gegenstands, bei der es vor allem darauf ankam, die gewonnenen neuen Gesichtspunkte gegenüber Manuskript II festzustellen und zu entwickeln, unter Vernachlässigung der Punkte, über die nichts Neues zu sagen war. Auch ein wesentliches Stück von Kapitel XVII des zweiten Abschnitts, das ohnehin einigermaßen in den dritten Abschnitt übergreift, wird wieder hineingezogen und erweitert. Die logische Folge wird öfters unterbrochen, die Behandlung ist stellenweise lückenhaft und namentlich am Schluß ganz fragmentarisch. Aber was Marx sagen wollte, ist in dieser oder jener Weise darin gesagt.
Das ist das Material zu Buch II, woraus, nach einer Äußerung von Marx zu seiner Tochter Eleanor kurz vor seinem Tode, ich etwas machen sollte. Ich habe diesen Auftrag in seinen engsten Grenzen genommen; wo irgend möglich, habe ich meine Tätigkeit auf bloße Auswahl zwischen den verschiednen Redaktionen beschränkt. Und zwar so, daß stets die letzte vorhandne Redaktion unter Vergleichung der frühern zugrunde gelegt wurde. Wirkliche, d.h. andre als bloß technische Schwierigkeiten boten dabei nur der erste und dritte Abschnitt, diese aber auch nicht geringe. Ich habe sie zu lösen gesucht ausschließlich im Geist des Verfassers.
Die Zitate im Text habe ich meist übersetzt bei Belegen für Tatsachen oder wo, wie bei Stellen aus A. Smith. das Original jedem zu Gebot steht,
der der Sache auf den Grund kommen will. Nur in Kapitel X war dies nicht möglich, weil hier direkt der englische Text kritisiert wird. - Die Zitate aus Buch I tragen die Seitenzahlen der zweiten Auflage, der letzten, die Marx noch erlebt hat.
Für das Buch III liegt außer der ersten Bearbeitung im Manuskript: "Zur Kritik", den erwähnten Stücken in Manuskript III und einigen, in Auszugsheften gelegentlich eingesprengten kurzen Noten, nur vor: das erwähnte Manuskript in Folio von 1864 - 1865, ausgearbeitet in ungefähr derselben Vollständigkeit wie Manuskript II von Buch II, und endlich ein Heft von 1875: Das Verhältnis der Mehrwertsrate zur Profitrate, mathematisch (in Gleichungen) entwickelt. Die Fertigstellung dieses Buchs für den Druck schreitet rasch voran. Soweit ich bis jetzt beurteilen kann, wird sie hauptsächlich nur technische Schwierigkeiten machen, mit Ausnahme freilich einiger sehr wichtigen Abschnitte.
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Es ist hier der Ort, eine Anklage gegen Marx zurückzuweisen, die, erst nur leise und vereinzelt erhoben, jetzt, nach seinem Tod, von deutschen Katheder- und Staatssozialisten[2] und deren Anhang als ausgemachte Tatsache verkündet wird - die Anklage, als habe Marx ein Plagiat an Rodbertus begangen. Ich habe bereits an andrer Stelle das Dringendste darüber gesagt (1), kann aber erst hier die entscheidenden Belege beibringen.
Diese Anklage findet sich meines Wissens zuerst in R. Meyers "Emancipationskampf des vierten Standes", S. 43:
"Aus diesen Publikationen" (den bis in die letzte Hälfte der dreißiger Jahre zurückdatierenden von Rodlertus) "hat nachweisbar Marx den größten Teil seiner Kritik geschöpft."
Ich darf bis auf weitern Nachweis wohl annehmen, daß die ganze "Nachweisbarkeit" dieser Behauptung darin besteht, daß Rodbertus dies Herrn Meyer versichert hat. - 1879 tritt Rodbertus selbst auf die Bühne, und schreibt an J. Zeller (Tübinger "Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft"[3] 1879, S. 219) mit Beziehung auf seine Schrift: "Zur Erkenntniß unsrer staatswirthschaftlichen Zustände" (1842), wie folgt:
(1) In der Vorrede zu: "Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons Philosophie des Elends", von Karl Marx. Deutsch von E. Bernstein und K. Kautsky. Stuttgart 1885. <Siehe Band 4, S. 558-569>
"Sie werden finden, daß derselbe" {der darin entwickelte Gedankengang} "schon ganz hübsch von Marx ... benutzt worden ist, freilich ohne mich zu zitieren."
Was ihm denn auch sein posthumer Herausgeber Th. Kozak ohne weiteres nachplappert. ("Das Kapital" von Rodbertus. Berlin 1884. Einleitung, S. XV.) - Endlich, in den von R. Meyer 1881 herausgegebnen "Briefen und socialpolitischen Aufsätzen von Dr. Rodbertus-Jagetzow", sagt Rodbertus geradezu:
"heute finde ich mich von Schäffle und Man geplündert, ohne daß ich genannt werde". (Brief Nr. 60, S. 134.)
Und an einer andern Stelle nimmt Rodbertus' Anspruch bestimmtere Gestalt an:
"Woraus der Mehrwert des Kapitalisten entspringt, habe ich in meinem 3. sozialen Brief im wesentlichen ebenso wie Marx, nur kürzer und klarer gezeigt." (Brief Nr. 48, S. 111.)
