Neues Testament: "Ich"
Wenn wir im Alten Bunde die "einzige" Logik innerhalb der Vergangenheit zum Gegenstande unserer Erbauung hatten, so haben wir nun die Gegenwart innerhalb der "einzigen" Logik vor uns. Wir haben den "Einzigen" in seinen mannigfaltigen, antediluvianischen "Brechungen", als Mann, kaukasischen Kaukasier, vollendeten Christen, Wahrheit des humanen Liberalismus, negative Einheit von Realismus und Idealismus ppp. bereits hinlänglich beleuchtet. Mit der historischen Konstruktion des "Ich" fällt das "Ich" selber. Dies "Ich", das Ende einer geschichtlichen Konstruktion, ist kein "leibhaftiges", fleischlich von Mann und Weib erzeugtes Ich, das keiner Konstruktionen bedarf, um zu existieren; es ist ein geistlich von zwei Kategorien, "Idealismus" und "Realismus", erzeugtes "Ich", eine bloße Gedankenexistenz.
Der Neue Bund, der schon mit dem Alten Bunde, seiner Voraussetzung, aufgelöst ist, hat einen buchstäblich ebenso weisen Haushalt wie der Alte, nämlich "unter mancherlei Wandlungen" denselben, wie dies aus der folgenden Tabelle hervorgeht:
I. Die Eigenheit = die Alten, Kind, Neger pp. in ihrer Wahrheit, nämlich die Herausarbeitung aus der "Welt der Dinge" zur "eignen" Anschauung und Besitzergreifung dieser Welt. Es ergab sich bei den Alten Lossein von der Welt, bei den Neuen Lossein vom Geist, bei den Liberalen Lossein von der Person, bei den Kommunisten Lossein vom Eigentum, bei den Humanen Lossein von Gott, also überhaupt die Kategorie des Losseins (Freiheit) als Ziel. Die negierte Kategorie des Losseins ist die Eigenheit, die natürlich keinen andern Inhalt als dies Lossein hat. Die Eigenheit ist die philosophisch konstruierte Eigenschaft aller Eigenschaften des Stirnerschen Individui.
II. Der Eigner - als solcher ist Stirner hinter die Unwahrheit der Welt der Dinge und der Welt des Geistes gekommen, also die Neuen, Phase des
Christentums innerhalb der logischen Entwicklung - Jüngling, Mongole. - Wie die Neuen in die dreifach bestimmten Freien, so schlägt der Eigner in die drei ferneren Bestimmungen auseinander:
1. Meine Macht, dem politischen Liberalismus entsprechend, wo die Wahrheit des Rechts an den Tag kommt, das Recht als die Macht "des Menschen" in die Macht als das Recht des "Ich" aufgelöst wird. Kampf gegen den Staat als solchen.
2. Mein Verkehr, dem Kommunismus entsprechend, wobei die Wahrheit der Gesellschaft an den Tag kommt und die Gesellschaft als der durch "den Menschen" vermittelte Verkehr (in ihren Formen als Gefängnisgesellschaft, Familie, Staat, bürgerliche Gesellschaft pp.) in den Verkehr des "Ich" aufgelöst wird.
3. Mein Selbstgenuß, dem kritischen, humanen Liberalismus entsprechend, worin die Wahrheit der Kritik, das Verzehren, Auflösen und die Wahrheit des absoluten Selbstbewußtseins als Selbstverzehren an den Tag kommt und die Kritik als das Auflösen im Interesse des Menschen in das Auflösen im Interesse des "Ich" sich verwandelt.
Die Eigentümlichkeit der Individuen löste sich, wie wir sahen, in die allgemeine Kategorie der Eigenheit auf, welche die Negation des Losseins, der Freiheit im Allgemeinen war. Die Beschreibung der besondern Eigenschaften des Individuums kann also wieder nur in der Negation dieser "Freiheit" in ihren drei "Brechungen" bestehen; jede dieser negativen Freiheiten wird jetzt durch ihre Negation in eine positive Eigenschaft verwandelt. Es versteht sich, daß, wie im Alten Testament das Lossein der Welt der Dinge und der Welt der Gedanken schon als Aneignung dieser beiden Welten gefaßt wurde, so auch hier diese Eigenheit oder Aneignung der Dinge und Gedanken wieder als vollendetes Lossein dargestellt wird.
Das "Ich" mit seinem Eigentum, seiner Welt, die in den eben "signalisierten" Eigenschaften besteht, ist Eigner. Als sich selbst genießend und sich selbst verzehrend, ist es das "Ich" in der zweiten Potenz, der Eigner des Eigners, den es ebensowohl los ist, als er ihm gehört, also die "absolute Negativität" in ihrer doppelten Bestimmung als Indifferenz, Jleichjültigkeit und negative Beziehung auf sich, den Eigner. Sein Eigentum an der Welt und sein Lossein von der Welt hat sich nun verwandelt in diese negative Beziehung auf sich, in dieses Selbstauflösen und Sichselbstgehören des Eigners. Das Ich, so bestimmt, ist -
III. Der Einzige, der also wieder keinen andern Inhalt hat als den Eigner plus die philosophische Bestimmung der "negativen Beziehung auf
sich". Der tiefsinnige Jacques gibt sich den Schein, als sei von diesem Einzigen Nichts auszusagen, weil er ein leibhaftiges, nicht konstruierbares Individuum ist. Es verhält sich aber vielmehr damit wie mit der Hegelschen absoluten Idee am Ende der "Logik" und der absoluten Persönlichkeit am Ende der "Encyklopädie", von der ebenfalls Nichts auszusagen ist, weil nämlich die Konstruktion Alles enthält, was von solchen konstruierten Persönlichkeiten ausgesagt werden kann. Hegel weiß dies und geniert sich nicht, dies zu gestehen, während Stirner die Heuchelei begeht, zu behaupten, sein "Einziger" sei noch etwas Andres als der konstruierte Einzige, aber Etwas, das sich nicht sagen lasse - nämlich ein leibhaftiges Individuum. Dieser heuchlerische Schein verschwindet, wenn man die Sache umkehrt, den Einzigen als Eigner bestimmt und vom Eigner aussagt, daß er die allgemeine Kategorie der Eigenheit zu seiner allgemeinen Bestimmung hat; womit nicht allein Alles gesagt ist, was über den Einzigen "sagbar" ist, sondern auch, was er überhaupt ist - minus Jacques le bonhommes Einbildung von ihm.
"O welch eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und Erkenntnis des Einzigen! Wie gar unergründlich sind seine Gedanken und unerforschlich seine Wege!"
"Siehe, also gehet sein Tun; aber davon haben wir ein geringes Wörtlein vernommen." (Hiob 26,14.)
2. Phänomenologie des mit sich einigen Egoisten
oder die Lehre von der Rechtfertigung
Wie wir bereits in der Ökonomie des Alten Bundes und später sahen, ist Sankt Sanchos wahrer, mit sich einiger Egoist keineswegs mit dem trivialen Alltagsegoisten, dem "Egoisten im gewöhnlichen Verstande", zu verwechseln. Er hat vielmehr sowohl diesen (den in der Welt der Dinge Befangenen, Kind, Neger, Alten pp.) wie den aufopfernden Egoisten (den in der Welt der Gedanken Befangenen, Jüngling, Mongole, Neuen pp.) zu seiner Voraussetzung. Es liegt indes in der Natur der Geheimnisse des Einzigen, daß dieser Gegensatz und die aus ihm hervorgehende negative Einheit - der "mit sich einige Egoist" - erst hier, im Neuen Bunde, betrachtet werden kann.
Da Sankt Max den "wahren Egoisten" als etwas ganz Neues, als das Ziel der bisherigen Geschichte darstellen will, so hat er einerseits den Aufopfernden, den Predigern des dévoûment, nachzuweisen, daß sie wider Willen Egoisten, und den Egoisten im gewöhnlichen Verstande, daß sie Aufopfernde, daß sie keine wahren, keine heiligen Egoisten sind. - Beginnen wir mit den erstem, den Aufopfernden.
Zu unzähligen Malen sahen wir, daß in der Welt Jacques le bonhommes Alle vom Heiligen besessen sind. - Indessen macht es doch einen Unterschied", ob "man gebildet oder ungebildet ist". Die Gebildeten, die sich mit dem reinen Gedanken beschäftigen, treten uns hier als die vom Heiligen "Besessenen" par excellence entgegen. Sie sind in ihrer praktischen Gestalt die "Aufopfernden."
"Wer ist denn aufopfernd? Vollständig" (!) "doch" (!!) "wohl" (!!!) "derjenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Leidenschaft alles Andre setzt. - - Ihn beherrscht eine Leidenschaft, der er die übrigen zum Opfer bringt. Und sind diese Aufopfernden etwa nicht eigennützig? Da sie nur Eine herrschende Leidenschaft haben, sorgen sie auch nur für Eine Befriedigung, aber für diese desto eifriger. Egoistisch ist ihr ganzes Tun und Treiben, aber es ist ein einseitiger, unaufgeschlossener, bornierter Egoismus; es ist Besessenheit." p. 99.
Sie haben also nach Sankt Sancho nur eine herrschende Leidenschaft; sollen sie auch für die Leidenschaften sorgen, die nicht sie, sondern Andre haben, um sich zum allseitigen, aufgeschlossenen, unbeschränkten Egoismus zu erheben, um diesem fremden Maßstab des "heiligen" Egoismus zu entsprechen?
Beiläufig wird in dieser Stelle auch der "Geizige" und der "Vergnügungssüchtige" (wahrscheinlich, weil Stirner glaubt, er suche "das Vergnügen" als solches, das heilige Vergnügen, nicht die wirklichen Vergnügungen aller Art) ebenso wie "Robespierre z.B., Saint-Just usw." (p. 100) als Exempel des "aufopfernden, besessenen Egoisten" angeführt. "Von einem gewissen Standpunkt der Sittlichkeit aus räsoniert man" (d.h. unser heiliger, "mit sich einiger Egoist", von seinem eignen, mit sich höchst uneinigen Standpunkte aus) "etwa so":
"Opfere Ich aber Einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum dieser Leidenschaft noch nicht Mich und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin." (p. 386.)
Sankt Max ist durch diese beiden "mit sich uneinigen" Sätze dazu gezwungen, die "lumpige" Distinktion zu machen, daß man wohl sechs "z.B.", sieben "usw." Leidenschaften einer einzigen andern opfern dürfe, ohne aufzuhören, "wahrhaft Ich selber" zu sein, aber beileibe nicht zehn oder gar noch mehr Leidenschaften. Robespierre und Saint-Just waren allerdings nicht "wahrhaft Ich selber", ebensowenig wie sie wahrhaft "der Mensch" waren, aber sie waren wahrhaft Robespierre und Saint-Just, diese einzigen, unvergleichlichen Individuen.
Das Kunststück, den "Aufopfernden" nachzuweisen, daß sie Egoisten seien, ist ein alter Kniff, bereits bei Helvétius und Bentham hinlänglich exploitiert. Sankt Sanchos "eignes" Kunststück ist die Verwandlung der "Egoisten im gewöhnlichen Verstande", der Bourgeois, in Nichtegoisten. Helvétius und Bentham weisen allerdings den Bourgeois nach, daß sie durch ihre Borniertheit sich praktisch schaden, aber Sankt Maxens "eignes" Kunststück besteht darin, ihnen nachzuweisen, daß sie dem "Ideal", dem "Begriff", "Wesen", "Beruf" pp. des Egoisten nicht entsprechen und sich nicht als absolute Negation zu sich selbst verhalten. Ihm schwebt wieder nur sein deutscher Kleinbürger vor. Nebenbei bemerkt rechnet unser Heiliger, während der "Geizige" p. 99 als "aufopfernder Egoist" figuriert, den "Habgierigen" p. 78 dagegen zu den "Egoisten im gewöhnlichen Verstande", zu den "Unreinen, Unheiligen".
Diese zweite Klasse der bisherigen Egoisten wird p. 99 so definiert:
"Diese Leute" (die Bourgeois) "sind also nicht aufopfernd, nicht begeistert, nicht ideal, nicht konsequent, keine Enthusiasten; sie sind im gewöhnlichen Verstande Egoisten, Eigennützige, auf ihren Vorteil bedacht, nüchtern, berechnend usw."
Da "das Buch" nicht am Schnürchen geht, so hatten wir bereits beim "Sparren" und beim "politischen Liberalismus" Gelegenheit zu sehen, wie Stirner das Kunststück, die Bourgeois in Nichtegoisten zu verwandeln, hauptsächlich durch seine große Unkenntnis der wirklichen Menschen und Verhältnisse zustande bringt. Hier dient ihm dieselbe Unkenntnis zum Hebel.
"Dem" (d.h. der Stirnerschen Einbildung der Uneigennützigkeit) "widersetzt sich der starre Kopf des weltlichen Menschen, ist aber jahrtausendelang wenigstens so weit erlegen, daß er den widerspenstigen Nacken beugen und höhere Mächte verehren mußte." (p. 104.) Die Egoisten im gewöhnlichen Verstand "betragen sich halb pfäffisch und halb weltlich, dienen Gott und dem Mammon" (p 105.)
p. 78 erfahren wir: "Der Mammon des Himmels und der Gott der Erde fordern beide genau denselben Grad der Selbstverleugnung" wonach nicht abzusehen ist, wie die Selbstverleugnung für den Mammon und die für Gott als "weltlich" und "pfäffisch" entgegengesetzt werden können.
p. [105,] 106 fragt sich Jacques le bonhomme:
"Wie kommt es indessen, daß der Egoismus derer, welche das persönliche Interesse behaupten, dennoch immer wieder einem pfäffischen oder schulmeisterlichen, d. h. einem idealen Interesse unterliegt?"
(Es ist hier beiläufig zu "signalisieren", daß an dieser Stelle die Bourgeois als die Vertreter der persönlichen Interessen dargestellt werden.) Dies kommt daher:
"Ihre Person kommt ihnen selbst zu klein, zu unbedeutend vor, und ist es in der Tat auch, um Alles in Anspruch zu nehmen und sich vollständig durchsetzen zu können. Ein sicheres Zeichen dafür liegt darin, daß sie sich selbst in zwei Personen, eine ewige und eine zeitliche, zerteilen, am Sonntage für die ewige, am Werkeltage für die zeitliche sorgen. Sie haben den Pfaffen in sich, darum werden sie ihn nicht los."
Sancho fühlt hier Skrupel, er fragt besorgt, ob es der Eigenheit, dem Egoismus im außergewöhnlichen Verstand "ebenso gehen werde"?
Wir werden sehen, daß diese ängstliche Frage nicht ohne Grund getan wird. Ehe der Hahn zweimal gekräht, wird der heilige Jakobus (Jacques le bonhomme) dreimal sich selbst "verleugnet" haben.
Er entdeckt zu seinem großen Mißvergnügen in der Geschichte, daß von den beiden in ihr hervortretenden Seiten, dem Privatinteresse der Einzelnen und dem sogenannten allgemeinen Interesse, das eine stets das andere begleitet. Und er entdeckt es wie gewöhnlich in einer falschen Form, in seiner heiligen Form, nach der Seite der idealen Interessen, des Heiligen, der Illusion hin. Er fragt: Wie kommt es, daß die gewöhnlichen Egoisten, die Vertreter der persönlichen Interessen. zugleich unter der Herrschaft allgemeiner Interessen, der Schulmeister, daß sie unter der Hierarchie stehen? Er beantwortet seine Frage dahin, daß die Bürger etc. "sich zu klein vorkommen", wovon er das "sichre Zeichen" darin findet, daß sie sich religiös verhalten, nämlich sich in eine zeitliche und ewige Person teilen, d.h., er erklärt ihr religiöses Verhalten aus ihrem religiösen Verhalten, nachdem er vorher den Kampf der allgemeinen und persönlichen Interessen in das Spiegelbild des Kampfes verwandelte, simpler Reflex innerhalb der religiösen Phantasie.
Was die Herrschaft des Ideals auf sich hat, siehe oben die Hierarchie.
Übersetzt man Sanchos Frage aus ihrer überschwenglichen Form in die profane Sprache, so "heißt es nun":
Wie kommt es, daß die persönlichen Interessen sich den Personen zum Trotz immer zu Klasseninteressen fortentwickeln, zu gemeinschaftlichen Interessen, welche sich den einzelnen Personen gegenüber verselbständigen, in der Verselbständigung die Gestalt allgemeiner Interessen annehmen, als solche mit den wirklichen Individuen in Gegensatz treten und in diesem Gegensatz, wonach sie als allgemeine Interessen bestimmt sind, von dem Bewußtsein als ideale, selbst religiöse, heilige Interessen vorgestellt werden können? Wie kommt es, daß innerhalb dieser Verselbständigung der persönlichen Interessen zu Klasseninteressen das persönliche Verhalten des Individuums sich versachlichen, entfremden muß und zugleich als von ihm unabhängige, durch den Verkehr hervorgebrachte Macht ohne ihn besteht, sich
in gesellschaftliche Verhältnisse verwandelt, in eine Reihe von Mächten, welche ihn bestimmen, subordinieren und daher in der Vorstellung als "heilige" Mächte erscheinen? Hatte Sancho einmal das Faktum begriffen, daß innerhalb gewisser, natürlich nicht vom Wollen abhängiger Produktionsweisen stets fremde, nicht nur vom vereinzelten Einzelnen, sondern sogar von ihrer Gesamtheit unabhängige praktische Mächte sich über die Menschen setzen, so konnte es ihm ziemlich gleichgültig sein, ob dies Faktum religiös vorgestellt oder in der Einbildung des Egoisten, über den Alles in der Vorstellung sich setzt, dahin verdreht wird, daß er Nichts über sich setzt. Sancho war dann überhaupt aus dem Reich der Spekulation in das der Wirklichkeit herabgestiegen, aus dem, was die Menschen sich einbilden, zu dem, was sie sind, aus dem, was sie sich vorstellen, zu dem, wie sie sich betätigen und unter bestimmten Umständen betätigen müssen. Was ihm als Produkt des Denkens erscheint, würde er als Produkt des Lebens begriffen haben. Er wäre nicht zu der seiner würdigen Abgeschmacktheit fortgegangen, den Zwiespalt zwischen persönlichen und allgemeinen Interessen daraus zu erklären, daß die Menschen sich diesen Zwiespalt auch religiös vorstellen und sich so oder so vorkommen, was aber nur ein andres Wort für das "Vorstellen" ist.
Selbst in der abgeschmackten kleinbürgerlich deutschen Form, worin Sancho den Widerspruch der persönlichen und allgemeinen Interessen erfaßt, mußte er übrigens einsehen, daß die Individuen, wie sie nicht anders konnten, immer von sich ausgegangen sind und daher beide von ihm notierte Seiten Seiten der persönlichen Entwicklung der Individuen sind, beide durch gleich empirische Lebensbedingungen der Individuen erzeugt, beide nur Ausdrücke derselben persönlichen Entwicklung der Menschen, beide daher nur in scheinbarem Gegensatz. Was die durch besondere Entwicklungsumstände und durch die Teilung der Arbeit dem Individuum zugefallene Stelle betrifft, ob es mehr die eine oder andere Seite des Gegensatzes repräsentiert, mehr als Egoist oder mehr als Devouierter erscheint, war eine durchaus untergeordnete Frage, die sogar nur dann irgendein Interesse erhielt, wenn sie innerhalb bestimmter Geschichtsepochen an bestimmten Individuen aufgeworfen würde. Sie konnte sonst nur zu moralisch quacksalbernden Redensarten führen. Aber Sancho läßt sich als Dogmatiker hier täuschen und weiß sich nicht anders zu helfen, als indem er Sancho Pansas und Don Quixoten geboren werden und dann den Sanchos dummes Zeug von den Don Quixoten in den Kopf setzen läßt - als Dogmatiker nimmt er sich die eine Seite, schulmeisterlich aufgefaßt, heraus, erklärt sie den Individuen als solchen gehörig und spricht seinen Widerwillen gegen die andre aus. Als einem Dogmatiker erscheint ihm daher auch die andre Seite teils als bloße Gemülsaffektion, Dévoûment, teils als ein
bloßes "Prinzip", nicht als ein aus der bisherigen natürlichen Daseinsweise der Individuen notwendig hervorgehendes Verhältnis. Das "Prinzip" hat man sich konsequent auch nur "aus dem Kopfe zu schlagen", obgleich es der Sanchoschen Ideologie gemäß allerlei empirische Dinge schafft. So hat z.B. p. 180 das "Lebens- oder Sozietätsprinzip" "das gesellschaftliche Leben, alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung und alles [d]as" ... "geschaffen". Umgekehrt besser: Das [L]eben hat das Prinzip geschaffen.
