3. Die Immanenzphilosophen als Mitstreiter von Mach und Avenarius | Inhalt | 5. A. Bogdanows „Empiriomonismus"

4. Wohin entwickelt sich der Empiriokritizismus?

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Werfen wir nun einen Blick auf die Entwicklung des Machismus nach Mach und Avenarius. Wir haben gesehen, daß ihre Philosophie ein Ragout, ein Sammelsurium einander widersprechender und zusammenhangloser erkenntnistheoretischer Thesen ist. Betrachten wir jetzt, wie und wohin, d. h. in welcher Richtung sich diese Philosophie entwickelt - das wird uns helfen, einige „strittige" Fragen durch den Hinweis auf unbestreitbare geschichtliche Tatsachen zu lösen. In der Tat, bei dem Eklektizismus und der Zusammenhanglosigkeit der philosophischen Ausgangsthesen der in Frage stehenden Richtung sind verschiedenartige Deutungen derselben und fruchtlose Streitereien über Einzelheiten und Kleinigkeiten unvermeidlich. Doch ist der Empiriokritizismus, wie jede geistige Strömung, etwas Lebendiges, Wachsendes, sich Entwickelndes, und die Tatsache seines Wachstums in der einen oder anderen Richtung wird besser als langatmige Betrachtungen dazu beitragen, die Grundfrage nach dem wirklichen Wesen dieser Philosophie zu lösen. Man beurteilt einen Menschen nicht danach, was er über sich spricht und denkt, sondern nach seinen Taten. Man darf auch über die Philosophen nicht nach den Aushängeschildern urteilen, die sie sich selber umhängen („Positivismus", Philosophie der „reinen Erfahrung", „Monismus" oder „Empiriomonismus", „Philosophie der Naturwissenschaft" u. ä. m.), sondern danach, wie sie die theoretischen Grundfragen tatsächlich lösen, mit wem sie zusammengehen, was sie lehren und was sie ihren Schülern und Anhängern beigebracht haben.

Diese letztgenannte Frage ist es, die uns jetzt beschäftigt. Alles Wesent­iche wurde von Mach und Avenarius vor mehr als 20 Jahren gesagt. Während dieser Zeit mußte sich zeigen, wie diese „Führer" von jenen verstanden wurden, die sie verstehen wollten, und wen diese Führer selbst (wenigstens Mach, der seinen Kollegen überlebt hat) als die Fortsetzer ihrer Sache betrachten. Der Genauigkeit halber wollen wir diejenigen nehmen, die sich selbst als Schüler von Mach und Avenarius (oder als deren Anhänger) bezeichnen, und die Mach selbst zu diesem Lager zählt. Auf diese Weise werden wir eine Vorstellung vom als einer philosophischen Strömung und nicht als einer Sammlung von Absonderlichkeiten einzelner Schriftsteller bekommen.

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In Machs Vorwort zur russischen Übersetzung der „Analyse der Empfindungen" wird als „jüngerer Forscher", der, „wenn auch nicht dieselben, so doch recht nahe Wege" geht, Hans Cornelius empfohlen (S. 4). Im Text der „Analyse der Empfindungen" „freut sich" Mach, nochmals unter anderem auf die Schriften von H. Cornelius u. a. „hinweisen zu können, welche daran sind, den Kern der Avenariusschen Arbeiten bloßzulegen und weiterzuentwickeln" (48 [40]). Nehmen wir das Buch von H. Cornelius „Einleitung in die Philosophie" (dtsch. Ausg. 1903), so sehen wir, daß sein Verfasser ebenfalls sein Bestreben betont, in den Fußtapfen von Mach und Avenarius zu wandeln (S. VIII, 32). Wir haben also einen vom Lehrer anerkannten Schüler vor uns. Dieser Schüler beginnt gleichfalls mit Empfindungen - Elementen (17, 24), erklärt kategorisch, daß er in den Grenzen der Erfahrung bleiben wolle (S. VI), nennt seine Anschauungen „konsequenten oder erkenntnistheoretischen Empirismus" (335), verurteilt auf das entschiedenste sowohl die „Einseitigkeit" des Idealismus als auch den „Dogmatismus" der Idealisten wie der Materialisten (S. 129), weist sehr energisch das mögliche „Mißverständnis" (123) zurück, als folge aus seiner Philosophie die Annahme, daß die Welt im Kopfe des Menschen existiere, liebäugelt mit dem naiven Realismus nicht weniger geschickt als Avenarius, Schuppe oder Basarow (S. 125: „Jede Gesichts­ und ebenso jede anderweitige Sinneswahrnehmung hat ihren Ort genau da und nur da, wo wir sie vorfinden, d. h., wo sie das naive, von keiner Afterphilosophie angekränkelte Bewußtsein lokalisiert") - und am Ende landet dieser vom Lehrer anerkannte Schüler bei der Unsterblichkeit und bei Gott. Der Materialismus - so donnert dieser Wachtmeister auf dem Professorenkatheder, wollte sagen: der Schüler der „neuesten Positivsten" - verwandle den Menschen in einen Automaten. „Daß zugleich mit dem Glauben an die Freiheit unserer Entschließungen auch alle Erwägungen über den sittlichen Wert unserer Handlungen und über unsere Verantwortlichkeit für diesen Wert in nichts zerfließen, bedarf nicht der Erwähnung. Ebensowenig Raum bleibt für den Gedanken einer Fortsetzung unseres Lebens nach dem Tode." (S. 116.) Der Schluß des Buches lautet: Es bedarf der Erziehung (augenscheinlich ist die Erziehung der Jugend gemeint, die von diesem Mann der Wissenschaft verdummt wird) nicht nur zur Tätigkeit, sondern „vor allem" „der Erziehung zur [Ehrfurcht] - nicht vor den vergänglichen Werten einer zufälligen Tradition,