Von allen diesen Anklagen auf Plagiat hatte Marx nie etwas erfahren. In seinem Exemplar des "Emancipationskampfs" war nur der die Internationale betreffende Teil aufgeschnitten, das Aufschneiden des übrigen habe ich selbst erst nach seinem Tode besorgt. Die Tübinger Zeitschrift sah er nie an. Die "Briefe etc." an R. Meyer blieben ihm ebenfalls unbekannt, und bin ich auf die Stelle von wegen der "Plünderung" erst 1884 durch die Güte des Herrn Dr. Meyer selbst aufmerksam gemacht worden. Dagegen den Brief Nr. 48 kannte Marx; Herr Meyer hatte die Gefälligkeit gehabt, das Original der jüngsten Tochter von Marx zu schenken. Marx, dem allerdings einiges geheimnisvolle Gemunkel über die bei Rodbertus zu suchende geheime Quelle seiner Kritik zu Ohren gekommen war, zeigte ihn mir mit der Bemerkung: Hier habe er endlich authentische Auskunft darüber, was Rodbertus selbst beanspruche; wenn er weiter nichts behaupte, so könne dies ihm, Marx, schon recht sein; und daß Rodbertus seine eigne Darstellung für die kürzre und klarere halte, dies Vergnügen könne er ihm auch lassen. In der Tat hielt er durch diesen Brief von Rodbertus die ganze Sache für erledigt.
Er konnte dies um so eher, als ihm, wie ich positiv weiß, die ganze literarische Tätigkeit von Rodbertus unbekannt geblieben war bis gegen 1859, wo seine eigne Kritik der politischen Ökonomie nicht nur in den Grundzügen, sondern auch in den wichtigsten Einzelheiten fertig war. Er begann seine ökonomischen Studien 1843 in Paris mit den großen Engländern und Franzosen; von den Deutschen kannte er nur Rau und List und hatte genug an ihnen. Weder Marx noch ich erfuhren von der Existenz von Rod-
bertus ein Wort, bis wir 1848 in der "Neuen Rheinischen Zeitung" seine Reden als Berliner Abgeordneter und seine Handlungen als Minister zu kritisieren hatten. Wir waren so unwissend, daß wir die rheinischen Abgeordneten befrugen, wer denn dieser Rodbertus sei, der so plötzlich Minister geworden. Aber auch diese wußten nichts von den ökonomischen Schriften Rodbertus' zu verraten. Daß dagegen Marx, auch ohne Rodbertus' Hilfe, schon damals sehr gut wußte, nicht nur woher, sondern auch wie "der Mehrwert des Kapitalisten entspringt", beweisen die "Misère de la Philosophie", 1847 <Siehe Band 4, S. 63 - 182>und die 1847 in Brüssel gehaltnen und 1849 in der "Neuen Rheinischen Zeitung", Nr. 264 - 269 <Siehe Band 6, S. 397 - 423>, veröffentlichten Vorträge über Lohnarbeit und Kapital. Erst durch Lassalle erfuhr Marx gegen 1859, daß es auch einen Ökonomen Rodbertus gebe, und fand dann dessen "dritten sozialen Brief" auf dem Britischen Museum.
Dies der tatsächliche Zusammenhang. Wie steht es nun mit dem Inhalt, um den Marx den Rodbertus "geplündert" haben soll?
"Woraus der Mehrwert des Kapitalisten entspringt", sagt Rodbertus, "habe ich in meinem 3. sozialen Brief ebenso wie Marx, nur kürzer und klarer gezeigt."
Also das ist der Kernpunkt: die Mehrwertstheorie; und es ist in der Tat nicht zu sagen, was sonst Rodbertus bei Marx als sein Eigentum allenfalls reklamieren könnte. Rodbertus erklärt sich hier also für den wirklichen Urheber der Mehrwertstheorie, die Marx ihm geplündert habe.
Und was sagt uns der 3. soziale Brief[4] über die Entstehung des Mehrwerts? Einfach, daß die "Rente", wie er Bodenrente und Profit zusammenfaßt, nicht aus einem "Wertzuschlag" auf den Wert der Ware entstehe, sondern
"infolge eines Wertabzugs, den der Arbeitslohn erleidet, mit andren Worten: weil der Arbeitslohn nur einen Teil des Werts des Produkts beträgt",
und bei hinreichender Produktivität der Arbeit
"nicht äqual dem natürlichen Tauschwert ihres Produkts zu sein braucht, damit von diesem noch zu Kapitalersatz (!) und Rente übrig bleibt".
Wobei uns nicht gesagt wird, was das für ein "natürlicher Tauschwert" des Produkts ist, bei dem zu "Kapitalersatz", also doch wohl Ersatz des Rohstoffs und des Verschleißes der Werkzeuge nichts übrig bleibt.
Glücklicherweise ist uns vergönnt zu konstatieren, welchen Eindruck diese epochemachende Entdeckung Rodbertus' auf Marx machte. Im
Manuskript: "Zur Kritik etc." findet sich in Heft X, S. 445ff. <Siehe Band 26, 2. Teil, S. 78> eine "Abschweifung. Herr Rodbertus. Eine neue Grundrententheorie". Nur unter diesem Gesichtspunkt wird hier der dritte soziale Brief betrachtet. Die Rodbertussche Mehrwertstheorie im allgemeinen wird erledigt mit der ironischen Bemerkung: "Herr Rodbertus untersucht erst, wie es in einem Lande aussieht, wo Grund- und Kapitalbesitz nicht geschieden sind, und kommt dann zum wichtigen Resultat, daß die Rente (worunter er den ganzen Mehrwert versteht) bloß gleich der unbezahlten Arbeit oder dem Quantum von Produkten ist, worin sie sich darstellt."
