1. Die Krise der modernen Physik | Inhalt | 3. Ist Bewegung ohne Materie denkbar?

2. „Die Materie ist verschwunden"

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Diese Äußerung kann man bei der Schilderung der neuesten Entdeckungen wörtlich bei den modernen Physikern finden. L. Houllevigue betitelt zum Beispiel in seinem Buch „Die Evolution der Wissenschaften" das Kapitel über die neuen Theorien der Materie: „Existiert die Materie?" „Das Atom ist entmaterialisiert", sagt er dort, „die Materie verschwindet."* Um zu sehen, wie leicht die Machisten daraus grundsätzliche philosophische Schlußfolgerungen ziehen, genügt es, etwa Walentinow zu nehmen. „Die Behauptung, daß die wissenschaftliche Erklärung der Welt ,nur im Materialismus' eine feste Begründung gewinnen könne, ist nichts weiter als eine Erfindung", schreibt er, „und überdies eine unsinnige Erfindung." (S. 67.) Als Vernichter dieser unsinnigen Erfindung wird der bekannte italienische Physiker Augusto Righi zitiert, der sagt, daß die Elektronentheorie „nicht so sehr eine Theorie der Elektrizität, als viel­mehr der Materie sei; das neue System setzt geradezu die Elektrizität an Stelle der Materie." (Augusto Righi, „Die moderne Theorie der physikalischen Erscheinungen", Leipzig 1905, S. 131. Es gibt eine russ. Übersetzung.) Diese Worte zitierend (S. 64), ruft Herr Walentinow aus:

„Wie kommt Augusto Righi dazu, der heiligen Materie diese Beleidigung zuzufügen? Vielleicht, weil er Solipsist, Idealist, bürgerlicher Kritizist, irgendein Empiriomonist oder gar noch Schlimmeres ist?"

Diese Bemerkung gegen die Materialisten, die Herrn Walentinow so furchtbar bissig dünkt, zeigt seine ganze jungfräuliche Unschuld in der Frage des philosophischen Materialismus. Worin der wirkliche Zusam­menhang des philosophischen Idealismus mit dem „Verschwinden der Materie" besteht, hat Herr Walentinow absolut nicht begriffen. Dagegen hat das „Verschwinden der Materie", von dem er, im Einklang mit den modernen Physikern, spricht, nichts zu schaffen mit der erkenntnis­theoretischen Unterscheidung von Materialismus und Idealismus. Um das zu erläutern, nehmen wir einen der konsequentesten und klarsten Machisten, Karl Pearson. Die physische Welt besteht für ihn aus Gruppen


* L. Houllevigue, „L'évolution des sciences", Paris (A. Colin) 1908, pp. 63, 87, 88. Vgl. vom selben Verfasser den Aufsatz „Les idées des physiciens sur la matiere" [Die Ansichten der Physiker über die Materie] in „Année Psychologique"101, 1908.

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von Sinneswahrnehmungen. „Unser Erkenntnismodell der physischen Welt" illustriert er durch folgende graphische Darstellung, mit dem Vorbehalt, daß die Größenverhältnisse in dieser Darstellung außer acht gelassen sind (p. 282, „The Grammar of Science");

Zur Vereinfachung seiner Darstellung hat K. Pearson die Frage nach dem Verhältnis von Äther und Elektrizität oder von positiven und negativen Elektronen ganz außer acht gelassen. Das ist jedoch nicht von Belang. Von Belang ist, daß der idealistische Standpunkt Pearsons die „Körper" als Sinneswahrnehmungen auffaßt; und die Zusammensetzung dieser Körper aus Partikeln, der Partikeln aus Molekülen usw. betrifft dann schon die Veränderungen am Modell der physischen Welt, auf keinen Fall aber die Frage, ob die Körper Symbole der Empfindungen oder die Empfindungen Abbilder der Körper sind. Materialismus und Idealismus unterscheiden sich durch die eine oder die andere Beantwortung der Frage nach der Quelle unserer Erkenntnis, nach dem Verhältnis der Erkenntnis (und des „Psychischen" überhaupt) zur physischen Welt, während die Frage der Struktur der Materie, die Frage der Atome und Elektronen eine Frage ist, die ausschließlich diese „physische Welt" betrifft. Wenn die Physiker sagen, „die Materie verschwindet", so wollen sie damit sagen, daß die Naturwissenschaft bisher alle ihre Forschungen über die physische Welt auf die drei letzten Begriffe: Materie, Elektrizität und Äther zurückgeführt hat, jetzt dagegen bleiben nur die zwei letzten übrig, denn es gelingt, die Materie auf Elektrizität zurückzuführen*, es gelingt, das Atom als eine Art unendlich kleinen Sonnensystems zu erklären, innerhalb dessen sich negative Elektronen mit einer bestimmten (und wie wir gesehen haben, gewaltig großen) Geschwindigkeit um das positive Elektron102 bewegen.103 Es gelingt folglich, die physische Welt statt auf Dutzende von Elementen auf zwei oder drei Elemente zurückzuführen (sofern das posi-


