Eulersche Differentialgleichung

Die eulersche Differentialgleichung (nach Leonhard Euler) ist eine lineare gewöhnliche Differentialgleichung höherer Ordnung mit nicht-konstanten Koeffizienten der speziellen Form

\sum_{k=0}^N a_k \, (cx+d)^k\;y^{(k)}(x) = b(x)\ ,\ cx + d > 0

zu gegebenen N \in \mathbb{N},\ a_0, \ldots, a_N,c,d \in \mathbb{R},\ c \neq 0 und Inhomogenität b. Kennt man ein Fundamentalsystem der homogenen Lösung, so kann man mit dem Verfahren der Variation der Konstanten die allgemeine Lösung der inhomogenen Gleichung bestimmen. Daher braucht nur b \equiv 0 betrachtet zu werden.

Die eulersche Differentialgleichung wird mittels der Transformation z(t) := y\left(\tfrac{e^t-d}{c}\right) in eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten überführt.

Motivation der Transformation

Sei y eine genügend glatte Funktion und

z(x) := y\left(\frac{e^x-d}{c}\right), also \ y(x) = z(\ln(cx+d)).

Dann gilt

\begin{array}{lll}
y'(x)&=&\frac{c}{cx+d}z'(\ln(cx+d))\ ,\\
y''(x)&=&\frac{c^2}{(cx+d)^2}z''(\ln(cx+d)) - \frac{c^2}{(cx+d)^2}z'(\ln(cx+d))\ ,\\\end{array}

also

\begin{array}{lll}
(cx+d)y'(x)&=&c\cdot z'(\ln(cx+d))\ ,\\
(cx+d)^2y''(x)&=&c^2\cdot [z''-z'](\ln(cx+d))\ .\\\end{array}

Insofern würde sich die eulersche Differentialgleichung zweiter Ordnung in eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten transformieren. Es stellen sich nun folgende Fragen:

Diese Fragen werden durch den folgenden Transformationssatz geklärt:

Der Transformationssatz

Sei z Lösung der linearen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten

\sum_{k=0}^{n}a_kc^k\left(\left[\prod_{j=0}^{k-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(x) = 0\ .

Dann ist

\ y(x) := z(\ln(cx+d))

eine Lösung der (homogenen) eulerschen Differentialgleichung

\sum_{k=0}^N a_k(cx+d)^ky^{(k)}(x) = 0\ ,\ cx+d > 0\ .

Erläuterung zur Notation

Hierbei werden zunächst die Differentialoperatoren miteinander (vergleichbar dem Ausmultiplizieren) verknüpft, bevor sie auf eine Funktion angewandt werden, beispielsweise:

\left[\prod_{j=0}^{-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z = z\ ,
\left[\prod_{j=0}^0\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z = \left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-0\right)z = z'\ ,
\left[\prod_{j=0}^1\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z = \left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-0\right)\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-1\right)z = 
\left(\frac{{\rm d^2}}{{\rm d}x^2}-\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}\right)z =
z'' - z'\ ,
\left[\prod_{j=0}^2\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z = \left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-0\right)\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-1\right)\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-2\right)z = 
\left(\frac{{\rm d^3}}{{\rm d}x^3}-3\frac{{\rm d^2}}{{\rm d}x^2}+2\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}\right)z =
z''' - 3z'' + 2z'\ .

Beweis

Zu zeigen ist lediglich c^k\left(\left[\prod_{j=0}^{k-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln(cx+d)) = (cx+d)^ky^{(k)}(x) für alle k \in \mathbb{N}_0. Dies geschieht mittels vollständiger Induktion. Der Induktionsanfang k=0 ist trivial. Unter Voraussetzung der Gültigkeit der Identität für k_0 \in \mathbb{N}_0 kann diese Identität differenziert werden. Es ergibt sich

(cx+d)^{k_0}y^{(k_0+1)}(x) + ck_0(cx+d)^{k_0-1}y^{(k_0)}(x) = \frac{c^{k_0+1}}{cx+d}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}\left[\prod_{j=0}^{k_0-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln (cx+d))\ .

