Ein Geschlechtsunterschied im menschlichen Gehirn und seine Beziehung zur Transsexualität
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Von J.-N. Zhou, M.A. Hofman, L.J. Gooren and D.F. Swaab
Transsexuelle haben, oft von der Kindheit an, das starke Gefühl im falschen Geschlecht geboren zu sein. Die mögliche psychogene oder biologische Ätiologie der Transsexualität ist viele Jahre Gegenstand von Debatten gewesen [1,2]. Hier zeigen wir, daß die Größe der zentralen Unterteilung des bed nucleus der stria terminalis (BSTc), ein Bereich des Gehirns, der essentiell für das geschlechtliche Verhalten ist [3,4], bei Männern größer ist als bei Frauen. In Mann-zu-Frau-Transsexuellen wurde ein BSTc der Größe wie bei Frauen gefunden. Die Größe des BSTc war nicht beeinflußt durch Geschlechtshormone im Erwachsenenalter und war unabhängig von der geschlechtlichen Ausrichtung. Unsere Studie ist die erste, die eine weibliche Gehirnstruktur in genetisch männlichen Transsexuellen zeigt, und unterstützt die Hypothese, daß Geschlechtsidentität sich als Folge einer Wechselwirkung zwischen Heranreifen des Gehirns und Geschlechtshormonen entwickelt [5,6]. Untersuchungen der Genstruktur, der Geschlechtshormondrüsen, der Genitalien oder der Hormonpegel von Transsexuellen haben, bis heute, keine Ergebnisse geliefert, die ihren Status erklären [1,2]. Immerhin beeinflussen in Versuchstieren dieselben Geschlechtshormone, die auch vor der Geburt die Morphologie der Genitalien von Versuchstieren beeinflußt, die Morphologie und Funktion des Gehirns in einer geschlechtsdimorphischen Weise [6,7]. Dies führte zu der Hypothese, daß die geschlechtliche Differenzierung des Gehirns von Transsexuellen nicht der Linie der Geschlechtsdifferenzierung des Körpers als Ganzem folgt. In den letzten wenigen Jahren sind beträchtliche anatomische Unterschiede in Bezug auf Geschlecht und geschlechtliche Ausrichtung im menschlichen Hypothalamus beobachtet worden (siehe [6] für eine Übersicht), aber bis jetzt wurden keine neuroanatomischen Untersuchungen in Bezug auf den Ausdruck von gegengeschlechtlicher Identität (Transsexualität) angestellt. Wir studierten den Hypothalamus von sechs Mann-zu-Frau-Transsexuellen (T1-T6); dieses Material ist über die letzten elf Jahre gesammelt worden. Wir suchten nach einer Gehirnstruktur, die geschlechtsdimorphisch ist, aber nicht von der sexuellen Ausrichtung [=vom Hingezogenfühlen zu einem Geschlecht - Anm.d.Übers.] abhängig ist, da Mann-zu-Frau-Transsexuelle mit Rücksicht auf ihr geschlechtliches Verhalten zu jedem Geschlecht hin "ausgerichtet" sein können. Unsere früheren Beobachtungen haben gezeigt, daß der nucleus paraventricularis (PVN), der Geschlechtsdimorphische nucleus (SDN) und der nucleus suprachiasmaticus (SCN) diese Kriterien [6] nicht erfüllten. Obwohl es kein akzeptiertes Tiermodell für Geschlechtsidentitätsänderungen gibt, stellte sich der bed nucleus of stria terminalis (BST) als ein geeigneter Kandidat dafür heraus, untersucht zu werden, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens ist es bekannt, daß der BST eine essentielle Rolle im Geschlechtsverhalten von Nagern spielt [3,4]. Nicht nur sind Östrogen- und Testosteronrezeptoren im BST gefunden worden [8,9], es ist auch ein größeres Zentrum für Aromatase im sich entwickelnden Rattenhirn [10]. Der BST in Ratten erhält Projektionsbahnen hauptsächlich vom Mandelkern (amygdala) und führt einen kräftigem Input in die regio praeoptica hypothalami [11,12]. Auch sind reziproke Verbindungen zwischen Hypothalamus, BST und amygdala in Tierversuchen gut dokumentiert [13-15]. Desweiteren wurden geschlechtliche Unterschiede in der Größe und Zellenanzahl im BST von Nagern, die während ihrer Entwicklung mit Geschlechtshormonen beeinflußt worden waren, beschrieben [16-18]. Auch wurde berichtet, daß ein bestimmter caudaler Anteil des BST (BNST-dspm) bei Männern zweieinhalb mal größer ist als bei Frauen [19].
