VI. Kapitel | Inhalt | VIII. Kapitel
VII. KAPITEL
Die Korrespondenz der kritischen Kritik
1. Die kritische Masse
Où peut-on être mieux
Qu'au sein de sa famille?
Wo wäre man besser aufgehoben
als im Schoße seiner Familie?
Die kritische Kritik in ihrem absoluten Dasein als Herr Bruno hat die Menschheit in Masse, die ganze Menschheit, die nicht kritische Kritik ist, für ihren Gegensatz erklärt, für ihren wesentlichen Gegenstand, wesentlich, weil die Masse ad majorem gloriam die <zum höheren Ruhme Gottes>, der Kritik, des Geistes, vorhanden, Gegenstand, weil sie die bloße Materie der kritischen Kritik ist. Die kritische Kritik hat ihr Verhältnis zur Masse als das welthistorische Verhältnis der Gegenwart proklamiert.
Man bildet indessen noch keinen welthistorischen Gegensatz durch die Erklärung, sich im Gegensatz zu der ganzen Welt zu befinden. Man kann sich einbilden, der Stein des allgemeinen Anstoßes zu sein, weil man aus Ungeschick allgemein anstößt. Zu einem welthistorischen Gegensatz gehört nicht nur, daß ich die Weit für meinen Gegensatz erkläre, sondern daß anderseits die Welt mich für ihren wesentlichen Gegensatz erklärt, als solchen behandelt und anerkennt Diese Anerkennung verschafft sich die kritische Kritik durch die Korrespondenz, welche den Beruf hat, das kritische Erlöseramt wie das allgemeine Ärgernis der Welt an dem kritischen Evangelium vor der Welt zu bezeugen. Die kritische Kritik ist sich selbst Gegenstand als Gegenstand der Welt. Die Korrespondenz soll sie als solchen zeigen, als gegenwärtiges Weltinteresse.
Die kritische Kritik gilt sich als absolutes Subjekt. Das absolute Subjekt bedarf des Kultus. Zum wirklichen Kultus gehören dritte gläubige Indivi-
duen. Die heilige Familie zu Charlottenburg empfängt daher den gebührenden Kultus von ihren Korrespondenten. Die Korrespondenten sagen ihr, was sie ist und was ihr Gegner, die Masse, nicht ist.
Indem auf diese Weise die Meinung der Kritik von sich selbst als Meinung der Welt dargestellt, indem ihr Begriff verwirklicht wird, verfällt sie allerdings der Inkonsequenz. Innerhalb ihrer selbst zeigt sich eine Art von Massenbildung, nämlich die Bildung einer kritischen Masse, welche den einsilbigen Beruf hat, das unermüdliche Echo der kritischen Stichwörter zu sein. Der Konsequenz wegen ist diese Inkonsequenz verzeihlich. Die kritische Kritik, die nicht in der sündigen Welt zu Hause ist, muß in ihrem eignen Hause eine sündige Welt etablieren.
Der Korrespondent der kritischen Kritik, das Glied der kritischen Masse, wandelt nicht auf Rosen. Sein Weg ist ein schwieriger, dornenvoller, ein kritischer Weg. Die kritische Kritik ist ein spiritualistischer Herr, reine Spontaneität, actus purus <reine Handlung>, intolerant gegen jede Einwirkung von außen. Der Korrespondent darf also nur ein Scheinsubjekt sein, nur zum Schein sich selbständig zur kritischen Kritik verhalten, nur scheinbar ihr etwas Neues und Eignes mitteilen wollen. In Wahrheit ist er ihr eignes Machwerk, das nur für en Augenblick vergegenständlichte und verselbständigte Vernehmen ihrer selbst.
Die Korrespondenten verfehlen daher nicht, unaufhörlich zu versichern, daß kritische Kritik selbst weiß, einsieht, kennt, begreift, erfährt, was ihr in demselben Augenblick zum Schein mitgeteilt wird. So braucht z.B. Zerrleder die Wendungen: "Begreifen Sie es? Sie wissen. Sie wissen zum zweiten und dritten Mal. Sie werden nun genug gehört haben, um selbst einsehen zu können."
So der Breslauer Korrespondent Fleischhammer: "Daß aber" etc., "wird ihnen so wenig wie mir ein Rätsel sein." Oder der Züricher Korrespondent Hirzel: "Sie werden wohl selbst erfahren." Der kritische Korrespondent respektiert so sorgsam das absolute Begreifen der kritischen Kritik, daß er ihr selbst da ein Begreifen zumutet, wo absolut nichts zu begreifen ist; z.B. Fleischhammer:
"Sie werden mich vollständig (!) begreifen (!), wenn ich Ihnen sage, daß man kaum ausgehen kann, ohne jungen katholischen Geistlichen in ihren langen schwarzen Kutten und Mänteln zu begegnen."
Ja, in ihrer Angst hören die Korrespondenten die kritische Kritik sagen, antworten, ausrufen, auslachen!
So z.B. Zerrleder: "Aber - sagen Sie; nun gut, so hören Sie." So Fleischhammer: "Doch, ich höre schon, was Sie sagen - ich meinte damit auch nur." So Hirzel: "Edelmann, werden Sie ausrufen!" So ein Tübinger Korrespondent: "Lachen Sie mich nicht aus!"
Die Korrespondenten gebrauchen daher auch die Wendung, daß sie der kritischen Kritik Tatsachen mitteilen und ihr die geistige Interpretation zumuten, ihr Prämissen liefern und ihr die Konklusion überlassen oder sich gar entschuldigen, ihr längst Bekanntes wiederzukäuen.
So Zerrieder:
"Es ist Ihrem Korrespondenten nur möglich, ein Bild, eine Schilderung der Tatsachen zu geben. Der Geist, der diese Dinge belebt, wird ja Ihnen gerade nicht unbekannt sein." Oder auch: "Nun werden Sie sich schon selber den Schluß ziehen."
So Hirzel:
"Daß jede Schöpfung aus dem Extrem ihres Gegensatzes hervorgegangen, mit diesem spekulativen Satze werde ich Sie nicht erst noch unterhalten dürfen."
Oder auch die Erfahrungen des Korrespondenten sind bloß die Erfüllung und Bestätigung kritischer Prophezeiungen.
So Fleischhammer:
"Ihre Vorhersagung ist eingetroffen."
So Zerrieder:
"Die Tendenzen, welche ich Ihnen als in der Schweiz immer weiter um sich greifend geschildert habe, weit entfernt, unheilvoll zu sein, sind nur glückliche - nur eine Bestätigung Ihres schon oft ausgesprochenen Gedankens" etc.
Die kritische Kritik fühlt sich zuweilen gedrungen, die Herablassung auszusprechen, die in ihrem Korrespondieren liege, und sie motiviert diese Herablassung dadurch, daß der Korrespondent irgendein Pensum glücklich absolviert habe. So schreibt Herr Bruno dem Tübinger Korrespondenten:
"Es ist wirklich eine Inkonsequenz von mir, daß ich auf deinen Brief antworte. - - Auf der andern Seite hast du wieder ... so Treffendes bemerkt, daß ich dir ... die erbetene Aufklärung nicht versagen kann."
