4. Die zwei Richtungen in der modernen Physik und der englische Spiritualismus | Inhalt | 6. Die zwei Richtungen in der modernen Physik und der französische Fideismus

5. Die zwei Richtungen in der modernen Physik und der deutsche Idealismus

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Im Jahre 1896 schrieb der bekannte Kantianer und Idealist Hermann Cohen außergewöhnlich feierlich und frohlockend in der Einleitung zur 5. Auflage der von Fr. Albert L ange falsifizierten „Geschichte des Mate-

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rialismus". „Der theoretische Idealismus", rief Cohen aus (S. XXVI), „hat bereits angefangen, den Materialismus der Naturforscher zu erschüttern, und es möchte in diesen Grundfragen nur noch einer kurzen Zeit bedürfen, um das Geheimnis zur Bildungswahrheit zu machen: daß alle echte Wissenschaft von jeher und für immer nichts ist als Idealismus." „Wenn wir. .. diese [Durchwirkung] des Idealismus in der neueren Physik betrachten." „Der Atomismus mußte der Dynamik weichen." „Es ist eine wundersame Wendung, daß das Zurückgehen auf die chemischen Stoffprobleme zur grundsätzlichen Überwindung der materialistischen Ansicht von der Materie führen sollte. Wie Thales die erste Abstraktion des Stoffes vollzog, damit aber Spekulationen über das Elektron verband, so war es der Elektrizitätslehre beschieden, die größte Umwandlung in der Auffassung der Materie und durch die Verwandlung der Materie in die Kraft den Sieg des Idealismus herbeizuführen." (XXIX.)

H. Cohen stellt ebenso bestimmt und klar wie J. Ward die philosophischen Grundrichtungen fest, ohne sich in die kleinlichen Verschiedenheiten irgendeines energetischen, symbolischen, empiriokritischen, empiriomonistischen und sonstigen Idealismus zu verlieren (wie es unsere Machisten tun). Cohen nimmt die philosophische Grundtendenz jener physikalischen Schule, die heute mit den Namen Machs, Poincarés u. a. verbunden ist, und charakterisiert diese Tendenz richtig als idealistisch. „Die Verwandlung der Materie in die Kraft" scheint für Cohen die wichtigste Errungenschaft des Idealismus zu sein, ganz so wie für jene naturforschenden „Geisterseher", die J. Dietzgen im Jahre 1869 entlarvte. Die Elektrizität wird zum Gehilfen des Idealismus proklamiert, denn sie hat die alte Theorie von der Struktur der Materie zerstört, das Atom zerlegt, neue Formen der materiellen Bewegung entdeckt, die den alten so unähnlich, noch so wenig untersucht, so unerforscht, ungewöhnlich und „wundersam" sind, daß sich eine Interpretation der Natur als einer immateriellen (also geistigen, gedanklichen, psychischen) Bewegung einschmuggeln läßt. Die gestrige Grenze unserer Kenntnis von den unendlich kleinen Teilchen der Materie ist verschwunden; folglich, schließt der idealistische Philosoph, ist die Materie verschwunden (der Gedanke aber ist geblieben). Jeder Physiker und jeder Ingenieur weiß, daß die Elektrizität eine (materielle) Bewegung ist, aber niemand weiß recht, was sich hier bewegt; folglich, schließt der idealistische Philosoph, kann man die philosophisch nicht ge-

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bildeten Leute mit dem verführerisch „ökonomischen" Vorschlag irreleiten : laßt uns die Bewegung ohne 'Materie denken ...

