2. Über den „Transzensus", oder W. Basarow „bearbeitet" Engels | Inhalt | 4. Gibt es eine objektive Wahrheit!

3. L. Feuerbach und J. Dietzgen über das Ding an sich

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Um zu zeigen, wie widersinnig die Behauptungen unserer Machisten sind, die Materialisten Marx und Engels hätten die Existenz der Dinge an sich (d. h. der Dinge außerhalb unserer Empfindungen, Vorstellungen usw.) und ihre Erkennbarkeit geleugnet, sie hätten irgendeine prinzipielle Grenze zwischen Erscheinung und Ding an sich angenommen, möchten wir noch einige Zitate aus Feuerbach anführen. Das ganze Unglück unserer

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Machisten besteht darin, daß sie es unternommen haben, den reaktionären Professoren nachbetend, über dialektischen Materialismus zu reden, wobei sie weder die Dialektik noch den Materialismus kennen.

„Der moderne philosophische Spiritualismus", sagt L. Feuerbach, „welcher sich Idealismus nennt, macht dem Materialismus den ihn in seiner Meinung vernichtenden Vorwurf, daß er Dogmatismus sei, d. h., daß er von der [sinnlichen] Welt als einer [ausgemachten], objektiven Wahrheit ausgehe, dieselbe als eine [an sich], d. h. ohne uns bestehende Welt voraussetze, während doch die Welt nur ein Produkt des Geistes sei." (Sämtliche Werke, X. Band, 1866, S. 185.)

Ist das nicht klar genug? Die Welt an sich ist eine ohne uns bestehende Welt. Der Materialismus von Feuerbach wie der Materialismus des 17. Jahrhunderts, gegen den Bischof Berkeley gestritten hatte, bestand also in der Anerkennung der außerhalb unseres Bewußtseins existierenden „Objekte an sich". Das „[An sich]" Feuerbachs ist dem „[An sich]" Kants direkt entgegengesetzt: Erinnern wir uns des bereits angeführten Zitats aus Feuerbach, der Kant vorwirft, daß für ihn das „Ding an sich" ein „Abstraktum ohne Realität" sei. Für Feuerbach ist das „Ding an sich" ein „Abstraktum mit Realität", d. h. eine außer uns existierende Welt, vollständig erkennbar und von der „Erscheinung" durch nichts prinzipiell unterschieden.

Feuerbach erläutert sehr geistreich und anschaulich, wie unsinnig die Annahme irgendeines „Transzensus" von der Welt der Erscheinungen zu der Welt an sich ist, die Annahme irgendeines unüberschreitbaren Ab­grundes, den die Pfaffen geschaffen und die Philosophieprofessoren von diesen übernommen haben. Hier eine dieser Darlegungen:

„Allerdings sind auch die Gebilde der Phantasie Gebilde der Natur, denn auch die Kraft der Phantasie wie alle Kräfte des Menschen sind [zuletzt], sind ihrem Grund und Ursprung nach Naturkräfte, aber gleichwohl ist der Mensch ein von Sonne, Mond und Sternen, Steinen, Tieren und Pflanzen, kurz von allen den [Wesen], die er in den gemeinsamen Namen: Natur zusammenfaßt, unterschiedenes Wesen, und sind folglich die [Bilder] des Menschen von Sonne, Mond und Sternen und den übrigen [Naturwesen], wenngleich auch diese Bilder Naturgebilde sind, doch andere Gebilde als die Gegenstände derselben in der Natur." (Werke, Band VII, Stuttgart 1903, S. 516.)

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Die Gegenstände unserer Vorstellungen unterscheiden sich von unseren Vorstellungen, das Ding an sich unterscheidet sich von dem Ding für uns, denn letzteres ist nur ein Teil oder eine Seite des ersteren, so wie der Mensch selbst nur ein Teil der in seinen Vorstellungen abgebildeten Natur ist.

„... Der Geschmacksnerv ist so gut ein Naturgebilde wie das Salz, aber es folgt nicht daraus, daß der Geschmack des Salzes unmittelbar als solcher eine objektive Eigenschaft desselben, daß das, was das Salz nur als Empfindungsgegenstand [ist], es auch [an und für sich] selbst, die Empfindung also des Salzes auf der Zunge eine Beschaffenheit [des ohne Empfindung gedachten Salzes] ist..." Und ein paar Seiten vorher: „Die Säure als Geschmack ist der subjektive Ausdruck einer objektiven Beschaffenheit des Salzes." (514.)