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sondern vor den unvergänglichen Werten der Pflicht und der Schönheit -vor [dem Göttlichen] in uns und außer uns" (357).

Man vergleiche damit A. Bogdanows Behauptung, daß in der Machschen Philosophie, die jedes „Ding an sich" leugnet, für die Idee Gottes, der Willensfreiheit, der Unsterblichkeit der Seele absolut kein (hervorgehoben von Bogdanow) Platz ist und „kein Platz sein kann" („Analyse der Empfindungen", S. XII). Mach aber erklärt in ebendemselben Buch (S. 293 [S. 300]): „Es gibt keine Machsche Philosophie" und empfiehlt nicht nur die Immanenzphilosophen, sondern auch Cornelius, als denjenigen, der den Kern der Avenariusschen Arbeiten bloßgelegt habe! Erstens also: Bogdanow kennt absolut nicht die „Machsche Philosophie" als eine Strömung, die nicht nur unter den Fittichen des Fideismus eine Zufluchtsstätte gefunden hat, sondern selbst zum Fideismus gelangt. Zweitens; Bogdanow kennt absolut nicht die Geschichte der Philosophie; denn die Verneinung der erwähnten Ideen mit der Verneinung jedes Dinges an sich zu verknüpfen - das ist ein Hohn auf die Geschichte der Philosophie. Will Bogdanow vielleicht abstreiten, daß alle konsequenten Anhänger Humes dadurch, daß sie jedes Ding an sich leugnen, gerade Platz sdhaften für diese Ideen? Hat denn Bogdanow nichts gehört von den subjektiven Idealisten, die jedes Ding an sich leugnen und eben dadurch diesen Ideen Raum geben? Für diese Ideen „kann kein Platz sein" einzig und allein in einer Philosophie, die lehrt, daß nur das sinnliche Sein existiert, daß die Welt sich bewegende Materie, daß die allen und jedem bekannte Außenwelt, das Physische, die einzige objektive Realität ist - d. h. in der Philosophie des Materialismus. Deswegen, gerade deswegen bekämpfen den Materialismus sowohl die von Mach empfohlenen Immanenzphilosophen als auch Machs Schüler Cornelius und die ganze zeitgenössische Professorenphilosophie.

Als man unsere Machisten mit dem Finger auf die Unschicklichkeit hinwies, begannen sie sich von Cornelius loszusagen. Solche Lossagungen sind nicht viel wert. Friedrich Adler ist anscheinend nicht „gewarnt" worden und empfiehlt deshalb diesen Cornelius in einer sozialistischen Zeitschrift („Der Kampf", 1908, 5, S. 235: eine „leicht lesbare, höchst empfehlenswerte Schrift"). Auf dem Weg über den Machismus werden ausgemachte philosophische Reaktionäre und Prediger des Fideismus als Lehrer der Arbeiter eingeschmuggelt!