Die kritische Kritik läßt sich aus der Provinz schreiben, worunter nicht die Provinz im politischen Sinne, die bekanntlich in Deutschland nirgendwo existiert, zu verstehen ist, sondern die kritische Provinz, deren Hauptstadt Berlin ist, Berlin, der Sitz der kritischen Patriarchen und der heiligen kritischen Familie, während in den Provinzen die kritische Masse haust. Die
kritischen Provinzialen wagen nur unter Bücklingen und Entschuldigungen die Aufmerksamkeit der höchsten kritischen Stelle in Anspruch zu nehmen.
So schreibt ein Anonymus an Herrn Edgar, der als Mitglied der heiligen Familie ebenfalls ein vornehmer Herr ist:
"Geehrter Herr! Darin, daß die Jugend sich gern bei gemeinschaftlichen Bestrebungen zusammenschließt (unsere beiderseitige Altersverschiedenheit beruht nur auf zwei Jahren), wollen Sie die Entschuldigung für diese Zeilen finden."
Dieser Altersgenosse des Herrn Edgar bezeichnet sich nebenbei als das Wesen der neuesten Philosophie. Ist es nicht in der Ordnung, daß die Kritik mit dem Wesen der Philosophie in Korrespondenz steht? Wenn der Altersgenosse des Herrn Edgar versichert, daß er seine Zähne schon verloren habe, so ist das nur eine Anspielung auf sein allegorisches Wesen. Dies "Wesen der neuesten Philosophie" hat "von Feuerbach das Moment der Bildung in die objektive Anschauung setzen gelernt". Es gibt sogleich eine Probe von seiner Bildung und Anschauung, indem es Herrn Edgar zugleich versichert, es habe eine "Totalitätsanschauung von seiner Novelle" - "Es leben feste Grundsätze!" - gewonnen, und zugleich offen gesteht, Herrn Edgars Absicht sei ihm durchaus nicht recht klar geworden, ja schließlich die Versicherung der gewonnenen Totalitätsanschauung durch die Frage paralysiert: "Oder habe ich Sie total mißverstanden?" Nach dieser Probe wird man es in der Ordnung finden, wenn das Wesen der neuesten Philosophie in bezug auf die Masse sich dahin äußert:
"Wir müssen uns wenigstens einmal herablassen, den Zauberknoten untersuchen und lösen, der dem gemeinen Menschenverstand den Eingang in die unbeschränkte Denkflut nicht gestattet."
Will man sich eine vollständige Anschauung von der kritischen Masse erwerben, so lese man Herrn Hirzels aus Zürich Korrespondenz. (Heft V.) Dieser Unglückliche memoriert mit wahrhaft rührender Gelehrigkeit und lobenswertem Gedächtnis die kritischen Stichworte. Herrn Brunos Lieblingsphrasen von den Schlachten, die er geliefert, von den Feldzügen, die er entworfen und geleitet habe, fehlen nicht. Namentlich aber erfüllt Herr Hirzel seinen Beruf als Glied der kritischen Masse, wenn er über die profane Masse und ihr Verhältnis zur kritischen Kritik eifert.
Er spricht von der Masse, die an der Geschichte teilzuhaben meine, "von der reinen Masse", von der "reinen Kritik", von der "Reinheit dieses Gegensatzes" - "ein Gegensatz, so rein - wie ihn die Geschichte nie so rein gegeben habe" -, von dem "malkontenten Wesen", von der "vollendeten Leerheit, Verstimmung, Mutlosigkeit, Herzlosigkeit, Zaghaftigkeit, Wut, Erbitterung
der Masse gegen die Kritik", von "der Masse, die nur dazu da sei, um die Kritik durch ihren Widerstand schärfer und wachsamer zu machen". Er spricht von der "Schöpfung aus dem Extrem des Gegensatzes" , von der Erhabenheit der Kritik über Haß und dergleichen profane Affekte. Auf diesen Reichtum an kritischen Stichworten beschränkt sich die ganze Lieferung des Herrn Hirzel an die "Literatur-Zeitung". Wie er der Masse ihre Zufriedenheit mit der bloßen "Gesinnung", dem "guten Willen", "der Phrase", dem "Glauben" etc. vorwirft, so begnügt er sich selbst als ein Glied der kritischen Masse mit Phrasen, mit Äußerungen seiner "kritischen Gesinnung", seines "kritischen Glaubens", seines "kritischen guten Wollens", und überläßt Herrn Bruno & Comp. das "Handeln, Arbeiten, Kämpfen" und die Werke".
Trotz der fürchterlichen Schilderung, welche die Mitglieder der "kritischen Masse" von der welthistorischen Spannung der profanen Welt gegen die "kritisch e Kritik" entwerfen, ist wenigstens für den Ungläubigen noch nicht einmal der Tatbestand konstatiert, der Tatbestand dieser welthistorischen Spannung. Die dienstfertige und unkritische Wiederholung der kritischen "Einbildungen" und "Prätensionen" im Munde der Korrespondenten beweist nur, daß die fixen Ideen des Herrn auch die fixen Ideen des Dieners sind. Einer der kritischen Korrespondenten versucht zwar, aus Tatsachen zu beweisen.
"Ihr seht", schreibt er der heiligen Familie, "daß die 'Literatur-Zeitung' ihren Zweck erfüllt, d.h. daß sie keinen Anklang findet. Anklang könnte sie nur finden, wenn sie mit der Gedankenlosigkeit mitklingelte, wenn Ihr mit dem Schellenspiel von Redensarten einer ganzen Janitscharenmusik gangbarer Kategorien stolz voranschrittet."
Ein Schellenspiel von Redensarten einer ganzen Janitscharenmusik gangbarer Kategorien! Man sieht, der kritische Korrespondent bestrebt sich, in nicht "gangbaren" Redensarten einherzutraben. Seine Auslegung der Tatsache, daß die "Literatur-Zeitung" keinen Anklang findet, muß indes als rein apologetisch zurückgewiesen werden. Man könnte diese Tatsache vielmehr umgekehrt dahin auslegen, daß die kritische Kritik sich im Einklang mit der großen Masse, nämlich der großen Masse der Skribenten befindet, die keinen Anklang findet.
Es genügt also nicht, daß die kritischen Korrespondenten die kritischen Redensarten zugleich als "Gebet" an die heilige Familie und zugleich als "Verfluchungsformel" gegen die Masse richten. Es bedarf unkritischer, massenhafter Korrespondenten, es bedarf wirklicher Abgeordneter der Masse an die kritische Kritik, um die wirkliche Spannung der Masse mit der Kritik zu beweisen.