Die Empfindung ist das Resultat der Einwirkung eines objektiv, außer uns existierenden Dinges an sich auf unsere Sinnesorgane, das ist die Theorie Feuerbachs. Die Empfindung ist ein subjektives Abbild der objektiven Welt, der Welt [an und für sich].

„... So ist auch der Mensch ein [Naturwesen], so gut wie die Sonne, der Stern, die Pflanze, das Tier, der Stein, aber gleichwohl unterscheidet er sich von der Natur, und ist folglich die Natur im Kopfe und Herzen des Menschen eine von der Natur außer dem menschlichen Kopfe und Herzen unterschiedene Natur.

... Aber doch ist... der Mensch der einzige Gegenstand, in dem, nach dem Ausspruch der Idealisten selbst, die Forderung der ,Identität von Subjekt und Objekt' erfüllt ist; denn er ist ja der Gegenstand, dessen Gleichheit und Einheit mit meinem Wesen außer allem Zweifel steht... Ist nicht auch ein Mensch für den anderen, und sollten sie sich noch so nahestehen, ein Objekt der Phantasie, der Einbildung? Faßt nicht jeder den anderen [in und nach seinem Sinne] auf?... Wenn nun aber schon zwischen Mensch und Mensch, zwischen Denken und Denken ein nicht zu übersehender, ein sehr bedenklicher Unterschied stattfindet, wieviel mehr ist zwischen den nicht denkenden, nicht menschlichen, nicht mit uns identischen [Wesen an sich] und eben diesen Wesen, wie sie von uns vorgestellt, gedacht und begriffen werden, zu unterscheiden!" (S. 518, ebenda.)

Jeder geheimnisvolle, ausgeklügelte, spitzfindige Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich ist purer philosophischer Unsinn.

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In Wirklichkeit hat jeder Mensch millionenmal die einfache und augenfällige Verwandlung des „Dinges an sich" in eine Erscheinung, in ein „Ding für uns" beobachtet. Diese Verwandlung ist eben die Erkenntnis. Die „Lehre" des Machismus, daß wir, die wir nur die Empfindungen kennen, nicht wissen können, ob irgend etwas jenseits der Grenzen der Empfindungen existiert, ist ein alter Sophismus der idealistischen und agnostischen Philosophie, der mit neuer Soße aufgetischt wird.

Josef Dietzgen ist dialektischer Materialist. Wir werden später zeigen, daß seine Ausdrucksweise oft ungenau ist und daß er oft in eine Konfusion gerät, an die sich manche unklugen Leute (darunter Eugen Dietzgen) und natürlich auch unsere Machisten geklammert haben. Jedoch haben sie sich nicht die Mühe genommen oder waren nicht imstande, die Grundlinie seiner Philosophie zu untersuchen und den Materialismus von anders gearteten Elementen deutlich abzusondern.

„Nehmen wir als ,Ding an sich' die Welt", sagt Dietzgen in seiner Schrift „Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit" (dtsch. Ausg. von 1903, S. 65), „so versteht es sich leicht, daß die Welt ,an sich' und die Welt, wie sie uns erscheint, die Erscheinungen der Welt, nicht weiter verschieden sind, wie das Ganze und seine Teile." „Die Erscheinung ist von dem, was erscheint, nicht mehr und nicht weniger verschieden, wie der zehn Meilen lange Inhalt eines Weges vom Wege selbst." (71/72.) Kein prinzipieller Unterschied, kein „Transzensus", keine „angeborne Unverträglichkeit" ist hier vorhanden, noch kann sie vorhanden sein. Aber einen Unterschied gibt es selbstverständlich, es gibt einen Übergang über die Grenzen der sinnlichen Wahrnehmungen hinaus zur Existenz der Dinge außer uns.

„Wir [erfahren]", sagt Dietzgen in den „Streifzügen eines Sozialisten in das Gebiet der Erkenntnistheorie", („Kleinere philosoph. Schriften"50, dtsch. Ausg. 1903, S. 199), „daß jede Erfahrung ein Teil desjenigen ist, das - mit Kant zu reden - über alle Erfahrung hinausreicht." „Im Sinne der ihres Wesens sich bewußten Erkenntnis ist jedes Partikelchen, sei es vom Staube genommen oder von Stein oder Holz, ein [Unauskenntlicbes], das heißt, jedes Partikelchen ist ein unerschöpfliches Material für das menschliche Erkenntnisvermögen, mithin etwas über die Erfahrung Hinausreichendes." (199.)

