"Sich eine eigne Welt gründen, das heißt sich einen Himmel erbauen." p. 89 "des "Buchs" (62).
Wir haben bereits das innerste Heiligtum dieses Himmels "durchschaut". Wir werden uns jetzt bestreben, "mehr Dinge" von ihm kennenzulernen. Wir werden indes im Neuen Testament dieselbe Heuchelei wiederfinden, die bereits im Alten durchging. Wie in diesem die geschichtlichen Data nur Namen für ein paar einfache Kategorien waren, so sind auch hier im Neuen Bunde alle weltlichen Verhältnisse nur Verkleidungen, andre Benennungen
für den magern Inhalt, den wir in der Phänomenologie und Logik zusammengestellt haben. Unter dem Scheine, als spräche er von der wirklichen Welt, spricht Sankt Sancho immer nur von diesen magern Kategorien.
"Du willst nicht die Freiheit, alle diese schönen Sachen zu haben ... Du willst sie wirklich haben ... als Dein Eigentum besitzen ... Du mußtest nicht nur ein Freier, Du müßtest auch ein Eigner sein. p. 205.
Hier wird eine der ältesten Formeln, zu denen die anfangende soziale Bewegung kam, der Gegensatz des Sozialismus in seiner miserabelsten Gestalt gegen den Liberalismus, zu einem Ausspruch des "mit sich einigen Egoisten" erhoben. Wie alt dieser Gegensatz selbst für Berlin ist, kann unser Heiliger schon daraus ersehen, daß bereits in Rankes "Historisch-politischer Zeitschrift", Berlin 1831, mit Schrecken darauf hingewiesen wird.
"Wie Ich sie" (die Freiheit) "benutze, das hängt von Meiner Eigenheit ab." p. 205.
Der große Dialektiker kann das auch umdrehen und sagen: Wie Ich Meine Eigenheit benutze, das hängt von Meiner Freiheit ab. Nun fährt er fort:
"Frei - wovon?"
Hier verwandelt sich also durch einen Gedankenstrich die Freiheit schon in die Freiheit von Etwas, per apposit[ionem] von "Allem". Diesmal wird indes die Apposition in Form eines scheinbar näher bestimmenden Satzes gegeben. Nachdem er nämlich dies große Resultat erreicht hat, wird Sancho sentimental:
"O was läßt sich nicht Alles abschütteln!" Zuerst "das Joch der Leibeigenschaft", dann eine ganze Reihe andrer Joche, die endlich unvermerkt dahin führen, daß "die vollkommenste Selbstverleugnung nichts als Freiheit, Freiheit ... vom eignen Selbst ist und der Drang nach Freiheit als etwas Absolutem ... Uns um die Eigenheit brachte."
Durch eine höchst kunstlose Reihe von Jochen wird hier die Befreiung der Leibeigenschaft, die die Geltendmachung der Individualität der Leibeignen und zugleich die Niederreißung einer bestimmten empirischen Schranke war, mit der viel früheren christlich-idealistischen Freiheit aus den Briefen an die Römer und Korinther identifiziert und damit die Freiheit überhaupt in die Selbstverleugnung verwandelt. Hiermit wären wir schon mit der Freiheit fertig, da sie jetzt unbestritten "das Heilige" ist. Ein bestimmter historischer Akt der Selbstbefreiung wird von Sankt Max in die abstrakte Kategorie "der Freiheit" verwandelt und diese Kategorie dann wieder aus einer ganz andern historischen Erscheinung, die ebenfalls unter "die Freiheit" subsumiert werden kann, näher bestimmt. Das ist das ganze Kunst-
stück, die Abschüttelung der Leibeigenschaft in die Selbstverleugnung zu verwandeln.
Um dem deutschen Bürger seine Freiheitstheorie sonnenklar zu machen, fängt Sancho jetzt an, in der eignen Sprache des Bürgers, speziell des Berliner Bürgers, zu deklamieren:
"Je freier Ich indes werde, desto mehr Zwang türmt sich vor Meinen Augen auf, desto ohnmächtiger fühle Ich Mich. Der unfreie Sohn der Wildnis empfindet noch nichts von all den Schranken, die einen jebildeten Menschen bedrän[gen]: er dünkt sich freier als dieser. In dem Maße, als Ich Mir Freiheit erringe, schaffe Ich Mir neue Grenzen und neue Aufgaben; habe Ich die Eisenbahnen erfunden, so fühle Ich Mich wieder schwach, weil Ich noch nicht, dem Vogel gleich, die Lüfte durchsegeln kann, und habe Ich ein Problem, dessen Dunkelheit Meinen Geist beängstigte, gelöst, so erwarten Mich schon unzählige andere" pp. p. 205, 206.
O "unbeholfener" Belletrist für Bürger und Landmann!
Nicht "der unfreie Sohn der Wildnis", sondern "die gebildeten Menschen" "dünken" sich den Wilden freier als den Gebildeten. Daß der "Sohn der Wildniß" (den F. Halm in Szene gesetzt hat) die Schranken des Gebildeten nicht kennt, weil er sie nicht erfahren kann, ist ebenso klar, als daß der "gebildete" Berliner Bürger, der den "Sohn der Wildniß" nur vom Theater kennt, von den Schranken des Wilden nichts weiß. Die einfache Tatsache ist diese: die Schranken des Wilden sind nicht die des Zivilisierten. Die Vergleichung, die unser Heiliger zwischen Beiden anstellt, ist die phantastische eines "gebildeten" Berliners, dessen Bildung darin besteht, von Beiden nichts zu wissen. Daß er von den Schranken des Wilden nichts weiß, ist erklärlich, obgleich etwas davon zu wissen nach den vielen neueren Reisebeschreibungen eben keine Kunst ist; daß er auch die des Gebildeten nicht kennt, beweist sein Exempel von den Eisenbahnen und dem Fliegen. Der tatlose Kleinbürger, dem die Eisenbahnen vom Himmel gefallen sind und der eben deswegen glaubt, sie selbst erfunden zu haben, phantasiert sogleich vom Luftflug, nachdem er einmal auf der Eisenbahn gefahren ist. In der Wirklichkeit kam erst der Luftballon und dann die Eisenbahnen. Sankt Sancho mußte dies umdrehen, weil sonst Jedermann gesehen hätte, daß mit der Erfindung des Luftballons das Postulat der Eisenbahnen noch lange nicht da war, während man sich das Umgekehrte leicht vorstellen kann. Er stellt überhaupt das empirische Verhältnis auf den Kopf. Als der Hauderer <nordwestdeutscher Ausdruck für Mietfuhrmann> und Frachtwagen den entwickelten Bedürfnissen des Verkehrs nicht mehr genügte, als u.a. die Zentralisation der Produktion durch die große Industrie neue Mittel zum
rascheren und massenweisen Transport ihrer Massen von Produkten nötig machte, erfand man die Lokomotive und damit die Anwendung der Eisenbahn auf den großen Verkehr. Dem Erfinder und den Aktionären war es um ihren Profit, dem Commerce überhaupt um die Verminderung der Produktionskosten zu tun; die Möglichkeit, ja die absolute Notwendigkeit der Erfindung lag in den empirischen Verhältnissen. Die Anwendung der neuen Erfindung in verschiednen Ländern beruhte auf verschiednen empirischen Verhältnissen, z.B. in Amerika auf der Notwendigkeit, die einzelnen Staaten des ungeheuren Gebietes zu vereinigen und die halbzivilisierten Distrikte des Innern mit dem Meere und den Stapelplätzen ihrer Produkte zu verbinden. (Vgl. u.a. M. Chevalier, "Lettres sur l'Amérique du Nord".) In andern Ländern, wo man bei jeder neuen Erfindung nur bedauert, daß sie nicht das Reich der Erfindungen vollendet, wie z.B. in Deutschland - in solchen Ländern wird man endlich nach vielem Widerstreben gegen die verwerflichen, keine Flügel verleihenden Eisenbahnen durch die Konkurrenz gezwungen, sie zu adoptieren und den Hauderer und Frachtwagen wie das altehrwürdige, sittsame Spinnrad fahrenzulassen. Der Mangel an andrer gewinnreicher Anlegung des Kapitals machte das Eisenbahnbauen zum dominierenden Industriezweig in Deutschland. Die Entwicklung seiner Eisenbahnbauten und seine Schlappen auf dem Weltmarkt gingen gleichen Schritt. Nirgend aber baut man Eisenbahnen der Kategorie "der Freiheit von" zulieb, wie Sankt Max schon daraus ersehen konnte, daß Niemand Eisenbahnen baut, um frei von seinem Geldsack zu werden. Der positive Kern der ideologischen Verachtung des Bürgers gegen die Eisenbahnen aus Sehnsucht nach dem Vogelflug ist die Vorliebe für den Hauderer, den Frachtwagen und die Landstraße. Sancho sehnt sich nach der "eignen Welt", die, wie wir oben sahen, der Himmel ist. Darum will er an die Stelle der Lokomotive den feurigen Wagen Eliä setzen und gen Himmel fahren.
Nachdem sich diesem tatlosen und unwissenden Zuschauer das wirkliche Niederreißen der Schranken, das zugleich eine sehr positive Entwicklung der Produktivkraft, reale Energie und Befriedigung unabweisbarer Bedürfnisse, Ausdehnung der Macht der Individuen ist, in das bloße Freiwerden von einer Schranke verwandelt hat - was er wieder sich logisch als Postulat des Freiwerdens von der Schranke schlechthin zurechtmachen kann - kommt jetzt am Schluß der ganzen Entwicklung heraus, was bereits am Anfang vorausgesetzt war:
"Freisein von Etwas - heißt nur: Ledig oder Los sein." p. 206.
Er gibt gleich ein sehr unglückliches Exempel davon: "Er ist frei vom Kopfweh ist gleich: Er ist es los", als ob nicht dies "Lossein" vom Kopf-
schmerz gleich wäre einer ganz positiven Dispositionskraft über meinen Kopf, gleich einem Eigentum an meinen Kopf, während ich, solange Ich Kopfschmerzen hatte, das Eigentum meines kranken Kopfes war.
"Im 'Los' vollenden wir die vom Christentum empfohlene Freiheit, im Sündlos, Gottlos, Sittenlos usw." p. 206.
Daher findet unser "vollendeter Christ" auch seine Eigenheit erst im "gedankenlos", bestimmungslos", "berufslos", "gesetzlos", "verfassungslos" pp. und fordert seine Brüder in Christo auf, "sich nur wohlzufühlen im Auflösen", d.h. im Produzieren des "Losseins", der "vollendeten", "christlichen Freiheit".
Er fährt fort:
"Müssen wir etwa, weil die Freiheit als ein christliches Ideal sich verrät, sie aufgeben? Nein, Nichts soll verloren gehen" (voilà notre conservateur tout trouvé <da haben wir unseren Konservativen ertappt>), "auch die Freiheit nicht; aber sie soll unser eigen werden, und das kann sie in der Form der Freiheit nicht." p. 207.
Unser "mit sich" (toujours et partout <immer und überall>) "einiger Egoist" vergißt hier, daß wir bereits im Alten Testament durch das christliche Ideal der Freiheit, d.h. durch die Einbildung der Freiheit, zu "Eignern" der "Welt der Dinge" wurden; er vergißt ebenfalls, daß wir danach nur noch die "Welt der Gedanken" loszuwerden brauchten, um auch ihre "Eigner" zu werden; daß sich hier die "Eigenheit" als Konsequenz der Freiheit, des Losseins für ihn ergab.
Nachdem unser Heiliger sich die Freiheit als Freisein von Etwas und dies wieder als "Lossein", dies als christliches Ideal der Freiheit und damit der Freiheit "des Menschen" zurechtgemacht hat, kann er an diesem präparierten Material einen praktischen Kursus seiner Logik durchmachen. Die erste einfachste Antithese lautet:
Freiheit des Menschen - Freiheit Meiner,
wo in der Antithese die Freiheit aufhört, "in der Form der Freiheit" zu existieren. Oder:
Lossein im Interesse des Menschen} - {Lossein im Interesse Meiner.
Diese beiden Antithesen ziehen sich, mit einem zahlreichen Gefolge von Deklamationen, durch das ganze Kapitel von der Eigenheit durch, aber mit ihnen allein würde unser welterobernder Sancho noch zu sehr wenig, nicht einmal zur Insel Barataria, kommen. Er hat sich oben, wo er sich das Treiben der Menschen aus seiner "eignen Welt", seinem "Himmel" betrachtete, bei
seiner Abstraktion der Freiheit zwei Momente der wirklichen Befreiung auf die Seite gebracht. Das erste war, daß die Individuen in ihrer Selbstbefreiung ein bestimmtes, wirklich empfundenes Bedürfnis befriedigen. An die Stelle der wirklichen Individuen trat durch Beseitigung dieses Momentes "der Mensch" und an die Stelle der Befriedigung des wirklichen Bedürfnisses das Streben nach einem phantastischen Ideal, der Freiheit als solcher, der "Freiheit des Menschen".
Das Zweite war, daß ein in den sich befreienden Individuen bisher nur als Anlage existierendes Vermögen erst als wirkliche Macht betätigt oder eine bereits existierende Macht durch Abstreifung einer Schranke vergrößert wird. Allerdings kann man das Abstreifen der Schranke, das bloß eine Folge der neuen Machtschöpfung ist, als die Hauptsache betrachten. Zu dieser Illusion kommt man aber nur dann, wenn man entweder die Politik als die Basis der empirischen Geschichte annimmt oder wenn man, wie Hegel, überall die Negation der Negation nachzuweisen hat, oder endlich, wenn man, nachdem die neue Macht geschaffen ist, als unwissender Berliner Bürger über die neue Schöpfung reflektiert. - Indem Sankt Sancho dies zweite Moment zu seinem eignen Gebrauch auf Seite bringt, hat er nun eine Bestimmtheit, die er dem übrigbleibenden, abstrakten caput mortuum <wörtlich: toter Kopf; hier: Restbestandteil> "der Freiheit" entgegensetzen kann. Hierdurch kommt er zu folgenden neuen Antithesen:
Freiheit, die inhaltslose Entfernung der fremden Macht | } | ---- | { | Eigenheit, das wirkliche Innehaben der eigenen Macht. |
Oder auch: | ||||
Freiheit, Abwehr fremder Macht | ---- | Eigenheit, Besitz eigner Macht. |
- Wie sehr Sankt Sancho seine eigne "Macht", die er hier der Freiheit gegenüberstellt, aus derselben Freiheit heraus und in sich hinein eskamotiert hat, darüber wollen wir ihn nicht auf die Materialisten oder Kommunisten, sondern nur auf das "Dictionnaire de l'académie" verweisen, wo er finden kann, daß liberté am häufigsten im Sinne von puissance <Macht> gebraucht wird. Sollte Sankt Sancho indes behaupten, daß er nicht gegen "liberté", sondern gegen die "Freiheit" kämpfe, so mag er sich bei Hegel über die negative und positive Freiheit Rats erholen. Als deutscher Kleinbürger mag er sich an der Schlußbemerkung dieses Kapitels delektieren.
Die Antithese kann auch so ausgedrückt werden:
Freiheit, idealistisches Trachten nach Lossein und Kampf gegen das Anderssein | } | ---- | { | Eigenheit, wirkliches Lossein und Genuß am eignen Dasein. |
Nachdem er so durch eine wohlfeile Abstraktion die Eigenheit von der Freiheit unterschieden hat, gibt er sich den Schein, als fange er jetzt erst an, diesen Unterschied zu entwickeln, und ruft aus:
"Welch ein Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit!" p. 207.
Daß er außer den allgemeinen Antithesen sich nichts auf die Seite gebracht hat, und daß neben dieser Bestimmung der Eigenheit auch noch fortwährend die Eigenheit "im gewöhnlichen Verstande" höchst ergötzlich mit unterläuft, wird sich zeigen.
"Innerlich kann man trotz des Zustandes der Sklaverei frei sein, obwohl auch wieder nur von Allerlei, nicht von Allem; aber von der Peitsche, der gebieterischen Laune pp. des Herrn wird man nicht frei."