Der Kommunismus ist deswegen un[se]rm Heiligen rein unbegreiflich, weil die [Ko]mmunisten weder den Egoismus gegen die Aufopferung noch die Aufopferung gegen den Egoismus geltend machen und theoretisch diesen Gegensatz weder in jener gemütlichen noch in jener überschwenglichen, ideologischen Form fassen, vielmehr seine materielle Geburtsstätte nachweisen, mit welcher er von selbst verschwindet. Die Kommunisten predigen überhaupt keine Moral, was Stirner im ausgedehntesten Maße tut. Sie stellen nicht die moralische Forderung an die Menschen: Liebet Euch untereinander, seid keine Egoisten pp.; sie wissen im Gegenteil sehr gut, daß der Egoismus ebenso wie die Aufopferung eine unter bestimmten Verhältnissen notwendige Form der Durchsetzung der Individuen ist. Die Kommunisten wollen also keineswegs, wie Sankt Max glaubt und wie ihm sein getreuer Dottore Graziano (Arnold Ruge) nachbetet (wofür ihn Sankt Max, Wigand, p. 192, einen "ungemein pfiffigen und politischen Kopf" nennt), den "Privatmenschen" dem "allgemeinen", dem aufopfernden Menschen zuliebe aufheben - eine Einbildung, worüber sie sich Beide bereits in den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" die nötige Aufklärung hätten holen können. Die theoretischen Kommunisten, die einzigen, welche Zeit haben, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, unterscheiden sich gerade dadurch, daß sie allein die Schöpfung des "allgemeinen Interesses" durch die als "Privatmenschen" bestimmten Individuen in der ganzen Geschichte entdeckt haben. Sie wissen, daß er Gegensatz nur scheinbar ist, weil die eine Seite, das sogenannte "Allgemeine", von der andern, dem Privatinteresse, fortwährend erzeugt wird und keineswegs ihm gegenüber eine selbständige Macht mit einer selbständigen Geschichte ist, daß also dieser Gegensatz fortwährend praktisch vernichtet und erzeugt wird. Es handelt sich also nicht um eine Hegelsche "negative Einheit" von zwei Seiten eines Gegensatzes, sondern um die materiell bedingte Vernichtung einer bisherigen materiell bedingten Daseinsweise der Individuen, mit welcher zugleich jener Gegensatz samt seiner Einheit verschwindet.
Wir sehen also, wie der "mit sich einige Egoist" im Gegensatz zu dem "Egoisten im gewöhnlichen Verstande" und dem "aufopfernden Egoisten"
von vornherein in einer Illusion über beide und die wirklichen Verhältnisse der wirklichen Menschen beruht. Der Vertreter der persönlichen Interessen ist bloß "Egoist im gewöhnlichen Verstande" wegen seines notwendigen Gegensatzes gegen die gemeinschaftlichen Interessen, innerhalb der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise zu allgemeinen Interessen verselbständigt und in der Form idealer Interessen vorgestellt und geltend gemacht. Der Vertreter der gemeinschaftlichen Interessen ist bloß "Aufopfernder" wegen seines Gegensatzes gegen die als Privatinteressen fixierten persönlichen Interessen, wegen der Bestimmung der gemeinschaftlichen Interessen als allgemeiner und idealer.
Beide, der "aufopfernde Egoist" wie der "Egoist im gewöhnlichen Verstande", treffen in letzter Instanz zusammen in der Selbstverleugnung.
p. 78: "So ist die Selbstverleugnung den Heiligen gemein mit den Unheiligen, den Reinen mit den Unreinen: Der Unreine verleugnet alle bessern Gefühle, alle Scham, ja die natürliche Furchtsamkeit, und folgt nur der ihn beherrschenden Begierde. Der Reine verleugnet seine natürliche Beziehung zur Welt. -- Von Gelddurst getrieben, verleugnet der Habgierige alle Mahnungen des Gewissens, alles Ehrgefühl, alle Milde und alles Mitleid; er setzt alle Rücksichten aus den Augen: Ihn reißt die Begierde fort. Gleiches begeht der Heilige: Er macht sich zum Spotte der Welt, ist 'hartherzig' und 'streng gerecht'; denn ihn reißt das Verlangen fort."
Der "Habgierige", der hier als unreiner, unheiliger Egoist, also als Egoist im gewöhnlichen Verstande auftritt, ist nichts als eine [von] moralischen Kinderfreunden und Romanen [br]eitgetretene, in der Wirklichkeit aber nur [a]ls Abnormität vorkommende Figur, keines[w]egs der Repräsentant der habgierigen [Bo]urgeois, die im Gegenteil weder "Mahnungen des Gewissens", "Ehrgefühl" etc. zu verleugnen brauchen noch sich auf die eine Leidenschaft der Habgier beschränken. Ihre Habgier hat vielmehr eine ganze Reihe anderer, politischer und sonstiger Leidenschaften im Gefolge, deren Befriedigung die Bourgeois keinesfalls aufopfern. Ohne hierauf weiter einzugehen, halten wir uns gleich an die Stirnersche "Selbstverleugnung".
Sankt Max schiebt hier dem Selbst, das sich verleugnet, ein andres, nur in Sankt Maxens Vorstellung existierendes Selbst unter. Er läßt "den Unreinen" allgemeine Eigenschaften, wie "bessere Gefühle", "Scham", "Furchtsamkeit", "Ehrgefühl" pp., aufopfern und fragt gar nicht darnach, ob der Unreine diese Eigenschaften auch besitzt. Als ob "der Unreine" notwendig alle diese Qualitäten besitzen müsse! Aber selbst dann, wenn "der Unreine" sie alle besäße, würde die Aufopferung dieser Eigenschaften noch keine Selbstverleugnung, sondern nur das selbst in der "mit sich einigen" Moral zu rechtfertigende Faktum konstatieren, daß Einer Leidenschaft mehrere andere
geopfert werden. Und endlich ist nach dieser Theorie alles "Selbstverleugnung , was Sancho tut und nicht tut. Er mag sich anstellen oder nicht anstellen [...] (50)
(50) [Hier fehlt eine Fortsetzung. Eine durchgestrichene, von Mäusen ganz zerfressene Seite enthielt folgendes:] er Egoist ist, seine eigne Selbstverleugnung. Wenn er ein Interesse verfolgt, verleugnet er die Gleichgültigkeit gegen dies Interesse, wenn er etwas tut, verleugnet er das Nichtstun. Nichts leichter [...] für Sancho, als dem "Egoisten im gewöhnlichen Verstande", seinem Stein des Anstoßes, nachzuweisen. daß er Stets sich selbst verleugnet, weil er stets das Gegenteil von dem verleugnet, was er tut und nie sein wirkliches Interesse verleugnet.
Nach seiner Theorie der Selbstverleugnung kann Sancho p. 80 ausrufen: "Ist nun etwa die Uneigennützigkeit unwirklich und nirgends vorhanden? Im Gegenteil, nichts ist gewöhnlicher!"
Wir freuen uns wirklich ü[ber die "Uneigennützigkeit"] des Bewußtseins der deutschen Klein[bürger]
Er gibt von dieser Uneigennützigkeit sogleich ein gutes Beispiel, indem er ei[nen] Waisenhaus-F[rancke, O'Connell, den heiligen Bon]ifa[z]ius[, Robespierre, Theodor Körner...]
O'Connell, [...], dies weiß jedes [Kind] in England. Nur in Deutschland und namentlich in Berlin kann man sich noch einbilden, daß O'Connell uneigennützig sei. O'Connell, der für die Unterbringung seiner Bastardkinder und die Vergrößerung seines Vermögens "unermüdlich arbeitet", seine einträgliche Advokatenpraxis (10 000 Pfund jährlich) mit der (besonders in Irland, wo er keine Konkurrenz vorfand) noch viel einträglicheren eines Agitators (20 [000] -30 000 Pfund jährlich) nicht umsonst vertauschte, der die irischen Bauern als Middleman "hartherzig" exploitiert, sie bei ihren Schweinen wohnen läßt, während er, König Dan, in seinem Palaste in Merrion-Square einen fürstlichen Hof hält und dabei über das Elend dieser Bauern fortwährend jammert, "denn ihn reißt das Verlangen fort"; der die Bewegung immer gerade so weit treibt, als nötig ist, ihm seinen National Tribute und seine Stellung als Chef zu sichern, und jedes Jahr nach Einsammlung des Tributs alle Agitation aufgibt, um auf seinem Landgute zu Derrynane seines Leibes zu pflegen. Durch seine langjährige juristische Charlatanerie und überaus unverschämte Exploitation jeder Bewegung, an der er teilnahm, ist O'Connell, seiner sonstigen Brauchbarkeit zum Trotz, sogar den englischen Bourgeois verächtlich geworden.
Daß übrigens Sankt Max als Entdecker des wahren Egoismus ein großes Interesse daran hat, die Herrschaft der Uneigennützigkeit in der bisherigen Welt nachzuweisen, ist klar. Er spricht darum auch (Wigand, p. 165) den großen Satz aus, daß die Welt "seit Jahrtausenden nicht egoistisch" ist. Höchstens darf "der Egoist" von Zeit zu Zeit einmal als avant-coureur <Vorläufer> von Stirner aufgetreten sein und "die Völker zu Falle gebracht" haben.
Obgleich (51) nun Sankt Max p. 420 sagt:
"Über der Pforte unserer [Zeit] steht nicht ... Erkenne Dich selbst, [sondern] ein: Verwerte Dich" [-]
(wo der Schulmeister wieder die wirkliche, von ihm vorgefundene Verwertung in das Moralgebot der Verwertung verwandelt) -, so muß [statt für] den bisherigen "aufopfern[den", für den] "Egoisten im gewöhn[lichen Verstande"] "jenes [apollinische Wort lauten:
"] Erkennet Euch [nur wieder, erkennet nur, was] Ihr [wirklich seid, und laßt Eure törichte Sucht fahren, etwas Anderes zu sein als Ihr seid!" "Denn": "Dies gibt die Erscheinung des betrogenen Egoismus, wo Ich nicht Mich befriedige, sond]ern Eine [Meiner Begierden, z.] B. den Glück[seligkeitstrieb. - All] Euer Tun und Trei[ben ist heim]licher, verdeckter ... [Egoismus,] unbewußter Egoismus, darum [aber] nicht Egoismus, sondern Knechtschaft, Dienst, Selbstverleugnung. Ihr seid Egoisten und Ihr seid es nicht, indem ihr den Egoismus verleugnet." (p. 217.)
"Kein Schaf, kein Hund bemüht sich, ein rechter" Egoist "zu werden" (p. 443); "kein Tier" ruft den andern zu: erkennet Euch nur wieder, erkennet nur, was Ihr wirklich seid, - "Eure Natur ist nun einmal eine" egoistische, "Ihr seid" egoistische "Naturen, d. h." Egoisten. "Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr's nicht erst zu werden" (ibid.). Zu dem, was Ihr seid, gehört auch Euer Bewußtsein, und da Ihr Egoisten seid, so habt Ihr auch das Eurem Egoismus entsprechende Bewußtsein, also ist gar kein Grund vorhanden, der Stirnerschen Moralpredigt, in Euch zu gehen und Buße zu tun, die geringste Folge zu leisten.
Stirner exploitiert hier wieder [den] alten philosophischen Witz, auf [den] wir später zurückkommen [wer]den. Der Philosoph sagt nicht direkt: Ihr seid keine Menschen. Ihr wart immer Menschen, aber Euch fehlte das Bewußtsein von Dem, was Ihr wart, und eben darum seid Ihr auch in der Wirklichkeit keine Wahren Menschen gewesen. Darum entsprach Eure Erscheinung Eurem Wesen nicht. Ihr wart Menschen und Ihr wart es nicht. - Der Philosoph gesteht hier auf einem Umwege, daß einem bestimmten Bewußtsein auch bestimmte Menschen und bestimmte Umstände entsprechen. Aber er bildet sich zu gleicher Zeit ein, daß seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewußtsein zu verändern, dies veränderte Bewußtsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderten Menschen, die nun auch natürlich ein andres Bewußtsein haben, nichts Andres als ein verändertes [Bewußtsein.] - Ebenso [Euer Bewu]ßts[ein, das Ihr heimlich] erseh[nt; darin seid] Ihr heim[liche, unbewußte] Egoisten - d.h., Ihr seid wirklich Egoisten, soweit Ihr unbewußt seid,
Ihr seid Nichtegoisten, soweit Ihr bewußt seid, Oder: Eurem jetzig[en Bewußtsein liegt] ein bestimmtes Sein zugr[unde, das] nicht das von Mir verlan[gte Sein] ist; Euer Bewußtsein ist das Bewußtsein des Egoisten, wie er nicht [sein] soll, und zeigt daher, daß Ihr selbst Egoisten seid, wie sie nicht sein sollen - oder daß Ihr Andre sein sollt, als Ihr wirklich seid. Diese ganze Trennung des Bewußtseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen, diese Einbildung, der Egoist der heutigen Bourgeoisgesellschaft habe nicht das seinem Egoismus entsprechende Bewußtsein, ist nur eine alte Philosophenmarotte, die Jacques le bonhomme hier gläubig akzeptiert und nachmacht (52). Bleiben wir bei Stirners "rührendem Beispiel" vom Habgierigen. Diesem Habgierigen, der nicht der "Habgierige" überhaupt, sondern der Habgierige "Hans oder Kunz", ein ganz individuell bestimmter "einziger" Habgieriger, und dessen Habgier nicht die Kategorie "der Habgier" ist (Sankt Maxens Abstraktion von seiner umfassenden, komplizierten, "einzigen" Lebensäußerung) und "nicht davon abhängt, wie Andre" (z.B. Sankt Max) "sie rubrizieren" - diesem Habgierigen will er vormoralisieren, daß er "nicht sich befriedige, sondern eine seiner Begierden". Aber "nur im [Augen]blicke bist Du Du, nur als [Augen]blicklicher bist Du wirklich. Ein [von Dir, de]m Augenblicklichen, [Getrenntes" ist] ein absolut Höheres, [ist z.B. das Geld. Aber "daß] Dir" das Geld "viel [mehr" ein höherer Genuß], daß es Dir [ein "absolut Höheres" ist oder nic]ht ist, <hier folgt eine stark beschädigte Stelle> ... mich vielleicht ["verleugne"? - Er] findet, daß die [Habgier mich] Tag und Nacht besitzt; [aber das] tut sie nur in seiner [Refle]xion. Er ist es, der aus den vielen Momenten, in denen Ich immer der Augenblickliche bin, immer Ich selber, immer wirklich, "Tag und Nacht" macht, wie nur Er die verschiedenen Momente meiner Lebensäußerung zu einem moralischen Urteil zusammenfaßt und sagt, daß sie die Befriedigung der Habgier seien. Wenn Sankt Max das Urteil fällt, daß Ich nur Eine meiner Begierden befriedige, nicht Mich, so stellt er Mich als volles ganzes Wesen Mir selber gegenüber. "Und worin besteht dies volle ganze Wesen? Eben nicht in
Deinem augenblicklichen Wesen, nicht in dem, was Du augenblicklich bist" - also nach Sankt Max selbst in dem - heiligen "Wesen". (Wigand, p. 171). Wenn "Stirner" sagt, daß Ich Mein Bewußtsein verändern müsse, so weiß Ich [mei]nerseits, daß mein augenblickliches [Be]wußtsein auch zu meinem augenblick[lich]en Sein gehört und Sankt Max, in [dem] er mir dies Bewußtsein [strei]tig macht, als versteckter Moralist meinen ganzen Lebenswandel angreift (53). Und dann "bist Du nur, wenn Du an Dich denkst, bist Du nur durch das Selbstbewußtsein?" Wig[and,] p. 157, 158.) Wie kann Ich etwas Andres als Egoist sein? Z.B., wie kann Stirner etwas Andres als Egoist sein, er mag den Egoismus verleugnen oder nicht? "Ihr seid Egoisten und Ihr seid es nicht, indem Ihr den Egoismus verleugnet", predigst Du.
Unschuldiger, "betrogner", "uneingestandener" Schulmeister! Die Sache verhält sich gerade umgekehrt. Wir Egoisten im gewöhnlichen Verstande, Wir Bourgeois wissen sehr wohl: Charité bien ordonnée commence par soi-même <Wohlverstandene Nächstenliebe fängt bei sich selbst an; d.h., jeder ist sich selbst der nächste>, und wir haben längst das Sprüchlein: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, dahin interpretiert, daß Jeder sich selbst der Nächste ist. Aber wir leugnen, daß wir engherzige Egoisten seien, Exploiteurs, gewöhnliche Egoisten, deren Herzen sich nicht zu dem Hochgefühl erheben können, die Interessen ihrer Mitmenschen zu den Ihrigen zu machen - was, unter uns ges [agt, so]viel heißt, daß wir unsre In[teressen] als di[e] unserer Mitmenschen [be]hau[pten. Du] leu[gnest den] "gewöhnlich[en" Egoismus des einz]igen Egoisten [nur deshalb, w]eil Du deine ["natürlichen Bez]iehungen zur [Welt verleugne]st". Du verstehst daher nicht, warum wir den praktischen Egoismus eben darin vollenden, daß wir die Redensart des Egoismus verleugnen - wir, denen es um die Durchsetzung wirklicher egoistischer Interessen, nicht um das heilige Interesse des Egoismus zu tun ist. Übrigens war es vorauszusehen - und damit dreht der Bourgeois kaltblütig Sankt Maxen den Rücken -, daß Ihr deutschen Schulmeister, wenn Ihr Euch einmal an die Verteidigung des Egoismus geben würdet, nicht den wirklichen, "profanen, auf platter Hand liegenden" ("Das Buch" p. 455) Egoismus, also "nicht mehr das, was man Egoismus "nennt", sondern den Egoismus im außergewöhnlichen, im Schulmeisterverstande, den philosophischen oder Lumpenegoismus, proklamieren würdet.
Der Egoist im außergewöhnlichen Verstande ist also "nun erst gefunden". "Sehen wir uns diesen neuen Fund einmal genauer an." (p. 11.)
Aus dem soeben Gesagten hat sich bereits ergeben, daß die bisherigen Egoisten nur ihr Bewußtsein zu verändern haben, um Egoisten im außergewöhnlichen Verstande zu werden; daß also der mit sich einige Egoist sich von den früheren nur durch das Bewußtsein, d.h. als Wissender, als Philosoph unterscheidet. Aus der ganzen Sankt Maxischen Geschichtsanschauung folgt ferner, daß, weil die bisherigen Egoisten nur vom "Heiligen" beherrscht waren, der wahre Egoist nur gegen "das Heilige" zu kämpfen hat. Die "einzige" Geschichte zeigte, wie Sankt Max die historischen Verhältnisse in Ideen und dann den Egoisten in einen Sünder gegen diese Ideen verwandelte, wie jede egoistische Geltendmachung in eine Sünde [gegen diese] Ideen verwandelt wurde, [die Macht der] Privilegierten in Sünde [gegen die Idee] der Gleichheit, des Des[potismus; bei der] Idee der Freiheit [der Konkurrenz] konnte deshalb [in "dem Buch" gesagt wer]den, daß er [das Privateigentum für "] das Persönliche" [ansieht, (p.155)][...] großen, [... den aufopfernden] Ego[isten ...] notwendig und unbezwingb[ar ...] nur dadurch zu bekämpfen, daß er sie in Heilige verwandelt und nun die Heiligkeit an ihnen, d.h. seine heilige Vorstellung von ihnen, sie [also] nur, insoweit sie in ihm, als einem Heiligen, existieren, aufzulösen beteuert. <In diesem Absatz befinden sich von Mäusen stark zerfressene Stellen>
p. 50 (54): "Wie Du in jedem Augenblicke bist, so bist Du Dein Geschöpf, und eben an dieses Geschöpf magst Du Dich, den Schöpfer, nicht verlieren. Du bist selbst ein höheres Wesen als Du, d.h., daß Du nicht bloß Geschöpf, sondern gleicherweise Schöpfer bist, das eben verkennst Du als unfreiwilliger Egoist, und darum ist das höhere Wesen Dir ein fremdes."