H. Cohen bemüht sich, den berühmten Physiker Heinrich Hertz als Bundesgenossen zu gewinnen. Hertz gehört uns, er ist Kantianer, man trifft bei ihm die Annahme des Apriori! Hertz gehört uns, er ist Machist, behauptet dagegen der Machist Kleinpeter, denn bei Hertz findet sich „dieselbe subjektivistische Auffassung vom Wesen unserer Begriffe wie bei Mach"*. Dieser kuriose Streit darüber, wem Hertz gehört, bietet ein gutes Beispiel dafür, wie die idealistischen Philosophen nach dem geringsten Fehler, nach der geringsten Unklarheit in der Ausdrucksweise der berühmten Naturforscher haschen, um ihre aufgefrischte Verteidigung des Hdeismus rechtfertigen zu können. In Wirklichkeit zeigt die philosophische Einleitung von H. Hertz zu seiner „Mechanik"** den üblichen Standpunkt des Naturforschers, der durch das Professorengeheul gegen die „Metaphysik" des Materialismus eingeschüchtert ist, aber dennoch die spontane Überzeugung von der Realität der Außenwelt nicht überwinden kann. Das gibt Kleinpeter selbst zu, der einerseits durch und durch verlogene populäre Broschüren über die Erkenntnistheorie der Naturforsung unter das breite Leserpublikum wirft, in denen Mach neben Hertz figuriert, und anderseits in philosophischen Fachaufsätzen gesteht, daß „Hertz im Gegensatze zu Mach und Pearson noch an dem Vorurteil, die ganze Physik mechanisch erklären zu können, festhält"***, daß er den Begriff des Dinges an sich und den „üblichen Standpunkt der Physiker" beibehalte, daß Hertz „immer noch an der Existenz der Welt an sich festhält"! usw.

Es ist interessant, Hertz' Ansicht über die Energetik zu vermerken. „Fragen wir", schrieb er, „nach dem eigentlichen Grunde, aus welchem die Physik es heutzutage liebt, ihre Betrachtungen in der Ausdrucksweise der Energielehre zu halten, so dürfen wir antworten: weil sie es auf diese Weise am besten vermeidet, von Dingen zu reden, von welchen sie sehr wenig weiß ... Nun sind wir ja allerdings gegenwärtig überzeugt davon,


* „Archiv für systematische Philosophie", Bd. V, 1898/1899, S. 169/170.

** Henrich Hertz, Gesammelte Werke, Bd. 3, Leipzig 1894, bes. S. l, 2, 49.

*** „Kantstudien", Bd. VIII, 1903, S. 309.
† „The Monist", vol. XVI, 1906, Nr. 2, p. 164, Aufsatz über den „Monismus" Machs.

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daß die wägbare Materie aus Atomen besteht; auch haben wir von der Größe dieser Atome und ihren Bewegungen in gewissen Fällen einigermaßen bestimmte Vorstellungen. Aber die Gestalt der Atome, ihr Zusammenhang, ihre Bewegungen in den meisten Fällen, alles dies ist uns gänzlich verborgen ... Unsere Vorstellung von den Atomen ist daher selbst ein wichtiges und interessantes Ziel weiterer Forschung, keineswegs aber ist sie besonders geeignet, als bekannte und gesicherte Grundlage mathematischer Theorien zu dienen." (l. c., III, 21.) Hertz erwartete von der weiteren Erforschung des Äthers die Klärung „des Wesens der alten Materie, ihrer Schwere und Trägheit" (I, 354).

Hieraus ist ersichtlich, daß die Möglichkeit einer nichtmaterialistischen Auffassung der Energie Hertz gar nicht in den Sinn kommt. Den Philosophen diente die Energetik als Anlaß, vom Materialismus zum Idealismus zu flüchten. Der Naturforscher betrachtet die Energetik als ein bequemes Mittel, die Gesetze der materiellen Bewegung darzustellen zu einer Zeit, wo sich die Physiker, wenn man so sagen darf, vom Atom entfernt haben, aber beim Elektron noch nicht angelangt sind. Diese Zeit hält in beträchtlichem Grade auch jetzt noch an: eine Hypothese löst die andere ab; vom positiven Elektron weiß man rein gar nichts; vor drei Monaten erst (am 22. Juni 1908) teilte Jean Becquerel der französischen Akademie der Wissenschaften mit, daß es ihm gelungen sei, diesen „neuen Bestandteil der Materie" zu entdecken („Comptes rendus des séances de l´ Academie des Sciénces" [Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften], p. 1311). Wie sollte sich da die idealistische Philosophie den so günstigen Umstand nicht zunutze machen, daß die „Materie" vom menschlichen Geist erst noch „gesucht" wird, folglich nichts weiter als ein „Symbol" ist usw.