Die kritische Kritik räumt daher auch der unkritischen Masse eine Stelle ein. Sie läßt unbefangene Repräsentanten derselben mit sich korrespondieren, den Gegensatz zu sich als wichtig, als absolut anerkennen und den Angstschrei nach Erlösung aus dem Gegensatz erschallen.
2. Die "unkritische Masse" und die "kritische Kritik"
a) Die "verstockte Masse" und die "unbefriedigte Masse"
Die Herzenshärte, die Verstocktheit und blinde Ungläubigkeit "der Masse" hat einen ziemlich entschiedenen Repräsentanten. Dieser Repräsentant spricht von der nur "hegelsphilosophischen Ausbildung der Berliner Couleur".
Der wahre Fortschritt", sagt er, "den wir machen können, liegt nur allein in der Erkenntnis der Wirklichkeit. Von Ihnen aber erfahren wir nur, daß unser Erkennen nicht von der Wirklichkeit, sondern von etwas Unwirklichem war."
Er bezeichnet die "Naturwissenschaft" als die Grundlage der Philosophie.
"Ein guter Naturforscher verhält sich zum Philosophen wie dieser zum Theologen."
Er bemerkt ferner von der "Berliner Couleur":
"Ich glaube nicht zuviel gesagt zu haben, wenn ich den Zustand dieser Leute daraus zu erklären suche, daß sie zwar den Prozeß des geistigen Mauserns durchgemacht haben, aber den Mausernstoff noch nicht losgeworden sind, um die Elemente der Neubildung und Verjüngung in sich aufnehmen zu können." "Diese" (die naturwissenschaftlichen und industriellen) "Kenntnisse müssen wir uns noch aneignen." "Die Welt- und Menschenkenntnis, die uns vor allem nötig ist, kann auch nicht allein durch die Schärfe des Denkens gewonnen werden, sondern alle Sinne müssen mitwirken und alle Anlagen des Menschen als nötiges und unentbehrliches Werkzeug dazu verwandt werden, sonst muß die Anschauung und das Erkennen stets mangelhaft bleiben ... und den moralischen Tod herbeiführen."
Dieser Korrespondent vergoldet indes die Pille, die er der kritischen Kritik reicht. Er "läßt Bauers Worte die richtige Anwendung finden", hat Bauers Gedanken verfolgt", er läßt "Bauer richtig gesagt haben", er polemisiert endlich scheinbar nicht gegen die Kritik selbst, sondern gegen eine von ihr unterschiedene "Berliner Couleur".
Die kritische Kritik, welche sich getroffen fühlt und überdem in allen Glaubensangelegenheiten empfindlich wie eine alte Jungfer ist, läßt sich durch diese Distinktionen und halbe Huldigungen nicht täuschen.
"Sie haben sich getäuscht", antwortet sie, "wenn Sie in der Partei, die Sie im Eingang Ihres Briefes schildern, Ihren Gegner zu sehen meinten, gestehen Sie es sich vielmehr" - und nun folgt die niederschmetternde Bannforrnel - "Sie sind ein Gegner der Kritik selbst!"
Der Unglückliche! Der Massenhafte! Ein Gegner der Kritik selbst! Was aber den Inhalt jener massenhaften Polemik betrifft, so erklärt die kritische Kritik den Respekt für ihr kritisches Verhältnis zur Naturforschung und zur Industrie.
"Allen Respekt vor der Naturforschung! Allen Respekt vor James Watt und" - wahrhaft erhabene Wendung! - "gar keinen Respekt vor den Millionen, die er seinen Vettern und Basen verschafft hat."
Allen Respekt vor dem Respekt der kritischen Kritik! In demselben Briefe, worin die kritische Kritik der eben erwähnten Berliner Couleur vorwirft, daß sie über gediegene und tüchtige Arbeiten mit leichter Mühe hinaus sind, ohne sie zu studieren, daß sie mit einem Werke fertig sind, indem sie darüber die Bemerkung machen, es sei epochemachend etc., in demselben Briefe wird sie selbst durch eine einfache Respektserklärung mit der gesamten Naturforschung und Industrie fertig. Die Klausel, welche die kritische Kritik ihrer Respektserklärung vor der Naturforschung anhängt, erinnert an des seligen Ritters Krug erste Donnerkeile gegen die Naturphilosophie.
"Die Natur ist nicht die einzige Wirklichkeit, weil wir sie in ihren einzelnen Produkten essen und trinken."
Die kritische Kritik weiß von den einzelnen Produkten der Natur soviel, "daß wir sie essen und trinken". Allen Respekt vor der Naturwissenschaft der kritischen Kritik!
Konsequenterweise stellt sie der unbequem zudringlichen Zumutung, "Natur" und " Industrie" zu studieren, folgende unstreitig geistreiche, rhetorische Ausrufung gegenüber:
"Oder (!) meinen Sie, mit der Erkenntnis der geschichtlichen Wirklichkeit sei es schon zu Ende? Oder (!) wissen Sie eine einzige Periode der Geschichte, die in der Tat schon erkannt ist?"
Oder glaubt die kritische Kritik, in der Erkenntnis der geschichtlichen Wirklichkeit auch nur zum Anfang gekommen zu sein, solange sie das theo-
retische und praktische Verhalten des Menschen zur Natur, die Naturwissenschaft und die Industrie, aus der geschichtlichen Bewegung ausschließt? Oder meint sie irgendeine Periode in der Tat schon erkannt zu haben, ohne z.B. die Industrie dieser Periode, die unmittelbare Produktionsweise des Lebens selbst, erkannt zu haben? Allerdings die spiritualistische, die theologische kritische Kritik kennt nur - kennt wenigstens in ihrer Einbildung - die politischen, literarischen und theologischen Haupt- und Staatsaktionen der Geschichte. Wie sie das Denken von den Sinnen, die Seele vom Leibe, sich selbst von der Welt trennt, so trennt sie die Geschichte von der Naturwissenschaft und Industrie, so sieht sie nicht in der grob-materiellen Produktion auf der Erde, sondern in der dunstigen Wolkenbildung am Himmel die Geburtsstätte der Geschichte.
Der Repräsentant der "verstockten" und "herzensharten" Masse, mit seinen treffenden Rügen und Zureden, wird als massenhafter Materialist abgefertigt. Nicht besser geht es einem andern, minder böswilligen, minder massenhaften Korrespondenten, der zwar Erwartungen in die kritische Kritik setzt, ohne sie aber befriedigt zu finden. Der Repräsentant der "unbefriedigten" Masse schreibt:
"Doch muß ich gestehen, daß das erste Heft Ihrer Zeitung noch gar nicht befriedigt hat. Wir hätten doch etwas anderes erwartet."