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Petzoldt merkte, ohne gewarnt zu sein, das Falsche bei Cornelius, aber die Art und Weise, wie er dagegen zu Felde zieht, ist geradezu eine Perle. Man höre: „Behaupten, die Welt sei Vorstellung" (wie die Idealisten es tun, die wir - da gibt es gar nichts zu lachen - bekämpfen!), „hat nur dann einen Sinn, wenn man damit sagen will, sie sei die Vorstellung des Aussagenden oder meinetwegen auch aller Aussagenden, also in ihrer Existenz von seinem oder ihrem Denken allein abhängig; nur soweit er sie denke, sei sie, und was er nicht denke, existiere auch nicht. Wir dagegen machen die Welt nicht von dem Denken des oder der einzelnen oder noch besser und schärfer: nicht von dem Akte des Denkens oder von irgendwelchem aktuellen" (wirklichen) „Denken abhängig, sondern - und zwar lediglich in logischer Hinsicht - von dem Denken überhaupt. Beides vermengt der Idealist, und das Ergebnis ist der agnostizistische Halbsolipsismus, wie wir ihn bei Cornelius beobachten." („Einf.", II, 317.)

Stolypin dementierte die Existenz der schwarzen Kabinette!83 Petzoldt hat die Idealisten zerschmettert - es ist nur merkwürdig, daß diese Vernichtung des Idealismus aussieht wie ein Ratschlag an die Idealisten, ihren Idealismus möglichst geschickt zu verstecken. Die Welt ist vom Denken der Menschen abhängig - das ist irriger Idealismus. Die Welt ist von dem Denken überhaupt abhängig - das ist neuester Positivismus, kritischer Realismus, mit einem Wort die reinste bürgerliche Scharlatanerie! Wenn Cornelius ein agnostizistischer Halbsolipsist ist, dann ist Petzoldt ein solipsistischer Halbagnostiker. Flohknackerei, meine Herren!

Fahren wir fort. In der zweiten Auflage von „Erkenntnis und Irrtum" schreibt Mach: „Eine systematische Darstellung" (der Ansichten Machs), „welcher ich in allem Wesentlichen zustimmen kann", gibt Prof. Dr. Hans Kleinpeter („Die Erkenntnistheorie der Naturforschung der Gegenwart", Leipzig 1905). Nehmen wir nun den Hans Numero zwei vor. Dieser Professor ist ein geschworener Verbreiter des Machismus: er hat eine Menge Artikel über Machs Anschauungen in den philosophischen Fachzeitschriften sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache veröffentlicht, Übersetzungen von Mach empfohlener und mit Vorreden von Mach versehener Werke besorgt - kurz, er ist die rechte Hand des „Meisters". Hier seine Auffassung: „... meine ganze (äußere und innere) Erfahrung, all mein Denken und Trachten ist mir als psychischer Vorgang, als Teil meines Bewußtseins gegeben." (S. 18 des zit. Werkes.) „Was wir