Mit einer etwas andern Wendung heißt dieselbe Weisheit p.239 "des Buchs":
"Die Gattung ist Nichts" (später wird sie allerlei, siehe Selbstgenuß), "und wenn der Einzelne sich über die Schranken seiner Individualität erhebt, so ist das vielmehr gerade Er selbst als Einzelner, er ist nur, indem er sich erhebt, er ist nur, indem er nicht bleibt, was er ist, sonst wäre er fertig, tot."
Zu diesen Sätzen, seinem "Geschöpf", verhält sich Stirner sofort als "Schöpfer", indem er "sich nicht an sie verliert":
"Nur im Augenblicke bist Du, nur als Augenblicklicher bist Du wirklich ... Ich bin in jedem Momente ganz, was Ich bin ... ein von Dir, dem Augenblicklichen, Getrenntes" ist "ein absolut Höheres" ... (Wigand, p. 170); und p. 171 ibid. wird "Dein Wesen" als "Dein augenblickliches Wesen" bestimmt.
Während Sankt Max im "Buche" sagt, er habe noch ein anderes, höheres Wesen als ein augenblickliches Wesen, wird im apologetischen Kommentar das "augenblickliche Wesen" [seines] Individuums mit seinem "vollen [ganzen] Wesen" identifiziert und jedes [Wesen] als das "augenblickliche Wesen" [in ein] "absolut höheres Wesen" verwandelt. Er ist also "im Buche" in jedem Augenblick ein höheres Wesen als Das, was er in diesem Augenblick ist, während im Kommentar Alles, was er nicht in diesem Augenblick unmittelbar ist, ein "absolut höheres Wesen", ein heiliges Wesen ist. - Und dieser ganzen Spaltung gegenüber p. 200 "des Buchs":
"Ich weiß Nichts von der Spaltung eines 'unvollkommnen' und 'vollkommnen' Ichs."
Der "mit sich einige Egoist" braucht sich keinem Höheren mehr zu opfern, da er sich selbst der Höhere ist und diesen Zwiespalt zwischen einem "Höheren" und einem "Niederen" in sich selbst verlegt. So ist in der Tat (Sankt Sancho contra Feuerbach, "Das Buch", p. 243) "am höchsten Wesen Nichts als eine Metamorphose vorgegangen". Sankt Maxens wahrer Egoismus besteht in dem egoistischen Verhalten gegen den wirklichen Egoismus, gegen sich selbst, wie er "in jedem Augenblicke" ist. Dies egoistische Verhalten gegen den Egoismus ist die Aufopferung. Sankt Max als Geschöpf ist nach dieser Seite hin der Egoist im gewöhnlichen Verstande, als Schöpfer ist er der aufopfernde Egoist. Wir werden auch die entgegengesetzte Seite kennenlernen, denn beide Seiten legitimieren sich als echte Reflexionsbestimmungen, indem sie die absolute Dialektik durchmachen, in der jede von ihnen an sich selbst ihr Gegenteil ist.
Ehe wir auf dies Mysterium in seiner esoterischen Gestalt näher eingehen, ist [es] nun in einzelnen [seiner sauren] Lebenskämpfe zu beob[achten].
[Die all]gemeinste Qualität, [den Egoisten, a]ls Schöpfer mit sich [selbst in Einklang zu] bringen [vom Standpunkt der Welt] des Geistes[, vollbringt Stirner p. 82, 83:]
["Es hat das Christentum] dahin [gezielt, Uns von der Naturbestimm]ung [(Bestimmung durch die Natur), von den Begier]den [als antreibend, zu erlös]en, [mithin gewollt, daß der Mensch s]ich [nicht von seinen Begierden beistimmen [lasse. Darin liegt nicht, daß] er keine [Begierden haben solle, so]ndern[,] daß die [Begierden ihn] nicht haben sollen, daß [sie] nicht fix, unbezwinglich, unauflös[lich] werden sollen. Was nun das Christentum gegen die Begierden machinierte, könnten wir das nicht auf seine eigene Vorschrift, daß Uns der Geist bestimmen solle, anwenden ...? ... Dann ginge es auf die Auflösung des Geistes, Auflösung aller Gedanken aus. Wie es dort heißen mußte, - - - so hieße es nun: Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben."
"Die aber Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden" (Galater 5, 24) - womit sie nach Stirner als wahre Eigentümer mit den gekreuzigten Lüsten und Begierden verfahren. Er übernimmt das Christentum auf Lieferung, will es aber nicht bei dem gekreuzigten Fleisch bewenden lassen, sondern auch seinen Geist kreuzigen, also den "ganzen Kerl".
Das Christentum wollte uns nur darum von der Herrschaft des Fleisches und den "Begierden als antreibendens" befreien, weil es unser Fleisch, unsre Begierden für etwas uns Fremdes ansah; es wollte uns nur darum von der Naturbestimmung erlösen, weil es unsre eigne Natur für uns nicht zugehörig hielt. Bin ich nämlich nicht selbst Natur, gehören meine natürlichen Begierden, meine ganze Natürlichkeit - und dies ist die Lehre des Christentums - nicht zu mir selbst, so erscheint mir jede Bestimmung durch die Natur, sowohl durch meine eigne Natürlichkeit wie durch die sogenannte äußere Natur, als Bestimmung durch etwas Fremdes, als Fessel, als Zwang, der mir angetan wird, als Heteronomie im Gegensatz zur Autonomie des Geistes. Diese christliche Dialektik akzeptiert er unbesehen und wendet sie nun auch auf unsern Geist an. Übrigens hat das Christentum es ja nie dahin gebracht, uns auch nur in dem von Sankt Max ihm untergeschobenen Juste-Milieu-Sinn von der Herrschaft der Begierden zu befreien; es bleibt bei dem bloßen, in der Praxis resultatlosen Moralgebot stehen. Stirner nimmt das moralische Gebot für die wirkliche Tat und ergänzt es durch den weiteren kategorischen Imperativ: "Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben" - und deshalb verläuft sich sein ganzer mit sich einiger Egoismus "näher", wie Hegel sagen würde, in eine nicht minder ergötzliche als erbauliche und beschauliche Moralphilosophie.
Ob eine Begierde fix wird oder nicht, d.h. ob sie zur ausschließlichen [Macht über uns wird,] wodurch indes ein [weiterer Fortschritt nicht aus] geschlossen ist, das hängt davon ab, ob die materiellen Umstände, die "schlechten" weltlichen Verhältnisse erlauben, diese Begierde normal zu befriedigen und andererseits eine Gesamtheit von Begierden zu entwickeln. Dies letztere wieder hängt davon ab, ob wir in Umständen leben, die uns eine allseitige Tätigkeit und damit eine Ausbildung aller unserer Anlagen gestatten. Ebenso hängt es von der Gestaltung der wirklichen Verhältnisse und der in ihnen gegebenen Möglichkeit der Entwickelung für jedes Individuum ab, ob die Gedanken fix werden oder nicht - wie z.B. die fixen Ideen der deutschen Philosophen, dieser "Opfer der Gesellschaft", qui nous font pitié <die uns Mitleid einflößen>, von den
deutschen Verhältnissen unzertrennlich sind. Bei Stirner ist übrigens die Herrschaft der Begierde eine reine Phrase, die ihn zum absoluten Heiligen stempelt. So, um bei dem "rührenden Beispiel" vom Habgierigen zu bleiben:
"Ein Habgieriger ist kein Eigner, sondern ein Knecht, und er kann Nichts um Seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu tun." p.400.
Niemand kann etwas tun, ohne es zugleich einem seiner Bedürfnisse und dem Organe dieses Bedürfnisses zuliebe zu tun - wodurch für Stirner dies Bedürfnis und sein Organ zum Herrn über ihn gemacht wird, gerade wie er früher schon das Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses (vgl. politischen Liberalismus und Kommunismus) zum Herrn über sich machte. Stirner kann nicht essen, ohne zugleich um seines Magens willen zu essen. Hindern ihn die weltlichen Verhältnisse daran, seinen Magen zu befriedigen, so wird dieser sein Magen zum Herrn über ihn, die Begierde des Essens zur fixen Begierde und der Gedanke ans Essen zur fixen Idee - womit er zugleich ein Beispiel für den Einfluß der weltlichen Umstände auf die Fixierung seiner Begierden und Ideen hat. Sanchos "Empörung" gegen die Fixierung der Begierden und Gedanken läuft hiernach auf das ohnmächtige Moralgebot der Selbstbeherrschung hinaus und liefert einen neuen Beleg dafür, wie er nur den trivialsten Gesinnungen der Kleinbürger einen ideologisch hochtrabenden Ausdruck verleiht (55).
In diesem ersten Exempel bekämpft er also einerseits seine fleischlichen Begierden, andererseits seine geistigen Gedanken, einerseits sein Fleisch, andererseits seinen Geist, wenn sie, seine Geschöpfe, sich gegen ihn, den Schöpfer, verselbständigen wollen. Wie unser Heiliger diesen Kampf führt, wie er sich als Schöpfer zu seinem Ge[schöpf verhält], werden wir jetzt sehen.
Bei dem Christen "im gewöhnlichen Verstande", dem chrétien "simple" <"einfachen" Christen>, um mit Fourier zu reden,
"hat der Geist die alleinige Gewalt, und keine Einrede des 'Fleisches' wird ferner gehört. Gleichwohl aber kann Ich nur durch das 'Fleisch' die Tyrannei des Geistes brechen; denn nur, wenn ein Mensch auch sein Fleisch vernimmt, vernimmt er sich ganz, und nur, wenn er sich ganz vernimmt, ist er vernehmend oder vernünftig. - - - Führt aber einmal das Fleisch das Wort, und ist der Ton desselben, wie es nicht anders sein kann, leidenschaftlich - - - so glaubt er" (der chrétien simple) "Teufelsstimmen zu vernehmen, Stimmen gegen den Geist - - - und eifert mit Recht dagegen. Er müßte nicht Christ sein, wenn er sie dulden wollte." p. 83.
Also wenn sein Geist sich gegen ihn verselbständigen will, so ruft Sankt sein Fleisch zu Hülfe, und wenn sein Fleisch rebellisch wird, erinnert er
sich, daß er auch Geist ist. Was der Christ nach einer Seite hin tut, das tut Sankt Max nach Beiden Seiten hin. Er ist der chrétien "composé", er beweist sich abermals als vollendeter Christ.
Hier in diesem Exempel tritt Sankt Max, der Geist, nicht als Schöpfer seines Fleisches und umgekehrt auf; er findet sein Fleisch und seinen Geist vor und erinnert sich nur, wenn eine Seite rebellisch wird, daß er auch noch die andere an sich hat, und macht nun diese andere Seite als sein wahres Ich dagegen geltend. Sankt Max ist also hier nur Schöpfer, insofern er "Auch-Anders-Bestimmter" ist, insofern er noch eine andere Qualität besitzt als die, welche es ihm gerade beliebt, unter die Kategorie Geschöpf zu subsumieren. Seine ganze schöpferische Tätigkeit besteht hier in dem guten Vorsatz, sich zu vernehmen, und zwar sich ganz zu vernehmen oder vernünftig zu sein (56), sich als "volles, ganzes Wesen", als von "seinem augenblicklichen Wesen" unterschiedenes Wesen, ja im geraden Gegensatz zu dem, was er "augenblicklich" für ein Wesen ist, zu vernehmen.
[Ge]hen wir nun zu einem [der "sauren] Lebenskämpfe" [unsres Heiligen] über:
[p. 80, 81: Mein Eife]r braucht nicht [geringer zu sein als der] fanatischste, [aber Ich bleibe zu glei]cher Zeit gegen [ihn frostig kalt, ungläub]ig und sein [unversöhnlichster Feind;] Ich bleibe [sein Richter, weil Ich sein] Eigentümer [bin."]
[Um Dem Sinn zu] geben, was Sankt [Sancho v]on [S]ich aussagt, so beschränkt sich seine schöpferische Tätigkeit hier darauf, daß er in seinem Eifer über seinen Eifer ein Bewußtsein behält, daß er über ihn reflektiert, daß er sich als reflektierendes Ich zu sich als wirklichem Ich verhält. Es ist das Bewußtsein, dem er willkürlich den Namen "Schöpfer" beilegt. Er ist nur "Schöpfer", soweit er bewußt ist.
"Hierüber vergissest Du Dich selbst in süßer Selbstvergessenheit - - - Bist Du aber nur, wenn Du an Dich denkst, und verkommst Du, wenn Du Dich vergissest? Wer vergäße sich nicht alle Augenblicke, wer verlöre sich nicht in Einer Stunde tausendmal aus den Augen?" (Wigand, p. 157, 158.)
Dies kann Sancho seinem "Selbstvergessen" natürlich nicht vergessen und "bleibt" daher "zu gleicher Zeit sein unversöhnlichster Feind".
Sankt Max, das Geschöpf, hat in demselben Moment einen enormen Eifer, wo Sankt Max, der Schöpfer, vermöge seiner Reflexion zugleich über
diesen seinen Eifer hinaus ist; oder der wirkliche Sankt Max eifert, und der reflektierende Sankt Max bildet sich ein, über diesen Eifer hinaus zu sein. Dieses Hinaussein in der Reflexion über das, was er wirklich ist, wird nun in Romanphrasen ergötzlich und abenteuerlich dahin beschrieben, daß er seinen Eifer fortbestehen läßt, d.h. mit seiner Feindschaft gegen ihn nicht wirklich Ernst macht, aber sich "frostig kalt", "ungläubig", als "unversöhnlichster Feind" gegen ihn verhält. - Insofern Sankt Max eifert, d.h., sofern der Eifer seine wirkliche Eigenschaft ist, verhält er sich nicht als Schöpfer zu ihm, und insofern er sich als Schöpfer verhält, eifert er nicht wirklich, ist ihm der Eifer fremd, seine Nicht-Eigenschaft. Solange er eifert, ist er nicht der Eigner des Eifers und sobald er sein Eigner wird, hört er auf zu eifern. Er, der Gesamtkomplex, ist in jedem Augenblick als Schöpfer und Eigentümer der Inbegriff aller seiner Eigenschaften, minus die eine, die er zu sich, dem Inbegriff aller andern, als Geschöpf und Eigentum in Gegensatz bringt, so daß ihm immer gerade die Eigenschaft fremd ist, auf die als die Seinige er den Akzent legt.
So überschwenglich nun Sankt Maxens wahre Geschichte von seinen Heldentaten in sich selbst in seinem Bewußtsein klingt, so ist es dennoch ein notorisches Faktum, daß es reflektierende Individuen gibt, die in und durch ihre Reflexion über alles hinaus zu sein glauben (57), weil sie in der Wirklichkeit nie aus der Reflexion herauskommen.
Dieser Kunstgriff, sich gegen eine bestimmte Eigenschaft als Auch-Anders-Bestimmter, nämlich im vorliegenden Beispiel als Inhaber der Reflexion auf das Entgegengesetzte geltend zu machen, kann bei jeder beliebigen Eigenschaft mit den nötigen Variationen wieder angewandt werden. Z.B. Meine Gleichgültigkeit braucht nicht geringer zu sein als die des Allerblasiertesten; aber ich bleibe zu gleicher Zeit gegen sie schwitzend heiß, ungläubig und ihr unversöhnlichster Feind etc.
[Wir dür]fen nicht vergessen, daß [der Gesamt)komplex aller seiner Ei[genschaften, der Eig]ner, als welcher [Sankt] Sancho [der Ein]en Eigenschaft
[reflektierend gegenübertri]tt, in diesem [Falle nichts anderes als] die einfache [Reflexion Sanchos über diese E]ine Eigenschaft [ist, welche er in sein Ich ]verwandelt [hat, indem er sta]tt des Gesamt[komplexes die Eine,] bloß reflektieren[de Qualität, und] jeder seiner Eigen[schaften wie d]er Reihe gegenüber [nur die Eine] Qualität der Reflexion, ein Ich, und sich als vorgestelltes Ich, geltend macht.
Dies feindselige Verhalten gegen sich selbst, diese feierliche Parodie der Benthamschen Buchführung über seine eignen Interessen und Eigenschaften, wird jetzt von ihm selbst ausgesprochen:
p. 188: "Ein Interesse, es sei wofür es wolle, hat an Mir, wenn Ich nicht davon loskommen kann, einen Sklaven erbeutet und ist nicht mehr Mein Eigentum, Ich bin das Seine. Nehmen Wir daher die Weisung der Kritik an, Uns nur wohl zu fühlen im Auflösen."
"Wir!" - Wer sind "Wir"? Es fällt "Uns" gar nicht ein, die "Weisung der Kritik" "anzunehmen". - Also fordert hier Sankt Max, der augenblicklich unter der Polizeiaufsicht "der Kritik" steht, "Ein und dasselbe Wohlsein Aller", "das Gleichwohlsein Aller bei Einem und demselben", "die direkte Gewaltherrschaft der Religion".
Seine Interessiertheit im außergewöhnlichen Verstande zeigt sich hier als eine himmlische Interesselosigkeit.
Wir brauchen übrigens hier gar nicht mehr darauf einzugehen, daß es in der bestehenden Gesellschaft keineswegs von Sankt Sancho abhängt, ob "ein Interesse" "an ihm einen Sklaven erbeutet" und "er nicht mehr davon loskommen kann". Die Fixierung der Interessen durch die Teilung der Arbeit und die Klassenverhältnisse liegt noch viel mehr auf der Hand als die der "Begierden" und "Gedanken".
Um die kritische Kritik zu überbieten, hätte unser Heiliger wenigstens bis zum Auflösen des Auflösens fortgehen müssen, denn sonst ist das Auflösen ein Interesse, von dem er nicht loskommen kann, das an ihm einen Sklaven erbeutet hat. Das Auflösen ist nicht mehr sein Eigentum, sondern er ist das Eigentum des Auflösens. Wollte er etwa in dem soeben gegebe[nen] Beispiel konsequent sein, s[o mußte er] [seinen Eifer gegen sei]nen "Eifer" als [ein Interesse" behandeln] und sich dagegen [als ein "unversöhn]licher Feind" v[erhalten. Er mußte aber] auch seine ["frostig kalte" Interesselosigkeit] gegen seinen ["frostig kalten" Eifer be]trachten und g[anz ebenso "frostig kalt"] werden - wodurch [er selbstverständlich] seinem ursprüng[lichen "Interesse"] und sich damit die "Anfech[tung" ersparte, sich] auf dem spekulativen [Absatz im Kreis] zu drehen. - Dagegen fährt er getrost fort (ibid.):
"Ich will nur Sorge tragen, daß Ich Mein Eigentum Mir sichere" (d.h., daß ich Mich vor Meinem Eigentum sichere), "und um es zu sichern, nehme Ich es jederzeit in Mich zurück, vernichte in ihm jede Regung nach Selbständigkeit und verschlinge es, eh' sich's fixiere und zu einer fixen Idee oder Sucht werden kann."
Wie Stirner wohl die Personen "verschlingt", die sein Eigentum sind!