"Dagegen Eigenheit, das ist Mein ganzes Wesen und Dasein, das bin Ich selbst. Frei bin Ich von dem, was Ich los bin, Eigner von dem, was Ich in Meiner Macht habe oder dessen Ich mächtig bin. Mein eigen bin Ich jederzeit und unter allen Umständen, wenn Ich Mich zu haben verstehe und nicht an Andre wegwerfe. Das Freisein kann Ich nicht wahrhaft wollen, weil Ich's nicht machen ... kann. Ich kann es nur wünschen und danach trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk. Die Fesseln der Wirklichkeit schneiden jeden Augenblick in Mein Fleisch die schärfsten Striemen. Mein Eigen aber bleibe Ich. Einem Gebieter leibeigen hingegeben, denke Ich nur an Mich und Meinen Vorteil; seine Schläge treffen Mich zwar. Ich bin nicht davon frei; aber ich erdulde sie nur zu Meinem Nutzen, etwa um ihn durch den Schein der Geduld zu täuschen und ihn sicher zu machen, oder auch, um nicht durch Widersetzlichkeit Ärgeres Mir zuzuziehen. Da Ich aber Mich und Meinen Eigennutz im Auge behalte" (während die Schläge ihn und seinen Rücken im Besitz behalten), "so fasse Ich die nächste gute Gelegenheit beim Schopfe" (d.h., er "wünscht", er "trachtet" nach einer nächsten guten Gelegenheit, die aber "ein Ideal, ein Spuk bleibt"), "den Sklavenbesitzer zu zertreten. Daß Ich dann von ihm und seiner Peitsche frei werde, das ist nur die Folge Meines vorangegangenen Egoismus. Man sagt hier vielleicht: Ich sei auch im Stande der Sklaverei frei gewesen, nämlich 'an sich' oder 'innerlich'; allein 'an sich frei' ist nicht 'wirklich frei', und 'innerlich' nicht 'äußerlich'. Eigen hingegen, Mein eigen war Ich ganz und gar, innerlich und äußerlich. Von den Folterqualen und Geißelhieben ist Mein Leib nicht 'frei' unter der Herrschaft eines grausamen Gebieters; aber Meine Knochen sind es, welche unter der Tortur ächzen, Meine Fibern zucken unter den Schlägen, und Ich ächze, weil Mein Leib ächzt. Daß ich seufze und erzittre, beweist, daß Ich noch bei Mir, daß Ich Mein eigen bin." p. 207, 208.
Unser Sancho, der hier wieder den Belletristen für Kleinbürger und Landmann spielt, beweist hier, daß er trotz der vielen Prügel, die er schon bei Cervantes erhielt, stets sein "Eigner" blieb und daß diese Prügel vielmehr zu seiner "Eigenheit gehörten. Sein "eigen" ist er "jederzeit und unter allen Umständen", wenn er sich zu haben versteht. Hier ist also die Eigenheit hypothetisch und hängt von seinem Verstande ab, unter dem er eine sklavische Kasuistik versteht. Dieser Verstand wird dann auch später zum Denken, wo er an sich und seinen "Vorteil" "denkt" - welches Denken und welcher gedachte "Vorteil" sein gedachtes "Eigentum" sind. Er wird weiter dahin erklärt, daß er die Schläge "zu seinem Nutzen" erduldet, wo die Eigenheit wiederum in der Vorstellung des "Nutzens besteht und wo er das Arge "erduldet", um nicht "Eigner" von "Ärgerem" zu werden. Später zeigt sich der Verstand auch als "Eigner" des Vorbehalts einer "nächsten guten Gelegenheit", also einer bloßen reservatio mentalis, und endlich als "Zertreten" des "Sklavenbesitzers" in der Antizipation der Idee, wo er dann "Eigner" dieser Antizipation ist, während der Sklavenbesitzer ihn in der Gegenwart wirklich zertritt. Während er also hier sich mit seinem Bewußtsein identifiziert, das sich durch allerlei Klugheitsmaxirnen zu beruhigen strebt, identifiziert er sich am Schluß mit seinem Leibe, so daß er ganz und gar, innerlich und äußerlich "sein eigen" ist, solange er noch einen Funken Leben und selbst nur noch bewußtloses Leben in sich hat. Erscheinungen wie Ächzen der "Knochen", Zucken der Fibern usw., Erscheinungen, aus der Sprache der einzigen Naturwissenschaft in die pathologische übersetzt, die durch Galvanismus an seinem Kadaver, wenn man ihn frisch von dem Galgen abgeschnitten, an dem er sich oben erhing, die selbst an einem toten Frosch hervorgebracht werden können, gelten ihm hier für Beweise, daß er "ganz und gar", "innerlich und äußerlich" noch "sein eigen", seiner mächtig ist. Dasselbe, woran sich die Macht und Eigenheit des Sklavenbesitzers zeigt, daß gerade Er geprügelt wird und kein Anderer, daß gerade seine Knochen "ächzen", seine Fibern zucken, ohne daß Er es ändern kann, das gilt unsrem Heiligen hier für einen Beweis seiner eignen Eigenheit und Macht. Also wenn er im surinamischen Spanso Bocho eingespannt liegt, wo er weder Arme noch Beine noch sonst ein Glied rühren kann und Alles über sich ergehen lassen muß, so besteht seine Macht und Eigenheit nicht darin, daß er über seine Glieder disponieren kann, sondern in dem Faktum, daß sie seine Glieder sind. Seine Eigenheit rettete er hier wieder dadurch, daß er sich immer als Anders-Bestimmten faßte, bald als bloßes Bewußtsein, bald als bewußtlosen Laib (siehe die Phänomenologie).
Sankt Sancho "erduldet" seine Tracht Prügel allerdings mit mehr Würde als die wirklichen Sklaven. Die Missionäre mögen diesen noch so oft im Interesse der Sklavenbesitzer vorhalten, daß sie die Schläge "zu ihrem Nutzen erdulden", die Sklaven lassen sich dergleichen Faseleien nicht einreden. Sie machen nicht die kühle und furchtsame Reflexion, daß sie sonst "Ärgeres sich zuziehen" würden, sie bilden sich auch nicht ein, "durch ihre Geduld den Sklavenbesitzer zu täuschen" - sie verhöhnen ihre Peiniger im Gegenteil, sie spotten ihrer Ohnmacht, die sie nicht einmal zur Demütigung zwingen kann, und unterdrücken jedes "Ächzen", jede Klage, solange der physische Schmerz es ihnen noch erlaubt. (Siehe Charles Comte, "Traité de législation".) Sie sind also weder "innerlich" noch "äußerlich" ihre "Eigner", sondern bloß die "Eigner" ihres Trotzes, was ebensogut so ausgedrückt werden kann, daß sie weder "innerlich" noch "äußerlich" "frei", sondern bloß in einer Beziehung frei, nämlich "innerlich" frei von der Selbstdemütigung sind, wie sie auch "äußerlich" zeigen. Insofern "Stirner" die Prügel erhält, ist er Eigner der Prügel und damit frei vom Nichtgeprügeltwerden, und diese Freiheit, dies Lossein gehört zu seiner Eigenheit.
Daraus, daß Sankt Sancho ein besonderes Kennzeichen der Eigenheit in den Vorbehalt setzt, bei "der nächsten guten Gelegenheit" wegzulaufen und in seinem dadurch bewerkstelligten "Freiwerden" "nur die Folge seines vorangegangenen Egoismus" (seines, d.h. des mit sich einigen Egoismus) sieht, geht hervor, daß er sich einbildet, die revolutionierenden Neger von Haiti und die weglaufenden Neger aller Kolonien hätten nicht sich, sondern "den Menschen" befreien wollen. Der Sklave, der den Entschluß faßt, sich zu befreien, muß schon darüber hinaus sein, daß die Sklaverei seine "Eigenheit" ist. Er muß "frei" von dieser "Eigenheit" sein. Die "Eigenheit" eines Individuums kann aber allerdings darin bestehen, daß es sich "wegwirft". Es hieße "einen fremden Maßstab" an es legen, wenn "Man" das Gegenteil behaupten wollte.
Zum Schluß rächt sich Sankt Sancho für seine Prügel durch folgende Anrede an den "Eigner" seiner "Eigenheit", den Sklavenbesitzer:
"Mein Bein ist nicht 'frei' von dem Prügel des Herrn, aber es ist Mein Bein und ist unentreißbar. Er reiße Mir's aus und sehe zu, ob er noch Mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand, als den - Leichnam Meines Beines, der so wenig Mein Bein ist, als ein toter Hund noch ein Hund ist." p. 208.
Er - Sancho, der hier glaubt, der Sklavenbesitzer wolle sein lebendiges Bein haben, wahrscheinlich zum eignen Gebrauch - "sehe zu", was er von seinem "unentreißbaren" Beine noch an sich hat. Er behält nichts als den Verlust seines Beines und ist zum einbeinigen Eigner seines ausgerissenen
Beines geworden. Wenn er acht Stunden täglich die Tretmühle treten muß, so ist er es, der mit der Zeit zum Idioten wird, und der Idiotismus ist dann seine "Eigenheit". Der Richter, der ihn dazu verdammt hat, "sehe zu", ob er noch Sanchos Verstand "in der Hand hat". Damit ist aber dem armen Sancho wenig geholfen.
"Das erste Eigentum, die erste Herrlichkeit ist erworben!"
Nachdem unser Heiliger an diesen eines Asketen würdigen Exempeln den Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit mit bedeutenden belletristischen Produktionskosten enthüllt hat, erklärt er p. 209 ganz unerwartet, daß
"zwischen der Eigenheit und Freiheit noch eine tiefere Kluft liegt als die bloße Wortdifferenz".
Diese "tiefere Kluft" besteht darin, daß die obige Bestimmung der Freiheit unter "mancherlei Wandlungen" und "Brechungen" und vielen "episodischen Einlagen" wiederholt wird. Aus der Bestimmung "der Freiheit"' als "des Losseins" ergeben sich die Fragen: wovon die Menschen frei werden sollen (p. 209) pp., die Streitigkeiten über dies Wovon (ibid.) (er sieht hier wieder als deutscher Kleinbürger in dem Kampfe der wirklichen Interessen nur den Hader um die Bestimmung dieses "Wovon", wobei es ihm dann natürlich sehr verwundersam ist, daß "der Bürger" nicht "vom Bürgertum" frei werden will, p. 210), dann die Wiederholung des Satzes, daß die Aufhebung einer Schranke die Position einer neuen Schranke ist in der Form, daß "der Drang nach einer bestimmten Freiheit stets die Absicht auf eine neue Herrschaft einschließt", p. 210 (wobei wir erfahren, daß die Bourgeois in der Revolution nicht auf ihre eigne Herrschaft, sondern auf "die Herrschaft des Gesetzes" ausgingen - siehe oben über den Liberalismus), dann das Resultat, daß man von Dem nicht los werden will, was Einem "ganz recht ist, z.B. dem unwiderstehlichen Blick der Geliebten" (p. 211). Ferner ergibt sich, daß die Freiheit ein "Phantom" ist (p. 211), ein "Traum" (p. 212); dann erfahren wir nebenbei, daß "die Naturstimme" auch einmal zur "Eigenheit" (p. 213) wird, dagegen die "Gottes- und Gewissensstimme" für "Teufelswerk" zu halten sei, und dann renommiert er: "Solche heillose Menschen" (die das für Teufelswerk halten) "gibt es; wie werdet Ihr mit ihnen fertig werden?" (p. 213, 214.) Aber nicht die Natur soll Mich, sondern Ich soll Meine Natur bestimmen, geht die Rede des mit sich einigen Egoisten. Und mein Gewissen ist auch eine "Naturstimme".
Bei dieser Gelegenheit ergibt sich dann auch, daß das Tier "sehr richtige Schritte tut" (p. 213). Wir hören weiter, daß die "Freiheit darüber schweigt, was nun weiter geschehen soll, nachdem Ich frei geworden bin" (p. 215).
(Siehe "Das hohe Lied Salomonis".) Die Exposition der obigen "tieferen Kluft" wird damit beschlossen, daß Sankt Sancho die Prügelszene wiederholt und sich diesmal etwas deutlicher über die Eigenheit ausspricht.
"Auch unfrei, auch in tausend Fesseln geschlagen, bin Ich doch, und Ich bin nicht etwa erst zukünftig und auf Hoffnung vorhanden, wie die Freiheit, sondern Ich bin auch als Verworfenster der Sklaven - gegenwärtig" (p. 215).
Hier stellt er also sich und "die Freiheit" als zwei Personen gegenüber, und die Eigenheit wird zum bloßen Vorhandensein, Gegenwart, und zwar der "verworfensten" Gegenwart. Hier ist die Eigenheit als bloße Konstatierung der persönlichen Identität. Stirner, der sich bereits oben als "Geheimer-Polizei-Staat" konstituierte, wirft sich hier zum Paßbüro auf. "Es sei ferne", daß aus "der Welt des Menschen" "Etwas verlorengehe"! (Siehe "Das hohe Lied Salomonis".)
Nach p. 218 kann man auch seine Eigenheit "aufgeben" durch die "Ergebenheit", "Ergebung", obwohl sie nach dem Obigen nicht aufhören kann, solange man überhaupt vorhanden ist, sei es auch in noch so "verworfner" oder "ergebner" Weise. Oder ist der "verworfenste" Sklave nicht der "ergebenste"? Nach einer der früheren Beschreibungen der Eigenheit kann man seine Eigenheit nur dadurch "aufgeben", daß man sein Leben aufgibt.
p. 218 wird die Eigenheit einmal wieder als die eine Seite der Freiheit, als Macht, gegen die Freiheit als Lossein geltend gemacht und unter den Mitteln, durch die Sancho seine Eigenheit zu sichern vorgibt, "Heuchelei", "Betrug" (Mittel, die Meine Eigenheit anwendet, weil sie sich den Weltverhältnissen "ergeben" mußte) usw. angeführt, "denn die Mittel, welche Ich anwende, richten sich nach dem, was Ich bin". Wir haben schon gesehen, daß unter diesen Mitteln die Mittellosigkeit eine Hauptrolle spielt, wie sich auch wieder bei seinem Prozeß gegen den Mond zeigt (siehe oben, Logik). Dann wird die Freiheit zur Abwechslung als "Selbstbefreiung" gefaßt, "d.h., daß Ich nur so viel Freiheit haben kann, als Ich durch meine Eigenheit Mir verschaffe", wo die bei allen, namentlich deutschen Ideologen vorkommende Bestimmung der Freiheit als Selbstbestimmung, als Eigenheit auftritt. Dies wird uns daran klargemacht, daß es "den Schafen" nichts "nützt", "wenn ihnen die Redefreiheit gegeben wird" (p. 220). Wie trivial hier seine Auffassung der Eigenheit als Selbstbefreiung ist, sieht man schon aus seiner Wiederholung der bekanntesten Phrasen über oktroyierte Freiheit, Freilassung, Sich-Freimachen usw. (p. 220, 221). Der Gegensatz zwischen der
Freiheit als Lossein und der Eigenheit als Negation dieses Losseins wird nun auch poetisch ausgemalt:
"Die Freiheit weckt Euren Grimm gegen Alles, was Ihr nicht seid" (Sie ist also die grimmige Eigenheit, oder haben nach Sankt Sancho die bil[i]ösen Naturen, z.B. Guizot, keine "Eigenheit"? Und genieße Ich Mich nicht im Grimm gegen Andre?), "der Egoismus ruft Euch zur Freude über Euch selbst, zum Selbstgenusse" (er ist also die sich freuende Freiheit; wir haben übrigens die Freude und den Selbstgenuß des mit sich einigen Egoisten kennengelernt). "Die Freiheit ist und bleibt eine Sehnsucht" (als ob die Sehnsucht nicht auch eine Eigenheit, Selbstgenuß besonders geformter Individuen, namentlich der christlich-germanischen wäre - und soll die Sehnsucht "verlorengehen"?). "Die Eigenheit ist eine Wirklichkeit, die von selbst so viel Unfreiheit beseitigt, als Euch hinderlich den eignen Weg versperrt"
(wo denn, ehe die Unfreiheit beseitigt ist, meine Eigenheit eine versperrte Eigenheit ist. Für den deutschen Kleinbürger ist es wieder bezeichnend, daß ihm alle Schranken und Hindernisse "von selbst" fallen, da er nie eine Hand dazu rührt und diejenigen Schranken, die nicht "von selbst" fallen, durch Gewohnheit zu seiner Eigenheit macht. Nebenbei bemerkt tritt hier die Eigenheit als handelnde Person auf, obwohl sie später zur bloßen Beschreibung des Eigners erniedrigt wird). p.215.
Dieselbe Antithese erscheint uns wieder in folgender Form:
"Als Eigne seid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen, das ist Eure Wahl und Belieben. Der Eigne ist der geborne Freie, der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige."
Obgleich Sankt Sancho p. 252 "zugibt", "daß Jeder als Mensch geboren wird, mithin die Neugebornen darin gleich seien".
Was Ihr als Eigne nicht "los seid", das ist "Eure Wahl und Belieben", wie oben bei dem Sklaven die Prügel. - Abgeschmackte Paraphrase! - Die Eigenheit reduziert sich also hier auf die Einbildung, daß Sankt Sancho Alles, was er nicht "los" ist, aus freiem Willen angenommen und beibehalten habe, z.B. den Hunger, wenn er kein Geld hat. Abgesehen von den vielen Sachen, z.B. Dialekt, Skrofeln, Hämorrhoiden, Armut, Einbeinigkeit, Zwang zum Philosophieren durch die Teilung der Arbeit ihm aufgedrungen pp. - abgesehen davon, daß es keineswegs von ihm abhängt, ob er diese Sachen "annimmt" oder nicht, so hat er, selbst wenn wir uns für einen Augenblick auf seine Voraussetzungen einlassen, doch immer nur zwischen bestimmten, in seinem Bereiche liegenden und keineswegs durch seine Eigenheit gesetzten Dingen zu wählen. Als irischer Bauer hat er z.B. nur dazwischen zu wählen, ob er Kartoffeln essen oder verhungern will, und auch diese Wahl steht ihm nicht
immer frei. Zu bemerken ist noch in dem obigen Satze die schöne Apposition, wodurch, gerade wie im Recht, das "Annehmen" mit der "Wahl" und dem "Belieben" ohne weiteres identifiziert wird. Was übrigens Sankt Sancho unter einem "geborenen Freien" versteht, ist weder in noch außer dem Zusammenhange zu sagen.
