6. Die „ Theorie der Symbole" (oder Hieroglyphen) und die Kritik von Helmholtz | Inhalt | 8. Wie konnten die reaktionären Philosophen an J. Dietzgen Gefallen finden?
7. Über zweierlei Kritik an Dühring
Wir wollen noch einen charakteristischen Zug in der unglaublichen Entstellung des Materialismus durch die Machisten hervorheben. Walentinow will die Marxisten dadurch schlagen, daß er sie mit Büchner vergleicht, der viel Ähnlichkeit mit Plechanow haben soll, obwohl Engels sich schroff von Büchner abgegrenzt hat. Bogdanow, der von einer anderen Seite an dieselbe Frage herantritt, tut, als verteidige er den „Materialismus der Naturforscher", von dem man, wie er sagt, „verächtlich zu sprechen pflegt" („Empiriomonismus", III. Buch, S. X). Sowohl Walentinow als auch Bogdanow werfen hier die Dinge heillos durcheinander. Marx und Engels haben stets über schlechte Sozialisten „verächtlich gesprochen", daraus folgt aber, daß in ihrem Sinne die Lehre des richtigen, wissenschaftlichen Sozialismus ist und nicht das Hinübersegeln vom Sozialismus zu bürgerlichen Anschauungen. Marx und Engels haben stets den schlechten (und hauptsächlich den antidialektischen) Materialismus verurteilt, aber sie verurteilten ihn vom Standpunkt des höheren, entwickelteren, dialektischen Materialismus und nicht vom Standpunkt des Humeismus oder Berkeleyanismus. Marx, Engels und Dietzgen sprachen über die schlechten Materialisten, weil sie mit ihnen rechneten und ihre Fehler korrigieren wollten, aber über die Humeisten und Berkeleyaner,
über Mach und Avenarius hätten sie nicht einmal gesprochen und sich mit einer einzigen, noch verächtlicheren Bemerkung über ihre ganze Richtung begnügt. Deshalb bedeutet das endlose Getue und Gerede unserer Machisten über Holbach und Co., Büchner und Co. usw. lediglich und ausschließlich einen Versuch, dem Publikum Sand in die Augen zu streuen, das Abweichen des ganzen Machismus von den Grundlagen des Materialismus überhaupt zu verschleiern, bedeutet es die Scheu, sich direkt und eindeutig mit Engels auseinanderzusetzen.
Klarer jedoch, als Engels sich gegen Ende des zweiten Kapitels seines „Ludwig Feuerbach" über den französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts und über Büchner, Vogt und Moleschott geäußert hat, könnte man sich schwerlich ausdrücken. Es ist unmöglich, Engels mißzuverstehen, wenn man nicht willens ist, ihn zu entstellen. Marx und ich sind Materialisten, sagt Engels in diesem Kapitel, in dem er den grundlegenden Unterschied erläutert, der zwischen allen Schulen des Materialismus und dem ganzen Lager der Idealisten, allen Kantianern und Humeisten überhaupt besteht. Und Engels macht Feuerbach einen gewissen Kleinmut zum Vorwurf, einen Leichtsinn, der seinen Ausdruck darin fand, daß er sich hier und da wegen der Irrtümer dieser oder jener materialistischen Schule vom Materialismus überhaupt lossagte. Feuerbach „[durfte]", sagt Engels, „die Lehre der Reiseprediger" (Büchner und Co.) „[nicht] verwechseln mit dem Materialismus überhaupt" (S. 2l)91. Nur Köpfe, die dadurch verdorben waren, daß sie die Lehren der deutschen reaktionären Professoren gelesen und auf Treu und Glauben hingenommen hatten, konnten den Charakter solcher Vorwürfe, wie sie Engels Feuerbach machte, mißverstehen.
