Streckgrenze

Die Streckgrenze R_{{\mathrm  {e}}} (englisch yield strength, \sigma _{y}) ist eine Werkstoffkenngröße und bezeichnet diejenige mechanische Spannung, bis zu der ein Werkstoff elastisch verformbar ist. Die Streckgrenze bezeichnet den Spezialfall der Elastizitätsgrenze bei einachsiger und momentenfreier Zugbeanspruchung. Aufgrund der leichteren Messbarkeit kommt der Streckgrenze die größere technische Bedeutung zu.

Bei vielen Werkstoffen ist die Streckgrenze im Zugversuch nicht eindeutig identifizierbar bzw. nicht ausgeprägt, weshalb stattdessen z. B. die 0,2-%-Dehngrenze verwendet wird.

Messung

Die Streckgrenze ist mittels Zugversuch zu ermitteln.

Aus der Streckgrenze und der ebenfalls im Zugversuch ermittelten Zugfestigkeit {\displaystyle R_{\mathrm {m} }} lässt sich das Streckgrenzenverhältnis errechnen:

{\displaystyle R_{\mathrm {e} }/R_{\mathrm {m} }}

Dieses gibt dem Konstrukteur Auskunft über den Abstand zwischen einsetzender plastischer Deformation und Versagen des Werkstoffes bei quasistatischer Beanspruchung. Der Wert spielt etwa bei Schraubverbindungen eine wichtige Rolle, wo im Allgemeinen ein höherer Wert erwünscht ist, da eine bleibende Dehnung nach einer Belastung ein Lösen der Schraube bedeuten würde.

Dehngrenze (= Ersatzstreckgrenze)

schematisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm mit kontinuierlichem Fließbeginn und eingetragener 0,2 %-Dehngrenze

Bei technischen Werkstoffen wird statt der Streckgrenze in der Regel die 0,2-%-Dehngrenze oder Elastizitätsgrenze {\displaystyle R_{\mathrm {p0,2} }} angegeben, da sie (im Gegensatz zur Streckgrenze) immer eindeutig aus dem Nennspannungs-Totaldehnungs-Diagramm ermittelt werden kann (oft ist eigentlich die Dehngrenze gemeint, wenn die Streckgrenze angegeben wird). Die 0,2-%-Dehngrenze ist diejenige (einachsige) mechanische Spannung, bei der die auf die Anfangslänge der Probe bezogene bleibende Dehnung (d.h. plastische Dehnung, daher der Index {\displaystyle _{p}}) nach Entlastung 0,2 % beträgt. Bei sehr duktilen Werkstoffen, wie vielen Kunststoffen, kann aufgrund von Viskoplastizität eine 0,2-%-Dehngrenze nur ungenau bestimmt werden und es wird stattdessen eine 2-%-Dehngrenze angegeben.

Bei höherer Last kommt es entweder zu weiteren plastischen Verformungen, oder bei Werkstoffen mit hoher Sprödigkeit wird die Zugfestigkeit überschritten und es kommt zum Bruch.

0,2-%-Dehngrenzen ausgewählter Metallwerkstoffe
Werkstoffgruppe Legierung 0,2-%-Dehngrenze in MPa
Kupfer-Legierungen (ungefähre Werte) E-Cu57 160
CuZn37 250…340
CuZn39Pb3 250…340
CuNi1, 5Si 540
Magnesium-Legierungen (ungefähre Werte) CP Mg 40
AZ91 110
AM60 130
WE54 200
MgZn6Zr 250
Aluminium-Legierungen (ungefähre Werte) Al99.5 40
AlMg1 100
AlMg3 120
AlMg4.5Mn 150
AlMgSi0.5 190
AlCu4PbMgMn 220…250
AlZnMgCu1.5 450
AA 7175 525
Titan-Legierungen (ungefähre Werte) CP Ti 220
Ti-6Al-4V 924
Ti-6Al-2Fe-0.1Si 960
Ti-15Mo-3Nb-3Al-.2Si 1400
Baustähle S235JR 235
S275 275
S355 355
E360 360
Nichtrostende Stähle (typische Werte) WNr. 1.4301 190
WNr. 1.4307 175
Betonstähle BSt 420 420
BSt 500 500
BSt 550 550
Spannstähle St 1370/1570 1370
St 1570/1770 1570
Vergütungsstähle C22 340
C45 490
C60 580
42CrMo4 900
34CrNiMo6 1000
Einsatzstähle C10E 430
16MnCr5 630
18CrNiMo7-6 685

Beispiel „Bergseil“

Wird beispielsweise ein Kletterseil aus Polyamid („Nylon“) auf Zug belastet, so dehnt es sich zuerst um etwa 10 %. Wird es entlastet, so verkürzt es sich wieder bis auf seine ursprüngliche Länge (elastische Dehnung unterhalb der Streckgrenze).