Und ist nicht auch ein ihm eingegebenes Gefühl sein von ihm angenommenes Gefühl? Und erfahren wir nicht p. 84, 85, daß die "eingegebnen" Gefühle nicht "eigne" Gefühle sind? Übrigens tritt hier, wie wir bei Klopstock (der hier als Beispiel angeführt wird) schon sahen, hervor, daß das "eigne" Verhalten keineswegs mit dem individuellen Verhalten zusammenfällt; obwohl dem Klopstock das Christentum "ganz recht" gewesen zu sein und ihm keineswegs "hinderlich den Weg versperrt zu haben" scheint.
"Der Eigner braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von vornherein Alles außer sich verwirft ... Befangen im kindlichen Respekt, arbeitet er gleichwohl schon daran, sich aus dieser Befangenheit zu 'befreien'."
Weil der Eigne sich nicht erst zu befreien braucht, arbeitet er schon als Kind daran, sich zu befreien, und das Alles, weil er, wie wir sahen, der "geborne Freie" ist. "Befangen im kindlichen Respekt", reflektiert er bereits unbefangen, nämlich eigen, über diese seine eigne Befangenheit. Doch das darf uns nicht wundern - wir sahen schon im Anfang des Alten Testaments, welch ein Wunderkind der mit sich einige Egoist war.
"Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen Egoisten und verschafft ihm die begehrte 'Freiheit'."
Nicht "Stirner" lebt, sondern die "Eigenheit" lebt, "arbeitet" und "verschafft" in ihm. Wir erfahren hier, daß nicht die Eigenheit die Beschreibung des Eigners, sondern der Eigner nur die Umschreibung der Eigenheit ist.
Das "Lossein" war, wie wir sahen, auf seiner höchsten Spitze das Lossein vom Eignen Selbst, Selbstverleugnung. Wir sahen ebenfalls, daß er hiergegen die Eigenheit als Behauptung seiner selbst, als Eigennutz geltend machte. Daß dieser Eigennutz aber selbst wieder Selbstverleugnung war, haben wir auch gesehen.
Wir vermißten seit einiger Zeit "das Heilige" schmerzlich. Wir finden es plötzlich auf p. 224 am Schluß der Eigenheit, ganz verschämt, wieder, wo es sich mit folgender neuen Wendung legitimiert.
"Zu einer Sache, die Ich eigennützig betreibe" (oder auch gar nicht betreibe), "habe Ich ein anderes Verhältnis als zu einer, welcher Ich uneigennützig diene" (oder auch welche Ich betreibe).
Noch nicht zufrieden mit dieser merkwürdigen Tautologie, die Sankt Max aus "Wahl und Belieben" "angenommen" hat, tritt auf einmal der längst verschollene "Man" als die Identität des Heiligen konstatierender Nachtwächter wieder auf und meint, er
"könnte folgendes Erkennungszeichen anführen: Gegen Jene kann Ich Mich versündigen oder eine Sünde begehen" (sehenswerte Tautologie!), "die andre nur verscherzen, von Mir stoßen, Mich darum bringen, d.h. eine Unklugheit begehen". (Wo er sich verscherzen, sich um sich bringen, um sich gebracht - umgebracht werden kann.) "Beiderlei Betrachtungsweisen erfährt die Handelsfreiheit, indem sie" teils für das Heilige gehalten wird, teils nicht, oder wie Sancho selbst dies umständlicher ausdrückt, "indem sie teils für eine Freiheit angesehn wird, welche unter Umständen gewährt oder entzogen werden könne, teils für eine solche, die unter allen Umständen heilig zu halten sei." p. 224, 225.
Sancho zeigt hier wieder eine "eigne" "Durchschauung" der Frage von der Handelsfreiheit und den Schutzzöllen. Ihm wird hiermit der "Beruf" gegeben, einen einzigen Fall aufzuweisen, wo die Handelsfreiheit 1. weil sie eine "Freiheit" ist und 2. "unter allen Umständen" "heilig" gehalten wurde. - Das Heilige ist zu allen Dingen nütze.
Nachdem, wie wir sahen, die Eigenheit vermittelst der logischen Antithesen und des phänomenologischen "Auch-anders-Bestimmtseins" aus der vorher zurechtgestutzten "Freiheit" konstruiert war, wobei Sankt Sancho Alles, was ihm gerade Recht war (z.B. die Prügel) in die Eigenheit, und alles, was ihm nicht recht war, in die Freiheit "verwarf", erfahren wir schließlich, daß dies Alles noch nicht die wahre Eigenheit war.
"Die Eigenheit", heißt es p. 225, "ist keine Idee, gleich der Freiheit pp., sie ist nur eine Beschreibung des - Eigners."
Wir werden sehen, daß diese "Beschreibung des Eigners" darin besteht, die Freiheit in ihren drei von Sankt Sancho untergeschobenen Brechungen des Liberalismus, Kommunismus und Humanismus zu negieren, in ihrer Wahrheit zu fassen und diesen nach der entwickelten Logik höchst einfachen Gedankenprozeß die Beschreibung eines wirklichen Ich zu nennen.
__________
Das ganze Kapitel von der Eigenheit reduziert sich auf die allertrivialsten Selbstbeschönigungen, mit denen sich der deutsche Kleinbürger über seine eigne Ohnmacht tröstet. Er glaubt gerade wie Sancho, in dem Kampfe der Bourgeoisinteressen gegen die Reste der Feudalität und absoluten Monarchie in andern Ländern handle es sich nur um die Prinzipienfrage, wovon "der
Mensch" frei werden solle. (Siehe auch oben den politischen Liberalismus.) Er sieht daher in der Handelsfreiheit nur eine Freiheit und kannegießert mit vieler Wichtigkeit und ganz wie Sancho darüber, ob "der Mensch" "unter allen Umständen" Handelsfreiheit haben müsse oder nicht. Und wenn, wie dies unter diesen Verhältnissen nicht anders möglich, seine Freiheitsbestrebungen ein jämmerliches Ende nehmen, so tröstet er sich, abermals wie Sancho, damit, daß "der Mensch" oder er selber doch nicht "von Allem frei werden" könne, daß die Freiheit ein sehr unbestimmter Begriff sei und selbst Metternich und Karl X. an die "wahre Freiheit" appellieren konnten (p. 210 "des Buchs", wobei nur zu bemerken, daß gerade die Reaktionäre, namentlich die historische Schule und die Romantiker, ebenfalls ganz wie Sancho, die wahre Freiheit in die Eigenheit, z.B. der Tiroler Bauern, überhaupt in die eigentümliche Entwicklung der Individuen und weiter der Lokalitäten, Provinzen und Stände setzen) - und daß er als Deutscher, wenn er auch nicht frei sei, doch durch seine unbestreitbare Eigenheit für alle Leiden entschädigt werde. Er sieht, noch einmal wie Sancho, nicht in der Freiheit eine Macht, die er sich verschafft, und erklärt daher seine Ohnmacht für eine Macht.
Was der gewöhnliche deutsche Kleinbürger in aller Stille des Gemütes sich leise zum Troste sagt, posaunt der Berliner als geistreiche Wendung laut aus. Er ist stolz auf seine lumpige Eigenheit und eigne Lumperei.
Wie "der Eigner" in die drei "Brechungen": "Meine Macht", "Mein Verkehr" und "Mein Selbstgenuß" auseinanderfällt, darüber siehe die Ökonomie des Neuen Bundes. Wir gehen gleich zur ersten dieser Brechungen über.
Das Kapitel von der Macht ist wieder trichotomisch gegliedert, indem 1. Recht, 2. Gesetz und 3. Verbrechen darin abgehandelt werden - eine Trichotomie, zu deren sorgsamer Verdeckung Sancho die "Episode" überaus häufig anwendet. Wir werden das Ganze tabellarisch, mit den nötigen episodischen Einlagen, behandeln.
A) Kanonisation im Allgemeinen
Ein anderes Beispiel des Heiligen ist das Recht.
Das Recht ist nicht Ich | } | Das Heilige | |
= Nicht Mein Recht | |||
= das fremde Recht | |||
= das bestehende Recht. | |||
Alles bestehende Recht | = fremdes Recht | ||
= Recht von Fremden (nicht von mir) | |||
= von Fremden gegebenes Recht. | |||
= (Recht, welches man Mir gibt, Mir wiederfahren läßt). p. 244, [2]45. |
Note Nr. 1.
Der Leser wird sich wundern, warum der Nachsatz von Gleichung Nr. 4 in Gleichung Nr. 5 plötzlich als Vordersatz zum Nachsatze von Gleichung Nr. 3 auftritt und so an die Stelle "des Rechtes" auf Einmal "Alles bestehende Recht" als Vordersatz tritt. Dies geschieht, um den Schein hervorzubringen, als spreche Sankt Sancho vom wirklichen, bestehenden Recht, was ihm indes keineswegs einfällt. Er spricht vom Recht nur, insofern es als heiliges "Prädikat" vorgestellt wird.
Note Nr. 2.
Nachdem das Recht als "fremdes Recht" bestimmt ist, können ihm nun beliebige Namen gegeben werden, als "sultanisches Recht", "Volksrecht" pp., je nachdem Sankt Sancho gerade den Fremden bestimmen will, von dem er es erhält. Es kann dann weiter gesagt werden, daß das "fremde Recht von Natur, Gott, Volkswahl pp. gegeben" sei (p. 250), also "nicht von Mir". Naiv ist nur die Art, wie unser Heiliger vermittelst der Synonymik in die obigen simpeln Gleichungen den Schein einer Entwicklung zu bringen sucht.
"Wenn ein Dummkopf Mir Recht gibt (wenn nun der Dummkopf, der ihm Recht gibt, er selber wäre?), "so werde Ich mißtrauisch gegen mein Recht" (es wäre in "Stirners" Interesse zu wünschen, daß dies der Fall gewesen wäre). "Aber auch wenn ein Weiser Mir Recht gibt, habe Ich's drum doch noch nicht. Ob Ich Recht habe, ist völlig unabhängig von dem Rechtgeben der Toren und Weisen. Gleichwohl haben Wir bis jetzt nach diesem Recht getrachtet. Wir suchen Recht und wenden Uns zu diesem Zweck ans Gericht ... Was suche Ich also bei diesem Gericht? Ich suche sultanisches Recht, nicht mein Recht, Ich suche fremdes Recht ... vor einem Oberzensurgericht also das Recht der Zensur." p. 244, 245.
In diesem meisterhaften Satze ist zu bewundern die schlaue Anwendung der Synonymik. Recht geben in der gewöhnlichen Konversationsbedeutung und Rechtgeben in der juristischen Bedeutung werden identifiziert. Noch bewunderungswürdiger ist der Berge versetzende Glaube, als ob man sich "ans Gericht wende" des Vergnügens halber, Recht zu behalten - ein Glaube, der die Gerichte aus der Rechthaberei erklärt (63).
Endlich ist noch die Pfiffigkeit bemerkenswert, womit Sancho, wie oben bei Gleichung 5, den konkreteren Namen, hier das "sultanische Recht", vorher einschmuggelt, um seine allgemeine Kategorie "fremdes Recht" nachher desto sicherer anbringen zu können.
Fremdes Recht | = Nicht Mein Recht. |
Mein Fremdes Recht haben | = Nicht Recht haben |
= Kein Recht haben | |
= die Rechtlosigkeit haben (p. 247). | |
Mein Recht | = Nicht Dein Recht |
= Dein Unrecht. | |
Dein Recht | = Mein Unrecht. |
Note.
"Ihr wollt gegen die Andern im Rechte sein" (soll heißen in Eurem Rechte sein). Das könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig 'im Unrecht'; denn sie wären ja Eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in 'ihrem' Rechte wären. Sie werden Euch stets 'Unrecht geben' ... Bleibt Ihr auf dem Rechtsboden, so bleibt Ihr bei der - Rechthaberei." p. 248, 253.
"Fassen Wir inzwischen die Sache noch anders." Nachdem Sankt Sancho so seine Kenntnisse vom Recht hinlänglich dokumentiert hat, kann er sich
jetzt darauf beschränken, das Recht nochmals als das Heilige zu bestimmen und bei dieser Gelegenheit einige der dem Heiligen bereits vorhin gegebenen Beiwörter mit dem Zusatze: "Das Recht" zu wiederholen.
"Ist das Recht nicht ein religiöser Begriff, d.h. etwas Heiliges?" p. 247.
"Wer kann, wenn er sich nicht auf dem religiösen Standpunkte befindet, nach dem 'Rechte' fragen?" ibid.
"Recht 'an und für sich'. Also ohne Beziehung auf Mich? 'Absolutes Recht'! Also getrennt von Mir. - Ein 'an und für sich Seiendes' - Ein Absolutes! Ein ewiges Recht, wie eine ewige Wahrheit" - das Heilige. p. 270.
"Ihr schreckt vor den Andern zurück, weil Ihr neben ihnen das Gespenst des Rechts zu sehen glaubt" p. 253.
"Ihr schleicht umher, um den Spuk für Euch zu gewinnen." ibid.
"Recht ist ein Sparren, erteilt von einem Spuk" (Synthese obiger zwei Sätze). p. 276.
"Das Recht ist ... eine fixe Idee." p. 270.
"Das Recht ist der Geist ..." p. 244.
"Weil Recht nur von einem Geiste erteilt werden kann." p. 275.
Jetzt entwickelt Sankt Sancho nochmals, was er bereits im Alten Testament entwickelte - nämlich was eine "fixe Idee" ist, nur mit dem Unterschiede, daß hier überall "das Recht" als "ein anderes Beispiel" der "fixen Idee" dazwischenläuft.
"Das Recht ist ursprünglich Mein Gedanke, oder er" (!) "hat seinen Ursprung in Mir. Ist er aber aus Mir entsprungen" (vulgo durchgebrannt), "ist das 'Wort' heraus, so ist es Fleisch geworden" (woran Sankt Sancho sich satt essen mag), "eine fixe Idee" - weshalb das ganze Stirnersche Buch aus "fixen Ideen" besteht, die "aus" ihm "entsprungen", von uns aber wieder eingefangen und in das vielbelobte "Sittenverbesserungshaus" gesperrt worden sind. "Ich komme nun von dem Gedanken nicht mehr los" (nachdem der Gedanke von ihm los geworden!); "wie Ich Mich drehe, er steht vor Mir." (Der Zopf, der hängt ihm hinten.) "So sind die Menschen des Gedankens 'Recht', den sie selber erschufen, nicht wieder Meister geworden. Die Kreatur geht mit ihnen durch. Das ist das absolute Recht, das von Mir absolvierte" (o Synonymik) "und abgelöste. Wir können es, indem Wir's als Absolutes verehren, nicht weder aufzehren, und es benimmt Uns die Schöpferkraft; das Geschöpf ist mehr als der Schöpfer, ist an und für sich. Laß das Recht einmal nicht mehr frei umherlaufen ..."
(Wir werden diesen Rat gleich mit diesem Satz befolgen und ihn hier bis zur weiteren Verfügung an die Kette legen.) p. 270.
Nachdem Sankt Sancho so das Recht durch alle möglichen Wasser- und
Feuerproben der Heiligung hindurchgeschleift und kanonisiert hat, hat er es damit vernichtet.
"Mit dem absoluten Recht vergeht das Recht selbst, wird die Herrschaft des Rechtbegriffs" (die Hierarchie), "zugleich getilgt. Denn es ist nicht zu vergessen, daß seither Begriffe, Ideen und Prinzipien Uns beherrschten und daß unter diesen Herrschern der Rechtsbegriff oder der Begriff der Gerechtigkeit eine der bedeutendsten Rollen spielte." p. 276.
Daß die rechtlichen Verhältnisse hier wieder als Herrschaft des Rechtsbegriffs auftreten und daß er das Recht schon dadurch tötet, daß er es für einen Begriff und damit für das Heilige erklärt, das sind wir gewohnt, und darüber siehe die "Hierarchie". Das Recht entsteht nicht aus den materiellen Verhältnissen der Menschen und ihrem daraus entstehenden Widerstreit untereinander, sondern aus ihrem Widerstreit mit ihrer Vorstellung, die sie sich "aus dem Kopfe zu schlagen" haben. Siehe "Logik".
Zu dieser letzten Form der Kanonisation des Rechts gehören noch folgende drei Noten.
Note 1.
"Solange dies fremde Recht mit dein Meinigen übereinstimmt, werde Ich freilich auch das letztere bei ihm finden." p. 245.
Über diesen Satz möge Sankt Sancho vorläufig nachdenken.
Note 2.
"Schlich sich einmal ein egoistisches Interesse ein, so war die Gesellschaft verdorben ... wie z.B. das Römertum beweist mit seinem ausgebildeten Privatrecht." p. 278.