Der kritische Patriarch antwortet in eigner Person:
"Daß es die Erwartungen nicht befriedigen würde, wußte ich im voraus, weil ich diese Erwartungen mir ziemlich leicht vorstellen konnte. Man ist so ermattet, daß man alles auf einmal haben will. Alles? Nein! Womöglich alles und nichts zugleich. Ein Alles, das keine Mühe macht, ein Alles, das man aufnehmen kann, ohne eine Entwickelung durchzumachen - ein Alles, das in einem Worte da ist."
In seiner Verstimmung über die ungebührlichen Anforderungen der "Masse", die von der aus Grundsatz und Naturanlage "nichts gebenden" Kritik etwas, ja alles verlangt, erzählt der kritische Patriarch in der Weise alter Herren eine Anekdote. Neulich habe ein Berliner Bekannter über die Weitschweifigkeit und breite Umständlichkeit seiner Schriften - bekanntlich schlägt Herr Bruno aus dem Minimum eines noch so kleinen angeblichen Gedankens ein vielbogiges Werk - sich bitter beklagt. Er vertröstete ihn mit dem Versprechen, ihm zur leichteren Aneignung die für den Abdruck des Buchs nötige Druckerschwärze, in eine kleine Kugel geformt, zu schicken. Der Patriarch erklärt sich die Breite seiner "Werke" aus der schlechten Verteilung der Druckerschwärze, wie er das Nichts seiner "Literatur-Zeitung"
aus der Leere der "profanen Masse" erklärt, die, um sich zu füllen, alles und nichts auf einmal verschlucken möchte.
Sowenig man die Wichtigkeit der bisherigen Mitteilungen verkennt, sowenig kann man einen welthistorischen Gegensatz darin erblicken, daß ein massenhafter Bekannter der kritischen Kritik sie für hohl, sie ihn dagegen für unkritisch erklärt, daß ein zweiter Bekannter seine Erwartungen in der " Literatur-Zeitung" nicht befriedigt und daß ein dritter Bekannter und Hausfreund ihre Werke zu breit findet. Indessen der Bekannte Nr. 2, der Erwartungen hegt, und der Hausfreund Nr. 3, der die Geheimnisse der kritischen Kritik wenigstens kennenzulernen wünscht, bilden den Übergang zu einem inhaltsvolleren und gespannteren Verhältnis der Kritik und der "unkritischen Masse". So grausam die Kritik gegen die Masse von "verstocktem Herzen" und "gemeinem Menschenverstand" ist, so herablassend werden wir sie gegen die nach Erlösung aus dem Gegensatz wimmernde Masse finden. Die Masse, welche sich zerschlagenen Herzens, bußfertigen Sinnes und demütigen Geistes der Kritik nähert, wird manch gewiegtes, prophetisches, biderbes Wort zum Lohn ihres wackern Strebens empfangen.
b) Die "weichherzige" und "erlösungsbedürftige" Masse
Der Repräsentant der sentimentalen, herzlichen, erlösungsbedürfiigen Masse fleht und wedelt um ein wohlmeinendes Wort der kritischen Kritik mit Herzensergießungen, Bücklingen und Augenverdrehungen. wie folgende:
"Warum ich Ihnen dies schreibe, warum ich mich gegen Sie verantworte? Weil ich Sie achte und deshalb Ihre Achtung wünsche; weil ich Ihnen in bezug auf meine Entwicklung den größten Dank schuldig bin und Sie deshalb liebe. Mein Herz treibt mich, gegen Sie, der mich ... getadelt, mich zu verantworten ... Ich bin weit entfernt, mich Ihnen hiermit aufdringen zu wollen, und nach mir urteilend habe ich mir gedacht, daß Ihnen selbst wohl ein Beweis der Teilnahme von seiten eines Ihnen sonst noch wenig bekannten Mannes erfreulich sein könnte Ich mache keineswegs die Prätension, daß Sie diesen Brief beantworten sollen: ich will weder Ihnen die Zeit rauhen, die Sie besser gebrauchen können, noch Ihnen eine Last aufladen, nach auch mich der Kränkung aussetzen, etwas, worauf ich hoffte, unerfüllt zu sehn. Mögen Sie mir das Schreiben für Sentimentalität, Zudringlichkeit oder Eitelkeit (!) auslegen, oder wofür Sie wollen, mögen Sie antworten oder nicht, ich kann dem Triebe nicht widerstehen, es abgehen zu lassen, und wünsche nur, daß Sie den freundlichen Sinn darin erkennen mögen, der es eingegeben hat."
Wie Gott sich von jeher der Kleinmütigen erbarmte, so sieht auch dieser massenhafte, aber demutsvolle und nach der kritischen Erbarmung jammernde Korrespondent seine Wünsche erfüllt. Die kritische Kritik antwortet
ihm wohlmeinend. Noch mehr! Sie gibt ihm die tiefsten Aufschlüsse über die Gegenstände seiner Wißbegierde.
"Vor zwei Jahren", belehrt die kritische Kritik, "war es zeitgemäß, an die Aufklärung der Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts zu erinnern, um in der Schlacht, die damals geschlagen wurde, an einer Stelle auch diese leichten Truppen agieren zu lassen. Jetzt ist es was ganz anderes. Wahrheiten ändern sich jetzt sehr schnell. Was damals an der Stelle war, ist jetzt ein Versehen."
Natürlich war es auch damals nur "ein Versehen", aber ein Versehen "an der Stelle", wenn die absolute Kritik Allerhöchstselbst, "Anekdota" II, p. 89, diese leichten Truppen "unsere Heiligen", unsre "Propheten", "Patriarchen" etc. nannte. Wer wird leichte Truppen eine Truppe von "Patriarchen" nennen? Es war ein Versehen, "an der Stelle", wenn sie enthusiastisch von der Selbstverleugnung, sittlichen Energie und Begeisterung sprach, womit diese leichten Truppen "zeitlebens für die Wahrheit gedacht, gearbeitet - und studiert hätten". Es war ein "Versehen", wenn sie im "Entdeckten Christentum, Vorrede", erklärte, diese "leichten" Truppen hätten "unüberwindlich geschienen, und jeder Kundige hätte ihnen im voraus das Zeugnis ausgestellt, sie würden die Welt aus den Fugen reißen", und es habe "unzweifelhaft geschienen, daß es ihnen auch gelingen würde, der Welt eine neue Gestalt zu geben". Diesen leichten Truppen?
Weiter doziert die kritische Kritik dem wißbegierigen Repräsentanten der "herzlichen Masse":
"Wenn auch die Franzosen sich ein neues geschichtliches Verdienst durch ihre Versuche, eine soziale Theorie aufzustellen, erworben haben, so sind sie jetzt doch erschöpft, ihre neue Theorie war noch nicht rein, ihre sozialen Phantasien, ihre friedliche Demokratie sind durchaus noch nicht von den Voraussetzungen des alten Zustandes frei."