Stirner hat sich soeben von "der Kritik" einen "Beruf" geben lassen. Er behauptet, diesen "Beruf" sogleich wieder zu verschlingen, indem er sagt, p. 189:
"Das tue Ich aber nicht um meines menschlichen Berufs willen, sondern weil Ich Mich dazu berufe."
Wenn ich mich nicht dazu berufe, bin ich, wie wir vorhin hörten, Sklave, nicht Eigentümer, nicht wahrer Egoist, verhalte mich nicht als Schöpfer zu mir, was ich als wahrer Egoist tun muß; soweit Einer also wahrer Egoist sein will, hat er sich zu diesem ihm von "der Kritik" angewiesenen Beruf zu berufen. Es ist also ein allgemeiner Beruf, ein Beruf für Alle, nicht nur Sein Beruf, sondern auch sein Beruf. - Andrerseits tritt hier der wahre Egoist als ein von der Mehrzahl der Individuen unerreichbares Ideal auf, denn (p. 434) "die gebornen beschränkten Köpfe bilden unstreitig die zahlreichste Menschenklasse" - und wie sollten diese "beschränkten Köpfe" das Mysterium des unbeschränkten Selbst- und Welt-Verschlingens durchdringen können. - Übrigens sind diese fürchterlichen Ausdrücke: vernichten, verschlingen usw. nur eine neue Wendung für den obigen "frostig kalten unversöhnlichsten Feind".
Jetzt endlich werden wir in den Stand gesetzt, eine Einsicht in die Stirnerschen Einwürfe gegen den Kommunismus zu bekommen. Sie waren Nichts als eine vorläufige, versteckte Legitimation seines mit sich einigen Egoismus, in welchem sie leibhaftig wieder [a]uferstehen. Das "Gleichwohlsein Aller [in E]inem und Demselben" ersteht [wieder) in der Forderung, daß "Wir [Uns nur] wohl fühlen sollen im [Auflösen". "Die Sor]ge" steht wieder [auf in der einzigen "Sorg]e", sich [sein Ich als Eigent]um zu sichern; [aber "mit der Zei]t" steht wieder ["die Sorge auf, wie man"] zu einer [Einheit kommen könne, n]ämlich der [von Schöpfer und Geschöpf.] Und schließlich [erscheint der Hu]manismus wieder[, der als der wa]hre Egoist als unerreichbares Ideal [den emp]irischen Individuen gegenübertritt. Es muß also p. 117 "des Buches" folgendermaßen heißen. Der mit sich einige Egoismus will jeden Menschen recht eigentlich in einen "Geheimen Polizei-Staat" verwandeln. Der Spion und Laurer "Reflexion" überwacht jede Regung des Geistes und Körpers, und alles Tun und Denken, jede Lebensäußerung ist ihm eine Reflexionssache, d.h. Polizeisache. In dieser Zerrissenheit des Menschen in "Natur-
trieb" und "Reflexion"(innerer Pöbel, Geschöpf und innere Polizei, Schöpfer) besteht der mit sich einige Egoist (58)."
Heß hatte ("Die letzten Philosophen", p. 26) unsrem Heiligen vorgeworfen:
"Er steht fortwährend unter der geheimen Polizei seines kritischen Gewissens. - - - Er hat 'die Weisung der Kritik - - - Uns nur wohl zu fühlen im Auflösen' nicht vergessen - - - Der Egoist, ruft ihm fortwährend sein kritisches Gewissen ins Gedächtnis zurück, darf sich für Nichts so sehr interessieren, daß er sich seinem Gegenstande ganz hingibt" usw.
Sankt Max "ermächtigt sich", hierauf folgendes zu antworten:
Wenn "Heß von Stirner sagt: er stehe fortwährend usw. - was ist damit weiter gesagt, als daß er, wenn er kritisiert, nicht ins Gelag hinein" (d.h. beiläufig: einzig) "kritisieren, nicht faseln, sondern eben wirklich" (d.h. menschlich) "kritisieren will?"
"Was damit weiter gesagt" war, daß Heß von der geheimen Polizei usw. sprach, ist aus der obigen Stelle von Heß so klar, daß selbst Sankt Maxens "einziges" Verständnis derselben nur für ein absichtliches Mißverständnis erklärt werden kann. Seine "Virtuosität im Denken" verwandelt sich hier in eine Virtuosität im Lügen, die wir ihm um so weniger verdenken, als sie hier sein einziger Notbehelf war - die aber sehr schlecht zu den subtilen Distinktiönlein über das Recht zu lügen paßt, welche er anderwärts "im Buch" aufstellt. Daß übrigens Sancho, "wenn er kritisiert", keineswegs "wirklich kritisiert", sondern "ins Gelag hinein kritisiert" und "faselt", haben wir ihm, mehr als er verdient, nachgewiesen.
Zunächst wurde also das Verhalten des wahren Egoisten als Schöpfer zu sich als Geschöpf dahin bestimmt, daß er gegen eine Bestimmung, worin er sich als Geschöpf fixierte, Z.B gegen sich als Denkenden, als Geist, sich als Auch-anders-Bestimmter, als Fleisch geltend machte. Später machte er sich nicht mehr geltend als wirklich Auch-anders-Bestimmter, sondern als die bloße Vorstellung des Auch-Anders-Bestimmtseins überhaupt, also im obigen Beispiel als Auch-Nichtdenkenden, Gedankenlosen oder als Gleichgültigen gegen das Denken, eine Vorstellung, die er wieder fahren läßt, sobald der Unsinn sich herausstellt. Siehe oben die Kreiselbewegung auf dem spekulativen Absatz. Also die schöpferische Tätigkeit bestand hier in der Reflexion, daß ihm diese eine Bestimmtheit, hier das Denken, auch gleichgültig sein
könne - im Reflektieren überhaupt; wodurch er natürlich auch nur Reflexionsbestimmungen schafft, wenn er irgend etwas schafft (z.B. die Vorstellung des Gegensatzes, deren schlichtes Wesen unter allerlei feuerspeienden Arabesken verdeckt wird).
Was nun den Inhalt seiner als Geschöpfes anbetrifft, so sahen wir, daß er nirgends diesen Inhalt, diese bestimmten Eigenschaften, z.B. sein Denken, seinen Eifer pp. schafft, sondern nur die Reflexionsbestimmung dieses Inhalts als Geschöpf, die Vorstellung, daß diese bestimmten Eigenschaften seine Geschöpfe seien. Bei ihm finden sich alle seine Eigenschaften vor, und woher sie ihm kommen, ist ihm gleichgültig. Er braucht sie also weder auszubilden, also z.B. tanzen zu lernen, um über seine Beine Herr zu werden, oder sein Denken an Material, das nicht Jedem gegeben wird und nicht Jeder sich anschaffen kann, zu üben, um Eigentümer seines Denkens zu werden - noch braucht er sich um die Weltverhältnisse zu kümmern, von denen es in der Wirklichkeit abhängt, wie weit ein Individuum sich entwickeln kann.
Stirner ist wirklich nur durch Eine Eigenschaft die andere (d.h. die Unterdrückung seiner übrigen Eigenschaften durch diese "andere") los. In der Wirklichkeit ist er dies aber nur, insofern diese Eigenschaft nicht nur zur freien Entwicklung gekommen, nicht bloß Anlage geblieben ist, sondern auch [in]sofern die Weltverhältnisse ihm [erlau]bten, eine Totalität von Ei[genschaften] gleichmäßig zu entwi[ckeln, d.h. also] durch die Teilung [der Arbeit, und darum] die vor[wiegende Betät]igung einer ein[zigen Leidenschaft, z.]B. des Bücher[schreibens - wie wir schon gezeig]t haben. [Überhau]pt ist es eine [Widersinnigkeit, wenn] man wie Sankt [Max, unterst]ellt, man könne Eine [Leidenschaft], von allen andern getrennt, [be]friedigen, man könne sie befriedigen, ohne sich, das ganze lebendige Individuum, zu befriedigen. Wenn diese Leidenschaft einen abstrakten, abgesonderten Charakter annimmt, wenn sie mir als eine fremde Macht gegenübertritt, wenn also die Befriedigung des Individuums als die einseitige Befriedigung einer einzigen Leidenschaft erscheint - so liegt das keineswegs am Bewußtsein oder am "guten Willen", am allerwenigsten an dem Mangel an Reflexion über den Begriff der Eigenschaft, wie Sankt Max sich vorstellt.
Es liegt nicht am Bewußtsein, sondern - am - Sein; nicht am Denken, sondern am Leben; es liegt an der empirischen Entwicklung und Lebensäußerung des Individuums, die wiederum von den Weltverhältnissen abhängt. Wenn die Umstände, unter denen dies Individuum lebt, ihm nur die [ein]seitige Entwicklung einer Eigen[scha]ft auf Kosten aller andern erlauben, [wenn] sie ihm Material und Zeit zur Entwicklung nur dieser Einen Eigenschaft geben, so bringt dies Individuum es nur zu einer einseitigen, ver-
krüppelten Entwicklung. Keine Moralpredigt hilft. Und die Art, in der sich diese Eine, vorzugsweise begünstigte Eigenschaft entwickelt, hängt wieder einerseits von dem ihr gebotenen Bildungsmaterial, andererseits von dem Grade und der Art ab, in denen die übrigen Eigenschaften unterdrückt bleiben. Eben dadurch, daß z.B. das Denken Denken dieses bestimmten Individuums ist, bleibt es sein, durch seine Individualität und die Verhältnisse, in denen es lebt, bestimmtes Denken; das denkende Individuum hat also nicht erst nötig, vermittelst einer langwierigen Reflexion über das Denken als solches sein Denken für sein eignes Denken, sein Eigentum zu erklären; es ist von vornherein sein eignes, eigentümlich bestimmtes Denken, und grade seine Eigenheit h[at sich bei Sankt] Sancho als "Gegenteil" da[von erwiesen, als] Eigenheit, die Eigenheit "an sich[" ist.] Bei einem Individuum z.B., dessen Leben einen großen Umkreis mannigfaltiger Tätigkeiten und praktischer Beziehungen zur Welt umfaßt, das also ein vielseitiges Leben führt, hat das Denken denselben Charakter der Universalität wie jede andere Lebensäußerung dieses Individuums. Es fixiert sich daher weder als abstraktes Denken, noch bedarf es weitläuftiger Reflexionskunststücke, wenn das Individuum vom Denken zu einer andern Lebensäußerung übergeht. Es ist immer von vornherein ein nach Bedürfnis verschwindendes und sich reproduzierendes Moment im Gesamtleben des Individuums.
Bei einem lokalisierten Berliner Schulmeister oder Schriftsteller dagegen, dessen Tätigkeit sich auf saure Arbeit einerseits und Denkgenuß andererseits beschränkt, dessen Welt von Moabit bis Köpenick geht und hinter dem Hamburger Tor mit Brettern zugenagelt ist, dessen Beziehungen zu dieser Welt durch eine miserable Lebensstellung auf ein Minimum reduziert werden, bei einem solchen Individuum ist es allerdings nicht zu vermeiden, wenn es Denkbedürfnis besitzt, daß das Denken ebenso abstrakt wird wie dies Individuum und sein Leben selbst, daß es ihm, dem ganz Widerstandslosen gegenüber, eine fixe Macht wird, eine Macht, deren Betätigung dem Individuum die Möglichkeit einer momentanen Rettung aus seiner "schlechten Welt", eines momentanen Genusses bietet. Bei einem solchen Individuum äußern sich die wenigen übrigen, nicht so sehr aus dem Weltverkehr als aus der menschlichen Leibeskonstitution hervorgehenden Begierden nur durch Reperkussion; d.h., sie nehmen innerhalb ihrer bornierten Entwicklung denselben einseitigen und brutalen Charakter an wie das Denken, kommen nur in langen Zwischenräumen und stimuliert durch das Wuchern der vorherrschenden Begierde (unterstützt durch unmittelbar physische Ursachen, z.B. Kompression [des Unter]leibs) zum Vorschein und äußern [sich] heftig, gewaltsam, mit brutalster Verdrängung der gewöhn[lichen, natürlichen]
Begierde[, indem sie zur weit]er[n] Herrschaft über [das Denken führen. D]aß das schulmeister[liche Denken über] dies empirische [Faktum auf eine schu]lmeisterliche Weise [reflektiert und spintisiert, ver]steht sich von selbst. [Aber das bloße Inse]rat davon, daß Stir[ner seine Eigen]schaften überhaupt "schafft", [erklärt] nicht einmal ihre bestimmte [E]ntwicklung. Inwiefern diese Eigenschaften universell oder lokal entwickelt werden, inwiefern sie lokale Borniertheiten überschreiten oder in ihnen befangen bleiben, hängt nicht von ihm, sondern vom Weltverkehr und von dem Anteil ab, den er und die Lokalität, in der er lebt, an ihm nehmen. Keineswegs, daß die Individuen in ihrer Reflexion sich einbilden oder vornehmen, ihre lokale Borniertheit aufzulösen, sondern daß sie in ihrer empirischen Wirklichkeit und durch empirische Bedürfnisse bestimmt es dahin gebracht haben, einen Weltverkehr zu produzieren - nur dies Faktum macht es den Einzelnen möglich, unter günstigen Verhältnissen ihre lokale Borniertheit loszuwerden.(59)
Das Einzige, wozu es unser Heiliger mit seiner sauren Reflexion über seine Eigenschaften und Leidenschaften bringt, ist, daß er sich durch seine fortwährende Häkelei und Katzbalgerei mit ihnen ihren Genuß und ihre Befriedigung versäuert.
Sankt Max schafft, wie schon vorhin gesagt, bloß sich als Geschöpf, d.h. beschränkt sich darauf, sich unter diese Kategorie des Geschöpfs zu subsumieren. Seine Tätigkeit [als] Schöpfer besteht darin, sich als Geschöpf [zu] betrachten, wobei er nicht einmal [dazu fo]rtgeht, diese Spaltung in sich als [Schöpfer und s]ich als Geschöpf als sein eignes [Produkt wie]der aufzulösen. Die Spaltung [in "Wesentliches" un]d "Unwesentliches" wird [bei ihm zu einem] permanenten Lebensprozeß, [also zum bloßen Sc]hein, d.h., sein eigentliches Leb[e]n existiert nur [in der "reinen"] Reflexion, ist gar [nicht einmal ein] wirkliches Dasein, [denn da dies jeden Au]genblick außer [ihm und seiner Reflexion] ist, bemüht er sich [vergeblich, diese als] wesentlich darzustel[len.
"Indem] aber dieser Feind" (näm[l]ich der wahre Egoist als Geschöpf) "in seiner Niederlage sich erzeugt, indem das Bewußtsein, da es sich ihn fixiert, vielmehr statt frei davon zu werden, immer dabei verweilt und sich immer verunreinigt erblickt, und indem zugleich dieser Inhalt seines Bestrebens das Niedrigste ist, so sehen wir nur
eine auf sich und ihr kleines Tun" (Tatlosigkeit) "beschränkte und sich bebrütende, ebenso unglückliche als ärmliche Persönlichkeit." (Hegel.)
Was wir bisher über Sanchos Spaltung in Schöpfer und Geschöpf sagten, drückt er selbst nun schließlich in logischer Form aus: Schöpfer und Geschöpf verwandeln sich in voraussetzendes und vorausgesetztes, resp. (insofern seine Voraussetzung [seines Ichs eine] Setzung ist) setzendes und gesetztes Ich:
"Ich Meinesteils gehe von einer Voraussetzung aus, indem Ich Mich voraussetze; aber Meine Voraussetzung ringt nicht nach ihrer Vollendung" (vielmehr ringt Sankt Max nach ihrer Erniedrigung), "sondern dient Mir nur dazu, sie zu genießen und zu verzehren" (ein beneidenswerter Genuß!). "Ich zehre gerade an Meiner Voraussetzung allein und bin nur, indem Ich sie verzehre. Darum" (großes "Darum!") "aber ist jene Voraussetzung gar keine; denn da" (großes "denn da"!) "Ich der Einzige bin" (soll heißen der wahre, der mit sich einige Egoist), "so weiß Ich nichts von der Zweiheit eines voraussetzenden und vorausgesetzten Ichs (eines 'unvollkommnen' und 'vollkommnen' Ichs oder Menschen)" - soll heißen, besteht die Vollkommenheit meines Ichs nur darin, mich jeden Augenblick als unvollkommnes Ich, als Geschöpf zu wissen - "sondern" (allergrößtes "Sondern"!), "daß Ich Mich verzehre, heißt nur, daß Ich bin." (Soll heißen: Daß Ich bin, heißt hier nur, daß Ich an Mir die Kategorie des Vorausgesetzten in der Einbildung verzehre.) "Ich setze Mich nicht voraus, weil Ich Mich jeden Augenblick überhaupt erst setze oder schaffe" (nämlich als Vorausgesetzten, Gesetzten oder Geschaffenen setze und schaffe) "und nur dadurch Ich bin, daß Ich nicht vorausgesetzt, sondern gesetzt bin" (soll heißen: und nur dadurch bin, daß Ich Meinem Setzen vorausgesetzt bin) "und wiederum nur in dem Moment gesetzt, wo Ich Mich setze, d.h., Ich bin Schöpfer und Geschöpf in Einem."
Stirner ist ein "gesetzter Mann", da er stets ein gesetztes Ich und sein Ich "auch Mann" (Wig[and,] p. 183) ist. "Darum" ist er ein gesetzter Mann; "denn da" er nie von Leidenschaften zu Exzessen hingerissen wird, "so" ist er das, was die Bürger einen gesetzten Mann nennen, "sondern" daß er ein gesetzter Mann ist, "das heißt nur", daß er stets Buch über seine eignen Wandlungen und Brechungen führt.
Was bisher, um nach Stirner auch einmal mit Hegel zu sprechen, nur "für uns" war, nämlich daß seine ganze schöpferische Tätigkeit keinen andern Inhalt als allgemeine Reflexionsbestimmungen hatte, das ist jetzt von Stirner selbst "gesetzt". Sankt Maxens Kampf gegen "das Wesen" erreicht nämlich hier darin sein "letztes Absehen", daß er sich selbst mit dem Wesen, und zwar dem reinen, spekulativen Wesen identifiziert. [Da]s Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf [verw]andelt sich in eine Expli[kation] des Sich-selbst-Voraussetzens, d.h., [er verwandelt] in eine höchst "unbe[holfene"] und durcheinandergeworfene [Vorstellung,] was Hegel in "der [Lehre vom We-
sen]" über die Reflexion [sagt. Da nämlich] Sankt Max ein [Moment seiner] Reflexion, die [setzende Reflexion, her]ausnimmt, [werden seine Phantas]ien "nega[tiv", indem er nämlich] sich pp. in "Selbst[voraussetzung", zum U]nterschied zwischen [sich als dem Setzende]n und Gesetzten, [und die Re]flexion in den mystischen Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf verwandelt. Nebenbei ist zu bemerken, daß Hegel in diesem Abschnitt der "Logik" die "Machinationen" des "schöpferischen Nichts" auseinandersetzt, woraus sich auch erklärt, weshalb sich Sankt Max schon p.8 als dies "schöpferische Nichts" "setzen" mußte.
Wir wollen jetzt einige Sätze aus der Hegelschen Explikation des Sich-selbst-Voraussetzens zur Vergleichung mit Sankt Maxens Explikation "episodisch einlegen". Da Hegel indes nicht so zusammenhanglos und "ins Gelag hinein" schreibt wie unser Jacques le bonhomme, sind wir genötigt, uns diese Sätze von verschiedenen Seiten der "Logik" zusammenzuholen, um sie dem großen Satze Sanchos entsprechend zu machen.