Engels sagt mit äußerster Klarheit, daß Büchner und Co. „in keiner Weise über die Schranke ihrer Lehrer", d. h. der Materialisten des 18. Jahrhunderts, „hinauskamen", daß sie nicht einen Schritt vorwärts getan haben. Deswegen und nur deswegen macht Engels Büchner und Co. Vorwürfe, nicht wegen ihres Materialismus, wie die Ignoranten meinen, sondern weil sie den Materialismus nicht vorwärtsbrachten, weil „es ganz außertsalb ihres Gesdhäfts lag, die Theorie" (des Materialismus) „weiterzuentwickeln". Nur deswegen macht Engels Büchner und Co. Vorwürfe. Und ebenda zählt Engels Punkt für Punkt die drei hauptsächlichen „[Beschränktheiten]" der französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts auf, die er und Marx überwunden haben, von denen sich jedoch Büchner
und Co. nicht frei machen konnten. Die erste Beschränktheit: die Auffassung der alten Materialisten war „mechanisch" m dem Sinne, daß sie ausschließlich den „Maßstab der Mechanik auf Vorgänge, die chemischer und organischer Natur sind", angewandt haben (S. 19). Wir werden im nächsten Kapitel sehen, wie das Mißverstehen dieser Worte von Engels dazu geführt hat, daß sich gewisse Leute über die neue Physik in den Idealismus verirrten. Engels verwirft den mechanischen Materialismus nicht aus dem Grunde, aus welchem ihn die Physiker der „neuesten" idealistischen (alias machistischen) Richtung verwerfen. Die zweite Beschränktheit: der metaphysische Charakter der Auffassungen der alten Materialisten im Sinne einer „antidialektischen Weise des Philosophierens". Diese Beschränktheit teilen mit Büchner und Co. ganz und gar unsere Machisten, die, wie wir gesehen haben, von Engels' Anwendung der Dialektik auf die Erkenntnistheorie (absolute und relative Wahrheit zum Beispiel) rein gar nichts verstanden haben. Die dritte Beschränktheit: die Beibehaltung des Idealismus „oben", auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaft, das Nichtbegreifen des historischen Materialismus.
Nachdem Engels diese drei „Beschränktheiten" aufgezählt und mit einer die Frage erschöpfenden Klarheit erläutert hat (S. 19-21), fügt er gleich darauf hinzu: „über diese Schranken" kamen die Büchner und Co. nicht hinaus.
Ausschließlich wegen dieser drei Dinge, ausschließlich in diesen Grenzen lehnt Engels sowohl den Materialismus des 18. Jahrhunderts als auch die Lehre von Büchner und Co. ab! In allen übrigen, mehr zum Abc des Materialismus gehörenden (von den Machisten entstellten) Fragen gibt es zwischen Marx und Engels einerseits und all diesen alten Materialisten anderseits keinen Unterschied und kann es auch keinen geben. Konfusion in diese durchaus klare Frage haben ausschließlich die russischen Machisten hineingetragen, denn für ihre westeuropäischen Lehrer und Gesinnungsgenossen ist die grundlegende Differenz zwischen der Linie von Mach und Co. und der Linie der Materialisten überhaupt ganz offensichtlich. Unsere Machisten hatten es nötig, die Frage zu verwirren, um ihren Bruch mit dem Marxismus und ihren Übergang ins Lager der bürgerlichen Philosophie als „kleine Korrekturen" am Marxismus hinstellen zu können!
Nehmen wir Dühring. Es ist schwer, sich Äußerungen vorzustellen, die verächtlicher wären als Engels' Äußerungen über Dühring. Sehen wir
aber, wie derselbe Dühring zur gleichen Zeit, als ihn Engels kritisierte, von Leclair kritisiert wurde, der die „revolutionierende Philosophie" Machs pries. Für Leclair ist Dühring die „äußerste Lnke" des Materialismus, wo „ohne Hehl die Empfindung sowie überhaupt jede Bewußtseins- und Intelligenzbetätigung als Sekretion, Funktion, höchste Blüte, Gesamteffekt u. dergl. des animalen Organismus gilt" (Der Realismus usw., 1879, S. 23/24).
Hat Engels Dühring deswegen kritisiert? Nein. Darin stimmte er mit Dühring wie mit jedem anderen Materialisten vollständig überein. Er kritisierte Dühring von dem diametral entgegengesetzten Standpunkt aus, wegen der Inkonsequenz seines Materialismus, wegen der idealistischen Schrullen, die dem Fideismus ein Hintertürchen offenlassen.
„Die Natur selbst arbeitet in den vorstellenden Wesen und auch von außen her daran, durch eine gesetzmäßige Hervorbringung von zusammenhängenden Anschauungen die erforderliche Kenntnis vom Laufe der Dinge zu vermitteln." Diese Worte Dührings zitiert Leclair und attackiert wütend den Materialismus eines derartigen Standpunktes, die „gröbste Metaphysik" dieses Materialismus, die „Selbsttäuschung" usw. usf. (S. 160 und 161-163).
Hat Engels Dühring deswegen kritisiert? Nein. Er verspottete jede Schwülstigkeit, aber in der Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur, die sich im Bewußtsein widerspiegelt, stimmte Engels mit Dühring wie mit jedem anderen Materialisten vollständig überein.