* Siehe auch den vorliegenden Band, S. 315/316, Fußnote. Die Red.

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tive und das negative Elektron „zwei wesentlich verschiedene Stoffe" bilden, wie der Physiker Pellat meint - Rey, l. c., p. 294/295 [S. 274]). Die Naturwissenschaft führt also zur „Einheit der Materie" (ebenda)* - das ist der wirkliche Inhalt jenes Satzes vom Verschwinden der Materie, von der Ersetzung der Materie durch Elektrizität usw., der so viele Köpfe verwirrt. „Die Materie verschwindet" heißt: Es verschwindet jene Grenze, bis zu welcher wir die Materie bisher kannten, unser Wissen dringt tiefer; es verschwinden solche Eigenschaften der Materie, die früher als absolut, unveränderlich, ursprünglich gegolten haben (Undurchdringlichkeit, Trägheit, Masse105 usw.) und die sich nunmehr als relativ, nur einigen Zuständen der Materie eigen erweisen. Denn die einzige „Eigenschaft" der Materie, an deren Anerkennung der philosophische Materialismus gebunden ist, ist die Eigenschaft, objektive Realität zu sein, außerhalb unseres Bewußtseins zu existieren.

Der Fehler des Machismus überhaupt und der machistischen neuen Physik besteht darin, daß diese Grundlage des philosophischen Materialismus und der Unterschied zwischen metaphysischem Materialismus und dialektischem Materialismus ignoriert werden. Die Anerkennung irgendwelcher unveränderlichen Elemente, eines „unveränderlichen Wesens der Dinge" usw. ist nicht Materialismus, sondern ist metapbysisdier, d. h. anti­dialektischer Materialismus. Daher betonte J. Dietzgen, daß „das Objekt aller Wissenschaft ein unendliches ist", daß nicht nur das Unendliche, sondern auch das „Atömchen" unermeßlich, unauskenntlich, unerschöpflich ist, denn „die Natur ist in allen Teilen ohne Anfang und Ende" („Kleinere philosophische Schriften", S. 229/230). Daher hat auch Engels


* Vgl. Oliver Lodge, „Sur les électrons", Paris 1906, p. 159: „Die elektrische Theorie der Materie", die Annahme, daß die Elektrizität die „Grundsubstanz" ist, ist „beinahe ein theoretisches Erreichen des Ziels, das die Philosophen von jeher anstrebten, nämlich: der Einheit der Materie". (Hier mit einigen Abänderungen zitiert nach der deutschen Ausgabe Leipzig 1907, die unter dem Titel „Elektronen oder die Natur und die Eigenschaften der negativen Elektrizität" erschienen ist, S. 180/181. Der Übers.) Vergleiche auch Augusto Righi, „über die Struktur der Materie", Leipzig 1908; J. J. Thomson, „The Corpuscular Theory of Matter" [Die Korpuskulartheorie der Materie], London 1907; P. Langevin, „La physique des électrons" [Die Physik der Elektronen] in „Revue generale des sciences"104, 1905, pp. 257-276.

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sein Beispiel von der Entdeckung des Alizarins im Kohlenteer angeführt und den medianisdien Materialismus kritisiert. Um die Frage vom einzig richtigen, d. h. dialektisch-materialistischen Standpunkt zu stellen, hat man zu fragen: Existieren Elektronen, Äther und so weiter außerhalb des menschlichen Bewußtseins, als objektive Realität, oder nicht? Diese Frage werden die Naturforscher ebenso ohne Schwanken mit ja beantworten müssen, und sie tun das auch beständig, wie sie ohne Schwanken die Existenz der Natur vor dem Menschen und vor der organischen Materie anerkennen. Und damit wird die Frage zugunsten des Materialismus entschieden, denn der Begriff Materie bedeutet, wie wir bereits sagten, erkenntnistheoretisch nichts anderes als: die unabhängig vom menschlichen Bewußtsein existierende und von ihm abgebildete objektive Realität.