Der BST spielt eine essentielle Rolle im männlichen Geschlechtsverhalten und in der Regelung der Gonadotropinausschüttung, wie in Studien bei Ratten gezeigt wurde [3,4,21]. Es gab zwar keine direkte Offensichtlichkeit, daß der BST solch eine Rolle im menschlichen Geschlechtsverhalten spielt, aber unsere Demonstration eines geschlechtsdimorphischen Musters anhand der Größe des menschlichen BSTc, die im Einklang steht mit dem zuvor beschriebenen Geschlechtsunterschied in einem weiter caudal gelegenen Anteil des BST (BNST -dspm) [19], weist darauf hin, daß dieser Nucleus auch an menschlichen geschlechtlichen oder reproduktiven Funktionen beteiligt ist. Es ist vorgeschlagen worden, neurochemische Geschlechtsunterschiede im Ratten-BST auf den Einfluß von Geschlechtshormonen auf das Gehirn während Entwicklung und Erwachsenenalter [22,23] zurückzuführen. Unsere Daten von Menschen jedenfalls zeigen, daß die Größe des BSTc nicht von Änderungen von Hormonpegeln im Erwachsenenalter beeinflußt wird. Die Größe des BSTc einer 46-jährigen Frau, die für mindestens ein Jahr an einem Nebenierenrindentumor gelitten hatte, der sehr hohe Blutwerte an Androstenion und Testosteron produzierte, war im Rahmen des von anderen Frauen (Abb. 3: S1). Darüberhinaus zeigten zwei postmenopausale Frauen, beide über 70 Jahre, einen normalen BSTc von Frauengröße (Abb. 3: M1,M2). Da alle Transsexuelle mit Östrogenen behandelt worden waren, mochte die geringe Größe des BSTc möglicherweise auf hohe Östrogenpegel im Blut zurückzuführen sein. Offensichtlichkeit, die dagegen spricht, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Transsexuellen T2 und T3 beide einen kleinen BSTc von Frauengröße (Abb. 3) haben, obwohl die Transsexuelle T2 fünfzehn Moante vor dem Tod die Einnahme von Östrogen stoppte, weil ihre Prolactinwerte zu hoch waren, und T3 die Hormontherapie stoppte, als ungefähr drei Monate vor ihrem Tod ein Sarkom gefunden worden war; auch hatte ein 31 Jahre alter Mann, der an einem feminisierenden Nebennierentumor litt, der mit sehr hohen Östrogenpegeln im Blut einherging, nichtsdestotrotz einen sehr großen BSTc (Abb. 3 : S2) Figure 3: Volume of the BSTc innervated by VIP fibres in presumed heterosexual males (M), homosexual males (HM), presumed heterosexual females (F) and male-to-female transsexuals (TM). The six transsexuals are numbered T1-T6. The patients with abnormal sex hormone levels are numbered S1-S4. M1 and M2: postmenopausal women. Bars indicate mean ± SEM. Open symbols: individuals who died of AIDS. METHODS. Brains of 42 subjects matched for age, postmortem time and duration of formalin fixation were investigated. The autopsy was performed following the required permission. For immunocytochemical staining of VIP, the paraffin sections were hydrated and rinsed in TBS (Tris-buffered-saline: 0.05 M tris, 0.9% NaCl, pH 7.6). The sections were incubated with 200 µl anti-VIP (Viper, 18/9/86) 1:1000 in 0.5% triton in TBS overnight at 4 °C. The immunocytochemical and morphometric procedures were performed as described extensively elsewhere [25-27]. In brief, serial 6 m m sections of the BSTc were studied by means of a digitizer (Calcomp 2000) connected to a HP-UX 9.0, using a Zeiss microscope equipped with a 2.5x objective and with 10x (PLAN) oculars. Staining was performed on every 50th section with anti-VIP. The rostral and caudal borders of the BSTc were assessed by staining every 10th section in the area. The volume of the BSTc was determined by integrating all