B. Zweite Analogie | Inhalt | 4. Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt
Grundsatz der Gemeinschaft
Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft (d. i. Wechselwirkung untereinander).
Dinge sind zugleich, sofern sie in ein und derselben Zeit existieren. Woran erkennt man aber, daß sie in ein und derselben Zeit sind? Wenn die Ordnung in der Synthesis der Apprehension dieses Mannigfaltigen gleichgültig ist, d. i. von A durch B, C, D auf E, oder auch umgekehrt von E zu A gehen kann. Denn wäre sie in der Zeit nacheinander (in der Ordnung, die von A anhebt und in E endigt), so ist es unmöglich, die Apprehension in der Wahrnehmung von E anzuheben und rückwärts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit gehört und also kein Gegenstand der Apprehension mehr sein kann.
Nehmt nun an, in einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als Erscheinungen wäre jede derselben völlig isoliert, d. i. keine wirkte in die andere und empfänge von dieser wechselseitig Einflüsse, so sage ich, daß das Zugleichsein derselben kein Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung sein würde und daß das Dasein der einen durch keinen Weg der empirischen Synthesis auf das Dasein der andern führen könnte. Denn wenn ihr euch gedenkt, sie wären durch einen völlig leeren Raum getrennt, so würde die Wahrnehmung, die von der einen zur andern in der Zeit fortgeht, zwar dieser ihr Dasein vermittels einer folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht unterscheiden können, ob die Erscheinung objektiv auf die erstere folge oder mit jener vielmehr zugleich sei.
Es muß also noch außer dem bloßen Dasein etwas sein, wodurch A dem B seine Stelle in der Zeit bestimmt und umgekehrt auch wiederum B dem A, weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen als zugleich existierend empirisch vorgestellt werden können. Nun bestimmt nur dasjenige dem andern seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von ihm oder seinen Bestimmungen ist. Also muß jede Substanz (da sie nur in Ansehung ihrer Bestimmungen Folge sein kann) die Kausalität gewisser Bestimmungen in der andern und zugleich die Wirkungen von der Kausalität der andern in sich enthalten, d. i. sie müssen in dynamischer Gemeinschaft (unmittelbar oder mittelbar) stehen, wenn das Zugleichsein in irgendeiner möglichen Erfahrung erkannt werden soll. Nun ist aber alles dasjenige in Ansehung der Gegenstände
der Erfahrung notwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenständen selbst unmöglich sein würde. Also ist es allen Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zugleich sein, notwendig irt durchgängiger Gemeinschaft der Wechselwirkung untereinander zu stehen.
Das Wort Gemeinschaft ist in unserer Sprache zweideutig und kann so viel wie communio, aber auch wie commercium bedeuten. Wir bedienen uns hier desselben im letzteren Sinn als einer dynamischen Gemeinschaft, ohne welche selbst die lokale (communio spatii) niemals empirisch erkannt werden könnte. Unseren Erfahrungen ist es leicht anzumerken, daß nur die kontinuierlichen Einflüsse in allen Stellen des Raums unsern Sinn von einem Gegenstand zum andern leiten können, daß das Licht, welches zwischen unserm Auge und den Weltkörpern spielt, eine mittelbare Gemeinschaft zwischen uns und diesen bewirken und dadurch das Zugleichsein der letzteren beweisen, daß wir keinen Ort empirisch verändern (diese Veränderung wahrnehmen) können, ohne daß uns allerwärts Materie die Wahrnehmung unserer Stelle möglich mache, und diese nur vermittels ihres wechselseitigen Einflusses ihr Zugleichsein und dadurch bis zu den entlegensten Gegenständen die Koexistenz derselben (obzwar nur mittelbar) dartun kann. Ohne Gemeinschaft ist jede Wahrnehmung (der Erscheinung im Raum) von der andern abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, würde bei einem neuen Objekt ganz von vorn anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten Zusammenhängen oder im Zeitverhältnis stehen könnte. Den leeren Raum will ich hierdurch gar nicht widerlegen; denn der mag immer sein, wohin Wahrnehmungen gar nicht reichen, und also keine empirische Erkenntnis des Zugleichseins stattfindet; er ist aber alsdann für alle unsere mögliche Erfahrung gar kein Objekt.
Zur Erläuterung kann folgendes dienen. In unserem Gemüt müssen alle Erscheinungen, als in einer möglichen Erfahrung enthalten, in Gemeinschaft (communio) der Apperzeption stehen, und sofern die Gegenstände als zugleichexistierend verknüpft vorgestellt werden sollen, so müssen sie ihre Stelle in einer Zeit wechselseitig bestimmen und dadurch ein Ganzes ausmachen. Soll diese subjektive Gemeinschaft auf einem objektiven Grund beruhen oder auf Erscheinungen als Substanzen bezogen werden, so muß die Wahrnehmung der einen als Grund die Wahrnehmung der andern, und so umgekehrt, möglich machen, damit die Sukzession, die jederzeit in den Wahrnehmungen als Apprehensionen ist,
nicht den Objekten beigelegt werde, sondern diese als zugleich existierend vorgestellt werden können. Dieses ist aber ein wechselseitiger Einfluß, d. i. eine reale Gemeinschaft (commercium) der Substanzen, ohne welche also das empirische Verhältnis des Zugleichseins nicht in der Erfahrung stattfinden könnte. Durch dieses Commercium machen die Erscheinungen, sofern sie auseinander und doch in Verknüpfung stehen, ein Zusammengesetztes aus (compositum reale), und dergleichen Komposita werden auf mancherlei Art möglich. Die drei dynamischen Verhältnisse, daraus alle übrigen entspringen, sind daher das der Inhärenz, der Konsequenz und der Komposition.