Die kapitalistische Menschheit hat nun schon verschiedliche Jahrhunderte lang Mehrwert produziert und ist allmählich auch dahin gekommen, sich über dessen Entstehung Gedanken zu machen. Die erste Ansicht war die aus der unmittelbaren kaufmännischen Praxis entspringende: der Mehrwert entstehe aus einem Aufschlag auf den Wert des Produkts. Sie herrschte unter den Merkantilisten, aber schon James Steuart sah ein, daß dabei, was der eine gewinnt, der andre notwendig verlieren muß. Trotzdem spukt diese Ansicht noch lange fort, namentlich unter Sozialisten; aus der klassischen Wissenschaft wird sie aber verdrängt durch A. Smith.
Bei ihm heißt es, "Wealth of Nations", b. I, ch. VI:
"Sobald Kapital (stock) sich angehäuft hat in den Händen einzelner, werden einige darunter es natürlicherweise anwenden, um fleißige Leute an die Arbeit zu setzen und diesen Rohstoffe und Lebensmittel zu liefern, um durch den Verkauf der Produkte ihrer Arbeit, oder durch das was ihre Arbeit dem Wert jener Rohstoffe hinzugefügt hat, einen Profit zu machen ... Der Wert, den die Arbeiter den Rohstoffen zusetzen, löst sich hier in zwei Teile auf, wovon der eine ihren Lohn zahlt, der andre den Profit des Beschäftigers auf den ganzen von ihm vorgeschoßnen Betrag von Rohstoffen und Arbeitslöhnen."
Und etwas weiter:
"Sobald der Boden eines Landes durchweg Privateigentum geworden, lieben es die Grundbesitzer wie andre Leute auch, zu ernten, wo sie nicht gesäet, und fordern Bodenrente selbst für die natürlichen Erzeugnisse des Bodens ... Der Arbeiter ... muß dem Grundbesitzer einen Anteil von dem abtreten, was seine Arbeit gesammelt oder produziert hat. Dieser Anteil, oder was dasselbe, der Preis dieses Anteils, macht die Bodenrente aus."
Zu dieser Stelle bemerkt Marx in dem erwähnten Manuskript: "Zur Kritik etc.", S. 253 <Siehe Band 26, 1. Teil, S 48>: "A. Smith faßt also den Mehrwert, nämlich die Surplusarbeit, den Überschuß der verrichteten und in der Ware vergegen-
ständlichten Arbeit über die bezahlte Arbeit hinaus, also über die Arbeit hinaus, die ihr Äquivalent im Lohn erhalten hat, als die allgemeine Kategorie auf, wovon der eigentliche Profit und die Grundrente nur Abzweigungen."
Ferner sagt A. Smith, b. I, ch. VIII:
"Sobald der Boden Privateigentum geworden, verlangt der Grundbesitzer einen Anteil fast aller Produkte, die der Arbeiter darauf erzeugen oder einsammeln kann. Seine Bodenrente macht den ersten Abzug vom Produkt der auf den Boden verwandten Arbeit aus. Aber der Bebauer des Bodens hat selten die Mittel, sich bis zur Einbringung der Ernte zu erhalten. Sein Unterhalt wird ihm gewöhnlich vorgeschossen aus dem Kapital (stock) eines Beschäftigers, des Pächters, der kein Interesse hätte ihn zu beschäftigen, wenn er nicht das Produkt seiner Arbeit mit ihm teilte, oder sein Kapital ihm ersetzt würde samt einem Profit. Dieser Profit macht einen zweiten Abzug von der auf den Boden verwandten Arbeit. Das Produkt fast aller Arbeit ist demselben Abzug für Profit unterworfen. In allen Industrien bedürfen die meisten Arbeiter eines Beschäftigers, um ihnen bis zur Vollendung der Arbeit Rohstoff und Arbeitslohn und Unterhalt vorzuschießen. Dieser Beschäftiger teilt mit ihnen das Produkt ihrer Arbeit, oder den Wert, den diese den verarbeiteten Rohstoffen zufügt, und in diesem Anteil besteht sein Profit."
Marx hierzu (Manuskript, S. 256 <Siehe Band 26, 1. Teil, S. 50/51>): "Hier also bezeichnet A. Smith in dürren Worten Grundrente und Profit des Kapitals als bloße Abzüge von dem Produkt des Arbeiters oder von dem Wert seines Produkts, gleich der von ihm dem Rohstoff zugefügten Arbeit. Dieser Abzug kann aber, wie A. Smith früher selbst auseinandergesetzt, nur bestehn aus dem Teil der Arbeit, den der Arbeiter den Stoffen zusetzt über das Arbeitsquantum hinaus, welches nur seinen Lohn zahlt oder nur ein Äquivalent für seinen Lohn liefert - also aus der Surplusarbeit, aus dem unbezahlten Teil seiner Arbeit."
"Woraus der Mehrwert des Kapitalisten entspringt" und obendrein der des Grundeigentümers, hat also schon A. Smith gewußt; Marx erkennt dies schon 1861 aufrichtig an, während Rodbertus und der Schwarm seiner unter dem warmen Sommerregen des Staatssozialismus wie Pilze emporschießenden Verehrer es total vergessen zu haben scheint.
