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as Bild der
Passagierflugzeuge, die sich geschossgleich in die Türme des
World Trade Center in New York bohrten, hat das Vertrauen der
Menschen ins Fliegen nachhaltig erschüttert und die krisenhafte
Entwicklung in der internationalen Luftfahrt beschleunigt. Das
bekamen als erste die US-Fluggesellschaften zu spüren. Aus Angst
vor Entführungen verzichteten viele Amerikaner auf Flüge.
Über den USA, wo sonst täglich tausende Jets den Luftraum
bevölkerten, herrschte als Folge des dreitägigen
Flugverbots gähnende Leere.
In dieser Zeit büßten die
zehn größten US-Gesellschaften mehr als eine Milliarde
Dollar ein. Nach Wiederaufnahme des Flugverkehrs mussten sie als
Folge der nur langsam wieder anziehenden Nachfrage
nochmals täglich 100 Millionen Dollar zuschießen.
Erste Konsequenzen zeichnen sich schon ab. American und United Airlines,
die größten Fluggesellschaften der Welt, wollen ihre
Kapazitäten um 20 Prozent reduzieren und jeweils 20 000
Mitarbeiter entlassen. Continental Airlines, die fünftgrößte
US-Fluggesellschaft, zog ebenfalls die Notbremse. Die Gesellschaft
will als Folge der Terroranschläge ihr Flugangebot
langfristig um 20 Prozent kürzen - mit gravierenden Folgen für
die Beschäftigten: 12 000 Mitarbeiter -ein Fünftel der
Gesamtbelegschaft - sollen entlassen werden. Zur Begründung
verweist Continental-Chef Gordon Bethune auf die Kosten der
dramatisch verstärkten Sicherheitsauflagen,
den enormen Buchungsrückgang und die schwache Konjunktur in
den USA. Da andere Airlines vor ähnlichen Problemen stehen,
rechnen Marktbeobachter in den USA mit Entlassungen von bis zu 100000
Mitarbeitern der Branche. Mit einem
15-Milliarden-Dollar-Hilfspaket will die US-Regierung die in
Bedrängnis gerateten Fluggesellschaften vor dem Schlimmsten
bewahren. Dennoch dürften sich die Verluste aller
US-Airlines auf die Rekordsumme von 4,8 Milliarden Dollar addieren.
Weltweit drohen den Airlines nach Angaben der
Weltluftfahrtorganisation International Air Transport
Association (IATA) Umsatzrückgänge von bis zu zehn
Milliarden Dollar.
Hart getroffen wurde auch British Airways, die europäische Fluglinie mit dem größten Passagieraufkommen nach Nordamerika. Rund 40 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaftet BA mit der Nordatlantik-Linie. Dem erwarteten Rückgang im Weltluftverkehr will British Airways mit dem Abbau von 7000 Stellen begegenen. Auch die Lufthansa steckt in der Krise. "Der Schaden für die Airline-lndustrie ist größer, als alles, was wir bisher erlebt ha;ben", sagt Lufthansa-Vorstandschef Weber. In den ersten Tagen nach dem Anschlag musste die Kranich-Linie mehr als 100 transatlantische Flüge streichen, die einzige Direktverbindung von Berlin in die USA wurde ebenfalls eingestellt. Täglich zehn Millionen Dollar Umsatz gingen derGeseillschaft verloren. Im Winterflugplan werden die Nordatlantik-Routen um 20 Prozent reduziert. Für die Lufthansa, die sich von den harten Pilotenstreiks des Frühjahrs wirtschaftlich noch immer nicht ganz erholt hatte, bedeutet dies eine zusätzliche Belastung. Angesichts der Buchungsrückgänge steht jetzt jede Strecke unter besonderer Kosten-Gewinn-Beobachtung. Sollten sich Strecken nicht lohnen, werden sie "sofort aus dem Angebot" genommen, kündigt Weber an. Insgesamt 28 Flugzeuge der derzeit 236 Lufthansa-Maschinen werden stillgelegt.
Jetzt will die Lufthansa auch keine neuen Mitarbeiter mehr einstellen, nachdem sie im Frühjahr noch von Ausweitung der Beschäftigung gesprochen und "händeringend" Personal gesucht hat. Auf dem Prüfstand stehen auch die Investitionen. Die Aufträge für die 15 Airbus A380 sowie für vier Boeing 747 werden erst einmal zurück gestellt.
Flottenstillegungen und Auftragsstornierungen sind ein fatales Signal, das in der Fluzeugindustrie einen Domino-Effekt auslöste. So geraten nach den Airlines jetzt die Flugzeugproduzenten ins Schleudern. Der US-Weltmarktführer Boeing muss erhebliche Bestellrückgänge hinnehmen. Statt der prognostizierten 538 werden im laufenden Jahr nur 500 Maschinen ausgeliefert, für 2002 erwartet Boeing sogar nur noch etwas mehr als 400 Jets. Der Abwärtstrend werde sich auch 2003 fortsetzen, heißt es bei Boeing. Bis Ende 2002 will das Unternehmen daher 20 000 bis 30 000 seiner knapp 200 000 Mitarbeiter entlassen, das ist nahezu jeder dritte Arbeitsplatz im Zivilflugzeugbau.
Airbus dagegen gibt sich noch relativ zuversichtlich. Der Mutterkonzern EADS, dessen Geschäft zu 80 Prozent von Airbus bestimmt wird, sieht sich für die Krise besser gewappnet, weil die Kapazitäten noch in der Aufbauphase seien, sagt EADS-Co-Chef Rainer Hertrich. Es habe keine einzige Stornierung eines Festauftrages bei Airbus gegeben. Auch an der Entwicklung des A380 werde wie geplant festgehalten. Allerdings verfügte auch Airbus einen Investitions- und Einstellungsstopp, nachdem es noch im Frühjahr hieß, Airbus wolle eben für den A380 4600 Beschäftigte bis Ende 2002 einstellen.
Datum der letzten Änderung : Jena, den: 23.04. 2017