Doch der dialektische Materialismus betont nachdrücklich, daß jede wissenschaftliche These über die Struktur und die Eigenschaften der Materie nur annähernde, relative Geltung hat, daß es in der Natur keine absoluten Schranken gibt, daß die sich bewegende Materie Verwandlungen durchmacht aus einem Zustand in einen anderen, der von unserem Standpunkt aus scheinbar mit dem vorangegangenen unvereinbar ist usw. Mag vom Standpunkt des „gesunden Menschenverstandes" die Verwandlung des unwägbaren Äthers in wägbare Materie und umgekehrt noch so wunderlich, das Fehlen jeder anderen als der elektromagnetischen Masse beim Elektron noch so „seltsam", die Beschränkung der mechanischen Bewegungsgesetze auf nur ein Gebiet der Naturerscheinungen und ihre Unterordnung unter die tieferen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen noch so ungewöhnlich sein usw. - das alles ist nur eine weitere Bestätigung des dialektischen Materialismus. Die neue Physik ist hauptsächlich gerade deshalb zum Idealismus abgeglitten, weil die Physiker die Dialektik nicht kannten. Sie kämpften gegen den metaphysischen (im Engelsschen, nicht im positivistischen, d. h. Humeschen Sinne dieses Wortes) Materialismus, gegen seinen einseitigen „mechanischen Charakter" und schütteten dabei das Kind mit dem Bade aus. Indem sie die Unveränderlichkeit der bis dahin bekannten Elemente und Eigenschaften der Materie verneinten, gelangten sie zur Verneinung der Materie, das heißt der objektiven Realität der physischen Welt. Indem sie den absoluten Charakter der wichtigsten und fundamentalen Gesetze verneinten, gerieten sie dahin, jede objektive Gesetzmäßigkeit in der Natur zu ver-

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neinen, die Naturgesetze für bloße Konvention, „Einschränkung der Erwartung", „logische Notwendigkeit" usw. auszugeben. Indem sie auf dem annähernden, relativen Charakter unseres Wissens bestanden, gelangten sie zur Verneinung des von der Erkenntnis unabhängigen Objekts, das von dieser Erkenntnis annähernd getreu, relativ richtig widergespiegelt wird. Usw. usf. ohne Ende.

Die Erwägungen Bogdanows vom Jahre 1899 über das „unveränderliche Wesen der Dinge", die Erwägungen Walentinows und Juschkewitschs über die „Substanz" usw. - das alles sind gleichfalls Produkte der Unkenntnis der Dialektik. Unveränderlich ist, vom Engelsschen Standpunkt, nur eines: die Widerspiegelung im menschlichen Bewußtsein (sofern menschliches Bewußtsein existiert) der unabhängig von demselben existierenden und sich entwickelnden Außenwelt. Irgendeine andere „Unveränderlichkeit", ein anderes „Wesen", eine „absolute Substanz" in dem Sinne, wie diese Begriffe von einer müßigen Professorenphilosophie ausgemalt wurden, existieren für Marx und Engels nicht. Das „Wesen" der Dinge oder die „Substanz" sind ebenfalls relativ; sie bringen nur die Vertiefung der menschlichen Erkenntnis der Objekte zum Ausdruck, und wenn gestern diese Vertiefung nicht weiter als bis zum Atom reichte, heute nicht weiter als bis zum Elektron und Äther reicht, so beharrt der dialektische Materialismus auf dem zeitweiligen, relativen, annähernden Charakter aller dieser Marksteine in der Erkenntnis der Natur durch die fortschreitende Wissenschaft des Menschen. Das Elektron ist ebenso unerschöpflich wie das Atom, die Natur ist unendlich, aber sie existiert unendlich, und eben diese einzig kategorische, einzig bedingungslose Anerkennung ihrer Existenz außerhalb des Bewußtseins und außerhalb der Empfindung des Menschen unterscheidet den dialektischen Materialismus vom relativistischen Agnostizismus und vom Idealismus.