"Dennoch", fährt Marx fort, "hat Smith den Mehrwert als solchen nicht als eigne Kategorie geschieden von den besondren Formen, die er im Profit und Grundrente erhält. Daher bei ihm, wie noch mehr bei Ricardo, viel Irrtum und Mangelhaftigkeit in der Untersuchung." <Siehe Band 26, 1. Teil, S. 48> - Dieser Satz paßt wörtlich auf Rodbertus. Seine "Rente" ist einfach die Summe von Bodenrente + Profit; von der Bodenrente macht er sich eine total falsche
Theorie, den Profit nimmt er unbesehn wie er ihn bei seinen Vorgängern findet. - Marx' Mehrwert dagegen ist die allgemeine Form der ohne Äquivalent von den Eignern der Produktionsmittel angeeigneten Wertsumme, die sich nach ganz eigentümlichen, erst von Marx entdeckten Gesetzen in die besondren, verwandelten Formen von Profit und Bodenrente spaltet. Diese Gesetze werden entwickelt in Buch III, wo sich erst zeigen wird, wie viele Mittelglieder nötig sind, um vom Verständnis des Mehrwerts im allgemeinen zum Verständnis seiner Verwandlung in Profit und Grundrente, also zum Verständnis der Gesetze der Verteilung des Mehrwerts innerhalb der Kapitalistenklasse zu kommen.
Ricardo geht schon bedeutend weiter als A. Smith. Er begründet seine Auffassung des Mehrwerts auf eine neue, bei A. Smith zwar schon im Keim vorhandne, aber in der Ausführung fast immer wieder vergeßne Werttheorie, die der Ausgangspunkt aller nachfolgenden ökonomischen Wissenschaft geworden. Aus der Bestimmung des Warenwerts durch die in den Waren realisierte Arbeitsmenge leitet er die Verteilung des den Rohstoffen durch die Arbeit zugesetzten Wertquantums unter Arbeiter und Kapitalisten ab, ihre Spaltung in Arbeitslohn und Profit (d.h. hier Mehrwert). Er weist nach, daß der Wert der Waren derselbe bleibt, wie auch das Verhältnis dieser beiden Teile wechsle, ein Gesetz, bei dem er nur einzelne Ausnahmsfälle zugibt. Er stellt sogar einige Hauptgesetze über das wechselseitige Verhältnis von Arbeitslohn und Mehrwert (in der Form von Profit gefaßt), wenn auch in zu allgemeiner Fassung fest (Marx, "Kapital" I, Kap. XV, A <Siehe Band 23, S. 543 - 547>) und weist die Grundrente als einen unter bestimmten Umständen abfallenden Überschuß über den Profit nach. - In keinem dieser Punkte ist Rodbertus über Ricardo hinausgegangen. Die innern Widersprüche der Ricardoschen Theorie, an denen seine Schule zugrunde ging, blieben ihm entweder ganz unbekannt oder verleiteten ihn nur ("Zur Erkenntniß etc.", S. 130) zu utopistischen Forderungen statt zu ökonomischen Lösungen.
Die Ricardosche Lehre vom Wert und Mehrwert brauchte aber nicht auf Rodbertus' "Zur Erkenntniß etc." zu warten, um sozialistisch ausgebeutet zu werden. Auf S. 609 des ersten Bandes "Kapital" (2. Aufl.) <Siehe Band 23, S. 614> findet sich zitiert: "The possessors of surplus produce or capital" <"Die Besitzer des Mehrprodukts oder Kapitals">, aus einer Schrift: "The Source and Remedy of the National Difficulties. A Letter to Lord John Russell", London 1821. In dieser Schrift, auf deren
Bedeutung schon der eine Ausdruck: surplus produce or capital hätte aufmerksam machen müssen, und die ein von Marx aus seiner Verschollenheit gerißnes Pamphlet von 40 Seiten ist, heißt es:
"Was auch dem Kapitalisten zukommen möge" {vom Standpunkt des Kapitalisten aus} "er kann immer nur die Mehrarbeit (surplus labour) des Arbeiters aneignen, denn der Arbeiter muß leben." (p. 23.)
Wie aber der Arbeiter lebt und wie groß daher die vom Kapitalisten angeeignete Mehrarbeit sein kann, ist sehr relativ.
"Wenn das Kapital nicht an Wert abnimmt im Verhältnis wie es an Masse zunimmt, so wird der Kapitalist dem Arbeiter das Produkt jeder Arbeitsstunde abpressen über das Minimum hinaus, wovon der Arbeiter leben kann ... der Kapitalist kann schließlich dem Arbeiter sagen: du sollst kein Brot essen, denn man kann von Runkelrüben und Kartoffeln leben; und dahin sind wir gekommen." (p. 23, 24.) "Wenn der Arbeiter dahin gebracht werden kann, sich von Kartoffeln zu nähren, statt von Brot, so ist es unbestreitbar richtig, daß mehr aus seiner Arbeit herausgeschlagen werden kann; d.h. wenn, um von Brot zu leben, er genötigt war, für seine Erhaltung und die seiner Familie die Arbeit des Montags und Dienstags für sich zu behalten, so wird er bei Kartoffelnahrung nur die Hälfte des Montags für sich erhalten; und die andre Hälfte des Montags und der ganze Dienstag werden freigesetzt entweder für den Nutzen des Staats oder für den Kapitalisten." (p. 26.) "Man bestreitet nicht (it is admitted), daß die den Kapitalisten bezahlten Interessen, sei es in der Gestalt von Rente, Geldzins oder Geschäftsprofit, bezahlt werden aus der Arbeit anderer." (p. 23.)
Hier also ganz Rodbertus' "Rente", nur daß statt "Rente": Interessen gesagt wird.