"Das Wesen setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst. Weil es Abstoßen seiner von sich selbst oder Gleichgültigkeit gegen sich, negative Beziehung auf sich ist, setzt es sich somit sich selbst gegenüber ... das Setzen hat keine Voraussetzung ... das Andre ist nur durch das Wesen selbst gesetzt ... Die Reflexion ist also nur als das Negative ihrer selbst. Als Voraussetzende ist sie schlechthin setzende Reflexion. Sie besteht also darin, sie selbst und nicht sie selbst in einer Einheit" ("Schöpfer und Geschöpf in Einem") "zu sein." Hegels "Logik", II, p. 5, 16, 17, 18, 22.
Man hätte nun von Stirners "Virtuosität im Denken" erwarten sollen, daß er zu weiteren Forschungen in der Hegelschen "Logik" fortgeschritten wäre. Dies unterließ er indes weislich. Er würde dann nämlich gefunden haben, daß er als bloß "gesetztes" Ich, als Geschöpf, d.h. soweit er Dasein hat, ein bloßes Schein-Ich, und nur "Wesen", Schöpfer ist, soweit er nicht da ist, sich bloß vorstellt: Wir haben bereits gesehen und werden noch weiter sehen, daß seine ganzen Eigenschaften, seine ganze Tätigkeit und sein ganzes Verhalten zur Welt ein bloßer Schein ist, den er sich vormacht, nichts als "Jongleurkünste auf dem Seile des Objektiven". Sein Ich ist stets ein stummes, verborgenes "Ich", verborgen in seinem als Wesen vorgestellten Ich.
Da der wahre Egoist in seiner schöpferischen Tätigkeit also nur eine Paraphrase der spekulativen Reflexion oder des reinen Wesens ist, so ergibt sich "nach der Mythe" "durch natürliche Fortpflanzung", was schon bei der Betrachtung der "sauren Lebenskämpfe" des wahren Egoisten hervortrat, daß seine "Geschöpfe" sich auf die einfachsten Reflexionsbestimmungen, wie Identi[tät], Unterschied, Gleichheit, Ungleich[heit, Gegen]satz pp. beschrän-
ken - [Reflexions]bestimmungen, die er sich an ["Sich", von] dem "die Kunde bis nach [Köln gedrun]gen ist", klarzumachen [sucht. Über] sein Voraussetzungsloses [Ich werden] wir gelegentlich noch ["ein gerin]ges Wörtlein vernehmen". Siehe u.a. den "Einzigen".
Wie in Sanchos Geschichtskonstruktion, nach Hegelscher Methode, die spätere historische Erscheinung zur Ursache, zum Schöpfer der früheren gemacht wird, so beim mit sich einigen Egoisten der Stirner von heute zum Schöpfer des Stirner von gestern, obgleich, um in seiner Sprache zu sprechen, der Stirner von heute das Geschöpf des Stirner von gestern ist. Die Reflexion dreht dies allerdings um und in der Reflexion, als Reflexionsprodukt, als Vorstellung, ist der Stirner von gestern das Geschöpf des Stirner von heute, ganz wie die Weltverhältnisse innerhalb der Reflexion die Geschöpfe seiner Reflexion sind.
p. 216. "Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um Euch selbst bringt, in der 'Selbstverleugnung', sondern suchet Euch selbst" (d.h., suchet Euch selbst in der Selbstverleugnung), "werdet Egoisten, werde Jeder von Euch ein allmächtiges Ich!"
Wir dürfen uns nach dem Vorhergehenden nicht wundern, wenn Sankt Max sich später zu diesem Satze wieder als Schöpfer und unversöhnlichster Feind verhält und sein erhabenes Moralpostulat: "Werde ein allmächtiges Ich" dahin "auflöst", daß ohnehin Jeder tut, was er kann und kann, was er tut, wodurch er natürlich für Sankt Max "allmächtig" ist. - Übrigens ist in dem obigen Satze der Unsinn des mit sich einigen Egoisten zusammengefaßt. Zuerst das Moralgebot des Suchens, und zwar des Sich-selbst-Suchens. Dies wird dahin bestimmt, daß man etwas werden soll, was man noch nicht ist, nämlich Egoist, und dieser Egoist wird dahin bestimmt, daß er "ein allmächtiges Ich" ist, worin das eigentümliche Vermögen aus wirklichem in Ich, in die Allmacht, die Phantasie des Vermögens sich aufgelöst hat. Sich selbst suchen heißt also etwas Andres werden, als man ist, und zwar allmächtig werden, d.h. Nichts, ein Unding, eine Phantasmagorie werden.
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Wir sind jetzt so weit vorgedrungen, daß eines der tiefsten Mysterien des Einzigen und zugleich ein Problem, das die zivilisierte Welt seit längerer Zeit in ängstlicher Spannung hielt, enthüllt und gelöst werden kann.
Wer ist Szeliga? So fragt sich seit der kritischen "Literatur-Zeitung" (siehe: "Die heilige Familie" etc.) Jeder, der die Entwicklung der deutschen Philosophie verfolgt hat. Wer ist Szeliga? Alle fragen, Alle horchen auf bei dem barbarischen Klange dieses Namens - Keiner antwortet.
Wer ist Szeliga? Sankt Max gibt uns den Schlüssel dieses "Geheimnisses aller Geheimnisse".
Szeliga ist Stirner als Geschöpf, Stirner ist Szeliga als Schöpfer. Stirner ist das "Ich", Szeliga das "Du" "des Buchs". Stirner, der Schöpfer, verhält sich daher zu Szeliga, dem Geschöpf, als zu seinem "unversöhnlichsten Feind". Sobald sich Szeliga gegen Stirner verselbständigen will - wozu er einen unglückseligen Versuch in den "Norddeutschen Blättern" machte - "nimmt" ihn Sankt Max wieder "in sich zurück", ein Experiment, was gegen diesen Szeligaschen Versuch auf p. 176-179 des apologetischen Kommentars bei Wigand vollzogen wird. Der Kampf des Schöpfers gegen das Geschöpf, Stirners gegen Szeliga, ist indes nur scheinbar: [Sz]eliga fährt gegen seinen Schöpfer [jetzt] die Phrasen dieses [Schöpfers] ins Feld - z.B. "daß [der bloße,] blanke Leib die Gedan[kenlosigkei]t ist" (Wig[and,] p. 148). Sankt [Max dachte] sich, wie wir sahen, nur [das blanke Flei]sch, den Leib vor sei[ner Bildung], und gab bei die[ser Gelegenhe]it dem Leibe die [Bestimmung, "d]as Andere des Gedank[ens", der] Nicht-Gedanke und Nicht-Den[ken]de zu sein, also die Gedankenlosigkeit; ja an einer späteren Stelle spricht er es geradezu aus, daß nur die Gedankenlosigkeit (wie vorher nur das Fleisch, die also identifiziert werden) ihn vor den Gedanken rette (p. 196). - Einen noch viel schlagenderen Beweis dieses geheimnisvollen Zusammenhangs erhalten wir bei Wigand. Wir sahen bereits p. 7 "des Buchs", daß "Ich", d.h. Stirner, "der Einzige" ist. Auf p. 153 des Kommentars redet er nun seinen "Du"' an: "Du" -- "bist der Phraseninhalt", nämlich der Inhalt des "Einzigen", und auf derselben Seite heißt es: "Daß er selber, Szeliga, der Phraseninhalt sei, läßt er außer Acht." "Der Einzige" ist die Phrase, wie Sankt Max wörtlich sagt. Als "Ich", d.h. als Schöpfer gefaßt, ist er Phraseneigner -, dies ist Sankt Max. Als "Du", d.h. als Geschöpf gefaßt, ist er Phraseninhalt - das ist Szeliga, wie uns soeben verraten wurde. Szeliga, das Geschöpf, tritt als aufopfernder Egoist, als verkommener Don Quijote auf; Stirner, der Schöpfer, als Egoist im gewöhnlichen Verstande, als heiliger Sancho Pansa.
Hier tritt also die andere Seite des Gegensatzes von Schöpfer und Geschöpf auf, wo jede der beiden Seiten ihr Gegenteil an sich selbst hat. Sancho Panza Stirner, der Egoist im gewöhnlichen Verstande, überwindet hier den Don Quijote Szeliga, den aufopfernden und illusorischen Egoisten, eben als Don Quijote, durch seinen Glauben an die Weltherrschaft des Heiligen. Was war [über]haupt Stirners Egoist im ge[wöhnlichen] Verstande anders als San[cho Panza] und sein aufopfernder Ego[ist andres] als Don Quijote und [ihr gegenseitiges Ver]hältnis in der bis[herigen Form an]ders als das des [Sancho Panza Stirner] zum Don Quijo[te Szeliga? Jetzt, als] Sancho Panza,
g[ehört Stirner sich als] Sancho nur, u[m Szeliga als] Don Quijote glau[ben zu machen, daß] er ihn in der Don[quijoterie über]trifft und einer [solchen Rolle gemäß, als] vorausgesetzte allgemeine Don[quijoterie, Nichts] gegen die D[onquijoterie sei]nes ehemaligen Herrn [(auf] die er mit dem festesten Bedientenglauben schwört) unternimmt und dabei seine schon bei Cervantes entwickelte Pfiffigkeit geltend macht. Dem wirklichen Gehalt nach ist er daher der Verteidiger des praktischen Kleinbürgers, aber bekämpft das dem Kleinbürger entsprechende Bewußtsein, das sich in letzter Instanz auf die idealisierenden Vorstellungen des Kleinbürgers von der ihm unerreichbaren Bourgeoisie reduziert.
Don Quijote verrichtet also jetzt als Szeliga bei seinem ehemaligen Schildknappen Knechtsdienste.
Wie sehr Sancho in seiner neuen "Wandlung" noch die alten Gewohnheiten behalten hat, zeigt er auf jeder Seite. Noch immer bildet das "Verschlingen" und "Verzehren" eine seiner Hauptqualitäten, noch immer hat seine "natürliche Furchtsamkeit" solche Herrschaft über ihn, daß sich der König von Preußen und der Fürst Heinrich LXXII. ihm in den "Kaiser von China" oder den "Sultan" verwandeln und er nur von den "d...... Kammern" <deutschen Kammern> zu sprechen wagt; noch immer streut er Sprüchwörter und Sittensprüchlein aus seinem Schnappsack um sich, noch immer fürchtet er sich vor "Gespenstern", ja erklärt sie für das allein Furchtbare; der einzige Unterschied ist, daß, während Sancho in seiner Unheiligkeit von den Bauern in der Schenke geprellt wurde, er im Stande der Heiligkeit jetzt fortwährend sich selbst prellt.
Kommen wir indes auf Szeliga zurück. Wer hat nicht längst in allen "Phrasen", die Sankt Sancho seinem "Du" in den Mund legte, Szeligas Finger entdeckt? Und nicht allein in den Phrasen des "Du", sondern auch in den Phrasen, wo Szeliga als Schöpfer, also als Stirner auftritt, ist Szeligas Spur fortwährend zu verfolgen. Darum aber, weil Szeliga Geschöpf ist, konnte in der "Heiligen Familie" Szeliga nur als "Geheimnis" auftreten. Die Enthüllung des Geheimnisses kam Stirner dem Schöpfer zu. Wir ahnten freilich, daß hier ein großes, heiliges Abenteuer zugrunde liege. Wir sind nicht getäuscht worden. Das einzige Abenteuer ist wirklich nie gesehen und nie erhört und übertrifft das von den Klappermühlen Cervantes' am zwanzigsten.
3. Offenbarung Johannis des Theologen
oder "die Logik der neuen Weisheit"
Im Anfang war das Wort, der Logos. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in die Finsternis und die Finsternis hat <im Manuskript: haben> es nicht begriffen. Das war das wahrhaftige Licht, es war in der Welt, und die Welt kannte es nicht. Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Eigentümer zu werden, die an [den N]amen des Einzigen glauben. [Aber we]r hat den Einzigen je ge[sehen?]
[Betrachten] wir jetzt dieses "Licht der Welt" in "der] Logik der neuen Weis[heit", da Sankt] Sancho sich bei den frü[heren Vernich]tungen nicht beruhigt.
[Bei unserm "]einzigen" Schriftsteller versteht es sich [von selbst, daß] die Grundlage seiner [Genialität] in einer glänzen[den Reihe pers]önlicher Vorzüge [besteht, welc]he seine eigentüm[liche Virtuosität] im Denken ausma[chen. D]a alle diese Vorzüge bereits im Vorhergehenden weitläuftig nachgewiesen sind, so genügt hier eine kurze Zusammenstellung der hauptsächlichsten unter ihnen: Liederlichkeit im Denken - Konfusion - Zusammenghangslosigkeit - eingestandene Unbeholfenheit - unendliche Wiederholungen -beständiger Widerspruch mit sich selbst - Gleichnisse ohnegleichen - Einschüchterungsversuche gegen den Leser - systematische Gedanken-Erbschleicherei vermittelst der Hebel "Du", "Es", "Man" usw. und groben Mißbrauchs der Konjunktionen Denn, Deshalb, Darum, Weil, Demnach, Sondern etc. - Unwissenheit - schwerfällige Beteuerung - feierlicher Leichtsinn - revolutionäre Redensarten und friedliche Gedanken - Sprachpolterei - aufgedunsene Gemeinheit und Kokettieren mit wohlfeiler Unanständigkeit - Erhebung des Eckenstehers Nante in den absoluten Begriff - Abhängigkeit von Hegelschen Traditionen und Berliner Tagesphrasen - kurz, vollendete Fabrikation einer breiten Bettelsuppe (491 Seiten) nach Rumfordscher Manier.
In dieser Bettelsuppe schwimmen dann eine ganze Reihe von Übergängen als Knochen herum, von denen wir jetzt einige Specimina <Probestücke, Muster> zur öffentlichen Ergötzung des ohnehin so gedrückten deutschen Publikums mitteilen wollen:
"Könnten wir nicht - nun ist aber - man teilt mitunter - man kann nun - zur Wirksamkeit von ... gehört besonders das, was man häufig ... nennen hört - und dies heißt - Er kann nun, um hiermit zu schließen, einleuchten - mittlerweise - so kann
hier beiläufig gedacht werden - sollte nicht - oder wäre nicht etwa - der Fortgang von ... dahin, daß ... ist nicht schwer - von einem gewissen Standpunkt aus räsornert man etwa so - z.B. usw." - etc. und "ist an dem" in allen möglichen "Wandlungen".
Wir können hier gleich einen [logischen] Kniff erwähnen, von dem [sich nicht] entscheiden läßt, ob er der [gepriesenen] Tüchtigkeit Sanchos [oder der] Untüchtigkeit seiner [Gedanken seine] Existenz verdankt. Dies[er Kniff besteht] darin, aus einer Vorstel[lung, aus einem] Begriff, der mehrere [bestimmt aus]gemachte Seiten (hat, eine Seite] als die bisher allein[ige und einzige] herauszunehmen, sie [dem Begriff als] seine alleinige Bestimmt[heit unter]zuschieben und dieser gege[nüber jede andre] Seite unter einem [neuen Namen als] etwas Originelles gelten[d zu machen]. So mit der Freiheit und der Eigen[heit, wie] wir später sehen werden.
Unter den Kategorien, welche weniger der Persönlichkeit Sanchos, als der allgemeinen Bedrängnis, in welcher sich die deutschen Theoretiker dermalen befinden, ihren Ursprung verdanken, steht obenan die lumpige Distinktion, die Vollendung der Lumperei. Da unser Heiliger sich in den "seelenmarterndsten" Gegensätzen herumtreibt, wie Einzelnes und Allgemeines, Privatinteresse und allgemeines Interesse, gewöhnlicher Egoismus und Aufopferung pp., so kommt es schließlich auf die lumpigsten Konzessionen und Transaktionen der beiden Seiten untereinander, die wiederum auf den subtilsten Distinktionen beruhen - Distinktionen, deren Nebeneinander-Bestehen durch "auch" ausgedrückt und deren Trennung voneinander dann wieder durch ein dürftiges "insofern" aufrechterhalten wird. Solche lumpige Distinktionen sind z.B.: wie die Menschen sich gegenseitig exploitieren, aber doch Keiner dies auf Kosten des Andern tut; inwiefern Etwas mir eigen oder eingegeben ist; die Konstruktion einer menschlichen und einer einzigen Arbeit, die nebeneinander existieren; das für das menschliche Leben Unentbehrliche und das dem einzigen Leben Unentbehrliche; was der reinen Persönlichkeit angehört und was sachlich zufällig ist, wo Sankt Max, von seinem Standpunkte aus, gar kein Kriterium hat; was zu den Lumpen und was zur Haut des Individuums gehört; was er durch die Verneinung total los wird oder sich aneignet, inwiefern er bloß seine Freiheit oder bloß seine Eigenheit aufopfert, wo er auch opfert, aber nur insofern er eigentlich nicht opfert, was mich als Band und was mich als persönliche Beziehung zu den Andern in Verhältnis bringt. Ein Teil dieser Distinktionen ist absolut lumpig, ein anderer verliert, wenigstens bei Sancho, allen Sinn und Halt. Als Vollendung dieser lumpigen Distinktion kann betrachtet werden die zwischen der Weltschöpfung durch das Individuum und dem Anstoß, den es von der Welt erhält. Ginge er hier z.B. auf den Anstoß näher ein, in der ganzen Ausbreitung und Mannigfaltig-
keit, in der dieser auf ihn wirkt, so würde [sich bei] ihm schließlich der Widerspruch [herauss]tellen, daß er ebenso blind [abhängig] von der Welt ist, wie er [sie egois]tisch-ideologisch schafft. (Siehe: "Mein Selbstgenuß".) Er [würde seine "]Auchs" und "Insoferns" [ebensowenig] nebeneinander [nennen, wie d]ie "menschliche" Arbeit [neben der "]einzigen", Eins nicht [gegenüber dem] Andern streitig [machen, so Eins nic]ht dem Andern [in den Rücken] fallen und so nicht der ["mit sich selbst e]inige Egoist" vollständig [sich selbst unterst]ellt zu werden - aber wir [wissen,] daß dieser nicht erst [unterste]llt zu werden braucht, sondern schon von vornherein der Ausgangspunkt war.
Diese Lumperei der Distinktion geht durch das ganze "Buch", ist ein Haupthebel auch der übrigen logischen Kniffe und äußert sich namentlich in einer ebenso selbstgefälligen wie spottwohlfeilen moralischen Kasuistik. So wird uns an Exempeln klargemacht, inwieweit der wahre Egoist lügen darf und nicht lügen darf, inwiefern es "verächtlich" und nicht verächtlich ist, ein Vertrauen zu täuschen, inwiefern Kaiser Sigismund und Franz I. von Frankreich Eide brechen durften und inwiefern sie sich dabei "lumpig" benahmen, und andre dergleichen feine historische Illustrationen. Gegenüber diesen mühsamen Distinktionen und Quästiunculis <winzigen (gelehrten) Fragen> nimmt sich dann wieder sehr gut aus die Gleichgültigkeit unsres Sancho, der Alles einerlei ist und die alle wirklichen, praktischen und Gedanken-Unterschiede beiseite wirft. Im Allgemeinen können wir schon jetzt sagen, daß seine Kunst zu unterscheiden lange noch nicht reicht an seine Kunst, nicht zu unterscheiden, alle Kühe in der Nacht des Heiligen grau werden zu lassen und Alles auf Alles zu reduzieren - eine Kunst, die in der Apposition ihren adäquaten Ausdruck erreicht.
Umarme Deinen "Grauen"', Sancho, Du hast ihn hier wiedergefunden! Lustig springt er Dir entgegen, nicht achtend der Fußtritte, die ihm geworden sind, und begrüßt Dich mit heller Stimme. Kniee nieder vor ihm, umschlinge seinen Hals und erfülle Deinen Beruf, zu dem Dich Cervantes am dreißigsten berufen hat.