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physisch nennen, ist eine Konstruktion aus psychischen Elementen." (144.) „Subjektive Überzeugung, nicbt objektive [Gewißheit] ist das einzig erreichbare Ziel aller Wissenschaft." (9, Hervorhebung von Kleinpeter, der dieser Stelle eine Anmerkung beifügt: „So ähnlich heißt es schon bei Kant in der ,Kritik der praktischen Vernunft'.") „Die Annahme fremden Bewußtseins ist eine solche, die sich nie durch die Erfahrung bestätigen läßt." (42.) „Ich weiß nicht, ob es außer mir noch andere Ichs überhaupt gibt." (43.) §5: „Von der Aktivität (Spontaneität)" („Spontaneität" = Selbsttätigkeit) „im Bewußtsein". Beim tierischen Automaten erfolge der Wechsel der Vorstellungen rein mechanisch: dasselbe bei uns, wenn wir träumen. „Davon unterscheidet sich jedoch ganz wesentlich die Beschaffenheit unseres Bewußtseins im normalen Zustande. Diesem kommt eine Eigenschaft zu, die jenem" (dem Automaten) „völlig abgeht und die mechanisch oder automatisch zu erklären uns zum mindesten schwerfällt: die sogenannte Selbsttätigkeit des Ich. Jeder ist imstande, sich seinen Bewußtseinsinhalten gegenüberzustellen, mit ihnen zu manipulieren, sie schärfer zu beachten oder in den Hintergrund treten zu lassen, sie zu analysieren, die Teile miteinander zu vergleichen usf. Das alles ist Tatsache der (unmittelbaren) Erfahrung. Unser Ich ist also wesentlich verschieden von der Summe aller Bewußtseinsinhalte und kann derselben nicht etwa gleichgesetzt werden. Zucker besteht aus Kohlenstorf, Wasserstoff und Sauerstoff; würden wir dem Zucker eine Zuckerseele zuschreiben, so müßte dieser nach Analogie auch die Fähigkeit zukommen, die Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Sauerstoffteilchen nach Belieben herumschieben zu können." (29/30.) § 4 im nächsten Kapitel: „Der Erkenntnisakt - eine [Willenshandlung]." „Hingegen muß als eine feststehende Tatsache betrachtet werden die Unterscheidbarkeit aller meiner psychischen Erlebnisse in die zwei großen Hauptgruppen der erzwungenen und der Willkürhandlungen. Zu den ersteren zählen sämtliche Eindrücke einer Außenwelt." (47.) „Daß es aber möglich ist, von einem Tatsachengebiet mehrere Theorien zu geben ... ist eine dem Physiker ebenso wohlbekannte als mit den Voraussetzungen einer absoluten Erkenntnistheorie allerdings unvereinbare Tatsache. Auch sie hängt mit dem Willenscharakter unseres Denkens zusammen; auch in ihr spricht sich die Ungebundenheit unseres Willens durch die äußeren Umstände aus." (50.)

Daran mag man die Kühnheit der Bogdanowschen Behauptungen er-

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messen, daß in der Machschen Philosophie „für die Willensfreiheit absolut kein Platz" sei, wo doch Mach selber einen Kerl wie Kleinpeter empfiehlt! Wir haben bereits gesehen, daß dieser letztere weder seinen eigenen noch Machs Idealismus zu verbergen sucht. Im Jahre 1898/1899 schrieb Kleinpeter: „Hertz bekundet dieselbe" (wie bei Mach) „subjektivistische Auffassung vom Wesen unserer Begriffe ..." „... Haben sich Mach und Hertz" (mit welcher Berechtigung Kleinpeter den berühmten Physiker in die Sache verwickelt, darüber werden wir später sprechen) „nach der idealistischen Seite hin das Verdienst erworben, zu betonen, daß alle unsere Begriffe und deren Verknüpfung - nicht bloß einige - subjektiven Ursprungs sind, so haben sie sich nach der empiristischen Seite hin das nicht geringere Verdienst erworben, zu erkennen, daß es die Erfahrung ist, die über die Richtigkeit derselben als eine vom Denken ganz unabhängige Instanz zu entscheiden hat." („Archiv für systematische Philosophie", Bd. V, 1898/1899, S. 169/170.) Im Jahre 1900 schrieb er: Kant und Berkeley, bei allen Unterschieden zwischen Mach und ihnen, würden ihm „noch immer näherstehen als der in der Naturwissenschaft herrschende metaphysische Empirismus" (d.h. Materialismus! Der Herr Professor hütet sich, den Teufel beim Namen zu nennen!), „der ja sein" (Machs) „Hauptangriffsobjekt bildet" (ib., Bd. VI, S. 87). Im Jahre 1903: „Der Ausgangspunkt Berkeleys und Machs ist unanfechtbar" ... „Mach ist... der Vollender Kants." („Kantstudien", Bd. VIII, 1903, S. 314,274.)

Im Vorwort zur russischen Übersetzung der „Analyse der Empfindungen" nennt Mach auch Professor Th. Ziehen, der „wenn auch nicht dieselben, so doch recht nahe Wege gehe". Nehmen wir das Buch von Professor Th. Ziehen („Psychophysiologische Erkenntnistheorie", Jena 1898), so sehen wir, daß der Verfasser sich schon in der Vorrede auf Mach, Avenarius, Schuppe usw. beruft. Also wiederum ein vom Lehrer anerkannter Schüler. Die „neueste" Theorie Ziehens besteht darin, daß nur die „Menge" fähig sei, zu denken, daß „ein wirkliches Ding die Empfindung verursacht" (S. 3). „Am Eingang der Erkenntnistheorie ist keine andere Überschrift möglich als der Berkeleysche Satz: ,The external objects subsist not by themselves, but exist in minds.'*" (S. 5.) „Gegeben sind uns Empfindungen und Vorstellungen. Beide fassen wir mit dem Wort der


* „Die äußeren Objekte existieren nicht an sich, sondern nur in unserem Verstand." Der Übers.