Marx bemerkt hierzu (Manuskript "Zur Kritik", S. 852 <Siehe Band 26, 3. Teil, S. 236/237>): "Dies kaum bekannte Pamphlet - erschienen zu der Zeit, wo der 'unglaubliche Schuhflicker' MacCulloch[5] anfing, von sich reden zu machen - enthält einen wesentlichen Fortschritt über Ricardo hinaus. Es bezeichnet direkt den Mehrwert oder 'Profit', wie Ricardo es nennt (oft auch Mehrprodukt, surplus produce) oder interest <Zins>, wie der Verfasser des Pamphlets es heißt, als surplus labour, Mehrarbeit, die Arbeit, die der Arbeiter gratis verrichtet, die er verrichtet über das Quantum Arbeit hinaus, wodurch der Wert seiner Arbeitskraft ersetzt, also ein Äquivalent für seinen Lohn produziert wird. Ganz so wichtig wie es war, den Wert in Arbeit aufzulösen, ganz so wichtig war es, den Mehrwert (surplus value), der sich in einem Mehrprodukt (surplus produce) darstellt, in Mehrarbeit (surplus labour). Dies ist in der Tat bei A. Smith schon gesagt, und bildet ein Hauptmoment in
Ricardos Entwicklung. Aber es ist bei ihnen nirgends in der absoluten Form herausgesagt und fixiert." Es heißt dann weiter, S. 859 <Siehe Band 26, 3. Teil, S. 252/253> des Manuskripts: "Im übrigen ist der Verfasser in den ökonomischen Kategorien befangen, wie er sie vorfindet. Ganz wie bei Ricardo das Verwechseln von Mehrwert und Profit zu unangenehmen Widersprüchen führt, so bei ihm, daß er Mehrwert Kapitalinteressen tauft. Zwar steht er darin über Ricardo, daß er erstens allen Mehrwert auf Mehrarbeit reduziert und, wenn er den Mehrwert Kapitalinteressen nennt, zugleich hervorhebt, daß er unter interest of capital die allgemeine Form der Mehrarbeit versteht, im Unterschied von ihren besondern Formen, Rente, Geldzins und Geschäftsprofit. Aber er nimmt den Namen einer dieser besondern Formen, interest, wieder als den der allgemeinen Form. Und dies reicht hin, damit er wieder in das ökonomische Kauderwelsch" (slang steht im Manuskript) "zurückfällt."
Dieser letztere Passus sitzt unserm Rodbertus wie angegossen. Auch er ist befangen in den ökonomischen Kategorien, wie er sie vorfindet. Auch er tauft den Mehrwert mit dem Namen einer seiner verwandelten Unterformen, den er noch dazu ganz unbestimmt macht: Rente. Das Ergebnis dieser beiden Böcke ist, daß er wieder in das ökonomische Kauderwelsch verfällt, seinen Fortschritt über Ricardo hinaus nicht weiter kritisch verfolgt, und statt dessen sich verleiten läßt, seine unfertige Theorie, ehe sie noch die Eierschalen losgeworden, zur Grundlage einer Utopie zu machen, mit der er wie überall zu spät kommt. Das Pamphlet erschien 1821 und antizipiert die Rodbertussche "Rente" von 1842 bereits vollständig.
Unser Pamphlet ist nur der äußerste Vorposten einer ganzen Literatur, die in den zwanziger Jahren die Ricardosche Wert- und Mehrwerttheorie im Interesse des Proletariats gegen die kapitalistische Produktion kehrt, die Bourgeoisie mit ihren eignen Waffen bekämpft. Der ganze Owensche Kommunismus, soweit er ökonomisch-polemisch auftritt, stützt sich auf Ricardo. Neben ihm aber noch eine ganze Reihe von Schriftstellern, von denen Marx schon 1847 nur einige gegen Proudhon ("Misère de la Philosophie", p. 92 <Siehe Band 4, S, 98>) anführt: Edmonds, Thompson, Hodgskin etc., etc., "und noch vier Seiten Etcetera". Ich greife aus dieser Unzahl von Schriften nur aufs Geratewohl eine heraus: "An Inquiry into the Principles of the Distribution of Wealth, most conducive to Human Happiness", by William Thompson; a new edition, London 1850. Diese 1822 verfaßte Schrift erschien zuerst 1824. Auch hier wird der von den nichtproduzierenden Klassen angeeignete
Reichtum überall als Abzug vom Produkt des Arbeiters bezeichnet, und das in ziemlich starken Ausdrücken.
"Das beständige Streben dessen, was wir Gesellschaft nennen, bestand darin, durch Betrug oder Berechnung, durch Schrecken oder Zwang, den produktiven Arbeiter zu bewegen, die Arbeit zu verrichten für den möglichst kleinen Teil des Produkts seiner eignen Arbeit." (p. 28.) "Warum soll der Arbeiter nicht das ganze absolute Produkt seiner Arbeit erhalten?" (p. 32.) "Diese Kompensation, die die Kapitalisten dem produktiven Arbeiter abnötigen unter dem Namen Bodenrente oder Profit, wird beansprucht für den Gebrauch des Bodens oder andrer Gegenstände ... Da alle physischen Stoffe, an denen oder vermittelst derer der besitzlose produktive Arbeiter, der nichts besitzt, außer seiner Fähigkeit zu produzieren, diese seine Produktionsfähigkeit geltend machen kann, im Besitz andrer sind, deren Interessen den seinen entgegengesetzt, und deren Einwilligung eine Vorbedingung seiner Tätigkeit ist -, hängt es da nicht ab, und muß es nicht abhängen von der Gnade dieser Kapitalisten, welchen Teil der Früchte seiner eignen Arbeit sie ihm als Entschädigung für diese Arbeit wollen zukommen lassen?" (p. 125) "... im Verhältnis zur Größe des zurückbehaltenen Produkts, ob man dies Steuern, Profit oder Diebstahl nenne ... diese Defalkationen" (p. 126) usw.