„Das Denken ist eine höhere Artung der sonstigen Wirklichkeit..." „Eine Grundeinsicht der Philosophie ist die Selbständigkeit und Unterschiedenheit der dinglich wirklichen Welt von der in ihr hervortretenden und sie erfassenden Gruppe von Bewußtseinsgestaltungen." Diese Worte Dührings zitiert Leclair zusammen mit einer Reihe von Ausfällen Dührings gegen Kant usw. und beschuldigt ihn deswegen der „Metaphysik" (S. 218-222), der Anerkennung eines „metaphysischen Dogmas" u. dgl.
Hat Engels Dühring deswegen kritisiert? Nein. Daß die Welt unabhängig von dem Bewußtsein existiert und daß jedes Abweichen der Kantianer, Humeisten, Berkeleyaner usw. von dieser Wahrheit falsch ist, darin stimmte Engels mit Dühring wie mit jedem anderen Materialisten vollständig überein. Hätte Engels gesehen, von welker Seite Leclair, Arm in Arm mit Mach, darangeht, Dühring zu kritisieren, er hätte diese beiden philo-
sophischen Reaktionäre mit hundertmal verächtlicheren Ausdrücken belegt als Dühring! Für Leclair war Dühring die Verkörperung des verderblichen Realismus und Materialismus (vgl. noch „Beiträge zu einer monistisehen Erkenntnistheorie", 1882, S. 45). W. Schuppe, der Lehrer und Mitkämpfer Machs, beschuldigte Dühring 1878 des „[Traumrealismus]"* aus Rache für den Ausdruck „Traumidealismus", den Dühring gegen alle Idealisten in Umlauf gesetzt hatte. Gerade umgekehrt für Engels: Dühring war ihm ein zuwenig folgerichtiger, klarer und konsequenter Materialist.
Sowohl Marx und Engels als auch J. Dietzgen betraten die philosophische Arena zu einer Zeit, als bei den fortschrittlichen Intellektuellen im allgemeinen und in den Arbeiterkreisen im besonderen der Materialismus vorherrschte. Es ist daher ganz natürlich, daß Marx und Engels ihr ganzes Augenmerk nicht auf eine Wiederholung des Alten richteten, sondern auf eine ernsthafte theoretische Weiterentwicklung des Materialismus, auf seine Anwendung auf die Geschichte, d. h. auf die Vollendung des Gebäudes der materialistischen Philosophie bis oben hinauf. Es ist ganz natürlich, daß sie sich auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie darauf beschränkten, die Fehler Feuerbachs zu korrigieren, die Plattheiten des Materialisten Dühring zu verlachen, die Fehler Büchners zu kritisieren (siehe bei J. Dietzgen) und das zu unterstreichen, was diesen in Arbeiterkreisen am meisten verbreiteten und populärsten Schriftstellern besonders fehlte, nämlich die Dialektik. Um die Binsenwahrheiten des Materialismus, die die Reiseprediger in Dutzenden von Auflagen in die Welt hinausschrien, machten sich Marx, Engels und J. Dietzgen keine Sorge, sondern richteten ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, daß diese Binsenwahrheiten nicht vulgarisiert, nicht zu sehr versimpelt würden, nicht zu einer Gedankenstagnation führten („Materialismus unten, Idealismus oben"), nicht dazu, daß die wertvolle Frucht der idealistischen Systeme, die Hegeische Dialektik, in Vergessenheit geriete - diese echte Perle, die die Hähne Büchner, Dühring und Co. (samt Leclair, Mach, Avenarius u. a.) aus dem Misthaufen des absoluten Idealismus nicht auszusondern verstanden.
Vergegenwärtigt man sich einigermaßen konkret diese historischen Bedingungen, unter denen die philosophischen Arbeiten von Engels und
* Dr. Wilhelm Schuppe, „Erkenntnistheoretische Logik", Bonn 1878, S.56.
J. Dietzgen entstanden, so wird ganz klar, warum sie mehr darauf bedacht waren, sich von der Vulgarisierung der Binsenwahrheiten des Materialismus abzugrenzen, als diese Wahrheiten selbst zu verteidigen. Marx und Engels haben sich ja auch mehr von der Vulgarisierung der Grundforderungen der politischen Demokratie abgegrenzt, als diese Forderungen selbst verteidigt.
Nur die Schüler der philosophischen Reaktionäre konnten diesen Umstand „übersehen" und den Lesern die Sache so darstellen, als hätten Marx und Engels nicht verstanden, was es heißt, Materialist zu sein.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013