Hiernach mußte die römische Gesellschaft von vornherein die verdorbene römische Gesellschaft gewesen sein, da in den zehn Tafeln das egoistische Interesse noch viel krasser hervortritt als in dem "ausgebildeten Privatrecht" der Kaiserzeit. In dieser unglücklichen Reminiszenz aus Hegel wird also das Privatrecht als ein Symptom des Egoismus, und nicht des Heiligen, aufgefaßt. Sankt Sancho möge auch hier nachdenken, inwiefern das Privatrecht mit dem Privateigentum zusammenhängt und inwiefern mit dem Privatrecht eine ganze Masse anderer Rechtsverhältnisse gegeben sind (vgl. "Privateigentum, Staat und Recht"), von denen Sankt Max nichts zu sagen weiß, als daß sie das Heilige seien.
Note 3.
"Wenn das Recht auch aus dem Begriffe kommt, so tritt es doch nur in die Existenz, weil es nützlich für die Bedürfnisse ist."
So Hegel ("Rechtsphil[osophie]" § 209, Zusatz) - von dem unsrem Heiligen die Hierarchie der Begriffe in der modernen Welt überkommen ist.
Hegel erklärt also die Existenz des Rechtes aus den empirischen Bedürfnissen der Individuen und rettet den Begriff nur durch eine einfache Versicherung. Man sieht, wie unendlich materialistischer Hegel verfährt als unser "leibhaftiges Ich", Sankt Sancho.
B) Aneignung durch einfache Antithese
a) Das Recht des Menschen | ----- | Das Recht Meiner. |
b) Das Menschliche Recht | ----- | Das egoistische Recht. |
c) Fremdes Recht = von Fremden berechtigt sein | }-----{ | Mein Recht = von Mir berechtigt sein. |
d) Recht ist, was dem Menschen recht ist | }----{ | Recht ist, was Mir recht ist. |
"Dies ist das egoistische Recht, d.h., Mir ist's so recht, darum ist es Recht." (passim <überall>, letzter Satz p. 251.)
Note 1.
"Ich bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn Ich Mir's selbst nicht verbiete, wenn Ich selbst Mich nicht vorm Morde, als vor einem Unrechte, fürchte." p. 249.
Muß heißen: Ich morde, wenn Ich Mir's selbst nicht verbiete, wenn Ich Mich nicht vorm Morde fürchte. Dieser ganze Satz ist eine renommistische Ausfüllung der zweiten Gleichung in Antithese c, wo das "berechtigt" den Sinn verloren hat.
Note 2.
"Ich entscheide, ob es in Mir das Rechte ist; außer Mir gibt es kein Recht," p. 249. - "Sind wir das, was in uns ist? Sowenig als das, was außer uns ist ... Gerade weil Wir nicht der Geist sind, der in uns wohnt, gerade darum mußten wir ihn außer uns versetzen ... außer uns existierend denken ... im Jenseits." p. 43.
Nach seinem eignen Satze von p. 43 also muß Sankt Sancho das Recht "in ihm" wieder "außer sich", und zwar "ins Jenseits" versetzen. Will er aber einmal nach dieser Manier sich aneignen, so kann er die Moral, die Religion, das ganze "Heilige" "in sich" versetzen und entscheiden, ob es "in ihm" das Moralische, das Religiöse, Heilige ist; "außer ihm gibt es keine" Moral, Religion, Heiligkeit, um sie alsdann nach p. 43 wieder außer sich, ins Jenseits zu versetzen. Womit die "Wiederbringung aller Dinge" nach christlichem Vorbild hergestellt ist.
Note 3.
"Außer Mir gibt es kein Recht. Ist es Mir Recht, so ist es recht, Möglich, daß es darum den Andern noch nicht recht ist." p. 249.
Soll heißen: Ist es Mir recht, so ist es Mir recht, noch nicht den Andern. Wir haben jetzt Exempel genug davon gehabt, welche synonymische "Flohsprünge" Sankt Sancho mit dem Worte "Recht" vornimmt. Recht und recht, das juristische "Recht", das moralische "Rechte", das, was ihm "recht" ist usw. werden durcheinander gebraucht, wie es gerade konveniert. Sankt Max möge versuchen, seine Sätze über das Recht in irgendeiner andern Sprache wiederzugeben, wo der Unsinn vollständig an den Tag kommt. Da in der Logik diese Synonymik ausführlich behandelt wurde, so brauchen wir hier bloß darauf zu verweisen.
Derselbe obige Satz wird noch in folgenden drei "Wandlungen" vorgebracht:
A) Ob Ich Recht habe oder nicht, darüber gibt es keinen andern Richter als Mich selbst. Darüber nur können Andre urteilen und richten, ob sie Meinem Rechte beistimmen und ob es auch für sie als Recht besteht." p. 246.
B) "Die Gesellschaft will zwar haben, daß Jeder zu seinem Rechte komme, aber doch nur zu dem von der Gesellschaft sanktionierten, dem Gesellschaftsrechte, nicht wirklich zu seinem Rechte" (soll heißen: zu Seinem; - Recht ist hier ein ganz nichtssagendes Wort. Und nun renommiert er weiter:) "Ich aber gebe oder nehme Mir das Recht aus eigner Machtvollkommenheit ... Eigner und Schöpfer Meines Rechts" ("Schöpfer" nur insofern er erst das Recht für seinen Gedanken erklärt und dann diesen Gedanken in sich zurückgenommen zu haben versichert), - "erkenne Ich keine andre Rechtsquelle als - Mich, weder Gott noch den Staat, noch die Natur, noch den Menschen, weder göttliches noch menschliches Recht." p. 269.
C) "Da das menschliche Recht immer ein Gegebenes ist, so läuft es in der Wirklichkeit immer auf das Recht hinaus, welches die Menschen einander geben, d. h. einräumen." p. 251.
Das egoistische Recht dagegen ist das Recht, was Ich Mir gebe oder nehme.
"Es kann" indessen, "um hiermit zu schließen, einleuchten", daß das egoistische Recht im Sanchoschen Millennium, worüber man sich gegenseitig "verständigt", von dem nicht sehr verschieden ist, was man sich gegenseitig "gibt" oder "einräumt".
Note 4.
"Zum Schlusse muß Ich nun noch die halbe Ausdrucksweise zurücknehmen, von der Ich nur solange Gebrauch machen wollte, als Ich in den Eingeweiden des Rechts wühlte
und das Wort wenigstens bestehen ließ. Es verliert aber in der Tat mit dem Begriffe auch das Wort seinen Sinn. Was Ich Mein Recht nannte, das ist gar nicht mehr Recht." p. 275.
Warum Sankt Sancho in den obigen Antithesen "das Wort" Recht bestehen ließ, sieht Jeder auf den ersten Blick. Da er nämlich vom Inhalt des Rechts gar nicht spricht, noch weniger ihn kritisiert, so kann er sich nur durch die Beibehaltung des Wortes Recht den Schein geben, als spräche er vom Recht. Läßt man das Wort Recht in der Antithese weg, so ist Nichts darin gesagt als "Ich", "Mein" und die übrigen grammatikalischen Pronominalformen der ersten Person. Der Inhalt kam auch immer erst durch die Beispiele herein, die aber, wie wir sahen, nichts als Tautologien waren, wie: wenn Ich morde, so morde Ich usw., und in denen die Worte "Recht", "berechtigt" pp. bloß deshalb untergebracht wurden, um die einfache Tautologie verdecken und mit den Antithesen in irgendeine Verbindung zu bringen. Auch die Synonymik hatte diesen Beruf, den Schein hervorzubringen, als handle es sich um irgendeinen Inhalt. Man sieht übrigens sogleich welch eine reichhaltige Fundgrube der Renommage dieses inhaltslose Geschwätz über das Recht liefert.
Das ganze "Wühlen in den Eingeweiden des Rechts" bestand also darin, daß Sankt Sancho von "der halben Ausdrucksweise Gebrauch machte" und "das Wort wenigstens bestehen ließ", weil er von der Sache gar nichts zu sagen wußte. Wenn die Antithese irgendeinen Sinn haben soll, d.h., wenn "Stirner" in ihr einfach seinen Widerwillen gegen das Recht manifestieren wollte, so ist vielmehr zu sagen, daß nicht er "in den Eingeweiden des Rechts", sondern das Recht in seinen Eingeweiden "wühlte", daß er nur zu Protokoll gab, daß das Recht Ihm nicht recht sei. "Halte Er sich dies Recht unverkümmert", Jacques le bonhomme!
Damit in diese Leerheit irgendein Inhalt hereinkomme, muß Sankt Sancho noch ein andres logisches Manöver vornehmen, das er mit vieler "Virtuosität" mit der Kanonisation und der einfachen Antithese gehörig durcheinanderwürfelt und mit häufigen Episoden vollends so verdeckt, daß das deutsche Publikum und die deutschen Philosophen es allerdings nicht durchschauen konnten.
C) Aneignung durch zusammengesetzte Antithese
"Stirner" muß jetzt eine empirische Bestimmung des Rechts hereinbringen, die er dem Einzelnen vindizieren kann, d.h., er muß in dem Recht noch etwas Anderes als die Heiligkeit anerkennen. Er hätte sich hierbei seine
ganzen schwerfälligen Machinationen sparen können, da seit Machiavelli, Hobbes, Spinoza, Bodinus pp. in der neueren Zeit, von den Früheren gar nicht zu reden, die Macht als die Grundlage des Rechtes dargestellt worden ist; womit die theoretische Anschauung der Politik von der Moral emanzipiert und weiter nichts als das Postulat einer selbständigen Behandlung der Politik gegeben war. Später, im achtzehnten Jahrhundert in Frankreich und im neunzehnten in England, wurde das gesamte Recht auf das Privatrecht, wovon Sankt Max nicht spricht, und dies auf eine ganz bestimmte Macht, die Macht der Privateigentümer, reduziert, wobei man sich aber keineswegs mit der bloßen Phrase begnügte.
Sankt Sancho nimmt sich also die Bestimmung Macht aus dem Recht heraus und verdeutlicht sie sich an Folgendem:
"Wir pflegen die Staaten nach der verschiedenen Art, wie die 'höchste Gewalt' verteilt ist, zu klassifizieren ... also die höchste Gewalt! Gewalt gegen wen? Gegen den Einzelnen ... der Staat übt Gewalt ... des Staats Betragen ist Gewalttätigkeit und seine Gewalt nennt er Recht ... Die Gesamtheit ... hat eine Gewalt, welche berechtigt genannt, d.h. welche Recht ist." p. 259, 260.
Durch "Unser" "Pflegen" kommt unser Heiliger zu seiner ersehnten Gewalt und kann sich nun selber "pflegen".
Recht, die Macht des Menschen | -- Macht, das Recht Meiner. | |
Zwischengleichungen: | ||
Berechtigt sein | = Ermächtigt sein. | |
Sich berechtigen | = Sich ermächtigen. | |
Antithese: | ||
Vom Menschen berechtigt sein | -- Von Mir ermächtigt sein. | |
die erste Antithese: | ||
Recht, Macht des Menschen | -- Mach, Recht Meiner | |
verwandelt sich jetzt in: | ||
Recht des Menschen | { | Macht Meiner, |
Meine Macht, |
da in der These Recht und Macht identisch sind und in der Antithese die "halbe Ausdrucksweise" "zurückgenommen" werden muß, nachdem das Recht "allen Sinn verloren" hat, wie wir gesehen haben.
Note 1. Proben bombastischer und renommistischer Umschreibung obiger Antithesen und Gleichungen:
"Was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du das Recht." - "Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her, Ich bin zu Allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin." - "Ich fordere kein Recht, darum brauche Ich auch keins anzuerkennen. Was Ich Mir zu erzwingen vermag, erzwinge Ich Mir, und was Ich nicht erzwinge, darauf habe Ich auch kein Recht pp. - Berechtigt oder unberechtigt - darauf kommt Mir's nicht an: bin Ich nur mächtig, so bin ich schon von selbst ermächtigt und bedarf keiner andern Ermächtigung oder Berechtigung." p. 248, 275.
Note 2. Proben von der Art, wie Sankt Sancho die Macht als die reale Basis des Rechts entwickelt:
So sagen 'die' Kommunisten" (woher nur "Stirner" das alles weiß, was die Kommunisten sagen, da er außer dem Bluntschlibericht, Beckers "Volksphilosophie" und einigen wenigen andern Sachen Nichts von ihnen zu Gesichte bekommen hat?):
"Die gleiche Arbeit berechtige die Menschen zu gleichem Genusse ... Nein, die gleiche Arbeit berechtigt Dich nicht dazu, sondern der gleiche Genuß allein berechtigt Dich zum gleichen Genuß. Genieße, so bist Du zum Genuß berechtigt ... Wenn Ihr den Genuß nehmt, so ist er Euer Recht; schmachtet Ihr hingegen nur danach, ohne zuzugreifen, so bleibt er nach wie vor ein 'wohlerworbnes Recht' Derer, welche für den Genuß privilegiert sind. Er ist ihr Recht, wie er durch Zugreifen Euer Recht wird." p. 250.
Über das, was hier den Kommunisten in den Mund gelegt wird, vergleiche man oben den "Kommunismus". Sankt Sancho unterstellt hier wieder die Proletarier als eine "geschlossene Gesellschaft", die nur den Beschluß des "Zugreifens" zu fassen habe, um am nächsten Tage der ganzen bisherigen Weltordnung summarisch ein Ende zu machen. Die Proletarier kommen aber in der Wirklichkeit erst durch eine lange Entwicklung zu dieser Einheit, eine Entwicklung, in der der Appell an ihr Recht auch eine Rolle spielt. Dieser Appell an ihr Recht ist übrigens nur ein Mittel, sie zu "Sie", zu einer revolutionären, verbündeten Masse zu machen. - Was den Satz im Übrigen angeht, so bildet er von Anfang bis zu Ende ein brillantes Exempel der Tautologie, wie sogleich klar wird, wenn man, was unbeschadet des Inhalts geschehen kann, sowohl Macht wie Recht herausläßt. Zweitens macht Sankt Sancho selbst den Unterschied zwischen persönlichem und sachlichem Vermögen, womit er also zwischen Genießen und Macht zu genießen unterscheidet. Ich kann große persönliche Macht (Fähigkeit) zum Genießen haben, ohne daß ich darum auch die sachliche Macht (Geld pp.) zu haben brauche. Mein wirkliches "Genießen" ist also noch immer hypothetisch.
"Daß das Königskind sich über andre Kinder stellt", fährt der Schulmeister fort in seinen für den Kinderfreund passenden Exempeln, "das ist schon seine Tat, die ihm
den Vorzug sichert, und daß die andern Kinder diese Tat billigen und anerkennen, das ist ihre Tat, die sie würdig macht, Untertanen zu sein." p. 250.
In diesem Exempel wird das gesellschaftliche Verhältnis, in dem ein Königskind zu andern Kindern steht, als die Macht, und zwar persönliche Macht des Königskindes und als die Ohnmacht der andern Kinder gefaßt. Will man es einmal als die "Tat" der andern Kinder fassen, daß sie sich von dem Königskinde kommandieren lassen, so beweist dies höchstens, daß sie Egoisten sind. "Die Eigenheit arbeitet in den kleinen Egoisten" und treibt sie dazu, das Königskind zu exploitieren, einen Vorteil von ihm zu erhaschen.
"Man" (Hegel nämlich) sagt, die Strafe sei das Recht des Verbrechers. Allein die Straflosigkeit ist ebenso sein Recht. Gelingt ihm sein Unternehmen, so geschieht ihm Recht, und gelingt es nicht, so geschieht ihm gleichfalls Recht. Begibt sich Jemand tollkühn in Gefahren, und kommt er darin um, so sagen wir wohl: es geschieht ihm recht, er hat es nicht besser gewollt. Besiegt er aber die Gefahren, d.h. siegt seine Macht, so hätte er auch Recht. Spielt ein Kind mit dem Messer und schneidet sich, so geschieht ihm recht; aber schneidet sich's nicht, so geschieht ihm auch recht. Dem Verbrecher widerfährt daher wohl Recht, wenn er leidet, was er riskierte; warum riskiert er's auch, da er die möglichen Folgen kannte?" p. 255.
In dem Schluß dieses Satzes, in der Frage an den Verbrecher: Warum er's auch riskierte, wird der schulmeisterliche Unsinn des Ganzen latent. Ob einem Verbrecher Recht geschieht, wenn er heim Einsteigen in ein Haus fällt und das Bein bricht, ob einem Kinde, wenn es sich schneidet - bei diesen wichtigen Fragen, die nur einen Sankt Sancho beschäftigen können, kommt also nur heraus, daß hier der Zufall für Meine Macht erklärt wird. Also im ersten Beispiel war Mein Tun, im zweiten das von mir unabhängige gesellschaftliche Verhältnis, im dritten der Zufall "Meine Macht". Doch diese widersprechenden Bestimmungen haben wir schon bei der Eigenheit gehabt.
Zwischen die obigen kinderfreundlichen Exempel legt Sancho noch folgendes erheiterndes Zwischenschiebsel ein:
"Sonst eben hat das Recht eine wächserne Nase. Der Tiger, der Mich anfällt, hat Recht, und Ich, der ihn niederstößt, hab auch Recht. Nicht Mein Recht wahre Ich gegen ihn, sondern Mich." p. 251.