Ich gestehe, ich schreibe diese Zeilen nicht ohne eine gewisse Beschämung. Daß die antikapitalistische englische Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre in Deutschland so gänzlich unbekannt ist, trotzdem Marx schon in der "Misère de la Philosophie" direkt darauf hingewiesen und manches davon - das Pamphlet von 1821, Ravenstone, Hodgskin etc. - im ersten Band des "Kapital" mehrfach zitiert, das mag noch hingehn. Aber daß nicht nur der sich an Rodbertus' Rockschöße mit Verzweiflung anklammernde Literatus vulgaris <vulgäre Schriftsteller (R. Meyer)>, "der wirklich auch nichts gelernt hat", sondern auch der Professor in Amt und Würden <A. Wagner>, der "sich mit Gelehrsamkeit brüsten tut", seine klassische Ökonomie bis zu dem Grad vergessen hat, daß er Marx ernsthaft vorwirft, er habe Rodbertus Dinge entwendet, die schon in A. Smith und Ricardo zu lesen stehn - das beweist, wie tief die offizielle Ökonomie heute heruntergekommen ist.
Was hat dann aber Marx über den Mehrwert Neues gesagt? Wie kommt es, daß Marx' Mehrwertstheorie wie ein Blitz aus heitrem Himmel eingeschlagen hat, und das in allen zivilisierten Ländern, während die Theorien aller seiner sozialistischen Vorgänger, Rodbertus eingeschlossen, wirkungslos verpufften?
Die Geschichte der Chemie kann uns das an einem Beispiel zeigen.
Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts herrschte bekanntlich die phlogistische Theorie, wonach das Wesen jeder Verbrennung darin bestand,
daß sich von dem verbrennenden Körper ein andrer, hypothetischer Körper trenne, ein absoluter Brennstoff, der mit dem Namen Phlogiston bezeichnet wurde. Diese Theorie reichte hin, die meisten damals bekannten chemischen Erscheinungen zu erklären, wenn auch in manchen Fällen nicht ohne Anwendung von Gewalt. Nun stellte 1774 Priestley eine Luftart dar,
"die er so rein oder so frei von Phlogiston fand, daß gewöhnliche Luft im Vergleich damit schon verdorben erschien".
Er nannte sie: dephlogistisierte Luft. Kurz nachher stellte Scheele in Schweden dieselbe Luftart dar und wies deren Vorhandensein in der Atmosphäre nach. Er fand auch, daß sie verschwindet, wenn man einen Körper in ihr oder in gewöhnlicher Luft verbrennt, und nannte sie daher Feuerluft.
"Aus diesen Ergebnissen zog er nun den Schluß, daß die Verbindung, welche bei der Vereinigung von Phlogiston mit einem der Bestandteile der Luft" {also bei der Verbrennung} "entstehe, nichts weiter als Feuer oder Wärme sei, welche durch das Glas entweiche." (2)
Priestley wie Scheele hatten den Sauerstoff dargestellt, wußten aber nicht, was sie unter der Hand hatten. Sie "blieben befangen in den" phlogistischen "Kategorien, wie sie sie vorfanden". Das Element, das die ganze phlogistische Anschauung umstoßen und die Chemie revolutionieren sollte, war in ihrer Hand mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Aber Priestley hatte seine Entdeckung gleich darauf in Paris Lavoisier mitgeteilt, und Lavoisier untersuchte nun, an der Hand dieser neuen Tatsache, die ganze phlogistische Chemie, entdeckte erst, daß die neue Luftart ein neues chemisches Element war, daß in der Verbrennung nicht das geheimnisvolle Phlogiston aus dem verbrennenden Körper weggeht, sondern dies neue Element sich mit dem Körper verbindet, und stellte so die ganze Chemie, die in ihrer phlogistischen Form auf dem Kopf gestanden, erst auf die Füße. Und wenn er auch nicht, wie er später behauptet, den Sauerstoff gleichzeitig mit den andern und unabhängig von ihnen dargestellt hat, so bleibt er dennoch der eigentliche Entdecker des Sauerstoffs gegenüber den beiden, die ihn bloß dargestellt haben, ohne auch nur zu ahnen, was sie dargestellt hatten.
Wie Lavoisier zu Priestley und Scheele, so verhält sich Marx zu seinen Vorgängern in der Mehrwertstheorie. Die Existenz des Produktenwertteils,
(2) Roscoe-Schorlemmer, "Ausführliches Lehrbuch der Chemie", Braunschweig 1877, I. p 13, 18
den wir jetzt Mehrwert nennen, war festgestellt lange vor Marx; ebenso war mit größrer oder geringrer Klarheit ausgesprochen, woraus er besteht, nämlich aus dem Produkt der Arbeit, für welche der Aneigner kein Äquivalent gezahlt hat. Weiter aber kam man nicht. Die einen - die klassischen bürgerlichen Ökonomen - untersuchten höchstens das Größenverhältnis, worin das Arbeitsprodukt verteilt wird zwischen dem Arbeiter und dem Besitzer der Produktionsmittel. Die andren - die Sozialisten - fanden diese Verteilung ungerecht und suchten nach utopistischen Mitteln, die Ungerechtigkeit zu beseitigen. Beide blieben befangen in den ökonomischen Kategorien, wie sie sie vorgefunden hatten.