Die Kritik spricht hier - wenn sie anders von irgend etwas spricht - vom Fourierismus, und zwar speziell vom Fourierismus der "Démocratie pacifique". Dieser aber ist weit davon entfernt, die "soziale Theorie" der Franzosen zu sein. Die Franzosen haben soziale Theorien, aber nicht eine soziale Theorie, der verwässerte Fourerismus nun gar, wie ihn die "Démocratie pacifique" predigt, ist nichts als die soziale Lehre eines Teils der philanthropischen Bourgeoisie, das Volk ist kommunistisch, und zwar in eine Menge verschiedener Fraktionen gespalten; die wahre Bewegung und Verarbeitung dieser verschiedenen sozialen Schattierungen hat sich nicht nur nicht erschöpft, sondern fängt erst recht an. Sie wird aber nicht in der reinen, d.h. abstrakten Theorie, wie es die kritische Kritik haben möchte, sondern in
einer ganz praktischen Praxis endigen, die sich um die kategorischen Kategorien der Kritik in keiner Weise bekümmern wird.
"Keine Nation", plaudert die Kritik weiter, "hat bis jetzt etwas vor der andern voraus. Wenn eine dahin kommen kann, über die anderen ein geistiges Übergewicht ... zu bekommen, so wird es die sein, die imstande ist, sich und die andern zu kritisieren und die Ursachen des allgemeinen Verfalls zu erkennen."
Jede Nation hat bis jetzt etwas vor der andern voraus. Wenn aber die kritische Prophezeiung richtig ist, so wird keine Nation einen Vorzug vor der andern haben, denn alle zivilisierten Völker Europas - Engländer, Deutsche, Franzosen - "kritisieren" jetzt "sich und die andern" und "sind imstande, die Ursachen des allgemeinen Verfalls zu erkennen". Endlich ist es eine phrasenhafte Tautologie, zu sagen, daß das "Kritisieren", "Erkennen", daß geistige Tätigkeit ein geistiges Übergewicht geben, und die Kritik, die sich mit unendlichem Selbstbewußtsein über die Nationen stellt und harrt, bis diese zu ihren Füßen kniend um Erleuchtung flehen, zeigt durch diesen karikierten, christlich-germanischen Idealismus erst recht, daß sie noch bis über die Ohren im Drecke der deutschen Nationalität steckt.
Die Kritik der Franzosen und Engländer ist nicht so eine abstrakte, jenseitige Persönlichkeit, die außer der Menschheit steht, sie ist die wirkliche menschliche Tätigkeit von Individuen, die werktätige Glieder der Gesellschaft sind, die als Menschen leiden, fühlen, denken und handeln. Darum ist ihre Kritik zugleich praktisch, ihr Kommunismus ein Sozialismus, in dem sie praktische, handgreifliche Maßregeln geben, in dem sie nicht nur denken, sondern noch mehr handeln, ist die lebendige, wirkliche Kritik der bestehenden Gesellschaft, die Erkenntnis der Ursachen "des Verfalls".
Nach den Aufklärungen der kritischen Kritik an das wißbegierige Glied der Masse kann sie mit Recht von ihrer "Literatur-Zeitung" sagen:
"Hier wird die reine, darstellende, die Sache ergreifende, nichts hinzusetzende Kritik geübt."
Hier wird "nichts Selbständiges gegeben", hier wird überhaupt nichts gegeben als die nichtsgebende Kritik, das heißt die Kritik, die sich bis zur äußersten Unkritik vollendet. Die Kritik läßt angestrichene Stellen drucken und erreicht ihre Blüte in Exzerpten. Wolfgang Menzel und Bruno Bauer reichen sich die Bruderhand, und die kritische Kritik steht da, wo die Identitätsphilosophie in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts stand, als Schelling gegen die massenhafte Zumutung protestierte, daß er etwas geben wolle, irgend etwas als die reine, die ganz philosophische Philosophie.
c) Der Gnadendurchbruch der Masse
Der weichherzige Korrespondent, dessen Belehrung wir soeben beiwohnten, stand in einem gemütlichen Verhältnisse zu der Kritik. Die Spannung der Masse mit der Kritik ist an ihm nur auf eine idyllische Weise angedeutet. Beide Seiten des welthistorischen Gegensatzes verhielten sich wohlmeinend und höflich, darum exoterisch zueinander.
Die kritische Kritik in ihrer sanitätswidrigen, geisterschütternden Wirkung auf die Masse erscheint erst an einem Korrespondenten, der mit dem einen Fuß schon in der Kritik, mit dem andern noch in der profanen Welt steht. Er repräsentiert die "Masse" in ihren innern Kämpfen mit der Kritik.
In manchen Momenten scheint es ihm, "daß Herr Bruno und seine Freunde die Menschheit nicht verstehen", "die eigentlich Verblendeten sind". Er korrigiert sich sogleich:
"Ja, es steht mir ganz sonnenklar vor Äugen, daß Sie recht haben und daß Ihre Gedanken wahr sind, aber entschuldigen Sie, das Volk hat auch nicht unrecht ... Ach ja! das Volk hat recht ... Daß Sie recht haben, kann ich nicht leugnen ... Ich weiß wirklich nicht, wo das alles hinaus soll: Sie werden sagen ... nun, so bleib doch zu Hause ... Ach, ich kann nicht mehr ... Ach ... man müßte sonst am Ende verrückt werden ... Sie werden wohlwollend aufnehmen ... Glauben Sie mir, von der gewonnenen Erkenntnis wird es einem manchmal so dumm, als ginge einem ein Mühlrad im Kopf herum."
Auch ein anderer Korrespondent schreibt, daß er "mitunter die Fassung verliere". Man sieht, in jenem massenhaften Korrespondenten arbeitet die kritische Gnade am Durchbruch. Der arme Wurm! Die sündhafte Masse zieht ihn von der einen Seite, die kritische Kritik von der andern. Es ist nicht die gewonnene Erkenntnis, welche den Katechumenen der kritischen Kritik in diesen Zustand von Hebetismus wirft, es ist die Glaubens- und Gewissensfrage, kritischer Christus oder Volk, Gott oder Welt, Bruno Bauer und seine Freunde oder profane Masse! Wie aber dem Durchbruch der göttlichen Gnade die äußerste Zerrissenheit des Sünders vorhergeht, so ist eine niederschlagende Verdummung der Vorläufer der kritischen Gnade. Kommt diese endlich zum Durchbruch, so verliert der Auserwählte zwar nicht die Dummheit, wohl aber das Bewußtsein der Dummheit.
