Gibt es "kontrolliertes Trinken" für Alkoholiker?

Unterziehen sich Abhängige einer ersten Behandlung, weil Sie merken, daß es so nicht weitergeht, besteht oft die Hoffnung, später wieder gemäßigt trinken zu können. Schließlich erwartet man ja eine Heilung! Und es ist auch einem großen Teil der Nichtalkoholiker schwer verständlich, warum diese Rückkehr zum gemäßigten sozialen oder kontrollierten Trinken unmöglich sein soll. Und wer diese Unmöglichkeit nicht aus eigener Erfahrung kennt oder wenigstens verstandesmäßig erkannt hat, der wird das gemäßigte Trinken wieder versuchen, zumal man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Man verschafft sich

  1. die Befriedigung des Trinkens und
  2. den Beweis, daß man kein "echter" Alkoholiker ist

Anfangs mag das mäßige Trinken oder Pillen schlucken auch gelingen, so daß man sich bestätigt fühlt. Alles im Leben läuft vielleicht bestens und auch dies gelingt noch. Aber dann geschieht doch früher oder später das für alle Beteiligten Unfassbare, für das auch die Wissenschaft bisher erst unvollständige Erklärungen gefunden hat: Das mäßige Trinken wird immer öfter überschritten. Und damit ist der alte Teufelskreis mit Selbsttäuschung und Verleugnung wieder in Gang, denn wenn der Betreffende sein Gesicht wahren möchte, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als sich selbst und andere zu belügen. Von Mal zu Mal geht es schneller, daß sich der Zustand des süchtigen Trinkens einstellt.

Selbst wenn das mäßige Trinken des Abhängigen ihm und anderen "normal" erscheint, ist es doch meist nur "kontrolliertes" Trinken. Das sicherste Zeichen, ob es sich um kontrolliert-süchtiges Trinken handelt, ist das häufige Denken an Alkohol und das mit der Zeit immer unruhigere Warten auf den Zeitpunkt des Trinkens.

Nur wenn der Betreffende seine Unfähigkeit zum problemlosen Umgang mit den Suchtmitteln anerkennt und annimmt, kann er die entscheidenden Veränderungen an sich bewirken, die es ihm ermöglichen, zufrieden abstinent zu leben. Es ist aus Tierversuchen deutlich geworden, daß es bei höheren Lebewesen nach längerem süchtigen Gebrauch von Alkohol so etwas wie einen 'point of no return' gibt, also einen Punkt, von dem an es keine Rückkehr zum unproblematischen Konsum gibt. Man glaubt, daß dies mit einer überdauernden Änderung im Hirnstoffwechsel zu tun hat, die sich auch durch noch so lange Abstinenz nicht wieder zurückbildet. Aber dieser Punkt lässt sich beim Menschen noch nicht biochemisch nachweisen, so daß kein Abhängiger einen letzten wissenschaftlichen Nachweis für seine überdauernde "Schwäche" erhalten kann. Er kann nur seine eigene Erfahrung als Beweis werten.

Alle Menschen haben Ihre Schwächen und die wenigsten können dazu stehen. Kann sich der Abhängige seine Schwäche in puncto Suchtmittel nicht eingestehen und sie als Teil von sich voll akzeptieren, hat er nur zwei Möglichkeiten: Entweder er läuft mit einer Leichenbittermiene "trocken" durchs Leben oder er versucht, trotz aller Erfahrungen, kontrolliert zu trinken. Letzteres ist auch für Leute, die darin geübt sind, sich ständig selbst beweisen zu müssen, eine harte Aufgabe. Sie erfordert soviel Energie, daß sie die Kräfte der Kontrolle immer wieder überfordert. Vergleichbar ist damit vielleicht am ehesten sexuelle Aktivität, die ständig kontrolliert ausgeübt werden muß, da es aus irgendeinem Grund nie zur vollständigen Befriedigung kommen darf. Die Kontrolle selbst verstärkt dann paradoxerweise entweder das Bedürfnis, sich endlich einmal unkontrolliert und frei "ausleben" zu können, oder man meidet den ganzen Verhaltensbereich lieber ganz. Inwiefern dieser Vergleich passt und wo er hinkt, diese Frage soll Ihnen zum Nachdenken überlassen bleiben. Nur wenn ich meine Schwächen akzeptiere, kann ich meine Stärken für mich nutzen.

Hinweis zu Gesundheitsthemen Dieser Artikel dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt keine Arztdiagnose.
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Datum der letzten Änderung:  Jena, den : 23.11.2012