Da trat Marx auf. Und zwar in direktem Gegensatz zu allen seinen Vorgängern. Wo diese eine Lösung gesehn hatten, sah er nur ein Problem. Er sah, daß hier weder dephlogistisierte Luft vorlag noch Feuerluft, sondern Sauerstoff - daß es sich hier nicht handelte, sei es um die bloße Konstatierung einer ökonomischen Tatsache, sei es um den Konflikt dieser Tatsache mit der ewigen Gerechtigkeit und der wahren Moral, sondern um eine Tatsache, die berufen war, die ganze Ökonomie umzuwälzen, und die für das Verständnis der gesamten kapitalistischen Produktion den Schlüssel bot - für den, der ihn zu gebrauchen wußte. An der Hand dieser Tatsache untersuchte er die sämtlichen vorgefundnen Kategorien, wie Lavoisier an der Hand des Sauerstoffs die vorgefundnen Kategorien der phlogistischen Chemie untersucht hatte. Um zu wissen, was der Mehrwert war, mußte er wissen, was der Wert war. Ricardos Werttheorie selbst mußte vor allem der Kritik unterworfen werden. Marx also untersuchte die Arbeit auf ihre wertbildende Qualität und stellte zum ersten Mal fest, welche Arbeit, und warum, und wie sie Wert bildet, und daß Wert überhaupt nichts ist als festgeronnene Arbeit dieser Art - ein Punkt, den Rodbertus bis zuletzt nicht begriffen hat. Marx untersuchte dann das Verhältnis von Ware und Geld und wies nach, wie und warum, kraft der ihr innewohnenden Werteigenschaft, die Ware und der Warenaustausch den Gegensatz von Ware und Geld erzeugen muß; seine hierauf gegründete Geldtheorie ist die erste erschöpfende und jetzt stillschweigend allgemein akzeptierte. Er untersuchte die Verwandlung von Geld in Kapital, und bewies, daß sie auf dem Kauf und Verkauf der Arbeitskraft beruhe. Indem er hier die Arbeitskraft, die wertschaffende Eigenschaft, an die Stelle der Arbeit setzte, löste er mit einem Schlag eine der Schwierigkeiten, an der die Ricardosche Schule zugrunde gegangen war: die Unmöglichkeit, den gegenseitigen Austausch von Kapital und Arbeit in Einklang zu bringen mit dem Ricardoschen Gesetz der Wertbestimmung durch Arbeit. Indem er die Unterscheidung des Kapitals in
konstantes und variables konstatierte, kam er erst dahin, den Prozeß der Mehrwertbildung in seinem wirklichen Hergang bis ins einzelnste darzustellen und damit zu erklären - was keiner seiner Vorgänger fertiggebracht; konstatierte er also einen Unterschied innerhalb des Kapitals selbst, mit dem Rodbertus ebensowenig wie die bürgerlichen Ökonomen im Stande waren, das geringste anzufangen, der aber den Schlüssel zur Lösung der verwickeltsten ökonomischen Probleme liefert, wovon hier wieder Buch II - und noch mehr, wie sich zeigen wird, Buch III - der schlagendste Beweis. Den Mehrwert selbst untersuchte er weiter, fand seine beiden Formen: absoluter und relativer Mehrwert, und wies die verschiedne, aber beidemal entscheidende Rolle nach, die sie in der geschichtlichen Entwicklung der kapitalistischen Produktion gespielt. Auf Grundlage des Mehrwerts entwickelte er die erste rationelle Theorie des Arbeitslohns, die wir haben, und gab zum ersten Mal die Grundzüge einer Geschichte der kapitalistischen Akkumulation und eine Darstellung ihrer geschichtlichen Tendenz.
Und Rodbertus? Nachdem er das alles gelesen, findet er darin - wie immer Tendenzökonom! einen "Einbruch in die Gesellschaft"[6], findet, daß er selbst bereits viel kürzer und klarer gesagt hat, woraus der Mehrwert entsteht, und findet endlich, daß das alles zwar auf "die heutige Kapitalform" paßt, d.h. auf das Kapital, wie es historisch besteht, nicht aber auf "den Kapitalbegriff", d.h. die utopistische Vorstellung des Herrn Rodbertus vom Kapital. Ganz der alte Priestley, der bis an sein Ende aufs Phlogiston schwor und vom Sauerstoff nichts wissen wollte. Nur daß Priestley den Sauerstoff wirklich zuerst dargestellt, während Rodbertus in seinem Mehrwert oder vielmehr seiner "Rente" nur einen Gemeinplatz wieder entdeckt hatte, und daß Marx es verschmähte, im Gegensatz zu Lavoisiers Verfahren, zu behaupten, er sei der erste, der die Tatsache der Existenz des Mehrwerts aufgedeckt.
Was Rodbertus sonst ökonomisch geleistet hat, steht auf demselben Niveau. Seine Verarbeitung des Mehrwerts in eine Utopie ist von Marx in der "Misère de la Philosophie" schon unabsichtlich mit kritisiert; was sonst noch darüber zu sagen, habe ich in der Vorrede <Siehe Band 4, S. 558/559> zur deutschen Übersetzung jener Schrift gesagt. Seine Erklärung der Handelskrisen aus der Unterkonsumtion der Arbeiterklasse findet sich bereits in Sismondis "Nouveaux Principes de l'Économie Politique", liv. IV, ch. IV.(3) Nur daß
(3) "So verengt sich also durch die Konzentration der Reichtümer in der Hand einer kleinen Anzahl von Eigentümern der innere Markt immer mehr, und die Industrie ist immer mehr gezwungen, ihre Absatzgebiete auf den fremden Märkten zu suchen, wo noch größere Umwälzungen sie erwarten (nämlich die Krise von 1817, die gleich darauf beschrieben wird). "Nouv. Princ.", ed. 1819, l.p. 336.