3. Die unkritisch-kritische Masse oder die Kritik
und die "Berliner Couleur"
Es ist der kritischen Kritik nicht gelungen, sich als den wesentlichen Gegensatz und darum zugleich als den wesentlichen Gegenstand der Menschheit in Masse darzustellen. Abgesehen von den Repräsentanten der verstockten Masse, welche der kritischen Kritik ihre Gegenstandslosigkeit vorhält und ihr auf die galanteste Weise zu verstehen gibt, daß sie den geistigen "Mausernprozeß" noch nicht durchgemacht habe, vor allem aber sich erst solide Kenntnisse erwerben müsse - ist der weichherzige Korrespondent einmal kein Gegensatz, dann aber ist sein eigentlicher Annäherungsgrund an die kritische Kritik ein rein persönlicher. Er will, wie man in seinem Briefe eines weiteren nachlesen mag, eigentlich nur seine Pietät für Herrn Arnold Ruge mit seiner Pietät für Herrn Bruno Bauer vermitteln. Dieser Vermittelungsversuch macht seinem guten Herzen Ehre. Er bildet aber keinenfalls ein massenhaftes Interesse. Der zuletzt auftretende Korrespondent endlich war nicht mehr wirkliches Glied der Masse, er war ein Katechumene der kritischen Kritik.
Überhaupt ist die Masse ein unbestimmter Gegenstand, der daher weder eine bestimmte Aktion ausüben noch auch in ein bestimmtes Verhältnis treten kann. Die Masse, wie sie der Gegenstand der kritischen Kritik ist, hat nichts gemein mit den wirklichen Massen, die wieder sehr massenhafte Gegensätze unter sich bilden. Ihre Masse ist von ihr selbst "gemacht", wie wenn ein Naturforscher, statt von bestimmten Klassen zu reden, die Klasse sich gegenüberstellte.
Außer dieser abstrakten Masse, ihrem eignen Hirngespinst, bedarf die kritische Kritik daher noch einer bestimmten, empirisch aufweisbaren, nicht bloß vorgeschützten Masse, um einen wirklich massenhaften Gegensatz zu besitzen. Diese Masse muß in der kritischen Kritik zugleich ihr Wesen und zugleich die Vernichtung ihres Wesens erblicken. Sie muß kritische Kritik, Nicht-Masse sein wollen, ohne es sein zu können. Diese kritisch-unkritische Masse ist die obenerwähnte "Berliner Couleur". Auf eine Berliner Couleur reduziert sich die mit der kritischen Kritik ernstlich beschäftigte Masse der Menschheit.
Die "Berliner Couleur", der "wesentliche Gegenstand" der kritischen Kritik, mit dem sie immer in Gedanken beschäftigt ist und den sie immer in Gedanken mit sich beschäftigt sieht, besteht, soviel wir wissen, aus wenigen ci-devant <ehemaligen> Junghegelianern, denen die kritische Kritik, wie sie
behauptet, teils den horror vacui <Schauder vor dem Leeren>, teils das Gefühl der Nichtigkeit einflößt. Wir untersuchen nicht den Tatbestand, wir verlassen uns auf die Äußerungen der Kritik.
Die Korrespondenz ist nun hauptsächlich dazu bestimmt, dem Publikum dieses welthistorische Verhältnis der Kritik zu der "Berliner Couleur" weitläufig auseinanderzusetzen, seine tiefe Bedeutung zu enthüllen, die notwendige Grausamkeit der Kritik gegen diese "Masse" darzutun und endlich den Schein hervorzubringen, als sei alle Welt um diesen Gegensatz ängstlich bemüht, indem sie bald für, bald gegen das Verfahren der Kritik sich äußert. So schreibt die absolute Kritik z.B. einem Korrespondenten, der die Partei der "Berliner Couleur" nimmt:
"Dergleichen Dinge habe ich schon so oft gehört, daß ich gar nicht mehr darauf Rücksicht zu nehmen beschlossen hatte."
Die Welt ahnt nicht, wie oft sie sich mit dergleichen kritischen Dingen zu schaffen machte.
Hören wir nun, wie ein Glied der kritischen Masse über die Berliner Couleur berichtet:
"'Wenn einer die Bauers anerkennt'" (man muß die heilige Familie immer pêlemêle <in Bausch und Bogen> anerkennen), "begann seine Antwort, 'so bin ich es: aber die "Literatur-Zeitung"! Alles, was recht ist!' Es war mir interessant zu hören, was einer dieser Radikalen, dieser Klugen von Anno 42 über Euch dächte ..."
Es wird nun berichtet, daß der Unglückliche allerlei an der "Literatur-Zeitung" zu tadeln hatte.
Die Novelle des Herrn Edgar, "Die drei Biedermänner", fand er roh und outriert. Er begriff nicht, daß die Zensur weniger ein Kampf Mann an Mann, weniger ein Kampf nach außen als ein innerlicher ist. Sie geben sich nicht die Mühe, in sich selbst einzukehren und an die Stelle der zensurwidrigen Phrase den fein durchgeführten, nach allen Seiten hin auseinandergelegten kritischen Gedanken zu setzen. Den Aufsatz des Herrn Edgar über Béraud fand er ungründlich. Der kritische Berichterstatter findet ihn gründlich. Er gesteht zwar selbst: "Ich kenne Bérauds Buch - nicht." Dagegen glaubt er, daß es Herrn Edgar gelungen ist etc., und der Glaube macht bekanntlich selig. "Überhaupt", fährt der kritische Gläubige fort, "ist er (der von der Berliner Couleur) mit Edgars Sachen gar nicht recht zufrieden." Er findet auch "Proudhon nicht mit genug gründlichem Ernste behandelt". Hier nun erteilt der Berichterstatter Herrn Edgar das Testimonium:
"Ich kenne nun zwar (!?) Proudhon, ich weiß, daß die Darstellung Edgars die charakteristischen Punkte aus ihm genommen und auf anschauliche Weise nebeneinandergestellt hat."
Der einzige Grund, warum Herrn Edgars so vortreffliche Kritik Proudhons nicht gefällt, kann nach dem Berichterstatter nur der sein, daß Herr Edgar keine übeln Winde gegen das Eigentum losgelassen. Ja, man bedenke, der Gegner findet Herrn Edgars Aufsatz über die Union ouvrière unbedeutend. Der Berichterstatter vertröstet Herrn Edgar:
"Natürlich, es ist ja darin nichts Selbständiges gegeben, und diese Leute haben sich wirklich auf den Gruppeschen Standpunkt, auf dem sie freilich immer standen, zurückbegeben. Geben, geben, geben soll die Kritik!"
Als habe die Kritik nicht ganz neue linguistische, historische, philosophische, nationalökonomische, juristische Erfindungen gegeben! Und sie ist so bescheiden, sich sagen zu lassen, sie gebe nichts Selbständiges! Selbst unser kritischer Korrespondent hat der bisherigen Mechanik Unbekanntes gegeben, wenn er Leute auf denselben Standpunkt, auf dem sie immer standen, zurückkehren läßt. Ungeschickt ist die Erinnerung an den Gruppeschen Standpunkt. Gruppe fragte in seiner sonst elenden und nicht nennenswerten Broschüre bei Herrn Bruno an, was er nun Kritisches über die spekulative Logik zu geben habe? Herr Bruno wies ihn an kommende Geschlechter, und -
"ein Narr wartet auf die Antwort".