Im Vordersatz stellt sich Sankt Sancho in ein Rechtsverhältnis zum Tiger, und im Nachsatz fällt ihm ein, daß doch im Grunde kein Rechtsverhältnis stattfindet. Darum "eben hat das Recht eine wächserne Nase". Das Recht "des Menschen" löst sich auf in das Recht "des Tigers".
Hiermit ist die Kritik des Rechts beendet. Nachdem wir aus hundert früheren Schriftstellern längst wußten, daß das Recht aus der Gewalt hervorgegangen sei, erfahren wir noch von Sankt Sancho, daß "das Recht" "die Gewalt des Menschen" ist, womit er alle Fragen über den Zusammenhang des Rechts mit den wirklichen Menschen und ihren Verhältnissen glücklich beseitigt und seine Antithese zustande gebracht hat. Er beschränkt sich darauf, das Recht als das aufzuheben, als was er es setzt, nämlich als das Heilige, d.h. das Heilige aufzuheben und das Recht stehenzulassen.
Diese Kritik des Rechts ist mit einer Menge von Episoden verziert, nämlich mit allerlei Zeug, wovon bei Stehely nachmittags von zwei bis vier gesprochen zu werden "pflegt".
Episode I. "Menschenrecht" und "wohlerworbnes Recht".
"Als die Revolution die 'Gleichheit' zu einem 'Rechte' stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die heiligen, unveräußerlichen Menschenrechte. Gegen das ewige Menschenrecht wird ganz natürlich und gleichberechtigt das 'wohlerworbne Recht des Bestehenden' geltend gemacht; Recht gegen Recht, wo natürlich Eins vom Andern als Unrecht verschrien wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revolution." p. 248.
Zuerst wird wiederholt, daß die Menschenrechte "das Heilige" sind und daher seitdem der Kampf um die Menschenrechte stattfindet. Womit Sankt Sancho bloß beweist, daß die materielle Basis dieses Kampfes ihm heilig, d.h. fremd geblieben ist.
Weil "Menschenrecht" und "wohlerworbnes Recht" Beides "Rechte" sind, so sind sie "gleichberechtigt", und zwar hier im historischen Sinn "berechtigt". Weil Beides im juristischen Sinn "Rechte" sind, darum sind sie im historischen Sinn "gleichberechtigt". In dieser Weise kann man Alles in kürzester Frist abmachen, ohne etwas von der Sache zu wissen, und z.B. bei dem Kampfe um die Korngesetze in England sagen: Gegen den Profit (Vorteil) "wird dann ganz natürlich und gleichberechtigt" die Rente, die auch Profit (Vorteil) ist, "geltend gemacht". Vorteil gegen Vorteil, "wo natürlich Eins vom Andern verschrieen wird. Das ist der Kampf" um die Korngesetze seit 1815 in England - Übrigens konnte Stirner von vornherein sagen: Das bestehende Recht ist das Recht des Menschen, das Menschenrecht. Man "pflegt" es auch, von gewisser Seite her, "wohlerworbnes Recht" zu nennen. Wo bleibt also der Unterschied zwischen "Menschenrecht" und "wohlerworbnem Recht"?
Wir wissen schon, daß das fremde, heilige Recht das ist, was von Fremden gegeben wird. Da nun die Menschenrechte auch die natürlichen angebornen Rechte genannt werden und bei Sankt Sancho der Name die
Sache selbst ist, so sind sie also die mir von der Natur, d.h. der Geburt gegebenen Rechte. Aber
"die wohlerworbnen Rechte kommen auf dasselbe hinaus, nämlich auf die Natur, welche Mir ein Recht gibt, d. h. die Geburt und weiter die Erbschaft" und so weiter. "Ich bin als Mensch geboren ist gleich: Ich bin als Königssohn geboren."
p. 249, 250, wo denn auch dem Babeuf der Vorwurf gemacht wird, daß er nicht dies dialektische Talent der Auflösung des Unterschiedes besessen habe. Da "Ich" "unter allen Umständen" "auch" Mensch ist, wie Sankt Sancho später konzediert, und diesem Ich daher "auch" das, was es als Mensch hat, zugute kommt, wie ihm z.B. als Berliner der Berliner Tiergarten zugute kommt, so kommt ihm "auch" das Menschenrecht "unter allen Umständen" zugute. Da er aber keineswegs "unter allen Umständen" als "Königssohn" geboren ist, kommt ihm das "wohlerworbne Recht" keineswegs "unter allen Umständen" zugute. Auf dem Rechtsboden ist daher ein wesentlicher Unterschied zwischen "Menschenrecht" und "wohlerworbnem Recht". Hätte er nicht seine Logik verdecken müssen, so "war hier zu sagen": Nachdem Ich den Rechtsbegriff aufgelöst zu haben meine, in der Weise, wie Ich überhaupt aufzulösen "pflege", so ist der Kampf um diese beiden speziellen Rechte ein Kampf innerhalb eines von Mir in Meiner Meinung aufgelösten Begriffes und braucht "daher" von Mir gar nicht weiter berührt zu werden.
Zur Vermehrung der Gründlichkeit hätte Sankt Sancho noch folgende neue Wendung hinzufügen können: Auch das Menschenrecht ist erworben, also wohl erworben, und das wohlerworbene Recht ist von Menschen besessenes, menschliches, Menschenrecht.
Daß man übrigens solche Begriffe, wenn man sie von der ihnen zugrunde liegenden empirischen Wirklichkeit trennt, wie einen Handschuh umdrehen kann, ist bereits von Hegel ausführlich genug bewiesen, bei dem diese Methode den abstrakten Ideologen gegenüber berechtigt war. Sankt Sancho braucht sie also nicht erst durch seine "unbeholfenen" "Machinationen" lächerlich zu machen.
Bis jetzt "liefen" das wohlerworbne und das Menschenrecht "auf dasselbe hinaus", damit Sankt Sancho einen außer seinem Kopf in der Geschichte existierenden Kampf in nichts verflüchtigen konnte. Nun beweist uns unser Heiliger, daß er ebenso scharfsinnig im Distinguieren wie allmächtig im Zusammenwerfen ist, um einen neuen, im "schöpferischen Nichts" seines Kopfes existierenden schrecklichen Kampf hervorbringen zu können.
"Ich will auch zugeben" (großmütiger Sancho), "daß Jeder als Mensch geboren werde" (mithin nach der obigen, dem Babeuf vorgehaltenen Weisung, auch als
"Königssohn"), "mithin die Neugebornen darin einander gleich seien ... nur deshalb" weil sie sich noch als nichts anderes zeigen und betätigen, als eben als bloße - Menschenkinder, nackte Menschlein." Dagegen die Erwachsenen sind "Kinder ihrer eignen Schöpfung". Sie "besitzen mehr als bloß angeborne Rechte, sie haben Rechte erworben".
(Glaubt Stirner, daß das Kind ohne seine eigne Tat aus dem Mutterleib herauskam, eine Tat, durch die es sich erst das "Recht", außer dem Mutterleib zu sein, erwarb; und zeigt und betätigt sich jedes Kind nicht gleich von vornherein als "einziges" Kind?)
"Welcher Gegensatz, welch ein Kampffeld! Der alte Kampf der angebornen Rechte und der wohlerworbnen Rechte!" p. 252.
Welch ein Kampf der bärtigen Männer gegen die Säuglinge!
Übrigens spricht Sancho bloß gegen die Menschenrechte, weil "man in neuester Zeit" wieder dagegen zu sprechen "pflegte". In Wahrheit hat er auch diese angebornen Menschenrechte sich "erworben". In der Eigenheit hatten wir schon den "gebornen Freien", wo er die Eigenheit zum angebornen Menschenrechte machte, indem er sich als bloß Geborner schon als Freier zeigte und betätigte. Noch mehr: "Jedes Ich ist von Geburt schon ein Verbrecher gegen den Staat", wo das Staatsverbrechen zum angebornen Menschenrecht wird und das Kind schon gegen etwas verbricht, was noch nicht für es, sondern wofür es existiert. Endlich spricht "Stirner" später von "gebornen beschränkten Köpfen", "gebornen Dichtern", "gebornen Musikern" usw. Da hier die Macht (musikalisches, dichterisches, resp. beschränktes Vermögen) angeboren und Recht = Macht ist, so sieht man, wie "Stirner" dem "Ich" die angebornen Menschenrechte vindiziert, wenn auch die Gleichheit diesmal nicht unter ihnen figuriert.
Episode 2. Bevorrechtigt und gleichberechtigt. Den Kampf um Vorrecht und gleiches Recht verwandelt unser Sancho zunächst in den Kampf um die bloßen "Begriffe" bevorrechtigt und gleichberechtigt. Damit erspart er es sich, etwas von der mittelalterlichen Produktionsweise, deren politischer Ausdruck das Vorrecht, und der modernen, deren Ausdruck das Recht schlechthin, das gleiche Recht ist, und von dem Verhältnisse dieser beiden Produktionsweisen zu den ihnen entsprechenden Rechtsverhältnissen zu wissen. Er kann sogar die obigen beiden "Begriffe" auf den noch einfacheren Ausdruck gleich und ungleich reduzieren und nachweisen, daß Einem dasselbe (z.B. die andern Menschen, ein Hund usw.) je nachdem gleichgültig, d.h. gleich oder nicht gleich gültig, d.h. ungleich, verschieden, bevorzugt sein können usw. usw.
"Ein Bruder aber, der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe." Saint-Jacques le bonhomme 1, 9.
Wir haben hier dem Leser ein großes Mysterium unsres heiligen Mannes zu enthüllen - nämlich, daß er seine ganze Abhandlung über das Recht mit einer allgemeinen Erklärung des Rechts beginnt, die ihm "entspringt", solange er vom Recht spricht, und von ihm erst dann wieder eingefangen wird, sobald er auf ganz etwas Anderes, nämlich auf das Gesetz, zu sprechen kommt. Damals rief das Evangelium unserm Heiligen zu: Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet - und er tat seinen Mund auf, lehrete und sprach:
"Das Recht ist der Geist der Gesellschaft." (Die Gesellschaft aber ist das Heilige.) "Hat die Gesellschaft einen Willen, so ist dieser Wille eben das Recht: sie besteht nur durch das Recht. Da sie aber nur dadurch besteht" (nicht durch das Recht, sondern nur dadurch), "daß sie über die Einzelnen eine Herrschaft ausübt, so ist das Recht ihr Herrscherwille." p. 244.
D.h., "das Recht ... ist ... hat ... so ... eben ..., besteht nur ... da ... aber nur dadurch besteht ... daß ... so ... Herrscherwille." Dieser Satz ist der vollendete Sancho.
Dieser Satz "entsprang" unsrem Heiligen damals, weil er nicht in seine Thesen paßte, und wird jetzt teilweise wieder eingefangen, weil er ihm jetzt teilweise wieder paßt.
"Es dauern die Staaten so lange, als es einen herrschenden Willen gibt und dieser herrschende Wille als gleichbedeutend mit dem eignen Willen angesehen wird. Des Herrn Wille ist Gesetz." p. 256.
Der Herrscherwille der Gesellschaft | = Recht, |
Der herrschende Wille | = Gesetz --- |
Recht | = Gesetz. |
"Mitunter", d.h. als Wirtshausschild seiner "Abhandlung" über das Gesetz, wird sich auch noch ein Unterschied zwischen Recht und Gesetz herausstellen, der merkwürdigerweise beinahe ebensowenig mit seiner "Abhandlung" über das Gesetz zu tun hat als die "entsprungene" Definition des Rechts mit der "Abhandlung" über das "Recht":
"Was aber Recht, was in einer Gesellschaft Rechtens ist, das kommt auch zu Worte - im Gesetze." p. 255.
Dieser Satz ist eine "unbeholfene" Kopie aus Hegel:
"Was gesetzmäßig, ist die Quelle der Erkenntnis dessen, was Recht ist oder was Rechtens ist."
Was Sankt Sancho "zu Worte kommen" heißt, nennt Hegel auch "gesetzt", "gewußt" etc. "Rechtsphilosophie". § 211 seqq.
Warum Sankt Sancho das Recht als "den Willen" oder "Herrscherwillen" der Gesellschaft aus seiner "Abhandlung" über das Recht ausschließen mußte, ist sehr begreiflich. Nur insoweit das Recht als Macht des Menschen bestimmt war, konnte er es als seine Macht in sich zurücknehmen. Er mußte also seiner Antithese zulieb die materialistische Bestimmung der "Macht" festhalten und die idealistische des "Willens" "entspringen" lassen. Warum er jetzt, wo er vom "Gesetze" spricht, den "Willen" wieder einfängt, werden wir bei den Antithesen über das Gesetz sehen.
In der wirklichen Geschichte bildeten diejenigen Theoretiker, die die Macht als die Grundlage des Rechts betrachteten, den direktesten Gegensatz gegen diejenigen, die den Willen für die Basis des Rechts ansehen - einen Gegensatz, den Sankt Sancho auch als den von Realismus (Kind, Alter, Neger pp.) und Idealismus (Jüngling, Neuer, Mongole PP.) auffassen könnte. Wird die Macht als die Basis des Rechts angenommen, wie es Hobbes etc. tun, so sind Recht, Gesetz pp. nur Symptom, Ausdruck anderer Verhältnisse, auf denen die Staatsmacht beruht. Das materielle Leben der Individuen, welches keineswegs von ihrem bloßen "Willen" abhängt, ihre Produktionsweise und die Verkehrsform, die sich wechselseitig bedingen, ist die reelle Basis des Staats und bleibt es auf allen Stufen, auf denen die Teilung der Arbeit und das Privateigentum noch nötig sind, ganz unabhängig vom Willen der Individuen. Diese wirklichen Verhältnisse sind keineswegs von der Staatsmacht geschaffen, sie sind vielmehr die sie schaffende Macht. Die unter diesen Verhältnissen herrschenden Individuen müssen, abgesehen davon, daß ihre Macht sich als Staat konstituieren muß, ihrem durch diese bestimmten Verhältnisse bedingten Willen einen allgemeinen Ausdruck als Staatswillen geben, als Gesetz - einen Ausdruck, dessen Inhalt immer durch die Verhältnisse dieser Klasse gegeben ist, wie das Privat- und Kriminalrecht aufs Klarste beweisen. So wenig es von ihrem idealistischen Willen oder Willkür abhängt, ob ihre Körper schwer sind, so wenig hängt es von ihm ab, ob sie ihren eignen Willen in der Form des Gesetzes durchsetzen und zugleich von der persönlichen Willkür jedes Einzelnen unter ihnen unabhängig setzen. Ihre persönliche Herrschaft muß sich zugleich als eine Durchschnittsherrschaft konstituieren. Ihre persönliche Macht beruht auf Lebensbedingungen, die sich als Vielen gemeinschaftliche entwickeln, deren Fortbestand sie als Herrschende gegen andere und zugleich als für Alle geltende zu behaupten haben. Der Ausdruck dieses durch ihre gemeinschaftlichen Interessen bedingten Willens ist das Gesetz. Gerade das Durchsetzen der voneinander unabhängigen Individuen und ihrer eignen Willen, das auf dieser Basis in ihrem Verhalten gegeneinander notwendig egoistisch ist, macht die
Selbstverleugnung im Gesetz und Recht nötig, Selbstverleugnung im Ausnahmsfall, Selbstbehauptung ihrer Interessen im Durchschnittsfall (die daher nicht ihnen, sondern nur dem "mit sich einigen Egoisten" für Selbstverleugnung gilt). Dasselbe gilt von den beherrschten Klassen, von deren Willen es ebensowenig abhängt, ob Gesetz und Staat bestehen. Z.B. solange die Produktivkräfte noch nicht so weit entwickelt sind, um die Konkurrenz überflüssig zu machen, und deshalb die Konkurrenz immer wieder hervorrufen würden, solange würden die beherrschten Klassen das Unmögliche wollen, wenn sie den "Willen hätten, die Konkurrenz und mit ihr Staat und Gesetz abzuschaffen. Übrigens entsteht dieser "Wille", ehe die Verhältnisse so weit entwickelt sind, daß sie ihn produzieren können, auch nur in der Einbildung des Ideologen. Nachdem die Verhältnisse weit genug entwickelt waren, ihn zu produzieren, kann der Ideologe diesen Willen als einen bloß willkürlichen und daher zu allen Zeiten und unter allen Umständen faßbaren sich vorstellen.
