Rheologie

Die Rheologie (von altgriechisch ῥεῖν rhein ‚fließen‘ und λόγος logos ‚Lehre‘) oder Fließkunde ist die Wissenschaft, die sich mit dem Verformungs- und Fließverhalten von Materie beschäftigt. Die Rheologie umfasst daher Teilgebiete der Elastizitätstheorie, der Plastizitätstheorie und der Strömungslehre. Sie beschäftigt sich sowohl mit kontinuumsmechanischen Problemen als auch mit der Herleitung der dafür benötigten Materialgesetze aus der Mikro- bzw. Nanostruktur verschiedener Klassen kondensierter Materie (z.B. makromolekulare Systeme, Suspensionen). Als typisches interdisziplinäres Fach steht die Rheologie in Kontakt mit der Physik, der Physikalischen Chemie, den Ingenieur- und Werkstoffwissenschaften und in den letzten Jahrzehnten auch mit den Biowissenschaften.

Einteilung

Die Rheologie lässt sich in vier Bereiche unterteilen:

Phänomenologische Rheologie (Makrorheologie)
Dieser Zweig beschreibt das Deformations- und Fließverhalten von Stoffen ohne Berücksichtigung der Stoffstruktur.
Strukturrheologie (Mikrorheologie)
Die Phänomene werden hier aus der mikroskopischen Struktur der Stoffe erklärt.
Rheometrie
Sie beschäftigt sich mit Messverfahren zur Bestimmung der rheologischen Eigenschaften.
Angewandte Rheologie
Die Erkenntnisse über rheologisches Verhalten fließen hier in die Gestaltung und Entwicklung von Produkten, technischen Prozessen und Anlagen ein.

Die Bezeichnung Rheologie für die Wissenschaft, die sich mit dem Fließ- und Verformungsverhalten von Materie beschäftigt, wurde aber erst Ende der 1920er von Eugene Cook Bingham, der selbst auf dem Gebiet der Plastizitätstheorie tätig war, zusammen mit Markus Reiner geprägt. Die Namensgebung war von Heraklits Aphorismus panta rhei (dt. alles fließt) inspiriert. Der Chemiker Bingham war von der Notwendigkeit eines Zweiges der Physik, der sich mit solchen Fragestellungen beschäftigt und dadurch gewisse Schnittbereiche mit der Chemie und den Ingenieurwissenschaften aufweist, überzeugt. Gegenüber Reiner äußerte er:

„Hier arbeiten Sie, ein Bauingenieur, und ich, ein Chemiker, zusammen an gemeinsamen Problemen. Mit der Entwicklung der Kolloidchemie wird so eine Situation zusehends öfters vorkommen. Wir müssen deshalb einen Zweig der Physik begründen, der sich mit solchen Problemen beschäftigt.“

– Bingham

Am 29. August 1929 gründete er mit anderen die Society of Rheology in Columbus, Ohio.

Anwendungsbeispiele

Medizin

In der Medizin spielen die Fließeigenschaftes des Blutes (Hämorheologie) eine sehr bedeutende Rolle für die Mikrozirkulation und damit für die Versorgung sämtlicher Organe mit Nährstoffen und Sauerstoff. Insbesondere der Blutfluss in den allerkleinsten Gefäßen, den Kapillaren mit einem Durchmesser von 4 bis 10 µm, wird entscheidend von den rheologischen Eigenschaften des Blutes beeinflusst. Bestimmt werden diese hauptsächlich von der Verformbarkeit und Aggregationsneigung (Geldrollenbildung) der Erythrozyten (mittlerer Durchmesser 7,6 µm), der Thrombozytenaggregation, der Temperatur, dem Hämatokrit und der Viskosität des Blutplasmas.

Im Rahmen der Therapie verschiedener Durchblutungsstörungen (und vermeintlicher Durchblutungsstörungen) wird oft eine Verbesserung der Hämorheologie angestrebt, um die Mikrozirkulation zu verbessern. Dazu zählen u.a. die Hämodilution und die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern beim Schlaganfall, bei der AVK und beim Hörsturz. Gut belegt ist allerdings nur die positive Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern beim Schlaganfall und bei der AVK, diese kann durchaus unabhängig von den rheologischen Effekten sein. Keinen ausreichenden wissenschaftlichen Beleg gibt es indes für die Wirkung beim Hörsturz und anderen Innenohrfunktionsstörungen. Eine eher seltene Bezeichnung für durchblutungsfördernde Medikamente ist Rheologika (Einzahl: Rheologikum).

Seitenende
Seite zurück
©  biancahoegel.de
Datum der letzten Änderung: Jena, den: 11.01. 2024