the area measurements of the BSTc sections that were innervated by VIP fibres. In a pilot study, the size of the BSTc was measured on both sides in eight subjects (five females and three males) and no left-right asymmetries were observed: the left BSTc (1.71 ± 0.16 mm3) was comparable in size to that of the right BSTc (1.83 ± 0.30 mm3) (P=0.79). No asymmetry was observed in the BNST-dspm either [19]. The rest of our study was therefore performed on one side of the brain only. Brain weight of the male transsexuals (1385 ± 75 g) was not different from that of the reference males (1453 ± 25 g) (P=0.61) or that of the females (1256 ± 35 g) (P=0.23). The cause of death of the six transsexuals was suicide (T1), cardiovascular disease (T2,T6), sarcoma (T3), AIDS, pneumonia, pericarditis (T4) and hepatitic failure (T5). Sexual orientation of the subjects of the reference group (12 men and 11 women) was generally not known, but presumably most of them were heterosexual. Sexual orientation of nine homosexuals was registered in the clinical records [28]. Differences among the groups were tested two-tailed using the Mann-Whitney U test. A 5% level of significance was used in all statistical tests. Zusammengenommen mit Informationen über Tiere unterstützt unsere Studie die Hypothese, daß Geschlechtsidentitätsalterationen sich als Ergebnis einer alterierten Wechselwirkung zwischen der Entwicklung des Gehirns und Geschlechtshormonen [5,6] entwickeln. Die direkte Wechselwirkung von genetischen Faktoren sollte ebenfalls auf Basis von Tierversuchen betrachtet werden [24]. Wir fanden keinen Zusammenhang zwischen der Größe des BSTc und der geschlechtlichen Ausrichtung von Transsexuellen, d.h. ob sie sich zu Männern (T1,T6), zu Frauen (T2,T3,T5) oder zu beiden (T4) hingezogen fühlten. Darüberhinaus unterschied sich die Größe des BSTc von heterosexuellen und homosexuellen Männern nicht, was die Vorstellung, daß die Größe des BSTc unabhängig von der geschlechtlichen Ausrichtung ist, verstärkte. Darüberhinaus gab es keinen Unterschied in Frühangriff-(T2,T5,T6) und Spätangriff- (T1,T3)Transsexuellen, was anzeigt, daß die geringe Größe des BSTc in Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität per se steht und weniger mit dem Alter, an dem sie auftritt. Interessanterweise scheint die Größe des BSTc ein sehr örtlicher Gehirnunterschied zu sein. Es gelang uns nicht, ähnliche Änderungen in drei anderen hypothalamischen Nuclei, und zwar den PVN, SDN oder SCN in den gleichen Individuen zu beobachten (unveröffentlichte Daten). Das mag darauf zurückzuführen sein, daß diese nuclei sich nicht alle zur gleichen Zeit entwickeln, oder auf einen Unterschied zwischen diesen Nuclei und dem BST hinsichtlich des Vorhandenseins von Geschlechtshormonrezeptoren oder der Aromatase. Wir studieren nun die Verteilung von Geschlechtshormonrezeptoren und Aromataseaktivität in verschiedenen hypothalamsichen Regionen in Abhängigkeit von geschlechtlicher Ausrichtung und Geschlecht. DanksagungenWir danken Mr. B. Fisser, Mr. H. Stoffels, Mr. G. van der Meulen, und Ms. T. Eikelboom und Ms. W.T.P. Verweij für ihre Hilfe, und Drs. R.M. Buijs, M.A. Corner, E. Fliers, A. Walter und F.W. van Leeuwen für ihre Kommentare. Gehirnmaterial wurde von der Netherlands Brain Bank (Koordinator Dr. R. Ravid) bereitgestellt. Diese Studie wurde unterstützt von der NWO. ReferencesMoney, J. and Gaskin, Int. J. Psychiatry, 9 (1970/1971) 249. L.J.G. Gooren |
Übersetzung ohne Gewähr
Gefunden bei : www.transgender.at