Ebensowenig wie das Recht geht das Verbrechen, d.h. der Kampf des isolierten Einzelnen gegen die herrschenden Verhältnisse, aus der reinen Willkür hervor. Es hat vielmehr dieselben Bedingungen wie jene Herrschaft. Dieselben Visionäre, die im Recht und Gesetz die Herrschaft eines für sich selbständigen allgemeinen Willens erblicken, können im Verbrechen den bloßen Bruch des Rechts und Gesetzes sehen. Nicht der Staat besteht also durch den herrschenden Willen, sondern der aus der materiellen Lebensweise der Individuen hervorgehende Staat hat auch die Gestalt eines herrschenden Willens. Verliert dieser die Herrschaft, so hat sich nicht nur der Wille, sondern auch das materielle Dasein und Leben der Individuen, und bloß deswegen ihr Wille, verändert. Es ist möglich, daß Rechte und Gesetze sich "forterben", aber sie sind dann auch nicht mehr herrschend, sondern nominell, wovon die altrömische und englische Rechtsgeschichte eklatante Beispiele liefern. Wir sahen schon früher, wie bei den Philosophen vermittelst der Trennung der Gedanken von den ihnen zur Basis dienenden Individuen und ihren empirischen Verhältnissen eine Entwicklung und Geschichte der bloßen Gedanken entstehen konnte. Ebenso kann man hier wieder das Recht von seiner realen Basis trennen, womit man dann einen "Herrscherwillen" herausbekommt, der sich in den verschiedenen Zeiten verschieden modifiziert und in seinen Schöpfungen, den Gesetzen, eine eigne selbständige Geschichte hat. Womit sich die politische und bürgerliche Geschichte in eine Geschichte der Herrschaft von aufeinanderfolgenden Gesetzen ideologisch auflöst. Dies ist die spezifische Illusion der Juristen und Politiker, die Jacques le bonhomme sans façon <ohne Umstände> adoptiert. Er macht sich dieselbe Illusion wie etwa
Friedrich Wilhelm IV., der auch die Gesetze für bloße Einfälle des Herrscherwillens hält und daher immer findet, daß sie am "plumpen Etwas" der Welt scheitern. Kaum [eine] seine[r] durchaus unschädlichen Marotten realisiert er weiter als in Cabinetsordren. Er befehle einmal 25 Millionen Anleihen, den hundertzehnten Teil der englischen Staatsschuld, und er wird sehen, wessen Wille sein Herrscherwille ist. Wir werden übrigens auch später finden, daß Jacques le bonhomme die Phantome oder Spuke seines Souveräns und Mitberliners als Dokumente benutzt, um daraus seine eignen theoretischen Sparren über Recht, Gesetz, Verbrechen usw. zu spinnen. Es darf uns dies um so weniger wundern, da selbst der Spuk der "Vossischen Zeitung" ihm zu wiederholten Malen etwas "präsentiert", z.B. den Rechtsstaat. Die oberflächlichste Betrachtung der Gesetzgebung, z.B. der Armengesetzgebung in allen Ländern, wird zeigen, wie weit es die Herrschenden brachten, wenn sie durch ihren bloßen "Herrscherwillen", d.h. als nur Wollende, irgend etwas durchsetzen zu können sich einbildeten. Sankt Sancho muß übrigens die Illusion der Juristen und Politiker über den Herrscherwillen akzeptieren, um in den Gleichungen und Antithesen, an denen wir uns gleich ergötzen werden, seinen eignen Willen herrlich leuchten lassen zu können und dahin zu kommen, daß er sich irgendeinen Gedanken, den er sich in den Kopf gesetzt hat, wieder aus dem Kopf schlagen kann.
"Meine lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in Anfechtungen fallet." Saint-Jacques le bonhomme 1,2.
Gesetz | = Herrscherwille des Staats, | ||||||||||||
= Staatswillen. | |||||||||||||
Antithesen: | |||||||||||||
Staatswillen, fremder Wille | -- Mein Wille, eigner Wille. | ||||||||||||
Herrscherwille des Staats | -- Eigner Wille Meiner. | ||||||||||||
-- Mein Eigenwille. | |||||||||||||
Staatseigne, die das Gesetz des Staates tragen | } | -- | { | "Selbsteigne (Einzige), die ihr Gesetz in sich selbst tragen." p. 268 | |||||||||
Gleichungen: | |||||||||||||
A) | Der Staatswille | = Nicht Mein Wille. | |||||||||||
B) | Mein Wille | = Nicht der Staatswille. | |||||||||||
C) | Wille | = Wollen. | |||||||||||
D) | Mein Wille | = Nichtwollen des Staats, | |||||||||||
= Wille wider den Staat, | |||||||||||||
= Widerwille gegen den Staat. |
E) | Den Nichtstaat wollen | = Eigenwille. | |||||||||||
Eigenwille | = Den Staat nicht wollen. | ||||||||||||
F) | Der Staatswille | = Das Nichts Meines Willens, | |||||||||||
= Meine Willenlosigkeit. | |||||||||||||
G) | Meine Willenlosigkeit | = Sein des Staatswillens. | |||||||||||
(Schon aus dem Früheren wissen wir, daß das Sein des Staatswillens gleich ist dem Sein des Staats, woraus sich folgende neue Gleichung ergibt:) | |||||||||||||
H) | Meine Willenlosigkeit | = Sein des Staats. | |||||||||||
I) | Das Nicht Meiner Willenlosigkeit | = Nichtsein des Staats. | |||||||||||
K) | Der Eigenwille | = Das Nichts des Staats. | |||||||||||
L) | Mein Wille | = Nichtsein des Staats. |
Note 1. Schon nach dem oben zitierten Satze von p. 256
"dauern die Staaten so lange, als der herrschende Wille als gleichbedeutend mit dem eignen Willen angesehen wird.".
Note 2.
"Wer, um zu bestehen" (wird dem Staat ins Gewissen geredet), auf die Willenlosigkeit Andrer rechnen muß, der ist ein Machwerk dieser Andern, wie der Herr ein Machwerk des Dieners ist." p. 257. (Gleichungen F, G, H, I.)
Note 3.
"Der eigne Wille Meiner ist der Verderber des Staats. Er wird deshalb von Letzterem als Eigenwille gebrandmarkt. Der eigne Wille und der Staat sind todfeindliche Mächte, zwischen welchen kein ewiger Friede möglich ist." p. 257. - "Daher überwacht er auch wirklich Alle, er sieht in Jedem einen Egoisten" (den Eigenwillen), "und vor dem Egoisten fürchtet er sich." p. 263. "Der Staat ... widersetzt sich dem Zweikampf ... selbst jede Prügelei wird gestraft" (auch wenn man die Polizei nicht herbeiruft), p. 245.
Note 4.
"Für ihn, den Staat, ist's unumgänglich nötig, daß Niemand einen eignen Willen habe; hätte ihn Einer, so müßte der Staat ihn ausschließen" (einsperren, verbannen); hätten ihn Alle" ("wer ist diese Person, die Ihr 'Alle' nennt?"), "so schafften sie den Staat ab." p. 257.
Dies kann nun auch rhetorisch ausgeführt werden:
"Was helfen Deine Gesetze, wenn sie Keiner befolgt, was Deine Befehle, wenn sich Niemand befehlen läßt?" p. 256. (64)
Note 5.
Die einfache Antithese: Staatswille - Mein Wille erhält im Folgenden eine scheinbare Motivierung: "Dächte Man sich auch selbst den Fall, daß jeder Einzelne im Volk den gleichen Willen ausgesprochen hätte und hierdurch ein vollkommener Gesamtwille (!) "zustande gekommen wäre: die Sache bliebe dennoch dieselbe. Wäre Ich nicht an Meinen gestrigen Willen heute und ferner gebunden? ... Mein Geschöpf, nämlich ein bestimmter Willensausdruck, wäre Mein Gebieter geworden; ich aber ... der Schöpfer, wäre in Meinem Flusse und Meiner Auflösung gehemmt ... Weil Ich gestern ein Wollender war, bin Ich heute ein Willenloser, gestern freiwillig, heute unfreiwillig." p. 258.
Den alten, von Revolutionären wie Reaktionären schon oft ausgesprochenen Satz, daß in der Demokratie die Einzelnen ihre Souveränität nur für einen Moment ausüben, dann aber sogleich wieder von der Herrschaft zurücktreten, sucht sich Sankt Sancho hier auf eine "unbeholfene" Art anzueignen, indem er seine phänomenologische Theorie von Schöpfer und Geschöpf auf ihn anwendet. Die Theorie von Schöpfer und Geschöpf benimmt diesem Satze aber allen Sinn. Sankt Sancho ist nach dieser seiner Theorie nicht heute ein Willenloser, weil er seinen gestrigen Willen geändert hat, d.h. einen anders bestimmten Willen hat, und nun das dumme Zeug, was er gestern als seinen Willensausdruck zum Gesetz erhob, seinen heutigen besser erleuchteten Willen als Band oder Fessel drückt. Nach seiner Theorie muß vielmehr sein heutiger Wille die Verneinung seines gestrigen sein, weil er die Verpflichtung hat, sich als Schöpfer auflösend zu seinem gestrigen Willen zu verhalten. Nur als "Willenloser" ist er Schöpfer, als wirklich Wollender ist er stets Geschöpf. (Siehe die "Phänomenologie".) Dann aber ist er, "weil er gestern ein Wollender war", keineswegs heute ein "Willenloser", sondern vielmehr ein Widerwilliger gegen seinen gestrigen Willen, mag dieser die
Form des Gesetzes angenommen haben oder nicht. Er kann ihn in beiden Fällen auflösen, wie er überhaupt aufzulösen pflegt, nämlich als seinen Willen. Damit hat er dem mit sich einigen Egoismus vollkommen Genüge geleistet. Ob also sein gestriger Wille als Gesetz eine Existenzform außer seinem Kopfe angenommen hat oder nicht ist hier ganz gleichgültig, besonders wenn wir bedenken, wie schon oben das "aus ihm heraus entsprungene Wort" sich ebenfalls rebellisch gegen ihn verhielt. Und dann will im obigen Satze Sankt Sancho ja nicht seine Eigenwilligkeit, sondern seine Freiwilligkeit, Willensfreiheit, Freiheit wahren, was ein arger Verstoß gegen den Moralkodex des mit sich einigen Egoisten ist. In diesem Verstoße befangen, geht Sankt Sancho sogar so weit, daß er die oben so sehr verschriene innerliche Freiheit, die Freiheit des Widerwillens, als die wahre Eigenheit proklamiert. bloß
"Wie zu ändern?" ruft Sancho aus. Nur dadurch, daß Ich keine Pflicht anerkenne, d.h. Mich nicht binde oder binden lasse. - Allein man wird Mich binden! Meinen Willen kann niemand binden und Mein Widerwille bleibt frei!" p. 258.
Pauken und Trompeten huld'gen
Seiner jungen Herrlichkeit!
Wobei Sankt Sancho vergißt, die "einfache Reflexion anzustellen", daß sein "Wille" allerdings insofern "gebunden" ist, als er wider seinen Willen ein "Widerwille" ist.
In dem obigen Satze über das Gebundensein des Einzelwillens durch den als Gesetz ausgedrückten allgemeinen Willen vollendet sich übrigens die idealistische Anschauungsweise vom Staat, für die es sich bloß vom Willen handelt und die bei französischen und deutschen Schriftstellern zu den spitzfindigsten Quästiunculis <winzigen (gelehrten) Fragen> geführt hat.(65)
Wenn es sich übrigens nur um das "Wollen", nicht um das "Können", und im schlimmsten Falle nur um den "Widerwillen" handelt, so ist nicht
abzusehen, warum Sankt Sancho einen so ergiebigen Gegenstand des "Wollens" und "Widerwillens", wie das Staatsgesetz ist, platterdings beseitigen will.
"Gesetz überhaupt pp. - soweit sind wir heute." p. 256.
Was Jacques le bonhomme nicht alles glaubt.
__________
Die bisherigen Gleichungen waren rein vernichtend gegen den Staat und das Gesetz. Der wahre Egoist mußte sich rein vernichtend gegen Beide verhalten. Die Aneignung vermißten wir, obwohl wir dagegen die Freude hatten, Sankt Sancho das große Kunststück verrichten zu sehen, wie man durch eine bloße Veränderung des Willens, die natürlich wieder vom bloßen Willen abhängt, den Staat vernichtet. Indessen auch an der Aneignung fehlt es hier nicht, obgleich sie hier nur ganz nebenherläuft und erst später "mitunter" Resultate haben kann. Die obigen zwei Antithesen
Staatswille, fremder Wille | - Mein Wille, eigner Wille, |
Herrscherwille des Staats | - Eigner Wille Meiner |
können auch so zusammengefaßt werden:
Herrschaft des fremden Willens | - Herrschaft des eignen Willens. |
In dieser neuen Antithese, die übrigens seiner Vernichtung des Staats durch seinen Eigenwillen fortwährend versteckt zugrunde lag, eignet er sich die politische Illusion über die Herrschaft der Willkür, des ideologischen Willens an. Er konnte dies auch so ausdrücken:
Willkür des Gesetzes | - Gesetz der Willkür. |
Zu dieser Einfachheit des Ausdrucks hat es Sankt Sancho indes nicht gebracht.
In der Antithese III haben wir schon ein "Gesetz in ihm"; aber er eignet sich das Gesetz noch direkter an in folgender Antithese:
Gesetz, Willenserklärung des Staats | } | ---- | { | Gesetz, Willenserklärung Meiner, Meine Willenserklärung |
"Es kann Jemand wohl erklären, was er sich gefallen lassen will, mithin durch ein Gesetz das Gegenteil sich verbitten" pp., p. 256.
Dies Verbitten wird mit obligaten Drohungen begleitet. Diese letzte Antithese ist von Wichtigkeit für den Abschnitt über das Verbrechen.
Episoden. p. 256 wird uns erklärt, daß "Gesetz" von "willkürlichem Befehl, Ordonnanz" nicht verschieden sei, weil Beides "Willenserklärung", mithin "Befehl". - p. 254, 255, 260, 263 wird unter dem Schein, als werde von "dem Staat" gesprochen, der preußische Staat untergeschoben und die wichtigen Fragen der "Vossischen Zeitung" über Rechtsstaat, Absetzbarkeit der Beamten, Beamtenhochmut und dergl. dummes Zeug verhandelt. Das einzig Wichtige ist die Entdeckung, daß die altfranzösischen Parlamente auf dem Rechte bestanden, königliche Edikte zu registrieren, weil sie "nach eignem Rechte richten" wollten. Das Registrieren der Gesetze durch die französischen Parlamente kam auf zugleich mit der Bourgeoisie und der für die damit absolut werdenden Könige gesetzten Notwendigkeit, sowohl dem Feudaladel wie fremden Staaten gegenüber einen fremden Willen, von dem der ihrige abhängig sei, vorzuschützen und zugleich den Bourgeois eine Garantie zu geben. Sankt Max kann sich dies aus der Geschichte seines geliebten Franz I. eines Weiteren verständlich machen; im Übrigen möge er sich aus den vierzehn Bänden "Des Etats généraux et autres assemblées nationales", Paris 1788, über das, was die französischen Parlamente wollten oder nicht wollten und was sie zu bedeuten hatten, einigermaßen Rats erholen, ehe er sie wieder in den Mund nimmt. Überhaupt wäre es wohl am Ort, hier eine kurze Episode über die Belesenheit unsres eroberungssüchtigen Heiligen einzulegen. Abgesehen von den theoretischen Büchern, wie Feuerbachs und B. Bauers Schriften, sowie von der Hegelschen Tradition, die seine Hauptquelle bildet - abgesehen von diesen notdürftigsten theoretischen Quellen benutzt und zitiert unser Sancho folgende historische Quellen: Für die französische Revolution Rutenbergs "Politische Reden" und die Bauerschen "Denkwürdigkeiten"; für den Kommunismus Proudhon, A.Beckers "Volksphilosophie", die "Einundzwanzig Bogen" und den Bluntschlibericht; für den Liberalismus die "Vossische Zeitung", die sächsischen Vaterlandsblätter, die badische Kammer, wieder die "Einundzwanzig Bogen" und E. Bauers epochemachende Schrift; außerdem werden noch hier und da als historische Belege zitiert:
die Bibel, Schlossers "18. Jahrhundert", Louis Blancs "Histoire de dix ans", Hinrichs' "Politische Vorlesungen", Bettina: "Dies Buch gehört dem König", Heß' "Triarchie", die "Deutsch-Französischen Jahrbücher", die Züricher "Anekdota", Moriz Carrière über den Kölner Dom, Sitzung der Pariser Pairskammer vom 25. April 1844, Karl Nauwerck, "Emilia Galotti", die Bibel - kurz, das ganze Berliner Lesekabinett samt seinem Eigentümer Willibald Alexis Cabanis. Man wird es nach dieser Probe von Sanchos tiefen Studien erklärlich finden, daß so unendlich viel Fremdes, d.h. Heiliges für ihn in dieser Welt existiert.
Note 1.
"Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen. Kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Unrecht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was - bist - Du? - Du - bist - ein - Verbrecher!!" p. 262.
Dem code civil <bürgerlichen Gesetzbuch> geht der code pénal <Strafgesetzbuch>, dem code pénal der code de commerce <Handelsgesetzbuch> zur Seite. Was bist Du? Du bist ein - Commerçant!
Sankt Sancho konnte uns diese nervenerschütternde Überraschung sparen. Bei ihm hat das "Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du Dir auch Unrecht von ihm geben lassen" allen Sinn verloren, insofern dadurch eine neue Bestimmung hinzukommen soll; denn bei ihm heißt es schon nach einer früheren Gleichung: Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so läßt Du Dir fremdes Recht, also Dein Unrecht geben.