Wir wollen zwei Beispiele dafür anführen, wie die neue Physik unbewußt und spontan zwischen dem dialektischen Materialismus, der den bürgerlichen Gelehrten verschlossen bleibt, und dem „Phänomenalismus" mit seinen unvermeidlichen subjektivistischen (und manchmal geradezu fideistischen) Schlußfolgerungen hin und her pendelt.

Derselbe Augusto Righi, den Herr Walentinow über die ihn interessierende Frage des Materialismus zu befragen nicht vermocht bat, schreibt in der Einleitung zu seinem Buch: „Was eigentlich die Elektronen

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oder elektrischen Atome sind, bleibt auch jetzt noch ein Geheimnis; dessenungeachtet aber ist es der neuen Theorie vielleicht gegeben, mit der Zeit auch eine nicht geringe philosophische Bedeutung zu erlangen, insofern sie betreffs der Struktur der ponderablen Materie zu völlig neuen Annahmen kommt und sämtliche Erscheinungen der Außenwelt auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen strebt.

Für die positivistischen und militaristischen Tendenzen unserer Zeit mag ein derartiger Vorzug nicht viel bedeuten und mag eine Theorie in erster Linie nur als ein Mittel gelten, um die Tatsachen auf bequeme Weise zu ordnen und zusammenzustellen, und um bei der Suche nach weiteren Erscheinungen als Führer zu dienen. Aber wenn frühere Zeiten den Fähigkeiten des menschlichen Geistes vielleicht ein allzu großes Vertrauen schenkten und zu leicht schon die letzten Ursachen aller Dinge mit den Händen zu fassen meinten, so ist man heute geneigt, in den entgegengesetzten Fehler zu verfallen." (l. c., S. 3.)

Warum grenzt sich Righi hier von den positivistischen und militaristischen Tendenzen ab? Weil er, der augenscheinlich keinen bestimmten philosophischen Standpunkt hat, spontan an der Realität der Außenwelt festhält und in der neuen Theorie nicht nur „Bequemlichkeit" (Poincaré), nicht nur ein „Empiriosymbol" (Juschkewitsch), nicht nur „Harmonisierung der Erfahrung" (Bogdanow) und wie derartige subjektivistisdie Schrullen sonst heißen mögen, sieht, sondern sie als einen weiteren Schritt in der Erkenntnis der objektiven Realität anerkennt. Hätte dieser Physiker den dialektisdhen Materialismus kennengelernt, so wäre sein Urteil über den dem alten metaphysischen Materialismus entgegengesetzten Fehler vielleicht zum Ausgangspunkt einer richtigen Philosophie geworden. Aber das ganze Milieu, in dem diese Leute leben, stößt sie von Marx und Engels ab und treibt sie der faden offiziellen Philosophie in die Arme.

Auch Rey ist die Dialektik absolut unbekannt. Doch ist auch er gezwungen zu konstatieren, daß es unter den neuesten Physikern solche gibt, die die Traditionen des „Mechanismus" (d. h. des Materialismus) fortsetzen. Den Weg des „Mechanismus", sagt er, gehen nicht nur Kirchhoff, Hertz, Boltzmann, Maxwell, Helmhoitz, Lord Kelvin. „Reine Mechanisten und von einem gewissen Standpunkt aus mechanistischer als irgend jemand sonst, die extremsten Vertreter des Mechanismus (l'aboutissant) sind jene, die mit Lorentz und Larmor eine elektrische Theorie der

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Materie formulieren und dahin gelangen, die Konstanz der Masse zu leugnen, indem sie aus dieser eine Funktion der Bewegung machen. Alle sind 'Mechanisten, weil sie zum Ausgangspunkt reale 'Bewegungen nehmen" (hervorgehoben von Rey, p. 290/291 [S. 270]).

„... Würden die neuen Hypothesen von Lorentz, Larmor und Langevin durch eine gewisse experimentelle Übereinstimmung eine genügend feste Basis für die Systematisierung der Physik bekommen, dann würde feststehen, daß die Gesetze der gegenwärtigen Mechanik von den Gesetzen des Elektromagnetismus abhängen; sie wären ein Spezialfall dieser in sehr bestimmten Grenzen. Die Konstanz der Masse, unser Trägheitsprinzip wären dann nur für die mittleren Geschwindigkeiten der Körper gültig, wobei der Ausdruck ,mittlere' im Verhältnis zu unseren Sinnen und zu den Erscheinungen, die unsere gewöhnliche Erfahrung ausmachen, zu verstehen ist. Eine allgemeine Umgestaltung der Mechanik wäre unumgänglich, und folglich auch eine allgemeine Umgestaltung der physikalischen Systematisierung.