Ein anderer deutscher Idealist weit reaktionärerer Schattierung als Cohen, Eduard von Hartmann, widmete ein ganzes Buch der „Weltanschauung der modernen Physik" („Die Weltanschauung der modernen Physik", Leipzig 1902). Die besonderen Betrachtungen des Verfassers über die von ihm vertretene Spielart des Idealismus interessieren uns natürlich nicht. Wichtig ist für uns nur, darauf hinzuweisen, daß auch dieser Idealist die gleichen Erscheinungen feststellt, die sowohl von Rey als auch von Ward und Cohen konstatiert wurden. „Die moderne Physik war auf realistischem Boden erwachsen", sagt Hartmann, „und ließ sich

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nur durch die neukantische und agnostische Zeitströmung verleiten, ihre Ergebnisse im idealistischen Sinne umzudeuten." (218.) Nach Ansicht Hartmanns liegen der modernen Physik drei erkenntnistheoretische Systeme zugrunde: die Hylokinetik (von den griechischen Wörtern hyle == Materie und kinesis == Bewegung, d. h. die Anerkennung der physikalischen Erscheinungen als Bewegung der Materie), die Energetik und der Dynamismus (d. h. die Anerkennung einer Kraft ohne Stoff). Selbstverständlich vertritt der Idealist Hartmann den „Dynamismus" und folgert daraus, daß die Naturgesetze der Weltgedanke seien, mit einem Wort, er „substituiert" das Psychische für die physische Natur. Doch muß er zugeben, daß die meisten Physiker auf der Seite der Hylokinetik stehen, daß dieses System das „am meisten gebrauchte" (190) ist, daß ein ernster Mangel dieses Systems in dem „von der reinen Hylokinetik her drohenden Materialismus und Atheismus" liege (189). Die Energetik betrachtet der Verfasser ganz richtig als Zwittersystem und bezeichnet sie als Agnostizismus (136). Freilich sei sie ein „Bundesgenosse des reinen Dynamismus, denn sie entthront den Stoff" (S. VI, p. 192), ihr Agnostizismus mißfällt aber Hartmann als eine gewisse „Anglomanie", die dem waschechten Idealismus eines echt deutschen Erzreaktionärs widerstrebt.

Es ist außerordentlich lehrreich, zu sehen, wie dieser parteiisch-unversöhnliche Idealist (die Unparteiischen sind in der Philosophie ebensolche hoffnungslosen Stümper wie in der Politik) den Physikern auseinandersetzt, was es eigentlich heißt, der einen oder der anderen erkenntnis­theoretischen Linie zu folgen. „Die wenigsten von den Physikern, die eine solche Mode mitmachten", schreibt Hartmann über die idealistische Umdeutung der letzten Ergebnisse der Physik, „mochten sich der Tragweite und Konsequenzen einer solchen Umdeutung voll bewußt sein. Sie bemerkten auch nicht, daß die Physik samt ihren Gesetzen gerade nur soweit noch einen Sinn behielt, als sie ihrem Idealismus zum Trotz realistische Grundgedanken festhielten, nämlich die Existenz von Dingen an sich, die reellen zeitlichen Veränderungen derselben, die reelle Kausalität. .. Nur unter diesen realistischen Voraussetzungen (transzendenter Gültigkeit von Kausalität, Zeitlichkeit und dreidimensionalem, dem Raum entsprechenden Beziehungssystem oder intelligibler Räumlichkeit), also nur unter Gleichsetzung derjenigen Natur, von deren Gesetzen die Physik redet, mit einem . .. Reiche der Dinge an sich, kann von Naturgesetzen