Man sieht: mit 'Kant zu reden, d. h. - ausschließlich zum Zwecke der Popularisierung, zur Gegenüberstellung - die irrige und verworrene Ter-

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minologie Kants gebrauchend, erkennt Dietzgen ein Hinausreichen „über die Grenzen der Erfahrung" an. Das ist ein treffliches Beispiel dafür, woran sich die Machisten klammern, wenn sie vom Materialismus zum Agnostizismus hinüberschwenken: wir, so sagen sie, wollen nicht „über die Grenzen der Erfahrung" hinausgehen, für uns „ist die Sinnesvorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit".

„Die ungesunde Mystik", sagt Dietzgen, sich gerade gegen eine derartige Philosophie wendend, „trennt die absolute von der relativen Wahr­heit unwissenschaftlich. Sie macht aus dem erscheinenden Dinge und dem ,Dinge an sich', das heißt aus der Erscheinung und aus der Wahrheit, zwei Kategorien, die toto caelo" (vollständig, auf der ganzen Linie, prinzipiell) „verschieden und in keiner gemeinsamen Kategorie ,aufgehoben enthalten' sind." (S. 200.)

Man beurteile jetzt die Sachkenntnis und den Scharfsinn des russischen Machisten Bogdanow, der sich nicht als Machist bekennen will und in der Philosophie als Marxist gelten möchte:

„Die goldene Mitte" - zwischen „Panpsychismus und Panmaterialismus" („Empiriomonismus", Buch II, 2. Aufl., 1907, S. 40/41) - „bilden die Materialisten einer mehr kritischen Nuance, die sich von der unbedingten Nichterkennbarkeit des ,Dinges an sich' losgesagt haben, es aber gleichzeitig für prinzipiell" (hervorgehoben von Bogdanow) „verschieden von der ,Erscheinung' halten, daher für in der Erscheinung stets nur ,undeutlich erkennbar', dem Inhalt nach außerhalb der Erfahrung" (d. h. offenbar den „Elementen" nach, welche anders als die Elemente der Erfahrung sind), „aber in den Grenzen dessen liegend, was man als Formen der Erfahrung zu bezeichnen pflegt, also in den Grenzen von Zeit, Raum und Kausalität. Dies ungefähr ist der Standpunkt der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts und unter den neueren Philosophen der Standpunkt Engels' und seines russischen Anhängers Beltow."

Das ist ein einziges Knäuel von lauter wirrem Zeug. 1. Die Materialisten des 17. Jahrhunderts, gegen die Berkeley polemisiert, erkennen die „Objekte an sich" als unbedingt erkennbar an; denn unsere Vorstellungen, Ideen sind nur Kopien oder Widerspiegelungen dieser „außerhalb des Geistes" existierenden Objekte. (Siehe „Einleitung".) 2. Feuerbach bestreitet entschieden den „prinzipiellen" Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung, ebenso ihm folgend J. Dietzgen, und Engels wirft diese

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Anschauung durch das kurze Beispiel von der Verwandlung der „Dinge an sich" in „Dinge für uns" über den Haufen. 3. Schließlich ist die Behauptung, daß die Materialisten die Dinge an sich für „in der Erscheinung stets nur undeutlich erkennbar" halten, purer Unsinn, wie wir das bei der Widerlegung des Agnostikers durch Engels gesehen haben. Der Grund für die Entstellung des Materialismus durch Bogdanow ist, daß er das Verhältnis zwischen absoluter und relativer Wahrheit (was wir weiter unten behandeln wollen) nicht begreift. Was das „außerhalb der Erfahrung" liegende Ding an sich und die „Elemente der Erfahrung" betrifft, so ist dies schon der Beginn der machistischen Konfusion, über die wir oben genügend gesprochen haben.

Den unglaublichen Unsinn der reaktionären Professoren über die Materialisten nachplappern, sich 1907 von Engels lossagen und 1908 versuchen, Engels agnostizistisch zu „bearbeiten" - das ist die Philosophie des „neuesten Positivismus" der russischen Machisten!



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 22.04.2013