Spannungsrisskorrosion ist die transkristalline (durch das Gefügekorn) oder interkristalline (entlang der Korngrenzen des Gefüges) Rissbildung in Werkstoffen unter dem gleichzeitigen Einfluss einer rein statischen Zugspannung oder mit überlagerter niederfrequenter Zugschwellspannung sowie eines spezifischen Angriffsmittels. Auch Zugspannungen in Form von Eigenspannungen sind wirksam.
Bei der Spannungsrisskorrosion (SpRK) treten im Allgemeinen keine sichtbaren Korrosionsprodukte auf. Die Trennung ist verformungsarm.
Gegen Spannungsrisskorrosion sind bestimmte Werkstoffgruppen empfindlich. Dazu gehören Kupfer-Zink-Legierungen (Messing), manche Aluminium-Knetlegierungen, rost- und säurebeständige Stähle (teilweise) und martensitaushärtbare Stähle. Auch hochfeste Stähle (z.B. für Spannbeton) können unter bestimmten Umständen anfällig gegen wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion sein, un- und niedriglegierte Stähle gegen Spannungsrisskorrosion durch Nitrate. Auch bei niedriglegierten Goldlegierungen (Feingehalt unter 585/-) mit Zinkanteilen oder Legierungen mit Nickelanteilen (hier auch bei Feingehalten über 585/-) treten Schäden bis zur völligen Auflösung des Gefüges auf. Des Weiteren kann auch bei Kunststoffen Spannungsrisskorrosion auftreten. Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein von Zugspannungen und eine hohe Alkalität der Umgebung. Von Bedeutung ist dieses Problem z.B. in der Befestigungstechnik, wenn Kunststoffdübel (z.B. aus Polyethylen) in Betonuntergründen zum Einsatz kommen sollen.
Für das Auftreten von Spannungsrisskorrosion müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
Als spezifische Angriffsmittel wirken bei rost- und säurebeständigen austenitischen Stählen Chloride, bei Kupfer-Zink-Legierungen (Messing) sowie bei Goldlegierungen mit Zinkanteil sind es Ammoniak, Amine, Ammoniumsalze, Schwefeldioxid, Stickoxide, Nitrit, Nitrat, Quecksilbersalze etc., bei Aluminium ebenfalls Chloride (Meerwasser). Un- und niedriglegierte Stähle reagieren empfindlich auf Alkalihydroxide.
Eine bedeutende Rolle haben SpRK-beständige Stähle unter anderem in der Erdöl-/Erdgas-Industrie. Es gab und gibt häufige Fehler bei der Wahl eines geeigneten Werkstoffes in H2S-haltigen Medien. Bereits bei sehr geringen Partialdrücken können Stähle in H2S-haltigen Medien versagen. Legierungen wie 13 % Cr-Stähle werden fälschlicherweise noch immer häufig verwendet. In vielen Fällen muss man jedoch zu Duplex, Super-Duplex oder ähnlich teuren Werkstoffen greifen. H2S ist in relativ vielen Gaslagerstätten zu finden, oder auch im Begleitgas in Erdöllagerstätten. Bereits 600 ppm H2S können irreparable Schäden verursachen. In manchen Lagerstätten werden bis zu 20 % (200.000ppm) H2S gefördert.
Diese Angriffsmittel wirken schon in sehr geringen Konzentrationen, teils im ppm-Bereich.
Die Rissinitiierungszeit und die Rissfortschrittsgeschwindigkeit hängen von der Höhe der Zugspannungen, der Konzentration des Angriffsmittels und dem Grad der Kaltverfestigung ab. Als Schwellenwert wird bei Messing die sehr niedrige Zugspannung von 10 MPa angegeben.
Die Zeit bis zum vollständigen Durchreißen des Bauteils, also bis zum Versagen, kann zwischen Minuten und mehreren Jahren liegen. Bei Goldschmuck mit 333er Feingehalt kann, im Extremfall, schon nach einmaligem Tragen ein Angriff der Legierung stattfinden.
Durch Spannungsrisskorrosion hat es einige spektakuläre Unfälle gegeben:
Um Spannungsrisskorrosion zu vermeiden, muss mindestens eine der drei Bedingungen vermieden werden. Man kann also entweder das Angriffsmittel fernhalten, die Zugspannungen vermeiden oder einen unempfindlichen Werkstoff wählen.
Das Fernhalten des Angriffsmittels ist oft nicht möglich. Bei Kupfer-Zink-Legierungen genügt oft schon die allgemeine Luftverschmutzung, ein Bauernhof in der Nähe (Ammoniak aus dem Misthaufen) oder die Aufbewahrung eines ammoniakhaltigen Haushaltsreinigers in der Nähe des Bauteils. Auch im Fall „Hallenbad Uster“ war die Chloridbelastung kaum zu vermeiden. Auch die Zugspannungen können oft nicht vermieden werden, wie die Aufhängung der Hallenbaddecke zeigt. In solchen Fällen bleibt nur die Wahl eines Werkstoffs, der gegen Spannungsrisskorrosion unempfindlich ist.
Eine direkte Untersuchung erscheint derzeit nicht möglich. Vorhandene Risse oder Brüche an Spannstählen infolge Spannungsrisskorrosion lassen sich mit dem Remanenzmagnetismus-Verfahren orten.