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im Unterschied von psychologischen Gesetzen die Rede sein. Nur wenn die Naturgesetze sich in einem von unserem Denken unabhängigen Gebiete abspielen, nur dann können sie zur Erklärung dafür dienen, daß die denknotwendigen Folgen unserer Bilder stets wieder die Bilder sind von natumotwendigen Folgen des Unbekannten, das sie in unserem Bewußtsein abbilden oder symbolisieren." (218/219.)

Hartmann hat das richtige Empfinden, daß der Idealismus der modernen Physik eben eine Mode, aber keine ernst zu nehmende philosophische Abkehr vom naturwissenschaftlichen Materialismus ist, daher setzt er auch den Physikern richtig auseinander, daß man, um die „Mode" in einen konsequenten, in sich geschlossenen philosophischen Idealismus zu verwandeln, die Lehre von der objektiven Realität der Zeit, des Raumes, der Kausalität und der Naturgesetze radikal umgestalten müsse. Es gehe nicht an, nur die Atome, die Elektronen, den Äther für ein einfaches Symbol, für eine einfache „Arbeitshypothese" zu halten, man müsse auch Zeit und Raum und die Naturgesetze und die ganze Außenwelt für eine „Arbeitshypothese" erklären. Entweder Materialismus oder universale Substitution des Psychischen für die ganze physische Natur; es gibt massenhaft Leute, die es lieben, diese zwei Dinge in einen Topf zu werfen, doch Bogdanow und ich gehören nicht zu ihnen.

Von den deutschen Physikern kämpfte der 1906 verstorbene Ludwig Boltzmann systematisch gegen die machistische Strömung. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß er den Leuten, die „durch die neuen erkenntnistheoretischen Dogmen ganz befangen sind", einfach und klar entgegenhielt, daß der Machismus auf Solipsismus hinausläuft (siehe weiter oben, Kap. l, § 6). Boltzmann hat natürlich Angst, sich Materialist zu nennen, und erklärt sogar ausdrücklich, daß er durchaus nicht gegen die Existenz Gottes sei.* Seine Erkenntnistheorie ist jedoch ihrem Wesen nach materialistisch und bringt, wie der Historiker der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts S. Günther** zugibt, die Meinung der meisten Naturforscher zum Ausdruck. „Wir erschließen die Existenz aller Dinge", sagt L. Boltzmann, „bloß aus den Eindrücken, welche sie auf unsere Sinne machen." (l. c., S. 29.) Die Theorie ist ein „Abbild" (oder Bild) der Natur,


* Ludwig Boltzmann, „Populäre Schriften", Leipzig 1905, S. 187.

** Siegmund Günther, „Geschichte der anorganischen Naturwissenscharten im 19. Jahrhundert", Berlin 1901, S. 942 und 941.

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der Außenwelt (77). Diejenigen, die da sagen, daß die Materie bloß ein Komplex von Sinneswahrnehmungen sei, verweist Boltzmann darauf, daß dann auch die übrigen Menschen nur Empfindungen des Aussagenden wären (168). Diese „Ideologen", wie Boltzmann manchmal die philosophischen Idealisten nennt, malen uns ein „subjektives Weltbild" (176), der Verfasser dagegen zieht „ein einfacheres (objektives) Weltbild" vor. „Der Idealist vergleicht die Behauptung, daß die Materie ebenso wie unsere Empfindungen existiere, mit der Meinung des Kindes, daß der geschlagene Stein Schmerz empfinde, der Realist die, daß man sich nie vorstellen könne, wie Psychisches durch Materielles oder gar durch ein Spiel von Atomen dargestellt werden könne, mit der eines Ungebildeten, welcher behauptet, die Sonne könne nicht 20 Millionen Meilen von der Erde entfernt sein, denn das könne er sich nicht vorstellen." (186.) Boltzmann verzichtet nicht auf das Ideal der Wissenschaft, Geist und Wille als „komplizierte Wirkungen von Teilen der Materie" darzustellen (396).