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psychischen Vorgänge oder des Psychischen zusammen. Nichtpsychisches ist ein inhaltloses Wort." (S. 100.) Die Naturgesetze seien keine Beziehungen zwischen materiellen Körpern, sondern „zwischen reduzierten Empfindungen" (S. 104: in diesem „neuen" Begriff der „reduzierten Empfindungen" besteht die ganze Originalität des Ziehenschen Berkeleyanismus!).

Von Ziehen, dem Idealisten, rückte Petzoldt schon 1904 im zweiten Band seiner „Einführung" (S. 298-301) ab. 1906 zählt er bereits zur Liste der Idealisten oder Psychomomsten Cornelius, Kleinpeter, Ziehen, Verworn. („Das Weltproblem etc.", S. 137, Anm.) Bei allen diesen Herren Professoren soll eine „mißverständliche" Autfassung „der Anschauungen von Mach und Avenarius" vorliegen (ebenda).

Armer Mach und armer Avenarius! Nicht nur ihre Feinde haben sie als Idealisten und „sogar" (wie Bogdanow sich ausdrückt) als Solipsisten verleumdet, nein, auch Freunde, Schüler, Anhänger, Professoren vom Fach haben ihre Meister verkehrt, in idealistischem Sinne, verstanden. Wenn sich der Empiriokritizismus zum Idealismus entwickelt, so beweise das beileibe nicht das Grundfalsche seiner verworrenen, berkeleyanischen Grundvoraussetzungen. Gott bewahre! Das ist nur ein kleines „Mißverständnis" im Nosdrjow*-Petzoldtschen Sinne des Wortes.

Am komischsten ist hier wohl, daß der Hüter der Reinheit und Unschuld, Petzoldt selbst, erstens Mach und Avenarius durch ein „logisches Apriori" „ergänzt" und sie zweitens mit dem Schrittmacher des Fideismus, Wilhelm Schuppe, verkuppelt hat.

Würde Petzoldt die englischen Anhänger Machs kennen, so müßte er die Liste der (durch ein „Mißverständnis") in Idealismus verfallenen Machisten bedeutend erweitern. Wir haben schon auf den von Mach so gelobten Pearson als auf einen vollendeten Idealisten hingewiesen. Hier die Urteile von weiteren zwei „Verleumdern", die über Pearson dasselbe sagen: „Die Lehre des Prof. K. Pearson ist ein einfaches Echo der wirklich großen Lehren Berkeleys." (Howard V. Knox in „Mind", vol. VI, 1897, p. 205.) „Herr Pearson ist, daran ist nicht zu zweifeln, ein Idealist im strengsten Sinne des Wortes." (Georges Rodier in „Revue philosophique"84, 1888, II, vol. 26, p. 200.) Den englischen Idealisten William


* Nosdrjow - Gestalt aus dem Roman „Die toten Seelen" von N. W. Gogol. Der Übers.

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Clifford, den Mach als seiner Philosophie „recht nahestehend" bezeichnet („Analyse der Empfindungen", S. 8 [S. IX]), muß man eher als Lehrer denn als Schüler Machs bezeichnen, denn Cliffords philosophische Arbeiten sind in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen. Das „Mißverständnis" stammt hier direkt von Mach, der im Jahre 1901 den Idealismus in der Lehre Cliffords, nach der die Welt „geistiger Stoff" (mind-stuff), „soziales Objekt", „hochorganisierte Erfahrung" usw. sei, „übersehen" hat.* Um die Scharlatanerie der deutschen Machisten zu charakterisieren, muß noch erwähnt werden, daß Kleinpeter 1905 diesen Idealisten in den Rang eines der Begründer der „Erkenntnistheorie der Naturforschung der Gegenwart" erhebt!