Wird das Seil stärker belastet und dehnt es sich über die Streckgrenze hinaus, dann verkürzt es sich auch nach Entlastung nicht mehr ganz.

Wird es noch stärker belastet, so wird irgendwann die Fließgrenze überschritten. Dann beginnt das Material trotz gleichbleibender Krafteinwirkung sich zu verändern, es fließt (= Umlagerung der Molekülketten).

Ausgeprägte Streckgrenze

schematisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm mit ausgeprägter Streckgrenze

Durch Fremdatomwolken, auch Cottrellwolken, die sich bevorzugt in energetisch günstigen Verzerrungsfeldern um Versetzungen aufhalten, kann es zur Ausbildung ausgeprägter Streckgrenzen kommen. Vor allem folgende Streckgrenzeneffekte treten auf:

Obere Streckgrenze

Die obere Streckgrenze {\displaystyle R_{\mathrm {eH} }} (Index {\displaystyle _{\mathrm {H} }} = engl. high = hoch, oben) wird durch Losreißprozesse von Versetzungen verursacht, die die interstitiellen Fremdatomwolken verlassen. Im Anschluss daran fällt die Spannung im Werkstoff auf die untere Streckgrenze, und die Verformung wird mit der Lüdersdehnung fortgesetzt.

Dieser Effekt tritt ausschließlich bei unlegierten Stählen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt auf.

Untere Streckgrenze

Die untere Streckgrenze {\displaystyle R_{\mathrm {eL} }} (Index {\displaystyle _{\mathrm {L} }} = engl. low = niedrig, unten) ist die Folge des Losreißens von Versetzungen bei {\displaystyle R_{\mathrm {eH} }} von Cottrellwolken. Diese Versetzungen können nun mit deutlich geringerer Energie bewegt werden, da sich die Fremdatomwolken nicht mehr im Verzerrungsbereich der Versetzungen befinden. Dieser Effekt ist eine Folge des Auftretens einer oberen Streckgrenze und gleichzeitig die Nennspannung, bei der die Lüdersdehnung stattfindet.

Lüdersdehnung

Als Lüdersdehnung εL (nach Klaus Lüders) wird ein plastischer Dehnungsanteil bezeichnet, der durch die Bewegung einer Versetzungsfront durch ein Bauteil oder eine Probe bei konstanter Beanspruchung gekennzeichnet ist. Während der Lüdersverformung bleibt dabei die Nennspannung (und damit die anliegende Kraft) nahezu konstant bei der unteren Streckgrenze. Die Lüdersfront wird in der Regel an einer lokalen Spannungsüberhöhung (Kerbe, Oberflächenrauhigkeit, Querschnittsübergang) ausgelöst und bewegt sich dann durch die gesamte Probenmessstrecke bzw. bis zu einer deutlichen Querschnittsvergrößerung. Die an der Oberfläche eines Bauteils sichtbaren Verformungslinien werden als Lüdersbänder oder Fließfiguren bezeichnet.

Dieser Effekt tritt bei un- und niedriglegierten untereutektoiden Stählen auf, aber auch in Kupfer- und Aluminiumlegierungen, und ist unabhängig vom Auftreten einer oberen Streckgrenze.

Wird eine Probe einmal über den Bereich der Lüdersdehnung hinaus gestreckt, dann tritt bei einem zeitnahen Wiederholen der Probenverformung kein Streckgrenzeneffekt bzw. keine Lüdersdehnung mehr auf, da sich die Versetzungen von den Fremdatomwolken bereits losgerissen haben. Aus diesem Grund werden Tiefziehbleche im Vorfeld häufig kaltgewalzt, um die Bildung von Fließfiguren während des eigentlichen Tiefziehens zu verhindern.

Literatur

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Basierend auf einem Artikel in: Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 17.04. 2024