Wie Gott schon den ungläubigen Pharao dadurch strafte, daß er ihn verstockten Herzens machte und seiner Erleuchtung nicht wert erachtete, so versichert der Berichterstatter:
"Sie sind daher auch gar nicht wert, in Eurer 'Literatur-Zeitung' den Inhalt zu sehen oder zu erkennen."
Und statt seinem Freunde Edgar anzuraten, sich Gedanken und Kenntnisse zu verschaffen, gibt er den Rat:
"Edgar möge sich einen Phrasensack anschaffen und künftig bei seinen Aufsätzen blind hineingreifen, um einen beim Publikum anklingenden Stil zu erhalten."
Außer den Versicherungen von einer "gewissen Wut, Mißliebigkeit, Inhaltslosigkeit, Gedankenlosigkeit, Ahnung der Sache, hinter die sie nicht kommen können, Gefühl der Nichtigkeit" - alle diese Epitheta, versteht sich, gelten der Berliner Couleur - werden der heiligen Familie Elogen wie folgende gemacht:
"Die Sache durchdringende Leichtigkeit der Behandlung, die Beherrschung der Kategorien, die durch Studium gewonnene Einsicht, kurz, die Herrschaft über die Gegenstände. Er (der von der Berliner Couleur) macht es sich mit der Sache leicht, Ihr macht die Sache leicht." Oder: "Ihr übt in der 'Literatur-Zeitung' die reine, darstellende, die Sache ergreifende Kritik."
Schließlich heißt's:
"Ich habe Euch das alles so weitläufig geschrieben, weil ich weiß, daß ich Euch durch Mitteilungen der Ansichten meines Freundes eine Freude mache. Ihr seht daraus, daß die 'Literatur-Zeitung' ihren Zweck erfüllt."
Ihr Zweck ist ihr Gegensatz zur Berliner Couleur. Haben wir soeben die Polemik der Berliner Couleur gegen die kritische Kritik und ihre Zurechtweisung für diese Polemik erlebt, so wird uns nun in doppelter Weise ihr Streben nach der Erbarmung der kritischen Kritik geschildert.
Ein Korrespondent schreibt:
"Meine Bekannten in Berlin sagten mir, als ich Anfang dieses Jahres dort war, daß Sie alles von sich zurückstießen und fernhielten, sich ganz vereinsamten und jede Annäherung, jeden Umgang mit Geflissentlichkeit vermeiden. Ich kann natürlich nicht wissen, auf welcher Seite die Schuld ist."
Die absolute Kritik antwortet:
"Die Kritik macht keine Partei, will keine Partei für sich haben, sie ist einsam - einsam, indem sie sich in ihren (!) Gegenstand vertieft, einsam, indem sie sich ihm gegenüberstellt. Sie löst sich von allem ab."
Wie die kritische Kritik sich über alle dogmatischen Gegensätze zu erheben meint, indem sie an die Stelle der wirklichen Gegensätze den eingebildeten ihrer selbst und der Welt, des heiligen Geistes und der profanen Masse setzt, so glaubt sie sich über die Parteien zu erheben, indem sie unter den Parteistandpunkt herabfällt, indem sie sich selbst als Partei der übrigen Menschheit gegenüberstellt und alles Interesse in der Persönlichkeit des Herrn Bruno & Comp. konzentriert. Daß die Kritik in der Einsamkeit der Abstraktion thront, daß sie selbst, wenn sie sich scheinbar mit einem Gegenstand beschäftigt, nicht aus ihrer gegenstandslosen Einsamkeit heraus in ein wahrhaft gesellschaftliches Verhältnis zu einem wirklichen Gegenstand tritt, weil ihr Gegenstand nur der Gegenstand ihrer Einbildung, nur ein eingebildeter Gegenstand ist: die Wahrheit dieses kritischen Geständnisses beweist unsere ganze Darstellung. Ebenso richtig bestimmt sie den Charakter ihrer Abstraktion als der absoluten Abstraktion dahin, daß "sie sich, von allem ablöst", also eben diese Ablösung des Nichts von allem, von allem Denken, Anschauen etc., der absolute Unsinn ist. Die Einsamkeit übrigens, welche durch
die Ablösung, Abstraktion von allem erreicht wird, ist ebensowenig frei von dem Gegenstand, wovon sie abstrahiert, als Origenes frei von dem Zeugungsgliede war, das er von sich ablöste.
Ein anderer Korrespondent beginnt damit, daß er einen von der "Berliner Couleur" den er gesehen und gesprochen habe, als "mißmutig", "gedrückt", "nicht mehr den Mund auftun könnend", der sonst immer mit einem "recht frechen Worte bei der Hand gewesen sei", als "kleinmütig" schildert. Dies Mitglied der "Berliner Couleur" erzählt dem Korrespondenten, der seinerseits der Kritik referiert:
"Er könne nicht begreifen, wie Leute wie Ihr beide, die doch sonst dem Humanitätsprinzip huldigten, sich so abschließend, so abstoßend, ja hochmütig benehmen könnten." Er wisse nicht, "warum es einige gibt, die, wie es scheint, absichtlich eine Spaltung hervorrufen. Wir stehen doch alle auf demselben Standpunkte, wir huldigen alle dem Extrem, der Kritik, sind alle fähig, einen extremen Gedanken, wenn auch nicht zu erzeugen, so doch aufzufassen und anzuwenden." Er "finde bei dieser Spaltung kein anderes leitendes Prinzip als Egoismus und Hochmut".
Nun legt der Korrespondent ein gutes Wort ein:
"Haben denn nicht wenigstens einige unter unsern Freunden die Kritik erfaßt, oder vielleicht den guten Willen der Kritik ...'ut desint vires, tamen est laudanda voluntas' <'Fehlen auch die Kräfte, so ist doch der Wille zu loben'>."
Die Kritik antwortet durch folgende Antithesen zwischen sich und der Berliner Couleur:
"Es seien verschiedene Standpunkte der Kritik." Jene "glaubten die Kritik in der Tasche zu haben", sie "kenne und wende wirklich die Macht der Kritik an", d.h. sie behalte sie nicht in der Tasche. Für die erste sei die Kritik reine Form, für sie dagegen das "Inhaltvollste, vielmehr das einzig Inhaltvolle". Wie das absolute Denken sich selbst als für alle Realität gilt, so die kritische Kritik. Sie erblickt daher außer sich keinen Inhalt, sie ist daher nicht die Kritik wirklicher, außer dem kritischen Subjekt hausender Gegenstände, sie macht vielmehr den Gegenstand, sie ist absolutes Subjekt-Obiekt. Weiter! "Die erste Art der Kritik setze sich mit Redensarten über alles, über das Studium der Sachen hinweg, und die zweite löse sich mit Redensarten von allem ab." Die erstere ist "unwissend klug", die zweite ist "lernend". Die zweite ist allerdings unklug und lernt par ça, par là <hier und da>, aber nur scheinbar, aber nur, um das oberflächlich Erlernte als selbsterfundene Weisheit zum "Stichwort" gegen die Masse, von der sie gelernt, schleudern und es in kritisch-kritischen Unsinn auflösen zu können.