Auf S. 284 [S. 291] der „Analyse der Empfindungen" verweist Mach auf den (dem Buddhismus85 und dem Machismus) „entgegengekommenen" amerikanischen Philosophen P. Carus. Carus, der sich als „Verehrer und persönlicher Freund" Machs bezeichnet, redigiert in Chikago die Zeitschrift „The Monist"86, die der Philosophie gewidmet ist, und das Blätt­chen „The Open Court" („Die Offene Tribüne")87, das der religiösen Propaganda dient. „Wissenschaft ist göttliche Offenbarung", erklärt die Redaktion dieses populären Blättchens. „Wir sind der Ansicht, daß die Wissenschaft eine Reform der Kirchen herbeiführen kann, die von der Religion alles bewahren wird, was an ihr richtig, gesund und gut ist." Mach ist ständiger Mitarbeiter des „Monist", er veröffentlicht darin kapitelweise seine neuen Werke. Carus korrigiert Mach „ein klein wenig" in der Richtung nach Kant hin und erklärt, daß Mach „ein Idealist oder, wie wir sagen würden, ein Subjektivist ist", daß aber er, Carus, abgesehen von einzelnen Meinungsverschiedenheiten, überzeugt sei, daß Mach und er „dasselbe meinen".** „Unser Monismus", sagt Carus, „ist kein materialistischer, kein spiritualistischer, kein agnostischer, er bedeutet einfach und ausschließlich die Folgerichtigkeit... Er nimmt die Erfahrung zur Grund-


* Wlliam Kingdon Clifford, „Lectures and Essays", 3rd ed. [Vorlesungen und Abhandlungen, 3. Aufl.], London 1901, vol. II, pp. 55, 65, 69; p. 58: „Ich bin für Berkeley gegen Spencer"; p. 52: „Das Objekt ist eine Reihe von Veränderungen in meinem Bewußtsein und nicht etwas außerhalb desselben."
** „The Monist", vol. XVI, 1906, July; P. Carus, „Professor Mach's Philosophy", p. 320, 345, 333. Es ist eine Antwort auf den in der gleichen Zeitschrift erschienenen Aufsatz Kleinpeters.

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lage und wendet als Methode die systematisierten Formen der Erfahrungsbeziehungen an." (Augenscheinlich ein Plagiat aus A. Bogdanows „Empiriomonismus"!) Die Devise von Carus ist: „Nicht Agnostizismus, sondern positive Wissenschaft, nicht Mystizismus, sondern klares Denken, nicht Supernaturalismus, nicht Materialismus, sondern monistische Weltauffassung, nicht Dogma, sondern Religion, nicht Glaubensbekenntnis, sondern reiner Glaube" (not creed, but faith). In Erfüllung dieser Devise predigt Carus eine „neue Theologie", eine „wissenschaftliche Theologie" oder Theonomie, die den Buchstaben der Bibel leugnet, doch darauf besteht, daß „alle Wahrheit göttlich ist, und daß sich Gott in der Naturwissenschaft ebenso wie in der Geschichte offenbart"*. Es muß bemerkt werden, daß Kleinpeter in dem bereits erwähnten Buch über die Erkenntnistheorie der Naturforschung der Gegenwart Carus neben Ostwald, Avenarius und den Immanenzphilosophen empfiehlt (S. 151/152). Als Haeckel seine Thesen für den Monistenbund herausgab, trat Carus entschieden dagegen auf: erstens verwerfe Haeckel ohne Grund den Apriorismus, der „mit der wissenschaftlichen Philosophie durchaus vereinbar" sei; zweitens ist Carus gegen die Haeckelsche Doktrin des Determinismus, die „die Möglichkeit der Willensfreiheit ausschließt"; drittens „begeht Haeckel den Fehler, daß er den einseitigen Standpunkt des Naturforschers gegen den traditionellen Konservatismus der Kirchen hervorkehrt. Er tritt daher als Feind der bestehenden Kirchen auf, statt mit Freuden an deren Höherentwicklung zu einer neuen und sicheren Interpretierung der Dogmen zu arbeiten." (Ib., vol. XVI, 1906, p. 122.) Carus gesteht selbst, daß ihn „viele Freidenker für einen Reaktionär halten, die mich deswegen tadeln, weil ich nicht in ihren Chor einstimme, der jede Religion als Aberglauben verschreit" (355).

Es ist ganz offenkundig, daß wir hier den Führer einer Gesellschaft amerikanischer literarischer Hochstapler vor uns haben, deren Geschäft es ist, das Volk mit religiösem Opium zu betäuben. Mach und Kleinpeter sind, offenbar ebenfalls durch ein kleines „Mißverständnis", unter diese Leute geraten.


* Ebenda, Bd. XIII, p. 24 ff. Artikel von Carus, „Theologie als Wissenschaft".



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013