Die Apposition ist der Graue Sankt Sanchos, seine logische und historische Lokomotive, die auf ihren kürzesten und einfachsten Ausdruck reduzierte treibende Kraft "des Buchs". Um eine Vorstellung in eine andere zu verwandeln oder die Identität zweier ganz disparaten Dinge nachzuweisen, werden einige Mittelglieder gesucht, die teils dem Sinn, teils der Etymologie, teils dem bloßen Klange nach zur Herstellung eines scheinbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Grundvorstellungen brauchbar sind. Diese werden dann in der Form der Apposition der ersten Vorstellung angehängt, und
zwar so, daß man immer weiter von dem abkommt, wovon man ausging, und immer näher zu dem kommt, wohin man will. Ist die Appositionskette so weit präpariert, daß man ohne Gefahr schließen kann, so wird vermittelst eines Gedankenstrichs die Schlußvorstellung ebenfalls als Apposition angehangen, und das Kunststück ist fertig. Dies ist eine höchst empfehlenswerte Manier des Gedankenschmuggels, die um so wirksamer ist, je mehr sie zum Hebel der Hauptentwicklungen gemacht wird. Wenn man dies Kunststück bereits mehrere Male mit Erfolg vollzogen hat, so kann man, nach Sankt Sanchos Vorgang, allmählich einige Mittelglieder auslassen und endlich die Appositionsreihe auf die allernotdürftigsten Haken reduzieren.
Die Apposition kann nun auch, wie wir schon oben sahen, umgedreht werden und dadurch zu neuen, komplizierteren Kunststücken und erstaunlicheren Resultaten führen. Wir sahen ebendaselbst, daß die Apposition die logische Form der unendlichen Reihe aus der Mathematik ist.
Sankt Sancho wendet die Apposition doppelt an, einerseits rein logisch, bei der Kanonisation der Welt, wo sie ihm dazu dient, jedes beliebige weltliche Ding in "das Heilige" zu verwandeln, andererseits historisch, bei Entwicklungen des Zusammenhangs und bei Zusammenfassung verschiedener Epochen, wo jede geschichtliche Stufe auf ein einziges Wort reduziert wird und am Ende das Resultat herauskommt, daß das letzte Glied in der historischen Reihe um kein Haarbreit weiter ist als das erste und sämtliche Epochen der Reihe schließlich in [e]iner einzigen abstrakten Kategorie, [e]twa Idealismus, Abhängigkeit von Gedanken pp. zusammengefaßt werden. Wenn in die historische Appositionsreihe der Schein eines Fortschritts gebracht werden soll, so geschieht dies dadurch, daß die Schlußphrase als die Vollendung der ersten Epoche der Reihe und die Zwischenglieder als Entwicklungsstufen in aufsteigender Ordnung zur letzten, vollendeten Phrase hin gefaßt werden.
Der Apposition zur Seite geht die Synonymik, die von Sankt Sancho nach allen Seiten hin exploitiert wird. Wenn zwei Worte etymologisch zusammenhängen oder nur ähnlichen Klang haben, so werden sie solidarisch füreinander verantwortlich gemacht, oder wenn ein Wort verschiedene Bedeutungen hat, so wird dies Wort nach Bedürfnis bald in der einen, bald in der andern Bedeutung, und zwar mit dem Scheine gebraucht, als spreche Sankt Sancho von Einer und derselben Sache in verschiedenen "Brechungen". Eine eigne Sektion der Synonymik bildet noch die Übersetzung, wo ein französischer oder lateinischer Ausdruck durch einen deutschen ergänzt wird, der jenen ersten halb und sonst noch ganz andre Dinge ausdrückt, z.B. wenn,
wie wir oben sahen, "respektieren" durch "Ehrfurcht und Furcht empfinden" pp. übersetzt wird. Man erinnere sich an Staat, Status, Stand, Notstand etc. Wir haben beim Kommunismus schon Gelegenheit gehabt, reichhaltige Exempel dieses Gebrauchs von doppelsinnigen Ausdrücken zu sehen. Wir wollen jetzt noch kurz ein Beispiel der etymologischen Synonymik vornehmen.
"Das Wort 'Gesellschaft' hat seinen Ursprung in dem Worte 'Sal'. Schließt ein Saal viele Menschen ein, so macht's der Saal, daß sie in Gesellschaft sind. Sie sind in Gesellschaft und machen höchstens eine Salon-Gesellschaft aus, indem sie in den herkömmlichen Salon-Redensarten sprechen. Wenn es zum wirklichen Verkehr kommt, so ist dieser als von der Gesellschaft unabhängig zu betrachten." (pag. 286.)
Weil "das Wort 'Gesellschaft' in 'Sal' seinen Ursprung hat" (was beiläufig gesagt nicht wahr ist, da die ursprünglichen Wurzeln aller Wörter Zeitwörter sind), so muß "Sal" = "Saal" sein. Sal heißt aber im Althochdeutschen ein Gebäude, Kisello, Geselle, wovon Gesellschaft herkommt, ein Hausgenosse, und daher kommt der "Saal" ganz willkürlich herein. Aber das tut nichts; der "Saal" wird sogleich in einen "Salon" verwandelt, als ob zwischen dem althochdeutschen "Sal" und dem neufranzösischen "Salon" nicht eine Zwischenstufe von zirka tausend Jahren und soundso viel Meilen läge. So ist die Gesellschaft in eine Salon-Gesellschaft verwandelt, in der nach deutsch-spießbürgerlicher Vorstellung nur ein Phrasenverkehr stattfindet und von der aller wirkliche Verkehr ausgeschlossen ist. - Übrigens hätte Sankt Max, da er doch nur darauf ausgeht, die Gesellschaft in "das Heilige" zu verwandeln, die Sache viel kürzer haben können, wenn er die Etymologie etwas genauer betrieben und sich ein beliebiges Wurzellexikon angesehen hätte. Welch ein Fund wäre es für ihn gewesen, wenn er dort den etymologischen Zusammenhang zwischen "Gesellschaft" und "selig" entdeckt hätte - Gesellschaft - selig - heilig - das Heilige - was kann einfacher aussehen?
Wenn "Stirners" etymologische Synonymik richtig ist, so suchen die Kommunisten die wahre Grafschaft, die Grafschaft als das Heilige. Wie Gesellschaft von Sal, Gebäude, so kommt Graf (got[isch] garâvjo) vom [go]tischen râvo, Haus. Sal, Gebäude = râvo, Haus, also Gesellschaft gleich Grafschaft. Vor- und Endsilben sind in beiden Worten gleich, die Stammsilben haben gleiche Bedeutung - also ist die heilige Gesellschaft der Kommunisten die heilige Grafschaft, die Grafschaft als das Heilige - was kann einfacher aussehen? Sankt Sancho ahnte dies, als er im Kommunismus die Vollendung des Lehnswesens, d.h. Grafschaftenwesens sah.
Die Synonymik dient unsrem Heiligen einerseits dazu, empirische Verhältnisse in spekulative zu verwandeln, indem er ein Wort, das in der Praxis
sowohl wie in der Spekulation vorkommt, in seiner spekulativen Bedeutung anwendet, über diese spekulative Bedeutung einige Phrasen macht und dann sich stellt, als ob er damit auch die wirklichen Verhältnisse kritisiert habe, zu deren Bezeichnung dasselbe Wort auch gebraucht wird. So mit der Spekulation. p. 406 "erscheint" "die Spekulation" nach zwei Seiten hin als Ein Wesen, das sich eine "doppelte Erscheinung" gibt - o Szeliga! Er poltert gegen die philosophische Spekulation und glaubt, damit auch [die] kommerzielle Spekulation, von [der] er nichts weiß, abgetan zu [hab]en. - Andrerseits dient ihm, dem verborgnen Kleinbürger, [die]se Synonymik dazu, Bourgeoisverhältnisse (siehe, was oben beim "Kommunismus" über den Zusammenhang der Sprache mit den Bourgeoisverhältnissen gesagt wird) in persönliche, individuelle zu verwandeln, die man nicht antasten kann, ohne das Individuum in seiner Individualität, "Eigenheit" und "Einzigkeit" anzutasten. So exploitiert Sancho z.B. den etymologischen Zusammenhang zwischen Geld und Geltung, Vermögen und vermögen usw.
Die Synonymik, vereinigt mit der Apposition, bildet den Haupthebel seiner Eskamotage, die wir bereits zu unzähligen Malen enthüllten. Um ein Exempel davon zu geben, wie leicht diese Kunst ist, wollen wir auch einmal à la Sancho eskamotieren.
Der Wechsel als Wechsel ist das Gesetz der Erscheinung, sagt Hegel. Darum, könnte "Stirner" fortfahren, die Erscheinung von der Strenge des Gesetzes gegen falsche Wechsel; denn es ist hier das über der Erscheinung erhabene Gesetz, das Gesetz als solches, das heilige Gesetz, das Gesetz als das Heilige - das Heilige, wogegen gesündigt und das in der Strafe gerächt wird. Oder aber: Der Wechsel "in seiner doppelten Erscheinung" als Wechsel (lettre de change) und Wechsel (changement) führt zum Verfall (échéance und décadence). Der Verfall als Konsequenz des Wechsels zeigt sich in der Geschichte unter andern beim Untergang des römischen Reichs, der Feudalität, des deutschen Kaiserreichs und der Herrschaft Napoleons. "Der Fortgang von" diesen großen geschichtlichen Krisen "zu" den Handelskrisen unserer Tage "ist nicht schwer", und hieraus erklärt sich denn auch, warum diese Handelskrisen stets durch den Verfall von Wechseln bedingt sind.
Oder er konnte auch, wie Vermögen und Geld, den Wechsel etymologisch rechtfertigen und "von einem gewissen Standpunkt aus etwa so räsonieren": Die Kommunisten wollen unter andern den Wechsel (lettre de change) beseitigen. Besteht aber nicht gerade im Wechsel (changement) der Haupt-Weltgenuß? Sie wollen also das Tote, Unbewegte, China - d.h., der vollendete Chinese ist Kommunist. "Daher" die Deklamationen der Kommunisten gegen die Wechselbriefe und die Wechsler. Als ob nicht jeder Brief ein
Wechselbrief, ein einen Wechsel konstatierender Brief, und jeder Mensch ein Wechselnder, ein Wechsler wäre!
Um der Einfachheit seiner Konstruktion und seiner logischen Kunststücke einen recht mannigfaltigen Schein zu geben, hat Sankt Sancho die Episode nötig. Von Zeit zu Zeit legt er eine Stelle "episodisch" ein, die an einen andern Teil des Buchs gehörte oder ganz gut wegbleiben könnte, und unterbricht so den ohnehin vielfach zerrissenen Faden seiner sogenannten Entwicklung noch mehr. Dies geschieht dann mit der naiven Erklärung, daß "Wir" "nicht am Schnürchen gehen", und bewirkt nach mehrmaliger Wiederholung in dem Leser eine gewisse Stumpfheit gegen alle, auch die größeste Zusammenhangslosigkeit. Wenn man "das Buch" liest, gewöhnt man sich an Alles und läßt zuletzt gern das Schlimmste über sich ergehen. Übrigens sind diese Episoden, wie sich von Sankt Sancho nicht anders erwarten [läßt,] selbst nur scheinbare und nur [Wiederhol]ungen der hundertmal [schon dage]wesenen Phrasen unter [andern Fir]men.
Nachdem Sankt Max [sich so in] seinen persönlichen Qualitäten [gezeigt, so]dann in der Distinktion, [in der] Synonymik und Episode als ["Schein" und] als "Wesen" enthüllte, kommen [wir zu de]r wahren Spitze und Vollen[dung der] Logik, zum "Begriff".
[Der] Begriff ist "Ich" (siehe Hegels "Logik", 3. Teil), die Logik [als Ich]. Es ist das reine Verhältnis [des] Ich zur Welt, das Verhältnis, [entkleidet] aller für ihn existierenden realen Verhältnisse, [eine Forme]l für alle Gleichungen, in [die ein He]iliger die weltlichen [Begriffe] bringt. Schon oben ist ent[hüllt], wie Sancho in dieser Formel sich nur die verschiedenen reinen Reflexionsbestimmungen wie Identität, Gegensatz pp. an allen möglichen Dingen klarzumachen erfolglos "trachtet".
Fangen wir gleich an irgendeinem bestimmten Exempel an, z.B. dem Verhältnis von "Ich" und Volk.
Ich bin nicht das Volk.
Das Volk = Nicht-Ich.
Ich = das Nicht-Volk.
Ich bin also die Negation des Volks, das Volk ist in Mir aufgelöst.
Die zweite Gleichung kann auch in der Nebengleichung gefaßt werden:
Das Volks-Ich ist nicht,
oder: Das Ich des Volks ist das Nicht Meines Ich.
Die ganze Kunst besteht also 1. darin, daß die Negation, die im Anfang zur Kopula gehörte, erst zum Subjekt und dann zum Prädikat geschlagen
wird; 2. daß die Negation, das "Nicht", je nachdem es konveniert, als Ausdruck von Verschiedenheit, Unterschied, Gegensatz und direkte Auflösung gefaßt wird. Im vorliegenden Beispiel wird es als absolute Auflösung, als vollständige Negation gefaßt; wir werden finden, daß es je nach Sankt Maxens Konvenienz auch in den andern Bedeutungen gebraucht wird. So verwandelt sich denn der tautologische Satz, daß Ich nicht das Volk bin, in die gewaltige neue Entdeckung, daß Ich die Auflösung des Volkes bin.
Zu den bisherigen Gleichungen war es nicht einmal nötig, daß Sankt Sancho auch nur irgendeine Vorstellung vom Volk hatte; es genügte zu wissen, daß Ich und Volk "völlig verschiedene Namen für völlig Verschiedenes sind"; es reichte hin, daß beide Worte nicht einen einzigen Buchstaben gemeinsam haben. Soll nun vom Standpunkt der egoistischen Logik weiter über das Volk spekuliert werden, so genügt es, an das Volk und an "Ich" von außen her, aus der alltäglichen Erfahrung, irgendeine beliebige triviale Bestimmung anzureihen, was zu neuen Gleichungen Anlaß gibt. Es wird zugleich der Schein hervorgebracht, als würden verschiedne Bestimmungen verschiedenartig kritisiert. In dieser Weise soll nun jetzt über Freiheit, Glück und Reichtum spekuliert werden:
Grundgleichung: Volk = Nicht-Ich. | ||
Gleichung Nr. 1: | Volks-Freiheit = | Nicht Meine Freiheit. |
Volks-Freiheit = | Meine Nichtfreiheit. | |
Volks-Freiheit = | Meine Unfreiheit. | |
(Dies kann nun auch umgedreht werden, wo dann der große Satz herauskommt: Meine Unfreiheit = Knechtschaft ist die Freiheit des Volkes.) | ||
Gleichung Nr. II | Volks-Glück = | Nicht Mein Glück. |
Volks-Glück = | Mein Nichtglück. | |
Volks-Glück = | Mein Unglück. | |
(Umkehrung: Mein Unglück, Meine Misère ist das Glück des Volkes.) | ||
Gleichung Nr. III | Volksreichtum = | Nicht Mein Reichtum. |
Volksreichtum = | Mein Nichtreichtum. | |
Volksreichtum = | Meine Armut. | |
(Umkehrung: Meine Armut ist der Reichtum des Volkes.) Dies ist nun ad libitum <nach Belieben> weiter zu führen und auf andere Bestimmungen auszudehnen. |
Zur Bildung dieser Gleichungen gehört außer einer höchst allgemeinen Kenntnis derjenigen Vorstellungen, die er mit "Volk" in ein Wort zusammen-
setzen darf, weiter nichts als die Kenntnis des positiven Ausdrucks für das in negativer Form gewonnene Resultat, also z.B. Armut für Nicht-Reichtum pp., also geradesoviel Kenntnis der Sprache, wie man im täglichen Umgang sich erwirbt, reicht vollständig hin, um auf diese Weise zu den überraschendsten Entdeckungen zu kommen.
Die ganze Kunst bestand also hier darin, daß Nicht Mein Reichtum, Nicht Mein Glück, Nicht Meine Freiheit verwandelt wird in Mein Nicht-Reichtum, Mein Nichtglück, Meine Nichtfreiheit. Das Nicht, was in der ersten Gleichung die allgemeine Negation [ist,] alle möglichen Formen der Verschiedenheit ausdrücken, z.B. bloß enthalten kann, daß es Unser gemeinsamer, nicht Mein ausschließlicher Reichtum ist, wird in der [zweiten Gl]eichung zur Verneinung Meines Reich[tums, Meines] Glücks pp. und schreibt Mir [das Nichtglüc]k, das Unglück, die Knechtschaft [zu. Indem] Mir ein bestimmter Reichtum, [der Volksre]ichtum, keineswegs der [Reichtum] überhaupt abgesprochen wird, [meint Sancho,] muß mir die[ Armut zu]gesprochen werden. Dies [aber kom]mt nun auch dadurch zu[stande,] daß Meine Nichtfreiheit [ebenfalls pos]itiv übersetzt und so in Meine ["Unfreiheit"] verwandelt wird. Meine [Nichtfreiheit] kann ja aber hundert [andre] Dinge sein dies - z.B. meine ["Unfrei]heit", meine Nichtfreiheit von [mein]em Leibe etc.
Wir gingen eben aus von der zweiten Gleichung: Das Volk = Nicht-Ich. Wir hätten auch ausgehen können von der dritten Gleichung: Ich = das Nicht-Volk, wo sich dann z.B. beim Reichtum nach obiger Manier schließlich herausgestellt haben würde: "Mein Reichtum ist die Armut des Volks." Hier würde aber Sankt Sancho nicht so verfahren, sondern die Vermögensverhältnisse des Volks überhaupt und das Volk selbst auflösen und dann zu dem Resultate kommen: Mein Reichtum ist die Vernichtung nicht nur des Volksreichtums, sondern des Volkes selbst. Hier zeigt sich denn, wie willkürlich Sankt Sancho verfuhr, wenn er eben den Nicht-Reichtum in die Armut verwandelte. Unser Heiliger wendet diese verschiedenen Methoden durcheinander an und exploitiert die Negation bald in der einen, bald in der andern Bedeutung. Welch eine Konfusion daraus entsteht, "sieht augenblicklich" auch "Jeder ein, der Stirners Buch nicht gelesen hat" (Wigand, p.191).
Ebenso "machiniert" das "Ich" gegen den Staat.
Ich bin nicht der Staat.
Staat = Nicht-Ich.
Ich = Nicht des Staates.
Nichts des Staates = Ich.
Oder in andern Worten: Ich bin das "schöpferische Nichts", worin der Staat untergegangen ist.
Diese einfache Melodie kann nun auf jedes beliebige Thema abgesungen werden.
Der große Satz, der allen diesen Gleichungen zugrunde liegt, ist: Ich bin nicht Nicht-Ich. Diesem Nicht-Ich werden verschiedene Namen gegeben, die einerseits rein logisch sein können, wie z.B. Ansichsein, Anderssein, andererseits die Namen konkreter Vorstellungen, Volk, Staat pp. Hierdurch kann denn der Schein einer Entwicklung hereingebracht werden, indem man von diesen Namen ausgeht und sie vermittelst der Gleichung oder der Appositionsreihe allmählich wieder auf das ihnen von Anfang an zugrunde gelegte Nicht-Ich reduziert. Da die auf solche Weise hereingebrachten realen Verhältnisse nur als verschiedene, und zwar nur dem Namen nach verschiedene Modifikationen des Nicht-Ich auftreten, so braucht über diese realen Verhältnisse selbst gar nichts gesagt zu werden. Dies ist um so komischer, als d[ie realen] Verhältnisse die Verhältnisse [der Indi]viduen selbst sind und man ebe[n dadurch,] daß man sie für Verhältnisse [des Nicht]-Ichs erklärt, beweist, daß man nichts von ihnen weiß. Dies vereinfacht die Sache so sehr, daß selbst die aus "gebornen beschränkten Köpfen bestehende große Mehrzahl" diesen Kunstgriff in höchstens zehn Minuten erlernen kann. Dies gibt zugleich ein Kriterium für die "Einzigkeit" Sankt Sanchos.