A) Einfache Kanonisation von Verbrechen und Strafe
a) Verbrechen
Was das Verbrechen anbetrifft, so ist es, wie wir schon sahen, der Name für eine allgemeine Kategorie des mit sich einigen Egoisten, Negation des Heiligen, Sünde. In den angeführten Antithesen und Gleichungen über die Beispiele des Heiligen: Staat, Recht, Gesetz konnte die negative Beziehung des Ich auf diese Heiligen oder die Kopula auch Verbrechen genannt werden, wie bei der Hegelschen Logik, die ebenfalls ein Beispiel des Heiligen ist, Sankt Sancho auch sagen kann: Ich bin nicht die Hegelsche Logik, Ich bin ein Sünder gegen die Hegelsche Logik. Er mußte nun, da er vom Recht, Staat pp. sprach, fortfahren: Ein andres Beispiel der Sünde oder des Ver-
brechens sind die sogenannten juristischen oder politischen Verbrechen. Statt dessen tut er uns wieder ausführlich dar, daß diese Verbrechen seien
die Sünde gegen das Heilige, | |||
" | " | " | die fixe Idee, |
" | " | " | das Gespenst, |
" | " | " | "den Menschen". |
"Nur gegen ein Heiliges gibt es Verbrecher." p. 268.
"Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand." p. 318.
"Aus der fixen Idee entstehen die Verbrechen." p. 269.
"Man sieht hier, wie es wieder 'der Mensch' ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde und damit den des Rechts zuwege bringt." (Vorhin war es umgekehrt.) "Ein Mensch, in welchem Ich nicht den Menschen erkenne, ist ein Sünder." p. 268.
Note 1.
"Kann Ich annehmen, daß Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe" (wird im Gegensatz zum französischen Volk in der Revolution behauptet), "ohne anzunehmen, daß er so handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses Handeln nenne Ich das Rechte, Gute pp., das Abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die Andern müßten auf dasselbe Ziel mit Mir losgehen ... als Wesen, die irgendeinem 'vernünftigen' Gesetze" (Beruf! Bestimmung! Aufgabe! Das Heilige!!!) "gehorchen sollen. Ich stelle auf, was der Mensch sei und was wahrhaft menschlich handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dies Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als Sünder und Verbrecher ausweise ..." p. [267,] 268.
Dabei weint er eine ahnungsvolle Träne auf dem Grabe der "eigenen Menschen", die zur Schreckenszeit vom souveränen Volk im Namen des Heiligen geschlachtet wurden. Er zeigt weiter an einem Beispiel, wie von diesem heiligen Standpunkt aus die Namen der wirklichen Verbrechen konstruiert werden können.
"Wird, wie in der Revolution, das, was das Gespenst, der Mensch sei, als 'guter Bürger' gefaßt, so gibt es von diesem Begriffe des Menschen die bekannten 'politischen Vergehen und Verbrechen'." (Soll heißen: so gibt dieser Begriff pp. die bekannten Verbrechen von sich.) p. 268.
Wie sehr die Leichtgläubigkeit in dem Abschnitt über das Verbrechen die vorherrschende Qualität unsres Sancho ist, davon haben wir hier ein glänzendes Exempel, indem er die Sansculotten der Revolution vermittelst einer synonymischen Mißhandlung des Wortes citoyen in Berliner "gute Bürger" verwandelt. "Gute Bürger und treue Beamte" gehören nach Sankt Max unzertrennlich zusammen. "Robespierre z.B., Saint-Just usw." wären also die
"treuen Beamten", während Danton einen Kassendefekt sich zuschulden kommen ließ und die Gelder des Staats verschleuderte. Sankt Sancho hat einen guten Anfang zu einer Revolutionsgeschichte für den preußischen Bürger und Landmann gemacht.
Note 2.
Nachdem Sankt Sancho uns so das politische und juristische Verbrechen als ein Beispiel des Verbrechens überhaupt, nämlich seiner Kategorie des Verbrechens, der Sünde, der Negation, Feindschaft, Beleidigung, Verachtung des Heiligen, des unanständigen Betragens gegen das Heilige, vorgeführt hat, kann er nun getrost erklären:
"Im Verbrechen hat sich bisher der Egoist behauptet und das Heilige verspottet." p. 319.
An dieser Stelle werden alle bisherigen Verbrechen dem mit sich einigen Egoisten ins Credit geschrieben, obwohl wir späterhin wieder Einiges davon ins Debet werden übertragen müssen. Sancho glaubt, man habe bisher nur Verbrechen begangen, um "das Heilige" zu verspotten und sich nicht gegen die Dinge, sondern gegen das Heilige an den Dingen zu behaupten. Weil der Diebstahl eines armen Teufels, der sich einen fremden Taler aneignet, unter die Kategorie des Verbrechens gegen das Gesetz subsumiert werden kann, darum beging dieser arme Teufel den Diebstahl aus reiner Lust, das Gesetz zu brechen. Gerade wie Jacques le bonhomme sich oben einbildete, nur um des Heiligen willen seien überhaupt Gesetze gegeben worden und nur um des Heiligen willen würden Diebe eingesteckt.
b) Strafe
Da wir gerade mit juristischen und politischen Verbrechen uns zu schaffen machen, so findet sich bei dieser Gelegenheit, daß dergleichen Verbrechen "im gewöhnlichen Verstande" eine Strafe nach sich zu ziehen pflegen, oder auch, wie geschrieben steht, "der Tod der Sünde Sold ist". Es versteht sich nun, nach dem, was wir bereits über das Verbrechen vernommen haben, daß die Strafe die Selbstverteidigung und Abwehr des Heiligen gegen die Entheiliger ist.
Note 1.
"Die Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie Sühne für Verletzung eines Heiligen sein soll." p. 316. In der Strafe "verfallen Wir in die Torheit, das Recht, den Spuk" (das Heilige) "befriedigen zu wollen. Das Heilige soll sich" hier "gegen den Menschen wehren." (Sankt Sancho verfällt hier in die Torheit", "den Menschen" für die Einzigen" "eignen Ichs" usw. zu versehen.) p. 318.
Note 2.
"Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt." p. 318.
Sankt Sancho will eigentlich sagen: die Strafe verkommt von selbst, wenn man den Kriminalkodex aufgibt, d.h., die Strafe besteht nur durch den Kriminalkodex. "Ist aber nicht ein" nur durch die Strafe existierender Kriminalkodex "ein Unsinn, und ist eine" nur durch den Kriminalkodex existierende Strafe "nicht auch ein Unsinn?" (Sancho contra Heß, Wig[and,] p. 186.) Sancho versieht hier den Kriminalkodex für ein Lehrbuch der theologischen Moral.
Note 3.
Als Beispiel, wie aus der fixen Idee das Verbrechen entsteht, Folgendes:
"Die Heiligkeit der Ehe ist eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, daß die Untreue ein Verbrechen ist, und es setzt daher ein gewisses Ehegesetz" (zum großen Ärger der "d....... <deutschen> Kammern" und des "Kaisers aller R...... <Reußen>", nicht minder des "Kaisers von Japan" und des "Kaisers von China" und speziell des "Sultans") "eine kürzere oder längere Strafe darauf." p. 269.
Friedrich Wilhelm IV., der da glaubt, nach dem Maßstabe des Heiligen Gesetze geben zu können, und sich deswegen stets mit aller Welt brouilliert, kann sich damit trösten, daß er an unsrem Sancho wenigstens Einen Staatsgläubigen gefunden hat. Sankt Sancho vergleiche das preußische Ehegesetz, das bloß im Kopfe seines Autors existiert, einmal mit den praktisch geltenden Bestimmungen des Code civil, wo er den Unterschied zwischen heiligen und weltlichen Ehegesetzen finden kann. In der preußischen Phantasmagorie soll die Heiligkeit der Ehe von Staats wegen sowohl gegen den Mann wie gegen die Frau geltend gemacht werden; in der französischen Praxis, wo die Frau als Privateigentum des Mannes angesehen wird, kann nur die Frau, und auch sie nur auf Verlangen des Mannes, der sein Eigentumsrecht geltend macht, wegen Ehebruch bestraft werden.
B) Aneignung von Verbrechen und Strafe durch Antithese
Verbrechen im Sinne der Menschen | } | = | { | Brechen des Gesetzes des Menschen (der Willenserklärung des Staats, der Staatsgewalt) p. 259 ff. | |
Verbrechen im Sinn Meiner | = | Brechen des Gesetzes Meiner (Meiner Willenserklärung, Meiner Gewalt) p. 256 und passim. |
Diese beiden Gleichungen stehen einander antithetisch gegenüber und gehen bloß aus dem Gegensatz von "der Mensch" und "Ich" hervor. Sie sind nur Zusammenfassung des bereits Dagewesenen. Das Heilige straft den "Ich" -"Ich strafe den 'Ich'."
Verbrechen = | Feindschaft gegen das Gesetz des Menschen (das Heilige). | } | = | { | Feindschaft = | Verbrechen gegen das Gesetz Meiner. |
Verbrecher = | der Feind oder Gegner gegen den Heiligen (das heilige als moralische Person). | } | = | { | Feind oder Gegner = | der Verbrecher gegen das "Ich", den Leiblichen. |
Strafen = | Sich wehren des Heiligen gegen das "Ich". | } | = | { | Mich Wehren = | Strafe Meiner gegen "Ich". |
Strafe = | Genugtuung (Rache) des Menschen gegen "Ich". | } | = | { | Genugtuung (Rache) = | Strafe Meiner gegen "Ich". |
In der letzten Antithese kann die Genugtuung auch Selbstgenugtuung genannt werden, da es die Genugtuung Meiner im Gegensatz zur Genugtuung des Menschen ist.
Hält man nun in den obigen antithetischen Gleichungen immer nur das erste Glied im Auge, so ergibt sich folgende Reihe einfacher Antithesen, wo in der These immer der heilige, allgemeine, fremde Namen, in der Antithese immer der profane, persönliche, angeeignete Namen steht.
Verbrechen | - | Feindschaft. | ||
Verbrecher | - | Feind oder Gegner. | ||
Strafen | - | Mich Wehren. | ||
Strafe | - | { | Genugtuung, Rache, Selbstgenugtuung |
Wir werden sogleich ein geringes Wörtchen über diese Gleichungen und Antithesen zu sagen haben, die so einfach sind, daß selbst "ein geborner Dummerjan" (p. 434) sich diese "einzige" Methode des Denkens in fünf
Minuten aneignen kann. Vorher noch einige andre Belegstellen als die schon dagewesenen.
Note 1.
"Gegen Mich kannst du nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner", p. 268 - und "Feind" in demselben Sinne p. 256. - Verbrechen als Feindschaft des Menschen - hierfür werden p. 268 die "Feinde des Vaterlandes" als Beispiel angeführt. - "An die Stelle der Strafe soll" (moralisches Postulat) "die Genugtuung treten, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Recht oder der Gerechtigkeit genungzutun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen." p. 318.
Note 2.
Indem Sankt Sancho gegen den Heiligenschein (die Klappermühle) der bestehenden Gewalt kämpft, lernt er nicht einmal diese Gewalt kennen und greift sie selbst noch viel weniger an; er stellt nur die moralische Forderung, daß man die Beziehung des Ich auf sie formell ändere. (Siehe Logik.)
"Ich muß Mir's gefallen lassen" (aufgespreizte Beteuerung), "daß er" (sc. <silicet = nämlich> Mein Feind, der ein paar Millionen hinter sich stehen hat) "Mich als seinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als seiner Kreatur umspringt und daß er seine Vernunft oder Unvernunft zu Meiner Richtschnur macht." p. 256 (wo er dem P.P. Sancho eine sehr beschränkte Freiheit läßt, nämlich die Wahl, sich als seine Kreatur behandeln zu lassen oder die 3300 ihm von Merlin auf die posaderas <Sitzfleischhälften> gebundenen Prügel zu ertragen. Diese Freiheit läßt ihm jeder Kriminalkodex, der ihn freilich nicht erst fragt, in welcher Weise er dem P.P. Sancho seine Feindschaft zu erklären hat). - "Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponiert" (ihm eine "imposante Macht" seid), "eine geheiligte Autorität seid Ihr darum doch nicht; er müßte denn ein Schächer sein. Respekt und Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor Euch und Eurer Gewalt in Acht nimmt." p. 258.
Sankt Sancho tritt hier selbst als "Schächer"' auf, indem er um den Unterschied von "Imponieren" und "Respektiert werden", "in Acht nehmen" und "Achtung haben", einen Unterschied von höchstens einem Sechzehntel, mit vielem Ernste schachert. Wenn Sankt Sancho sich vor Jemand "in Acht nimmt", so "lebt er in der Reflexion und hat er einen Gegenstand, auf den er reflektiert, den er respektiert und vor dem er Ehrfurcht und Furcht empfindet". p. 115. - In den obigen Gleichungen ist die Strafe, Rache, Genugtuung pp. bloß als von Mir ausgehend dargestellt; insofern Sankt Sancho der Gegenstand der Genugtuung ist, können die Antithesen umgedreht werden: Hiermit verwandelt sich die Selbstgenugtuung in das Einem-Andern-an-Mir-genug-getan-Werden oder Meinem-Genüge-Abbruch-getan-Werden.
Note 3.
Dieselben Ideologen, die sich einbilden konnten, daß das Recht, Gesetz, der Staat pp. aus einem allgemeinen Begriff, etwa in letzter Instanz dem Begriff des Menschen, hervorgegangen und um dieses Begriffes willen ausgeführt worden seien, dieselben Ideologen können sich natürlich auch einbilden, Verbrechen würden aus reinem Übermut gegen einen Begriff begangen, Verbrechen seien überhaupt weiter Nichts als Verspottung von Begriffen und würden nur bestraft, um den verletzten Begriffen Genüge zu leisten. Hierüber haben wir oben beim Recht und schon früher bei der Hierarchie bereits das Nötige gesagt, worauf wir hiermit zurückverweisen. - In den obigen Antithesen wird den kanonisierten Bestimmungen Verbrechen, Strafe pp. der Name einer andern Bestimmung gegenübergestellt, die Sankt Sancho sich aus diesen ersten Bestimmungen nach seiner beliebten Manier herausnimmt und aneignet. Diese neue Bestimmung, die, wie gesagt, als bloßer Namen hier auftritt, soll als profan die unmittelbar individuelle Beziehung enthalten und das tatsächliche Verhältnis ausdrücken. (Siehe Logik.) In der Rechtsgeschichte findet sich nun, daß in den frühesten und rohesten Epochen diese individuellen, tatsächlichen Verhältnisse in ihrer krassesten Gestalt ohne Weiteres das Recht konstituierten. Mit der Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft, also mit der Entwickelung der persönlichen Interessen zu Klasseninteressen veränderten sich die Rechtsverhältnisse und zivilisierten ihren Ausdruck. Sie wurden nicht mehr als individuelle, sondern als allgemeine aufgefaßt. Gleichzeitig übertrug die Teilung der Arbeit die Wahrung der kollidierenden Interessen der einzelnen Individuen an Wenige, womit auch die barbarische Geltendmachung des Rechts verschwand. Die ganze Kritik Sankt Sanchos über das Recht beschränkt sich in den obigen Antithesen darauf, den zivilisierten Ausdruck der Rechtsverhältnisse und die zivilisierte Teilung der Arbeit für eine Frucht der "fixen Idee", des Heiligen, zu erklären und dagegen den barbarischen Ausdruck und die barbarische Art, sie zu schlichten, sich zu vindizieren. Es handelt sich für ihn nur um die Namen, die Sache selbst berührt er nicht, da er die wirklichen Verhältnisse nicht kennt, auf denen diese verschiedenen Formen des Rechts beruhen, und in dem juristischen Ausdruck der Klassenverhältnisse nur die idealisierten Namen jener barbarischen Verhältnisse erblickt. So finden wir in der Stirnerischen Willenserklärung das Befehden, in der Feindschaft, Sichwehren etc. den Abklatsch des Faustrechts und die Praxis des älteren Feudalwesens, in der Genugtuung, Rache pp. das jus talionis, die altgermanische Gewere, die compensatio, satisfactio, kurz die Hauptsachen aus den leges barbarorum und den consuetudines feudorum wieder - die Sancho nicht aus Bibliotheken,
sondern aus den Erzählungen seines ehmaligen Herrn von Amadis von Gallien sich angeeignet und liebgewonnen hat. Sankt Sancho kommt also in letzter Instanz wieder nur zu einem ohnmächtigen Moralgebot, daß Jeder sich selbst Genugtuung verschaffen und Strafen vollziehen soll. Er glaubt dem Don Quijote, er könne die aus der Teilung der Arbeit entstehenden sachlichen Mächte ohne weiteres durch ein bloßes Moralgebot in persönliche Mächte verwandeln. Wie sehr die juristischen Verhältnisse mit der aus der Teilung der Arbeit hervorgegangenen Entwickelung dieser sachlichen Mächte zusammenhängen, kann man schon ersehn aus der historischen Entwickelung der Macht der Gerichte und aus dem Jammer der Feudalen über die Rechtsentwicklung. (Siehe z.B Monteil l. c. XIVe, XVe siècle.) Grade in der Epoche zwischen der Herrschaft der Aristokratie und der der Bourgeoisie, als die Interessen zweier Klassen kollidierten, als der Handelsverkehr unter den europäischen Nationen bedeutend zu werden begann und das internationale Verhältnis daher selbst einen bürgerlichen Charakter annahm, fing die Macht der Gerichte an, bedeutend zu werden, und unter der Bourgeoisherrschaft, wo diese ausgebildete Teilung der Arbeit unumgänglich nötig ist, erreicht sie ihre höchste Spitze. Was sich die Knechte der Teilung der Arbeit, die Richter, und nun gar die professores juris <Professoren der Rechtswissenschaft> dabei einbilden, ist höchst gleichgültig.