Gegen die Ostwaldsche Energetik polemisierte L. Boltzmann mehrfach vom Standpunkt des Physikers aus, wobei er nachwies, daß Ostwald die Formel der kinetischen Energie (das halbe Produkt aus der Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit) weder widerlegen noch beseitigen kann und daß er sich in einem fehlerhaften Kreis bewegt, wenn er erst die Energie aus der Masse ableitet (die Formel der kinetischen Energie akzeptiert), dann aber die Masse als Energie definiert. (S. 112, 139.) Bei dieser Gelegenheit fällt mir die Bogdanowsche Wiedergabe von Mach im dritten Buch des „Empiriomonismus" ein. „In der Wissenschaft", schreibt Bogdanow unter Berufung auf Machs „Mechanik", „wird der Begriff der Materie auf den in den Gleichungen der Mechanik auftretenden Koeffizienten der Masse zurückgeführt, bei einer genauen Analyse erweist sich aber dieser letztere als die umgekehrte Größe der Beschleunigung beim Aufeinanderwirken von zwei physischen Körperkomplexen." (S. 146.) Gewiß, nimmt man irgendeinen Körper als Einheit, dann kann man die (mechanische) Bewegung aller übrigen Körper durch ein einfaches Verhältnis der Beschleunigung ausdrücken. Doch darum verschwinden die „Körper" (d. h. die Materie) durchaus noch nicht, hören sie nicht auf, unabhängig von unserem Bewußtsein zu existieren. Wenn man die ganze Welt auf die Bewegung von Elektronen zurückgeführt haben wird, dann wird man das Elektron aus allen Gleichungen gerade deswegen eliminieren können, weil

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es überall inbegriffen gedacht sein wird, und das Verhältnis der Gruppen oder Aggregate von Elektronen wird sich auf ihre gegenseitige Beschleunigung reduzieren, wenn die Formen der Bewegung ebenso einfach wären wie in der Mechanik.

Gegen die „phänomenologische" Physik von Mach und Co. polemisierend, behauptete Boltzmann, daß „derjenige, welcher die Atomistik durch Differentialgleichungen losgeworden zu sein glaubt, den Wald vor Bäumen nicht sieht" (144). „Will man sich keiner Illusion über die Bedeutung einer Differentialgleichung hingeben, so kann man nicht im Zweifel sein, daß dieses Weltbild" (mit Hilfe von Differentialgleichungen) „in seinem Wesen wieder ein atomistisches sein muß, d. h. eine Vorschrift, sich die zeitlichen Veränderungen einer überaus großen Anzahl von in einer Mannigfaltigkeit von wohl drei Dimensionen angeordneten Dingen nach bestimmten Regeln zu denken. Die Dinge können natürlich gleichartig oder von verschiedener Art, unveränderlich oder veränderlich sein" usw. (156.) „Wird man sich vollkommen darüber klar", sagt Boltzmann 1899 in einem Vortrag, gehalten in der Münchener Naturforscherversammlung, „daß die Phänomenologen versteckt im Gewande der Differentialgleichungen ebenfalls von atomartigen [Einzelwesen] ausgehen, die sie allerdings für jede Erscheinungsgruppe anders, bald mit diesen, bald mit jenen Eigenschaften begabt denken müssen, so wird sich bald wieder das Bedürfnis nach einer vereinfachten einheitlichen Atomistik einstellen." (223.) „Die Elektronentheorie entwickelte sich zu einer atomistischen Theorie der gesamten Elektrizitätslehre." (357.) Die Einheit der Natur zeigt sich in der „überraschendsten Analogie" der Differentialgleichungen auf den verschiedenen Erscheinungsgebieten. „Dieselben Gleichungen können als Auflösung eines Problems der Hydrodynamik und der Potentialtheorie betrachtet werden. Die Theorie der Flüssigkeitswirbel sowie die der [Gasreibung] zeigt die überraschendste Analogie mit der des Elektromagnetismus usw." (7.) Die Leute, die die „Theorie der allgemeinen Substitution" anerkennen, werden der Frage keinesfalls ausweichen können, wer denn auf den Gedanken gekommen sei, die physische Natur so einheitlich zu „substituieren".