Würde das den Verzicht auf den Mechanismus bedeuten? Keinesfalls. Die rein mechanistische Tradition würde nach wie vor bewahrt bleiben und der Mechanismus die normale Bahn seiner Entwicklung weiter verfolgen." (295 [275].)

„Die Elektronenphysik, die zu den Theorien zu zählen ist, welche ihrem allgemeinen Geist nach mechanistisch sind, hat die Tendenz, ihre Systematisierung auf die gesamte Physik auszudehnen. Ihr Geist ist ein mechanistischer, wenn auch die Grundprinzipien der Physik nicht mehr durch die Mechanik, sondern durch die experimentellen Daten der Elektrizitätstheorie geliefert werden, denn: 1. Sie verwendet anschauliche (figurés), materielle Elemente, um die physikalischen Eigenschaften und deren Gesetze darzustellen; sie drückt sich in Termini der Wahrnehmung aus. 2. Betrachtet sie auch nicht mehr die physikalischen Erscheinungen als Sonderfälle der mechanischen Erscheinungen, so doch die mechanischen Erscheinungen als einen Sonderfall der physikalischen. Die Gesetze der Mechanik bleiben somit in unmittelbarem Zusammenhang mit den Gesetzen der Physik; und die Begriffe der Mechanik bleiben Begriffe derselben Ordnung wie die physiko-chemischen. Im traditionellen Mechanismus waren es die Bewegungen, die Abbilder (calqués) von relativ langsamen Bewegungen waren, die, da sie die einzig bekannten und der

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direkten Beobachtung am meisten zugänglich waren ..., für die Urbilder aller überhaupt möglichen Bewegungen gehalten wurden. Die neuen Experimente dagegen zeigen, daß unsere Vorstellung von den möglichen Bewegungen erweitert werden muß. Die traditionelle Mechanik bleibt im ganzen unangetastet, aber sie ist anwendbar nur mehr auf die relativ langsamen Bewegungen ... Für große Geschwindigkeiten sind die Bewegungsgesetze andere. Die Materie scheint sich auf elektrische Partikeln, die letzten Elemente des Atoms zu reduzieren ... 3. Die Bewegung, der Ortswechsel bleibt das einzig anschauliche (figuratif) Element der physikalischen Theorie. 4. Schließlich - und vom Standpunkt des allgemeinen Geistes der Physik steht diese Erwägung höher als alle anderen - bleibt die Auffassung von der Physik, von ihren Methoden, ihren Theorien und ihrem Verhältnis zur Erfahrung absolut identisch mit der des Mechanismus und mit der Auffassung von der Physik seit der Renaissance." (46/47 [42].)

Ich habe diese langen Auszüge aus Rey ganz angeführt, weil es sonst, angesichts seiner fortwährenden ängstlichen Bemühungen, die „materialistische Metaphysik" zu vermeiden, unmöglich gewesen wäre, seine Behauptungen darzulegen. So sehr aber Rey und die Physiker, von denen er spricht, den Materialismus abschwören mögen, es bleibt dennoch außer Zweifel, daß die Mechanik das Abbild der langsamen realen Bewegungen war, während die neue Physik ein Abbild gigantisch schneller realer Bewegungen ist. Die Anerkennung der Theorie als Abbild, als annähernde Kopie der objektiven Realität - darin eben besteht der Materialismus. Wenn Rey sagt, unter den neuen Physikern sei eine „Reaktion gegen die konzeptualistische" (machistische) „und energetische Schule" zu verzeichnen, und wenn er die Physiker der Elektronentheorie zu den Vertretern dieser Reaktion zählt (46 [42]), so könnten wir uns eine bessere Bestätigung der Tatsache, daß der Kampf dem Wesen nach zwischen den materialistischen und den idealistischen Tendenzen vor sich geht, gar nicht wünschen. Man darf nur nicht vergessen, daß sich bei den hervorragendsten Theoretikern neben den allgemeinen Vorurteilen des gesamten gebildeten Spießertums gegen den Materialismus noch die völlige Unkenntnis der Dialektik geltend macht.



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 22.03.2013