C) Das Verbrechen im gewöhnlichen und außergewöhnlichen Verstande
Vorhin wurde das Verbrechen im gewöhnlichen Verstande dem Egoisten im außergewöhnlichen Verstande kreditiert, indem es verfälscht wurde; jetzt kommt diese Verfälschung an den Tag. Der außergewöhnliche Egoist findet nun, daß er nur außergewöhnliche Verbrechen begeht, die gegen das gewöhnliche Verbrechen geltend gemacht werden müssen. Wir belasten also dem P.P. Egoisten die gewöhnlichen Verbrechen wieder, wie pr. contra <wörtlich: [Wie] vorher gegenüberliegend; hier: wie wir sie vorher auf der Habenseite verbuchten>.
Den Kampf der gewöhnlichen Verbrecher gegen das fremde Eigentum kann man auch so ausdrücken (obgleich das von jedem Konkurrenten gilt),
daß sie - "fremdes Gut suchen" (p. 265),
heiliges Gut suchen,
das Heilige suchen, womit der gewöhnliche Verbrecher in einen "Gläubigen" (p. 265) verwandelt ist.
Dieser Vorwurf des Egoisten im außergewöhnlichen Verstande gegen den Verbrecher im gewöhnlichen Verstande ist indes nur scheinbar - er ist es ja selbst, der nach dem Heiligenschein der ganzen Welt trachtet. Was er dem Verbrecher eigentlich vorwirft, ist nicht, daß er "das Heilige", sondern daß er das "Gut" sucht.
Nachdem Sankt Sancho sich eine "eigne Welt, einen Himmel", nämlich diesmal eine Welt der Fehden und fahrenden Ritter für seinen eignen Kopf in der modernen Welt erbaut, nachdem er zugleich seinen Unterschied als ritterlicher Verbrecher von den gemeinen Verbrechern dokumentiert hat, unternimmt er abermals einen Kreuzzug gegen die "Drachen und Straußen, Feldteufel", "Gespenster, Spuke und fixen Ideen". Sein getreuer Knecht Szeliga reitet andächtig hinter ihm her. Da sie aber ihres Weges ziehen, so begibt sich das erstaunliche Abenteuer von den Unglücklichen, so dahin geschleppt wurden, wohin sie nicht gehen wollten, wie geschrieben steht Cervantes am zweiundzwanzigsten. Derweil nämlich unser fahrender Ritter und sein Knecht Don Quijote fürbaß trabten, schlug Sancho die Augen auf und sah an die zwölf Männer ihnen entgegenkommen, geschlossen mit Handschellen und einer langen Kette und begleitet von einem Kommissär und vier Gensdarmen, so da angehörten der heiligen Hermandad [127], der Hermandad der Heiligen, dem Heiligen. Da sie aber nahe herzugekommen waren, bat Sankt Sancho ihre Wächter gar höflich, sie möchten ihm doch, wenn's gefällig, sagen, warum diese Leute so zusammengeschlossen geführt würden. - Baugefangene Sr. Majestät, nach Spandau kommandiert, mehr braucht Ihr nicht zu wissen. - Wie, rief Sankt Sancho, gezwungene Leute? Ist's möglich, daß der König einem "eigenen Ich" Gewalt antun kann? So berufe Ich Mich zu dem Berufe, dieser Gewalt zu steuern. "Des Staats Betragen ist Gewalttätigkeit, und dies nennt er Recht. Die Gewalttätigkeit aber des Einzelnen nennt er Verbrechen." Hierauf hub Sankt Sancho zuerst an, die Sträflinge zu vermahnen, und sagte, sie sollten sich nicht grämen, sie seien zwar "nicht frei", aber doch "eigen", und ihre "Knochen" würden vielleicht unter einigen Geißelhieben zu "ächzen" haben, auch werde man ihnen vielleicht ein "Bein ausreißen" - aber, sprach er, in dem Allen überwindet Ihr weit - denn "Euren Willen kann Niemand binden!" "Und Ich weiß gewiß, daß es keine Hexerei auf der Welt gibt, so den Willen bewegen und zwingen könne, wie einige Einfaltspinsel sich einbilden; denn er ist Unsre freie Willkür, und es gibt kein Kraut noch Zauberspruch, der ihn bezwinge." Ja, "Euren Willen kann Niemand binden, und Euer Widerwille bleibt frei!"
Da sich aber die Baugefangenen bei diesem Sermon nicht beruhigen wollten, sondern nach der Reihe erzählten, wie ungerecht man sie verurteilt
habe, sprach Sancho: "Lieben Brüder, aus Allem, so Ihr Mir erzählt habt, habe Ich ins Klare gebracht, daß, obgleich man Euch für Eure Verbrechen gestraft hat, Euch die Strafe, die Ihr leiden sollt, wenig Vergnügen macht, also daß ihr derselbigen widerwillig und gar ohne Lust entgegengehet. Und es kann sehr wohl sein, daß der Kleinmut des Einen auf der Prügelmaschine, die Armut des Andern, der Mangel an Gunst für den Dritten und endlich das parteiische Gericht des Richters die Ursache von Eurem Verderben sind und daß man Euch nicht das Recht zugute kommen ließ, das Euch gehörte, 'das Recht Eurer'. Alles dies zwingt Mich, Euch zu zeigen, warum der Himmel Mich in die Welt gesetzt hat. Da es aber die Klugheit des mit sich einigen Egoisten erfordert, Nichts durch Gewalt zu tun, was man durch Verständigung erlangen kann, so bitt' ich hiermit den Herrn Commissarius und die Herren Gensdarmen, Euch loszuschließen und Eures Weges wandern zu lassen. Überdies, meine Herren Gensdarmen, haben Euch alle diese Armen nichts zuleide getan. Es geziemt mit sich einigen Egoisten nicht, Henker andrer Einzigen zu werden, die ihnen nichts getan haben. Bei Euch scheint 'die Kategorie des Bestohlenen in den Vordergrund zu treten'. Warum 'eifert' Ihr 'gegen das Verbrechen?' 'Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, Ihr seid für die Sittlichkeit begeistert, von der Idee der Sittlichkeit erfüllt', 'was ihr feindlich ist, das verfolgt Ihr' - Ihr 'bringt' diese armen Baugefangenen 'durch Amtseid ins Loch', Ihr seid das Heilige! Also laßt diese Leute gutwillig los. Wo nicht, so bekommt Ihrs mit Mir zu tun, der 'mit einem Hauche des lebendigen Ich Völker umbläst', 'die maßloseste Entweihung begeht' und 'sich selbst vor dem Monde nicht fürchtet'."
"Na seht mir doch die schöne Flegelei!" rief der Kommissär. "Rück Er sich lieber das Bartbecken gerade auf dem Kopf und scher Er sich seines Weges!"
Sankt Sancho aber legte erbost über diese preußische Grobheit seinen Spieß ein und rannte so hastig auf ihn los, als die Apposition nur laufen wollte, so daß er ihn alsbald zu Boden warf. Jetzt entspann sich ein allgemeiner Kampf, in welchem die Baugefangenen sich befreiten, Szeliga-Don Quijote von einem Gensdarmen in den Landwehr- oder Schafgraben geworfen wurde und Sankt Sancho die größten Heldentaten gegen das Heilige verrichtete. Nach wenig Minuten waren die Gensdarmen zerstreut, Szeliga aus dem Graben gekrochen und das Heilige vorläufig beseitigt.
Sankt Sancho versammelte nun die befreiten Baugefangenen um sich und hielt folgende Rede an sie (p. 265, 266 "des Buchs").
"Was ist der gewöhnliche Verbrecher" (der Verbrecher im gewöhnlichen Verstande) "anders als Einer, der das verhängnisvolle Versehen begangen hat" (verhängnisvoller
Belletrist für Bürger und Landmann!), "nach dem zu streben, was des Volkes ist, statt nach dem Seinen zu suchen? Er hat das verächtliche" (allgemeines Murren der Baugefangenen über dies moralische Urteil) "fremde Gut gesucht, hat getan, was die Gläubigen tun, die nach dem trachten, was Gottes ist" (der Verbrecher als schöne Seele). "Was tut der Priester, der den Verbrecher vermahnt? Er stellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staat Geheiligte, das Eigentum desselben, wozu ja auch das Leben der Staatsangehörigen gerechnet werden muß, durch seine Tat entweiht zu haben. Dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er sich besudelt habe" (Kichern der Baugefangenen über diese egoistische Aneignung der banalen Pfaffenredensarten), "indem er das Fremde nicht verachtet, sondern des Raubes wert hielt" (Grunzen der Baugefangenen): "er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe" (ein Baugefangener: "Im gewöhnlichen Verstande!") "wäre." Ich aber "rede mit dem Verbrecher als mit einem Egoisten, und er wird sich schämen" (schamloses, lautes Hurrah der Verbrecher, die sich nicht zur Scham berufen lassen wollen), "nicht daß er gegen Eure Gesetze und Güter sich verging, sondern daß er Eure Gesetze des Umgehens" (hier ist nur vom "Umgehen" "im gewöhnlichen Verstande" die Rede, sonst aber "umgehe Ich einen Felsen, bis Ich ihn sprengen kann", und "umgehe" z.B. selbst "die Zensur"), "Eure Güter des Verlangens wert hielt" (abermaliges Hurrah), "wird sich schämen -"
Gines von Passamonte, der Erzdieb, der überhaupt nicht viel ertragen konnte, schrie: "Sollen wir denn nichts tun als uns der Scham ergeben, Ergebung zeigen, sobald der Pfaff im außergewöhnlichen Verstande uns 'vermahnt'?"
"Wird sich schämen", fährt Sancho fort, "daß er Euch mitsamt den Eurigen nicht verachtete, daß er zu wenig Egoist war." (Sancho legt hier einen fremden Maßstab an den Egoismus des Verbrechers. Daher entsteht ein allgemeines Gebrülle unter den Baugefangenen; etwas verwirrt lenkt Sancho ein, sich mit einer rhetorischen Bewegung gegen die abwesenden "guten Bürger" wendend:) "Aber Ihr könnt nicht egoistisch mit ihm reden, denn Ihr seid nicht so groß wie ein Verbrecher, Ihr - verbrecht Nichts."
Gines fällt wieder ein: "Welche Leichtgläubigkeit, guter Mann! Unsre Zuchtmeister im Gefängnis verbrechen allerdings, machen Kassendefekte und Unterschleife und begehen Schändung [...] <Hier fehlen im Manuskript 12 Seiten>
[...] zeigt er nur wieder seine Leichtgläubigkeit. Schon die Reaktionäre wußten, daß die Bourgeois in der Konstitution den naturwüchsigen Staat aufheben und einen eignen Staat errichten und machen; daß "le pouvoir constituant, qui était dans le temps (naturwüchsig), passa dans la volonté humaine" <"die konstituierende Macht, die in der Zeit lag, in den Menschlichen Willen überging">, daß "dieser gemachte Staat wie ein gemachter, gemalter Baum ist" usw. Siehe
Fiévée, "Correspondance politique et administrative", Paris 1815 - "Appel à la France contre la division des opinions" - "Le drapeau blanc" von Sarrans aîné <Sarran der Ältere> und "Gazette de France" aus der Restaurationszeit und die früheren Schriften von Bonald, de Maistre pp. Die liberalen Bourgeois werfen wiederum den alten Republikanern vor, von denen sie natürlich ebensowenig wußten als Sankt Max vom Bourgeoisstaat, daß ihr Patriotismus nichts sei als "une passion, factice envers und être abstrait, une idée générale" <"eine künstliche, auf ein abstraktes Wesen, eine allgemeine Idee gerichtete Leidenschaft"> (Benj. Constant, "De l'esprit des conquêtes", Paris 1814, p. 93), während die Reaktionäre den Bourgeois vorwarfen, daß ihre politische Ideologie nichts sei als "une mystification que la classe aisée fait subir à celles qui ne le sont pas"<"eine Täuschung, mit der die wohlhabende Klasse jene Klassen foppt, die es nicht sind"> ("Gazette de France", 1831, Février). - p. 295 erklärt Sankt Sancho den Staat für "eine Anstalt, das Volk zu christianisieren", und weiß von der Grundlage des Staats soviel zu sagen, daß dieser durch "den Kitt" der "Achtung vor dem Gesetz" oder das Heilige durch die Achtung (das Heilige als Kopula) vor dem Heiligen "zusammengehalten wird" (p. 314).
Note 4.
"Ist der Staat heilig, so muß Zensur sein", p. 316. - "Die französische Regierung bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Kaution dafür, daß er wirklich Mensch sei." (Quel bonhomme! <Welcher Biedermann!> Jacques le bonhomme wird zum Studium der Septembergesetze "berufen".) p. 380.
Note 5, in der wir die tiefsten Aufschlüsse erhalten über die verschiedenen Staatsformen, die Jacques le bonhomme verselbständigt und in denen er nur verschiedene Versuche sieht, den wahren Staat zu realisieren.
"Die Republik ist gar nichts anderes als die absolute Monarchie: denn es verschlägt nichts, ob der Monarch Fürst oder Volk heiße, da Beide eine Majestät" (das Heilige) "sind ... Der Konstitutionalismus ist weiter als die Republik, weil er der in der Auflösung begriffene Staat ist." Diese Auflösung wird dahin erklärt: "Im konstitutionellen Staate ... will die Regierung absolut sein, und das Volk will absolut sein. Diese beiden Absoluten" (sc. Heiligen) "werden sich aneinander aufreiben." p. 302. - 'Ich bin nicht der Staat, Ich bin das schöpferische Nichts des Staats'; "damit versinken alle Fragen" (über Konstitution pp.) "in ihr wahres Nichts." p. 310. -
Er hätte hinzufügen sollen, daß auch die obigen Sätze über die Staatsformen nur eine Umschreibung dieses "Nichts" sind, dessen einzige Schöpfung der obige Satz ist: Ich bin nicht der Staat. Sankt Sancho spricht
hier ganz in deutscher Schulmeistermanier von "der" Republik, die natürlich viel älter ist als die konstitutionelle Monarchie, z.B. die griechischen Republiken.
Daß in einem demokratischen Repräsentativstaat wie Nordamerika die Klassenkollisionen bereits eine Form erreicht haben, zu der die konstitutionellen Monarchien erst hingedrängt werden, davon weiß er natürlich Nichts. Seine Phrasen über die konstitutionelle Monarchie beweisen, daß er seit dem 1842 des Berliner Kalenders Nichts gelernt und Nichts vergessen hat.
Note 6.
"Der Staat verdankt nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, seine Existenz" und wird mit dem Verschwinden dieser Geringschätzung ganz erlöschen" (wonach es nur von Sancho abhängt, wie bald alle Staaten der Welt "erlöschen" sollen. Wiederholung von Note 3 in umgekehrter Gleichung - siehe Logik). "Er ist nur, wenn er über Mir ist, nur als Macht und Mächtiger. Oder" (merkwürdiges Oder, das das Gegenteil von dem beweist, was es beweisen soll) "könnt ihr Euch einen Staat denken, dessen "Einwohner sich allesamt" (Sprung aus dem "Ich" in das "Wir") "nichts aus ihm machen?" p. 377.
Auf die Synonymik von "Macht", "Mächtig" und "machen" brauchen wir nicht mehr einzugehen.
Daraus, daß es Leute in jedem Staat gibt, die sich aus ihm etwas machen, d.h. die im Staat und durch den Staat aus sich etwas machen, schließt Sancho, daß der Staat eine Macht über diesen Leuten ist. Es handelt sich hier wieder nur darum, daß man sich die fixe Idee des Staats aus dem Kopfe zu schlagen hat. Jacques le bonhomme träumt noch immer, daß der Staat eine bloße Idee sei, und glaubt an die selbständige Macht dieser Staatsidee. Er ist der wahre "Staatsgläubige, Staatsbesessene, Politiker" (p. 309). Hegel idealisierte die Vorstellung der politischen Ideologen vom Staat, die noch von den einzelnen Individuen, wenn auch bloß vom Willen dieser Individuen ausgingen; Hegel verwandelt den gemeinsamen Willen dieser Einzelnen in den absoluten Willen, und diese Idealisierung der Ideologie nimmt Jacques le bonhomme bona fide <gutgläubig> für die richtige Ansicht vom Staate an und kritisiert sie in diesem Glauben dadurch, daß er das Absolute für das Absolute erklärt.
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Datum der letzten Änderung: Jena, den : 09.03.2013