Das dem Ich gegenüberstehende Nicht-Ich wird nun von Sankt Sancho dahin bestimmt, daß es das dem Ich Fremde, das Fremde ist. Das Verhältnis des Nicht-Ich zum Ich ist "daher" das der Entfremdung. Wir haben soeben die logische Formel dafür gegeben, wie Sankt Sancho irgendein beliebiges Objekt oder Verhältnis als das dem Ich Fremde, die Entfremdung des Ichs darstellt; auf der andern Seite kann Sankt Sancho nun wieder irgendein Objekt oder Verhältnis, wie wir sehen werden, als ein vom Ich geschaffenes und ihm angehöriges darstellen. Abgesehen zunächst von der Willkür, mit der er jedes beliebige Verhältnis als ein Verhältnis der Entfremdung darstellt oder nicht darstellt (da Alles in die obigen Gleichungen paßt), sehen wir schon hier, daß es [sich bei] ihm um weiter nichts handelt [als daru]m, alle wirklichen Verhältnisse, [ebenso wie] die wirklichen Individuen, [als entfre]mdet (um den philosophischen [Ausdruck] einstweilen noch beizubehalten) vorfinden [zu lass]en, in die ganz [abstrakte] Phrase der Entfremdung zu ver[wandeln; sta]tt der Aufgabe also, die [wirklichen] Individuen in ihrer [wirklichen] Entfremdung und den empi[rischen Verh]ältnissen dieser Entfrem[dung darzus]tellen, tritt hier [ebendassel]be ein, an die Stelle der Entwicklung aller [rein empir]ischen Verhältnisse den [bloßen Gedanke]n der Ent-
fremdung, [des Fremde]n, des Heiligen zu [setzen.] [Die] Unterschiebung der Kategorie [der Ent]fremdung (wieder einer Reflexionsbestimmung, die als Gegensatz, Unterschied, Nichtidentität pp. gefaßt werden kann) erhält darin ihren letzten und höchsten Ausdruck, daß "das Fremde" wieder in "das Heilige", die Entfremdung in das Verhältnis von Ich zu irgendeiner beliebigen Sache als dem Heiligen verwandelt wird. Wir ziehen vor, den logischen Prozeß an Sankt Sanchos Verhältnis zum Heiligen zu verdeutlichen, da dies die vorherrschende Formel ist, und bemerken nebenbei, daß "das Fremde" auch als "das Bestehende" (per appos[itionem]), das, was ohne Mich besteht, das unabhängig von Mir Bestehende, per appos., das durch Meine Unselbständigkeit Selbständige gefaßt wird, so daß Sankt Sancho also Alles, was unabhängig von ihm besteht, z.B. den Blocksberg, als das Heilige schildern kann.
Weil das Heilige etwas Fremdes ist, wird jedes Fremde in das Heilige, weil jedes Heilige ein Band, eine Fessel ist, wird jedes Band, jede Fessel in das Heilige verwandelt. Hiermit hat Sankt Sancho schon das gewonnen, daß ihm alles Fremde zu einem bloßen Scheine, einer bloßen Vorstellung wird, von der er sich einfach dadurch befreit, daß er gegen sie protestiert und erklärt, daß er diese Vorstellung nicht habe. Gerade wie wir beim mit sich uneinigen Egoisten sahen, daß die Menschen bloß ihr Bewußtsein zu ändern haben, um Alles in der Welt all right zu machen.
Unsere ganze Darstellung hat gezeigt, wie Sankt Sancho alle wirklichen Verhältnisse dadurch kritisiert, daß er sie für "das Heilige" erklärt, und sie dadurch bekämpft, daß er seine heilige Vorstellung von ihnen bekämpft. Dies einfache Kunststück, Alles in das Heilige zu verwandeln, kam, wie wir schon oben weitläuftig sahen, dadurch zustande, daß Jacques le bonhomme die Illusionen der Philosophie auf guten Glauben akzeptierte, den ideologischen, spekulativen Ausdruck der Wirklichkeit, getrennt von seiner empirischen Basis, für die Wirklichkeit selber nahm, ebenso die Illusionen der Klein[bürger über] die Bourgeoisie für das "[heilige Wesen" der] Bourgeoisie versah und daher sich einbilden konnte, es nur mit Gedanken und Vorstellungen zu tun zu haben. Nicht minder leicht verwandelten sich auch die Menschen in "Heilige"', indem sie, nachdem ihre Gedanken von ihnen und ihren empirischen Verhältnissen getrennt waren, nun als bloße Gefäße dieser Gedanken gefaßt werden konnten und so z.B. aus dem Bourgeois der heilige Liberale gemacht wurde.
Die positive Beziehung des in letzter Instanz [gläubigen Sancho] zum Heiligen ([von ihm] Respekt genannt), figuriert auch [unter dem] Namen "Liebe". "Liebe" [heißt das] anerkennende Verhältnis zu "dem [Menschen",]
Heiligen, Ideal, höheren Wesen, oder ein solches menschliches, heiliges, ideales, wesentliches Verhältnis. Was also sonst als Dasein des Heiligen ausgedrückt wird, z.B. Staat, Gefängnisse, Tortur, Polizei, Handel und Wandel pp., kann von Sancho auch als "anderes Beispiel" der "Liebe" gefaßt werden. Diese neue Nomenklatur befähigt ihn, neue Kapitel über das zu machen, was er schon unter der Firma des Heiligen und des Respekts perhorresziert hat. Es ist die alte Geschichte von den Ziegen der Schäferin Torralva in ihrer heiligen Gestalt, womit er, wie damals seinen Herrn, jetzt sich und das Publikum das ganze Buch durch an der Nase herumführt, ohne sie indes so geistreich abzubrechen wie vorzeiten, da er noch profaner Schildknapp war. Überhaupt hat Sancho seit seiner Kanonisation allen seinen ursprünglichen Mutterwitz verloren.
Die erste Schwierigkeit scheint dadurch hereinzukommen, daß dies Heilige in sich sehr verschieden ist und so auch bei der Kritik eines bestimmten Heiligen die Heiligkeit außer Augen gesetzt und der bestimmte Inhalt selbst kritisiert werden müßte. Sankt Sancho umgeht diese Klippe dadurch, daß er alles Bestimmte nur als Ein "Beispiel" des Heiligen anführt; gerade wie es in der Hegelschen Logik gleichgültig ist, ob zur Erläuterung des "Fürsichseins" das Atom oder die Person, als Beispiel der Attraktion das Sonnensystem, der Magnetismus oder die Geschlechtsliebe angeführt wird. Wenn "das Buch" von Beispielen wimmelt, so ist das also keineswegs zufällig, sondern im innersten Wesen der darin vor sich gehenden Entwicklungsmethode begründet. Es ist die "einzige" Möglichkeit für Sankt Sancho, einen Schein von Inhalt hereinzubringen, wie dies schon bei Cervantes prototypisch sich findet, da Sancho ebenfalls stets in Beispielen redet. So kann Sancho denn sagen: "Ein anderes Beispiel des Heiligen" (Uninteressanten) "ist die Arbeit." Er konnte fortfahren: ein anderes Beispiel ist der Staat, ein anderes Beispiel ist die Familie, ein anderes Beispiel die Grundrente, ein anderes Beispiel St. Jacobus (Saint-Jacques, le bonhomme), ein anderes Beispiel die heilige Ursula und ihre elftausend Jungfrauen. Alle diese Dinge haben nun zwar in seiner Vorstellung das gemein, daß sie "das Heilige" sind. Aber sie sind zugleich total voneinander verschiedene Dinge, und eben das macht ihre Bestimmtheit aus. [Soweit über] sie in ihrer Bestimmtheit [gesprochen] wird, wird über sie, insofern [sie nicht "]das Heilige" sind, gesprochen.
[Die Arbeit is]t nicht die Grundrente, und [die Grundrente] ist nicht der Staat; [es kommt] also darauf an, zu bestimmen, [inwiefern] Staat, Grundrente, Arbeit sind, abge[sehen von] ihrer vorgestellten Heilig[keit, und San]kt Max macht das nun so: [Er tut, als] spräche er vom Staat, [der Arbeit] etc.,
bezeichnet dann ["den" Staat] als die Wirklichkeit irgend[einer Ide]e, der Liebe, des Füreinan[derseins, d]es Bestehenden, des über die [Einzelnen] Mächtigen und, vermittelst [eines Gedan]kenstrichs - "des Heiligen", [was er von vornherein hätte sagen [können]. Oder über die Arbeit wird [gesagt, si]e gelte als Lebensaufgabe, Be[ruf, B]estimmung - "das Heilige". D.h., Staat und Arbeit werden erst unter eine schon vorher in derselben Weise zurechtgemachte, besondere Art des Heiligen subsumiert und dies besondre Heilige dann wieder in das allgemeine "Heilige" aufgelöst; was Alles geschehen kann, ohne über die Arbeit und den Staat irgend etwas zu sagen. Derselbe ausgekaute Kohl kann nun bei jeder Gelegenheit wiedergekäut werden, indem Alles, was scheinbar der Gegenstand der Kritik ist, unsrem Sancho nur zum Vorwande dient, die abstrakten Ideen und in Subjekte verwandelten Prädikate (die nichts andres sind als das assortierte Heilige und von denen stets ein hinreichendes Lager gehalten wird) für das zu erklären, wozu sie schon im Anfange gemacht waren, für das Heilige. Er hat in der Tat Alles auf den erschöpfenden, klassischen Ausdruck reduziert, wenn er von ihm ausgesagt hat, daß es "ein anderes Beispiel des Heiligen" sei. Die Bestimmungen, die vom Hörensagen hereinkommen und sich auf den Inhalt beziehen sollen, sind ganz überflüssig, und bei ihrer näheren Betrachtung ergibt sich dann auch, daß sie weder eine Bestimmung noch einen Inhalt hereinbringen und sich auf unwissende Abgeschmacktheiten reduzieren. Diese wohlfeile "Virtuosität im Denken", von der nicht zu sagen wäre, mit welchem Gegenstande sie nicht fertig ist, schon ehe sie ihn kennt, kann sich natürlich Jeder, nicht wie vorher in zehn, sondern in fünf Minuten aneignen. Sankt Sancho bedroht uns im Kommentar mit "Abhandlungen" über Feuerbach, den Sozialismus, die bürgerliche Gesellschaft und das Heilige weiß worüber noch sonst Alles. Diese Abhandlungen können schon vorläufig hier auf ihren einfachsten Ausdruck folgendermaßen reduziert werden:
Erste Abhandlung: Ein anderes Beispiel des Heiligen ist Feuerbach.
Zweite Abhandlung: Ein anderes Beispiel des Heiligen ist der Sozialismus.
Dritte Abhandlung: Ein anderes Beispiel des Heiligen ist die bürgerliche Gesellschaft.
Vierte Abhandlung: Ein anderes Beispiel des Heiligen ist die verstirnerte "Abhandlung".
usw. in infinitum <ins Unendliche>.
Die zweite Klippe, woran Sankt Sancho bei einiger Überlegung notwendig scheitern mußte, ist seine eigne Behauptung, daß jedes Individuum ein
von allen Andern total verschiedenes, einziges ist. Da jedes Individuum ein durchaus Andres, also das Andere ist, so braucht das, was für das Eine Individuum ein Fremdes, Heiliges ist, es keineswegs für das andre Individuum zu sein, kann es sogar nicht sein. Und der gemeinsame Name, wie Staat, Religion, Sittlichkeit etc. darf uns nicht täuschen, da diese Namen nur Abstraktionen von dem wirklichen Verhalten der einzelnen Individuen sind und diese Gegenstände durch das total verschiedene Verhalten der einzigen Individuen gegen sie für jedes derselben einzige Gegenstände werden, also total verschiedene Gegenstände, die nur den Namen miteinander gemein haben. Sankt Sancho hätte also höchstens sagen dürfen: Der Staat, die Religion pp. sind Mir, Sankt Sancho, das Fremde, das Heilige. Statt dessen müssen sie bei ihm absolut Heilige, das für alle Individuen Heilige sein - wie hätte er sonst auch sein konstruiertes Ich, seinen mit sich einigen Egoisten etc. fabrizieren, wie hätte er sonst überhaupt sein ganzes "Buch" schreiben können. Wie wenig ihm überhaupt einfällt, jeden "Einzigen" zum Maßstab seiner eignen "Einzigkeit" zu machen, wie sehr er seine "Einzigkeit" als Maßstab, als moralische Norm an alle andern Individuen legt und sie als echter Moralist in sein Prokrustesbett wirft, geht schon unter anderm aus seinem Urteil über den selig verschollenen Klopstock hervor. Diesem hält er die sittliche Maxime entgegen: er hätte sich "ganz eigen gegen die Religion verhalten" sollen, wo er dann nicht, wie der richtige Schluß wäre (ein Schluß, den "Stirner" unzählige Male, z.B. beim Geld, selbst macht), eine eigne Religion, sondern eine "Auflösung und Verzehrung der Religion" (p 85), ein allgemeines statt eines eignen, einzigen Resultats erhalten hätte. Und als ob Klopstock nicht auch "Auflösung und Verzehrung der Religion" erhalten hätte, und zwar eine ganz eigne, einzige Auflösung, wie sie nur dieser einzige Klopstock "prästieren" konnte, eine Auflösung, deren Einzigkeit "Stirner" schon aus den vielen mißlungenen Nachahmungen ersehen konnte. Klopstocks Verhalten zur Religion soll kein "eignes" gewesen sein, obgleich es ein ganz eigentümliches, und zwar ein den Klopstock zum Klopstock machendes Verhalten zur Religion war. "Eigen" würde er sich erst zu ihr verhalten haben, wenn er sich nicht als Klopstock, sondern als moderner deutscher Philosoph zu ihr verhalten hätte.
Der "Egoist im gewöhnlichen Verstande", der nicht so folgsam ist wie Szeliga und schon oben allerlei Einwendungen zu machen hatte, wirft unsrem Heiligen hier folgendes ein: Ich gehe hier in der Wirklichkeit, und das weiß ich sehr wohl - rien pour la gloire <nicht um des Ruhmes willen> - auf meinen Vorteil, auf weiter Nichts
aus. Außerdem macht es mir Spaß, mir auch noch Vorteil im Himmel, mich unsterblich zu denken. Soll ich diese egoistische Vorstellung aufopfern dem bloßen Bewußtsein des mit sich einigen Egoismus, das mir keinen Pfennig einbringt, zuliebe? Die Philosophen sagen mir: Das sei unmenschlich. Was schert das mich? Bin ich nicht ein Mensch? Ist nicht Alles Menschlich, was ich tue und weil ich's tue, und kümmert's mich überhaupt, wie "Andre" meine Handlungen "rubrizieren"? Du, Sancho, der Du zwar auch ein Philosoph, aber ein bankrutter Philosoph bist und schon wegen Deiner Philosophie keinen pekuniären und wegen deines Bankrutts keinen Gedankenkredit verdienst, sagst mir, ich verhalte mich nicht eigen zur Religion. Du sagst mir also dasselbe, was die andern Philosophen sagen, nur daß es bei Dir, wie gewöhnlich, allen Sinn verliert, indem Du "eigen" nennst, was sie "menschlich" nennen. Könntest Du sonst von einer andern Eigenheit als von Deiner eignen sprechen und das eigne Verhalten wieder in ein allgemeines verwandeln? Ich verhalte mich, wenn Du willst, auch in meiner Weise kritisch zur Religion. Einmal zaudre ich gar nicht, sie aufzuopfern, sobald sie in meinen Commerce <Handel> störend eingreifen will, dann dient es mir in meinen Geschäften, wenn ich für religiös gelte (wie es meinem Proletarier dient, wenn er den Kuchen, den ich hier esse, wenigstens im Himmel ißt), und endlich mache ich den Himmel zu meinem Eigentum. Er ist une propriété ajoutée à la propriété <ein zum Eigentum hizugefügtes Eigentum>, obgleich schon Montesquieu, der doch ein ganz andrer Kerl war als Du, mir weismachen wollte, er sei une terreur ajoutée à la terreur <ein zum Schrecken hinzugefügter Schrecken>. Wie ich mich zu ihm verhalte, so verhält sich kein andrer zu ihm, und durch dies einzige Verhältnis, welches ich mit ihm kontrahiere, ist er ein einziger Gegenstand, ein einziger Himmel. Du kritisierst also höchstens Deine Vorstellung von meinem Himmel, nicht meinen Himmel. Und nun gar die Unsterblichkeit! Da wirst Du mir lächerlich. Ich verleugne meinen Egoismus, wie Du den Philosophen zulieb behauptest, weil ich ihn verewige und die Natur- und Denkgesetze für null und nichtig erkläre, sobald sie Meiner Existenz eine Bestimmung, die nicht von mir selbst produziert, mir höchst unangenehm ist, nämlich den Tod, setzen wollen. Du nennst die Unsterblichkeit eine "leidige Stabilität" - als ob ich nicht fortwährend ein "bewegtes" Leben führen könnte, solange im Diesseits oder Jenseits der Handel gut geht und ich in andern Dingen als Deinem "Buch" machen kann. Und was kann "stabiler" sein als der Tod, der meiner Bewegung wider meinen Willen ein Ende macht und mich in das Allgemeine, die Natur, die Gattung, in das - Heilige versenkt? Und nun gar
Staat, Gesetz, Polizei! Die mögen für manches "Ich" als fremde Mächte erscheinen; ich weiß, daß sie meine eignen Mächte sind. Übrigens - und hiermit kehrt der Bourgeois, diesmal mit gnädigem Kopfnicken, unsrem Heiligen wieder den Rücken - poltre meinetwegen nur fort gegen Religion, Himmel, Gott u. dgl. Ich weiß doch, daß Du in Allem, was in meinem Interesse liegt, Privateigentum, Wert, Preis, Geld, Kauf und Verkauf, immer das "Eigne" siehst.
Wir haben eben gesehen, wie die Individuen unter sich verschieden sind. Jedes Individuum ist aber wieder in sich selbst verschieden. So kann Sankt Sancho, indem er sich in irgendeiner dieser Eigenschaften reflektiert, d.h. sich als "Ich" in einer dieser Bestimmtheiten faßt, bestimmt, den Gegenstand der andern Eigenschaften und diese andern Eigenschaften selbst als das Fremde, das Heilige bestimmen, und so der Reihe nach mit allen seinen Eigenschaften. So z.B. was Gegenstand für sein Fleisch, ist das Heilige für seinen Geist, oder was Gegenstand für sein Bedürfnis des Ausruhens, ist das Heilige für sein Bedürfnis der Bewegung. Auf diesen, Kunstgriff beruht seine obige Verwandlung alles Tuns und Nichttuns in Selbstverleugnung. Übrigens ist sein Ich kein wirkliches Ich, sondern nur das Ich der obigen Gleichungen, dasselbe Ich, das in der formellen Logik bei der Lehre von den Urteilen als Cajus figuriert.
"Ein anderes Beispiel", nämlich ein allgemeineres Beispiel von der Kanonisation der Welt ist die Verwandlung praktischer Kollisionen, d.h. Kollisionen der Individuen mit ihren praktischen Lebensbedingungen, in ideelle Kollisionen, d.h. in Kollisionen dieser Individuen mit Vorstellungen, die sie sich machen oder sich in den Kopf setzen. Dies Kunststück ist wieder sehr einfach. Wie Sankt Sancho früher schon die Gedanken der Individuen verselbständigte, so trennt er hier das ideelle Spiegelbild der wirklichen Kollisionen von diesen Kollisionen und verselbständigt es. Die wirklichen Widersprüche, in denen sich das Individuum befindet, werden verwandelt in Widersprüche des Individuums mit seiner Vorstellung, oder, wie Sankt Sancho es auch einfacher ausdrückt, mit der Vorstellung, dem Heiligen. Hierdurch bringt er es zustande, die wirkliche Kollision, das Urbild ihres ideellen Abbildes, in eine Konsequenz dieses ideologischen Scheins zu verwandeln. So kommt er zu dem Resultat, daß es sich nicht um praktische Aufhebung der praktischen Kollision, sondern bloß um das Aufgeben der Vorstellung von dieser Kollision handelt, ein Aufgeben, wozu er die Menschen als guter Moralist dringend auffordert.