Dies sind denn also die drei Analogien der Erfahrung. Sie sind nichts anderes als Grundsätze der Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit, nach allen drei modis derselben, dem Verhältnis zu der Zeit selbst als einer Größe (die Größe des Daseins, d. i. die Dauer), dem Verhältnis in der Zeit als einer Reihe (nacheinander), endlich auch in ihr als einem Inbegriff alles Daseins (zugleich). Diese Einheit der Zeitbestimmung ist durch und durch dynamisch, d. i. die Zeit wird nicht als dasjenige angesehen, worin die Erfahrung unmittelbar jedem Dasein seine Stelle bestimmte, welches unmöglich ist, weil die absolute Zeit kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, womit Erscheinungen könnten zusammengehalten werden; sondern die Regel des Verstandes, durch welche allein das Dasein der Erscheinungen synthetische Einheit nach Zeitverhältnissen bekommen kann, bestimmt jeder derselben ihre Stelle in der Zeit, mithin a priori und gültig für alle und jede Zeit.
Unter Natur (im empirischen Verstand) verstehen wir den Zusammenhang der Erscheinungen ihrem Dasein nach, nach notwendigen Regeln, d. i. nach Gesetzen. Es sind also gewisse Gesetze, und zwar a priori, welche allererst eine Natur möglich machen; die empirischen können nur vermittels der Erfahrung, und zwar zufolge jener ursprünglichen Gesetze, nach welchen selbst Erfahrung allererst möglich wird, stattfinden und gefunden werden. Unsere Analogien stellen also eigentlich die Natureinheit im Zusammenhang aller Erscheinungen unter gewissen Exponenten dar, welche nichts anderes ausdrücken als das Verhältnis der Zeit sofern sie alles Dasein in sich begreift) zur Einheit der Apperzeption, die nur in der Synthesis nach Regeln stattfinden kann. Zusammen sagen sie also, alle Erscheinungen liegen in einer Natur und
müssen darin liegen, weil ohne diese Einheit a priori keine Einheit der Erfahrung, mithin auch keine Bestimmung der Gegenstände in derselben möglich wäre.
Über die Beweisart aber, deren wir uns bei diesen transzendentalen Naturgesetzen bedient haben, und die Eigentümlichkeit derselben ist eine Anmerkung zu machen, die zugleich als Vorschrift für jeden anderen Versuch, intellektuelle und zugleich synthetische Sätze a priori zu beweisen, sehr wichtig sein muß. Hätten wir diese Analogien dogmatisch, d. i. aus Begriffen, beweisen wollen, daß nämlich alles, was existiert, nur in dem angetroffen werde, was beharrlich ist, daß jede Begebenheit etwas im vorigen Zustand voraussetze, worauf sie nach einer Regel folgt, endlich, in dem Mannigfaltigen, das zugleich ist, die Zustände in Beziehung aufeinander nach einer Regel zugleich seien (in Gemeinschaft stehen), so wäre alle Bemühung gänzlich vergeblich gewesen. Denn man kann von einem Gegenstand und dessen Dasein auf das Dasein des andern oder seine Art zu existieren durch bloße Begriffe dieser Dinge gar nicht kommen, man mag dieselbe zergliedern, wie man wolle. Was blieb uns nun übrig? Die Möglichkeit der Erfahrung als einer Erkenntnis, darin uns alle Gegenstände zuletzt müssen gegeben werden können, wenn ihre Vorstellung für uns objektive Realität haben soll. In diesem Dritten nun, dessen wesentliche Form in der synthetischen Einheit der Apperzeption aller Erscheinungen besteht, fanden wir Bedingungen a priori der durchgängigen und notwendigen Zeitbestimmung alles Daseins in der Erscheinung, ohne welche selbst die empirische Zeitbestimmung unmöglich sein würde, und fanden Regeln der synthetischen Einheit a priori, vermittels deren wir die Erfahrung antizipieren konnten; In Ermangelung dieser Methode und bei dem Wahn, synthetische Sätze, welche der Erfahrungsgebrauch des Verstandes als seine Prinzipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn geschehen, daß von dem Satz des zureichenden Grundes so oft, aber immer vergeblich ein Beweis versucht worden ist. An die beiden übrigen Analogien hat niemand gedacht; ob man sich ihrer gleich immer stillschweigend bediente11, weil der Leitfaden der Kategorien fehlte, der allein jede Lücke des Verstandes sowohl in Begriffen als auch in Grundsätzen entdecken und merklich machen kann.