Gleichsam als Antwort an die Leute, die von dem „Physiker der alten Schule" nichts mehr wissen wollen, schildert Boltzmann ausführlich, wie sich einige Spezialisten der „physikalischen Chemie" auf einen dem

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Machismus entgegengesetzten erkenntnistheoretischen Standpunkt stellen. Der Verfasser „eines der besten" - wie Boltzmann sagt - zusammenfassenden Bücher aus dem Jahre 1903, Vaubel, „setzt sich in den schroffsten Gegensatz zu der heute oft empfohlenen sogenannten Phänomenologie" (381). „Er macht sich vielmehr von der Natur der Atome und Moleküle, der zwischen ihnen wirkenden Kräfte und Agenzien eine möglichst konkrete, anschauliche Vorstellung, welche er den neuesten Erfahrungen auf diesem Gebiete anzupassen sucht" (Ionen, Elektronen, Radium, Zeemaneffekt usw.). „Der Verfasser hält streng an dem Dualismus von Materie und Energie fest*, welche beide das gemein haben, daß für jedes ein besonderes Erhaltungsgesetz gilt. In bezug auf die Materie hält er wieder an dem Dualismus zwischen ponderablen Stoffen und Äther fest, welchen letzteren er aber auch im strengsten Sinne als materiell betrachtet." (381.) Im zweiten Teil seiner Arbeit (Elektrizitätstheorie) stellt sich der Verfasser „gleich von vornherein auf den Standpunkt, daß die elektrischen Erscheinungen durch die Wechselwirkung und Bewegung von atomähnlichen Individuen, den Elektronen, bedingt sind" (383).

Also auch für Deutschland gilt dasselbe, was der Spiritualist J. Ward für England festgestellt hat, nämlich, daß die Physiker der realistischen Schule nicht weniger erfolgreich die Tatsachen und Entdeckungen der letzten Jahre systematisieren als die der symbolistischen Schule und daß der wesentliche Unterschied „nur" in dem erkenntnistheoretischen Standpunkt besteht.**


* Boltzmann will sagen, daß der Verfasser nicht versucht, Bewegung ohne Materie zu denken. Hier von „Dualismus" zu reden, ist lächerlich. Der philosophische Monismus bzw. Dualismus besteht in der konsequenten oder i­konsequenten Einhaltung des Materialismus bzw. des Idealismus.

** Erich Bechers Arbeit „Philosophische Voraussetzungen der exakten Naturwissenschaften" (Leipzig 1907), die ich erst nach Abschluß dieses Buches kennengelernt habe, bestätigt das in diesem Abschnitt Ausgeführte. Der Verfasser, der dem erkenntnistheoretischen Standpunkt von Helmhoitz und Boltzmann, d. h. dem „verschämten" und nicht zu Ende gedachten Materialismus am nächsten steht, macht sich in seiner Arbeit die Rechtfertigung und Deutung der Grundannahmen von Physik und Chemie zur Aufgabe. Aus dieser Rechtfertigung wird natürlich ein Kampf gegen die in Mode gekommene, aber auf immer größeren Widerstand stoßende machistische Richtung in der Physik (vgl. S. 91 u, a.). Treffend charakterisiert E.Becher diese Richtung als „subjektivistisdien weiter...



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013