Sismondi dabei stets den Weltmarkt vor Augen hatte, während Rodbertus' Horizont nicht über die preußische Grenze hinausgeht. Seine Spekulationen darüber, ob der Arbeitslohn aus Kapital oder Einkommen stamme, gehören der Scholastik an und erledigen sich endgültig durch den dritten Abschnitt dieses zweiten Buchs des "Kapital". Seine Rententheorie ist sein ausschließliches Eigentum geblieben und kann fortschlummern, bis das sie kritisierende Manuskript von Marx erscheint. <Siehe Band 26, 2. Teil, S. 7 - 102> Endlich seine Vorschläge zur Emanzipation des altpreußischen Grundbesitzes vom Druck des Kapitals sind wieder durchaus utopistisch; sie vermeiden nämlich die einzige praktische Frage, um die es sich dabei handelt - die Frage: Wie kann der altpreußische Landjunker jahraus, jahrein sage 20.000 Mark einnehmen und sage 30.000 Mark ausgeben, und doch keine Schulden machen?
Die Ricardosche Schule scheiterte gegen 1830 am Mehrwert. Was sie nicht lösen konnte, blieb erst recht unlösbar für ihre Nachfolgerin, die Vulgärökonomie. Die beiden Punkte, an denen sie zugrunde ging, waren diese:
Erstens. Die Arbeit ist das Maß des Werts. Nun hat aber die lebendige Arbeit im Austausch mit dem Kapital einen geringern Wert als die vergegenständlichte Arbeit, gegen die sie ausgetauscht wird. Der Arbeitslohn, der Wert eines bestimmten Quantums lebendiger Arbeit, ist stets geringer als der Wert des Produkts, das von diesem selben Quantum lebendiger Arbeit erzeugt wird, oder worin dieses sich darstellt. Die Frage ist in dieser Fassung in der Tat unlöslich. Sie ist von Marx richtig gestellt und damit beantwortet worden. Es ist nicht die Arbeit, die einen Wert hat. Als wertschaffende Tätigkeit kann sie ebensowenig einen besondren Wert haben, wie die Schwere ein besondres Gewicht, die Wärme eine besondre Temperatur, die Elektrizität eine besondre Stromstärke. Es ist nicht die Arbeit, die als Ware gekauft und verkauft wird, sondern die Arbeitskraft. Sobald sie Ware wird, richtet sich ihr Wert nach der in ihr, als einem gesellschaftlichen Produkt, verkörperten Arbeit, ist er gleich der zu ihrer Produktion und Reproduktion gesellschaftlich nötigen Arbeit. Der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft auf Grund dieses ihres Werts widerspricht also keineswegs dem ökonomischen Wertgesetz.
Zweitens. Nach dem Ricardoschen Wertgesetz produzieren zwei Kapitale, die gleich viel und gleich hoch bezahlte lebendige Arbeit anwenden, alle andern Umstände gleichgesetzt, in gleichen Zeiten Produkte von gleichem Wert und ebenfalls Mehrwert oder Profit von gleicher Höhe. Wenden sie aber ungleiche Mengen lebendiger Arbeit an, so können sie nicht Mehrwert oder, wie die Ricardianer sagen, Profit von gleicher Höhe produzieren. Nun ist aber das Gegenteil der Fall. Tatsächlich produzieren gleiche Kapitale, einerlei wie viel oder wie wenig lebendige Arbeit sie anwenden, in gleichen Zeiten durchschnittlich gleiche Profite. Hier liegt also ein Widerspruch gegen das Wertgesetz vor, den schon Ricardo fand, und den seine Schule ebenfalls zu lösen unfähig war. Auch Rodbertus konnte nicht umhin, diesen Widerspruch zu sehn; statt ihn zu lösen, macht er ihn zu einem der Ausgangspunkte seiner Utopie. ("Zur Erk.", S. 131.) Diesen Widerspruch hatte Marx bereits im Manuskript "Zur Kritik" <Siehe Band 26, 2. Teil, S. 17 - 21, 55 - 62, 164 - 228, 423 - 466> gelöst; die Lösung erfolgt nach dem Plan des "Kapital" in Buch III. <Siehe Band 25, 1. und 2. Abschnitt> Bis zu seiner Veröffentlichung werden noch Monate verstreichen. Die Ökonomen also, die in Rodbertus die geheime Quelle und einen überlegnen Vorgänger von Marx entdecken wollen, haben hier eine Gelegenheit zu zeigen, was die Rodbertussche Ökonomie leisten kann. Wenn sie nachweisen, wie nicht nur ohne Verletzung des Wertgesetzes, sondern vielmehr auf Grundlage desselben eine gleiche Durchschnittsprofitrate sich bilden kann und muß, dann wollen wir weiter miteinander sprechen. Inzwischen mögen sie sich gefälligst beeilen. Die brillanten Untersuchungen dieses Buch II und ihre ganz neuen Ergebnisse auf bisher fast unbetretenen Gebieten sind nur Vordersätze zum Inhalt des Buch III, das die Schlußergebnisse der Marxschen Darstellung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses auf kapitalistischer Grundlage entwickelt. Wenn dies Buch III erschienen, wird von einem Ökonomen Rodbertus wenig mehr die Rede sein.
Das zweite und dritte Buch des "Kapital" sollte, wie Marx mir öfters sagte, seiner Frau gewidmet werden.
London, an Marx' Geburtstag, 5. Mai 1885.
Friedrich Engels
Datum der letzten Änderung : Jena, den : 18.02.2013