Anwenden der Induktionsvoraussetzung impliziert

\begin{array}{lll}
(cx+d)^{k_0+1}y^{(k_0+1)}(x)&=&c^{k_0+1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}\left[\prod_{j=0}^{k_0-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln(cx+d)) - ck_0(cx+d)^{k_0}y^{(k_0)}(x)\\
&=&c^{k_0+1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}\left[\prod_{j=0}^{k_0-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln (cx+d))\\
&&\quad - c^{k_0+1}k_0\left(\left[\prod_{j=0}^{k_0-1}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln (cx+d))\\
&=&c^{k_0+1}\left(\left[\prod_{j=0}^{k_0}\left(\frac{{\rm d}}{{\rm d}x}-j\right)\right]z\right)(\ln (cx+d))\ .\\
\end{array}
\Box

Folgerung: Konstruktion eines Fundamentalsystems

Die charakteristische Gleichung für die Differentialgleichung von z lautet

\chi(\lambda) = \sum_{k=0}^{n}a_kc^k\prod_{j=0}^{k-1}(\lambda-j) = 0\ .

Bezeichnen nun \lambda_1, \ldots, \lambda_M die Nullstellen des charakteristischen Polynoms \chi(\lambda) und R_j die Vielfachheit von \lambda_j, so bildet

\{z_{j,k}(x) = e^{\lambda_jz}z^k\ |\ j = 1, \ldots, M\ ,\ k = 0, \ldots, R_j-1\}

ein Fundamentalsystem der Gleichung für z. Also ist

\{y_{j,k}(x) = (cx+d)^{\lambda_j}[\ln(cx+d)]^k\ |\ j = 1, \ldots, M\ ,\ k = 0, \ldots, R_j-1\}

ein Fundamentalsystem der (homogenen) eulerschen Differentialgleichung.

Beispiel

Gegeben sei die eulersche Differentialgleichung

a_2x^2y''(x)+a_1xy'(x)+a_0y(x)=0\ ,\ a_2 \neq 0\ ,\ x > 0\ .

Zu lösen ist nach obigem Satz zunächst die folgende lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten

a_2(z''(x)-z'(x)) + a_1z'(x) + a_0z(x) = 0\ ,

also

a_2z''(x) + (a_1-a_2)z'(x) + a_0z(x) = 0\ .

Das zu dieser Differentialgleichung gehörige charakteristische Polynom lautet

\chi(\lambda)=\ a_2\lambda^2+(a_1-a_2)\lambda+a_0

und besitzt die Nullstellen

\lambda_{1,2}=\frac{a_2-a_1}{2a_2}\pm \sqrt{\frac{(a_2-a_1)^2}{4a_{2}^2}-\frac{a_0}{a_2}}\ .

Fall 1: \lambda_1 \ne \lambda_2, beide reell.

Dann ist \{e^{\lambda_1 z}, e^{\lambda_2 z}\} ein Fundamentalsystem für die transformierte lineare Differentialgleichung. Die Rücktransformation liefert, dass \{x^{\lambda_1}, x^{\lambda_2}\} ein Fundamentalsystem für die ursprüngliche eulersche Differentialgleichung ist.

Fall 2: \ \lambda_1 = \lambda_2.

Dann ist \lambda := \frac{a_2-a_1}{2a_2} eine doppelte Nullstelle des charakteristischen Polynoms. Daher ist \ \{e^{\lambda z}, ze^{\lambda z}\} ein Fundamentalsystem für die transformierte lineare Differentialgleichung. Die Rücktransformation liefert, dass \ \{x^\lambda, x^\lambda\ln x\} ein Fundamentalsystem für die ursprüngliche eulersche Differentialgleichung ist.

Fall 3: \ \lambda_1, \lambda_2 beide nicht reell.

Dann sind \ \lambda_1, \lambda_2 komplex konjugiert zueinander. Also ist \ \{e^{\lambda_1 z}, e^{\lambda_2 z}\} ein (komplexes) Fundamentalsystem. Sei \ \lambda_1 = \mu + i\nu, \mu, \nu \in \mathbb{R}. Dann ist \ \{e^{\mu z}\sin(\nu z), e^{\mu z}\cos(\nu z)\} ein reelles Fundamentalsystem der transformierten linearen Differentialgleichung. Rücktransformation liefert \ \{x^\mu\sin(\nu \ln x), x^\mu\cos(\nu \ln x)\} als Fundamentalsystem für die ursprüngliche eulersche Differentialgleichung.

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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 09.09. 2016