Der ersteren sind Worte wie 'Extrem', 'weitergehen', 'nicht weit genug gehen', von Bedeutung und höchste angebetete Kategorien, die andere ergründet die Standpunkte und wendet nicht die Maße jener abstrakten Kategorien auf sie an."
Die Ausrufungen der Kritik Nr. 2, es sei nicht mehr die Rede von der Politik, die Philosophie sei abgetan, ihr Hinwegsetzen über soziale Systeme und Entwickelungen durch Worte wie "phantastisch", "utopisch" etc., was ist das alles anders als eine kritisch-emendierte Wendung des "Weitergehens", "Nicht-weit-genug-Gehens"? Und ihre "Maße", wie "die Geschichte", die Kritik", "Zusammenfassen der Gegenstände", "das Alte und das Neue", "Kritik und Masse", "die Ergründung der Standpunkte" - kurz, alle ihre Stichworte, sind etwa keine kategorischen und abstrakt kategorischen Maße!?
"Die erstere ist theologisch, boshaft, neidisch, kleinlich, anmaßend, die andere das Gegenteil von alledem."
Nachdem die Kritik auf diese Weise sich in einem Atemzuge ein Dutzend Lobsprüche gespendet hat und alles das von sich aussagt, was der Berliner Couleur abgeht, wie Gott alles das ist, was der Mensch nicht ist, stellt sie sich das Zeugnis aus:
"Sie erreichte eine Klarheit, eine Lernbegierde, eine Ruhe, in der sie unangreifbar und unüberwindlich ist."
Sie kann daher über ihren Gegensatz, die Berliner Couleur, "höchstens das Geschäft des olympischen Gelächters auf sich nehmen". Dieses Auslachen - mit gewohnter Gründlichkeit entwickelt sie, was dieses Auslachen ist und was es nicht ist - "dieses Auslachen ist kein Hochmut". Beileibe nicht! Es ist die Negation der Negation. Es ist "nur der Prozeß, den der Kritiker mit Behagen und Seelenruhe gegen einen untergeordneten Standpunkt, der sich ihm gleich dünkt" - welcher Dünkel! -"anwenden muß". Also wenn der Kritiker lacht, so wendet er einen Prozeß an! Und in seiner "Seelenruhe" wendet er den Prozeß des Lachens nicht gegen Personen, sondern gegen einen Standpunkt! Selbst das Lachen ist eine Kategorie, die er anwendet und gar anwenden muß!
Die außerweltliche Kritik ist keine Wesenstätigkeit des wirklichen, darum der in der gegenwärtigen Gesellschaft lebenden, leidenden, an ihren Qualen und Freuden teilnehmenden menschlichen Subjekts. Das wirkliche Individuum ist nur ein Akzidens, ein irdisches Gefäß der kritischen Kritik, die sich in ihm als die ewige Substanz offenbart. Nicht die Kritik des menschlichen Individuums, sondern das unmenschliche Individuum der Kritik ist Subjekt. Nicht die Kritik ist eine Äußerung des Menschen, sondern der Mensch
eine Entäußerung der Kritik, der Kritiker lebt daher völlig außer der Gesellschaft.
"Kann der Kritiker in derjenigen Gesellschaft leben, die er kritisiert?"
Vielmehr: Muß er nicht in dieser Gesellschaft leben, muß er nicht selbst eine Lebensäußerung dieser Gesellschaft sein? Warum verkauft der Kritiker seine Geistesprodukte, da er hiermit das schlechteste Gesetz der heutigen Gesellschaft zu dem seinigen macht?
"Der Kritiker darf es nicht einmal wagen, sich persönlich in die Gesellschaft einzulassen."
Darum bildet er sich eine heilige Familie, wie auch der einsame Gott in der heiligen Familie seine langweilige Trennung von aller Gesellschaft aufzuheben trachtet. Wenn der Kritiker sich von der schlechten Gesellschaft losmachen will, so mache er sich vor allem von der Gesellschaft seiner selbst los.
"So entbehrt der Kritiker aller Freuden der Gesellschaft, aber auch ihre Leiden bleiben ihm fern. Er kennt weder Freundschaft" - mit Ausnahme der kritischen Freunde - "noch Liebe" - mit Ausnahme der Selbstliebe -, "dafür prallt aber die Verleumdung machtlos an ihm ab; nichts kann ihn beleidigen; ihn berührt kein Haß, kein Neid; Ärger und Gram <In der "Allgemeinen Literatur-Zeitung": Grimm> sind ihm unbekannte Affekte."
Kurz, der Kritiker ist frei von allen menschlichen Leidenschaften, er ist eine göttliche Person, er kann von sich das Lied der Nonne singen:
Ich gedenk' an keine Liebe,
Ich gedenk' an keinen Mann,
Ich gedenk' an Gott den Vater,
Der mich erhalten kann.
Es ist der Kritik nicht gegeben, irgendeinen Passus zu schreiben, ohne sich zu widersprechen. So sagt sie uns schließlich:
"Das Philistertum, das den Kritiker mit Steinen wirft" - nach biblischer Analogie muß er gesteinigt werden -, "das ihn mißkennt und ihm unreine Motive unterschiebt" - der reinen Kritik unreine Motive unterzuschieben! -, "um ihn sich gleich zu machen" - der oben gerügte Gleichheitsdünkel - "es wird von ihm nicht verlacht, denn das ist es nicht wert, sondern durchschaut und von ihm mit Ruhe in seine unbedeutende Bedeutendheit zurückgewiesen."
Mehr oben mußte der Kritiker den Prozeß des Auslachens gegen den sich "gleichdünkenden, untergeordneten Standpunkt anwenden". Die Unklarheit der kritischen Kritik über ihre Verfahrungsweise gegen die gottlose
"Masse" scheint fast auf eine innerliche Gereiztheit, auf eine Galle hinzudeuten, für welche die "Affekte" keine "Unbekannten" sind.
Man darf indes nicht verkennen. Nachdem die Kritik bisher als ein Herkules gekämpft, um sich von der unkritischen "profanen Masse" und "allem" abzulösen, hat sie endlich ihre einsame, göttliche, selbstgenügsame absolute Existenz glücklich herausgearbeitet. Wenn in dem ersten Aussprechen dieser ihrer "neuen Phase" die alte Welt der sündlichen Affekte über sie selbst noch eine Macht zu haben scheint, so werden wir sie nun in einer "Kunstgestalt" ihre ästhetische Abkühlung und Verklärung finden und ihre Buße vollbringen sehen, damit sie endlich als zweiter, triumphierender Christus das kritische jüngste Gericht feiern und nach ihrem Sieg über den Drachen ruhig zum Himmel fahren könne.
Datum der letzten Änderung : Jena, den : 04.03.2013