Nachdem Sankt Sancho so die sämtlichen Widersprüche und Kollisionen, in denen sich ein Individuum befindet, in bloße Widersprüche und Kolli-
sionen dieses Individuums mit einer seiner Vorstellungen verwandelt hat, die sich von ihm unabhängig gemacht und es sich unterworfen hat, daher sich "leicht" in die Vorstellung, die heilige Vorstellung, das Heilige verwandelt, bleibt also dem Individuum nur noch das Eine zu tun übrig, daß es die Sünde wider den heiligen Geist begehe, von dieser Vorstellung abstrahiert und das Heilige für ein Gespenst erklärt. Diese logische Prellerei, welche das Individuum mit sich selbst vornimmt, gilt unsrem Heiligen für einen der höchsten Efforts des Egoisten. Andrerseits wird aber Jeder einsehen, wie leicht es ist, auf diese Weise alle vorkommenden geschichtlichen Konflikte und Bewegungen vom egoistischen Standpunkte aus für untergeordnet zu erklären, ohne etwas von ihnen zu wissen, indem man nämlich nur einige der dabei vorkommenden Redensarten herauszunehmen, auf die angegebne Weise in "das Heilige" zu verwandeln, die Individuen als unterjocht von diesem Heiligen darzustellen und sich dann als Verächter "des Heiligen als solchen" auch hiergegen geltend zu machen hat.
Eine weitere Verzweigung dieses logischen Kunststücks, und zwar das Lieblingsmanöver unsres Heiligen, ist die Exploitation der Worte Bestimmung, Beruf, Aufgabe pp., wodurch es ihm unendlich erleichtert wird, Alles Beliebige in das Heilige zu verwandeln. Im Beruf, Bestimmung, Aufgabe pp. erscheint nämlich das Individuum in seiner eignen Vorstellung als ein Anderes, als was es wirklich ist, als das Fremde, also das Heilige, und macht seine Vorstellung von dem, was es sein soll, als das Berechtigte, das Ideale, das Heilige, seinem wirklichen Sein gegenüber geltend. So kann Sankt Sancho, wo es ihm darauf ankommt, durch folgende Appositionsreihe Alles in das Heilige verwandeln: Sich bestimmen, d.h. sich eine Bestimmung (setze hier einen beliebigen Inhalt herein) setzen, sich die Bestimmung als solche setzen, sich die heilige Bestimmung setzen, sich die Bestimmung als das Heilige, d.h. das Heilige als die Bestimmung setzen. Oder: Bestimmt sein, d.h. eine Bestimmung haben, die Bestimmung haben, die heilige Bestimmung, die Bestimmung als das Heilige, das Heilige als die Bestimmung, das Heilige zur Bestimmung, die Bestimmung des Heiligen haben.
Jetzt braucht er natürlich nichts mehr zu tun, als die Menschen kräftiglich au vermahnen, sich die Bestimmung der Bestimmungslosigkeit, den Beruf der Berufslosigkeit, die Aufgabe der Aufgabenlosigkeit zu setzen - obgleich er im ganzen "Buche" "bis hinab zum" Kommentar Nichts tut, als den Menschen lauter Bestimmungen zu setzen, Aufgaben zu stellen und sie als Prediger in der Wüste zum Evangelium des wahren Egoismus zu berufen, von dem es allerdings heißt: Alle sind berufen, aber nur Einer - O'Connell - ist auserwählt.
Wir sahen bereits oben, wie Sankt Sancho die Vorstellungen der Individuen von ihren Lebensverhältnissen, ihren praktischen Kollisionen und Widersprüchen trennt, um sie dann in das Heilige zu verwandeln. Hier nun erscheinen diese Vorstellungen in der Form der Bestimmung, des Berufs, der Aufgabe. Der Beruf hat bei Sankt Sancho eine doppelte Gestalt; zuerst als Beruf, den Mir Andre setzen, wovon wir schon oben bei den Zeitungen, die von Politik strotzen, und bei den Gefängnissen, die unser Heiliger für Sittenverbesserungshäuser versah, Exempel hatten (60). Sodann erscheint der Beruf noch als ein Beruf, an den das Individuum selber glaubt. Wenn das Ich aus allen seinen empirischen Lebensverhältnissen, aus seiner Tätigkeit, seinen Existenzbedingungen losgerissen, von der ihm zugrunde liegenden Welt und von seinem eignen Leib getrennt wird, so hat es freilich keinen andern Beruf und keine andre Bestimmung als den Cajus der logischen Urteile zu repräsentieren und Sankt Sancho zu den obigen Gleichungen zu verhelfen. In der Wirklichkeit dagegen, wo die Individuen Bedürfnisse haben, haben sie schon hierdurch einen Beruf und eine Aufgabe, wobei es zunächst noch gleichgültig ist, ob sie diesen auch in der Vorstellung zu ihrem Beruf machen. Es versteht sich indes, daß die Individuen, weil sie Bewußtsein haben, sich von diesem ihnen durch ihr empirisches Dasein gegebenen Beruf auch eine Vorstellung machen und dadurch Sankt Sancho Gelegenheit bieten, sich an das Wort "Beruf", an den Vorstellungsausdruck ihrer wirklichen Lebensbedingungen festzuklammern und diese Lebensbedingungen selbst außer Augen zu lassen. Der Proletarier z.B., der den Beruf hat, seine Bedürfnisse zu befriedigen, wie jeder andre Mensch, und der nicht einmal die ihm mit jedem andern Menschen gemeinsamen Bedürfnisse befriedigen kann, den die Notwendigkeit einer vierzehnstündigen Arbeit zu gleicher Stufe mit dem Lasttier, den die Konkurrenz zu einer Sache, einem Handelsartikel herabdrückt, der aus seiner Stellung als bloße Produktivkraft, der einzigen, die ihm übrig gelassen, durch andre gewaltigere Produktivkräfte verdrängt wird - dieser Proletarier hat schon hierdurch die wirkliche Aufgabe, seine Verhältnisse zu revolutionieren. Er kann sich dies allerdings als seinen "Beruf" vorstellen, er kann auch, wenn er Propaganda machen will, diesen seinen "Beruf" so ausdrücken, daß es der menschliche Beruf des Proletariers sei, dies und jenes zu tun, um so mehr, da seine Stellung ihm nicht einmal die Befriedigung der aus seiner unmittel-
baren menschlichen Natur hervorgehenden Bedürfnisse gestattet. Sankt Sancho kümmert ich nicht um die dieser Vorstellung zugrunde liegende Realität, nicht um den praktischen Zweck dieses Proletariers - er hält fest an dem Wort "Beruf" und erklärt ihn für das Heilige und den Proletarier für einen Knecht des Heiligen - die leichteste Manier, sich überlegen zu wissen und "weiterzugeben".
Namentlich unter den bisherigen Verhältnissen, wo immer eine Klasse herrschte, wo die Lebensbedingungen eines Individuums stets mit denen einer Klasse zusammenfielen, wo also die praktische Aufgabe jeder neu aufkommenden Klasse jedem Individuum derselben als eine allgemeine Aufgabe erscheinen mußte und wo wirklich jede Klasse nur dadurch ihre Vorgängerin stürzen konnte, daß sie die Individuen aller Klassen von einzelnen bisherigen Fesseln befreite - namentlich unter diesen Umständen war es notwendig, daß die Aufgabe der Individuen einer zur Herrschaft strebenden Klasse als die allgemein menschliche Aufgabe dargestellt wurde.
Wenn übrigens z.B. der Bourgeois dem Proletarier vorhält, Er, Proletarier, habe die menschliche Aufgabe, vierzehn Stunden täglich zu arbeiten, so hat der Proletarier ganz recht, in derselben Sprache zu antworten: seine Aufgabe sei vielmehr, das ganze Bourgeoisrégime zu stürzen.
Wir haben schon zu wiederholten Malen gesehen, wie Sankt Sancho eine ganze Reihe von Aufgaben stellt, die sich alle in die schließliche, für alle Menschen existierende Aufgabe des wahren Egoismus auflösen. Aber selbst da, wo er nicht reflektiert, sich nicht als Schöpfer und Geschöpf weiß, bringt er es vermöge der folgenden lumpigen Distinktion zu einer Aufgabe:
p. 466: "Ob Du Dich mit dem Denken des weiteren befassen willst, das kommt auf Dich an. Wenn Du es im Denken zu etwas Erheblichem bringen willst, so" (fangen die Bedingungen und Bestimmungen für Dich an) "so - - - hat also, wer denken will, allerdings eine Aufgabe, die er sich mit jenem Willen bewußt oder unbewußt setzt; aber die Aufgabe zu denken hat Keiner."
Zunächst abgesehen von dem sonstigen Inhalt dieses Satzes, ist er schon insofern selbst von Sankt Sanchos Standpunkt aus unrichtig, als der mit sich einige Egoist allerdings, er mag wollen oder nicht, die "Aufgabe" hat zu denken. Er muß denken, einerseits, um das nur durch den Geist, das Denken, zu bändigende Fleisch im Zaum zu halten, und andererseits, um seine Reflexionsbestimmung als Schöpfer und Geschöpf erfüllen zu können. Er stellt daher auch die "Aufgabe" des Sichselbsterkennens an die ganze Welt von betrogenen Egoisten - eine "Aufgabe", die ohne Denken wohl nicht auszuführen sein wird.
Um nun diesen Satz aus der Form der lumpigen Distinktion heraus in
eine logische Form zu bringen, ist zuerst das "Erhebliche" wegzuschaffen. Für jeden Menschen ist das "Erhebliche", wozu er es im Denken bringen will, ein verschiedenes, je nach seiner Bildungsstufe, seinen Lebensverhältnissen und seinem augenblicklichen Zweck. Sankt Max gibt uns hier also gar kein festes Kriterium dafür, wann die Aufgabe, die man sich mit dem Denken stellt, anfängt, wie weit man denken kann, ohne sich eine Aufgabe zu stellen - er beschränkt sich auf den relativen Ausdruck "erheblich". "Erheblich" ist mir aber Alles, was mich zum Denken sollizitiert, "erheblich" Alles, worüber ich denke. Daher muß es statt: Wenn Du es im Denken zu etwas Erheblichem bringen willst, heißen: Wenn Du überhaupt denken willst. Dies hängt aber gar nicht von Deinem Wollen oder Nichtwollen ab, da Du Bewußtsein hast und Deine Bedürfnisse nur durch eine Tätigkeit befriedigen kannst, bei der Du auch Dein Bewußtsein anwenden mußt. Ferner muß die hypothetische Form weggeschafft werden. "Wenn Du denken willst" - so stellst Du Dir von vornherein die "Aufgabe" zu denken; diesen tautologischen Satz brauchte Sankt Sancho nicht so pomphaft auszuposaunen. Der ganze Satz war überhaupt nur in diese Form der lumpigen Distinktion und pomphaften Tautologie gehüllt, um den Inhalt zu verdecken: Als Bestimmter, Wirklicher hast Du eine Bestimmung, eine Aufgabe, Du magst ein Bewußtsein darüber haben oder nicht (61). Sie geht aus Deinem Bedürfnis und seinem Zusammenhang mit der vorhandenen Welt hervor. Die eigentliche Weisheit Sanchos besteht nun darin, daß es von Deinem Willen abhängt, ob Du denkst, lebst etc., überhaupt in irgendeiner Bestimmtheit bist. Sonst, fürchtet er, würde die Bestimmung aufhören, Deine Selbstbestimmung zu sein. Wenn Du Dein Selbst mit Deiner Reflexion oder nach Bedürfnis mit Deinem Willen identifizierst, so versteht es sich von selbst, daß in dieser Abstraktion Alles nicht Selbstbestimmung ist, was nicht durch Deine Reflexion oder Deinen Willen gesetzt ist, also auch z.B. Dein Atmen, die Zirkulation Deines Blutes, Denken, Leben pp. Bei Sankt Sancho besteht aber die Selbstbestimmung nicht einmal im Willen, sondern, wie wir beim wahren Egoisten schon sahen, in der reservatio mentalis <dem (geheimen) geistigen Vorbehalt> der Gleichgültigkeit gegen jede Bestimmtheit, eine Gleichgültigkeit, die hier als Bestimmungslosigkeit wiederkehrt. In seiner "eignen"
Appositionsreihe würde sich das so ausnehmen: Jedem wirklichen Bestimmen gegenüber setzt er sich die Bestimmungslosigkeit als Bestimmung, unterscheidet von sich in jedem Momente den Bestimmungslosen, ist so in jedem Momente auch ein Anderer, als er ist, eine dritte Person, und zwar der Andere schlechthin, der heilige Andere, der jeder Einzigkeit gegenüberstehende Andere, der Bestimmungslose, der Allgemeine, der Gemeine, der - Lump.
Rettet Sankt Sancho sich vor der Bestimmung durch den Sprung in die Bestimmungslosigkeit (selbst eine Bestimmung, und zwar die allerschlechteste), so ist der praktische, moralische Gehalt dieses ganzen Kunststücks, abgesehen von dem schon oben beim wahren Egoisten Entwickelten, nur die Apologie des in der bisherigen Welt jedem Individuum aufgedrungenen Berufs. Machen z.B. die Arbeiter in ihrer kommunistischen Propaganda geltend, es sei Beruf, Bestimmung, Aufgabe jedes Menschen, sich vielseitig, alle seine Anlagen zu entwickeln, z.B. auch die Anlage des Denkens, so sieht Sankt Sancho hierin nur den Beruf zu einem Fremden, die Geltendmachung "des Heiligen", wovon er dadurch zu befreien sucht, daß er das Individuum, wie es auf Kosten seiner selbst durch die Teilung der Arbeit zerstümmelt und unter einen einseitigen Beruf subsumiert worden ist, gegen sein eignes, ihm als Beruf von Andern ausgesprochenes Bedürfnis, anders zu werden, in Schutz nimmt. Was hier unter der Form eines Berufs, einer Bestimmung geltend gemacht wird, ist eben die Verneinung des durch die Teilung der Arbeit bisher praktisch erzeugten Berufs, des einzig wirklich existierenden Berufs - also die Verneinung des Berufs überhaupt. Die allseitige Verwirklichung des Individuums wird erst dann aufhören, als Ideal, als Beruf pp. vorgestellt zu werden, wenn der Weltanstoß, der die Anlagen der Individuen zur wirklichen Entwicklung sollizitiert, unter die Kontrolle der Individuen genommen ist, wie dies die Kommunisten wollen.
Schließlich hat das ganze Gekohl über den Beruf in der egoistischen Logik wieder den Beruf, die Hineinschauung des Heiligen in die Dinge möglich zu machen und zu ihrer Vernichtung zu befähigen, ohne daß man sie zu berühren braucht. Also z.B. Arbeit, Geschäftsleben pp. gelten Diesem oder Jenem für seinen Beruf. Damit werden sie die heilige Arbeit, das heilige Geschäftsleben, das Heilige. Dem wahren Egoisten gelten sie nicht als Beruf; damit hat er die heilige Arbeit und das heilige Geschäftsleben aufgelöst. Damit bleiben sie, was sie sind, und er, was er war. Es fällt ihm nicht ein zu untersuchen, ob Arbeit, Geschäftsleben pp., diese Daseinsweisen der Individuen, ihrem wirklichen Inhalt und Prozeß nach nicht notwendig zu den ideologischen Vorstellungen führen, die er als selbständige Wesen bekämpft, d.h. bei ihm: kanonisiert.
Gerade wie Sankt Sancho den Kommunismus kanonisiert, um seine heilige Vorstellung von ihm nachher im Verein als "eigne" Erfindung desto besser an den Mann zu bringen, geradeso poltert er gegen "Beruf, Bestimmung, Aufgabe" nur, um sie als kategorischen Imperativ in seinem ganzen Buche zu reproduzieren. Überall wo Schwierigkeiten entstehen, durchhaut Sancho sie mit einem solchen kategorischen Imperativ: "Verwerte Dich", "Erkennet Euch wieder", "Werde Jeder ein allmächtiges Ich" usw. Über den kategorischen Imperativ siehe den "Verein", über "Beruf" usw. siehe den "Selbstgenuß".
Wir haben jetzt die hauptsächlichsten logischen Kunststücke aufgezeigt, vermittelst deren Sankt Sancho die bestehende Welt kanonisiert und damit kritisiert und verzehrt. Er verzehrt wirklich nur das Heilige an der Welt, ohne sie selbst nur anzurühren. Daß er sich daher praktisch ganz konservativ verhalten muß, versteht sich von selbst. Wollte er kritisieren, so finge die profane Kritik gerade da an, wo der etwaige Heiligenschein aufhört. Je mehr die normale Verkehrsform der Gesellschaft und damit die Bedingungen der herrschenden Klasse ihren Gegensatz gegen die fortgeschrittenen Produktivkräfte entwickeln, je größer daher der Zwiespalt in der herrschenden Klasse selbst und mit der beherrschten Klasse wird, desto unwahrer wird natürlich das dieser Verkehrsform ursprünglich entsprechende Bewußtsein, d.h., es hört auf, das ihr entsprechende Bewußtsein zu sein, desto mehr sinken die früheren überlieferten Vorstellungen dieser Verkehrsverhältnisse, worin die wirklichen persönlichen Interessen ppp. als allgemeine ausgesprochen werden, zu bloß idealisierenden Phrasen, zur bewußten Illusion, zur absichtlichen Heuchelei herab. Je mehr sie aber durch das Leben Lügen gestraft werden und je weniger sie dem Bewußtsein selbst gelten, desto entschiedner werden sie geltend gemacht, desto heuchlerischer, moralischer und heiliger wird die Sprache dieser normalen Gesellschaft. Je heuchlerischer diese Gesellschaft wird, desto leichter ist es einem leichtgläubigen Mann wie Sancho, überall die Vorstellung des Heiligen, des Idealen zu entdecken. Aus der allgemeinen Heuchelei der Gesellschaft kann er, der Leichtgläubige, den allgemeinen Glauben an das Heilige, die Herrschaft des Heiligen, abstrahieren und dies Heilige sogar für ihr Piedestal versehen. Er ist der Dupe <Betrogene> dieser Heuchelei, aus der er gerade das Umgekehrte hätte schließen sollen.
Die Welt des Heiligen faßt sich in letzter Instanz zusammen in "dem Menschen". Wie wir schon im ganzen Alten Testament sahen, legt er "den Menschen" der ganzen bisherigen Geschichte als tätiges Subjekt unter; im
Neuen Testament dehnt er diese Herrschaft "des Menschen" auf die ganze vorhandene, gegenwärtige physische und geistige Welt, wie auf die Eigenschaften der jetzt existierenden Individuen aus. Alles ist "des Menschen", und somit die Welt in "die Welt des Menschen" verwandelt. Das Heilige als Person ist "der Mensch", der bei ihm nur ein anderer Name für den Begriff, die Idee ist. Die von den wirklichen Dingen getrennten Vorstellungen und Ideen der Menschen müssen natürlich auch nicht die wirklichen Individuen, sondern das Individuum der philosophischen Vorstellung, das von seiner Wirklichkeit getrennte, bloß gedachte Individuum, "den Menschen" als solchen, den Begriff des Menschen zu ihrer Grundlage haben. Darin vollendet sich sein Glaube an die Philosophie.
Jetzt, nachdem Alles in "das Heilige" oder in das, was "des Menschen" ist, verwandelt ist, kann unser Heiliger dadurch zur Aneignung weitergehen, daß er die Vorstellung vom "Heiligen" oder vom "Menschen" als einer über ihm stehenden Macht aufgibt. Dadurch, daß das Fremde in das Heilige, in eine bloße Vorstellung, verwandelt worden ist, ist natürlich diese Vorstellung von dem Fremden, die er für das wirkliche Fremde versieht, sein Eigentum. Die Grundformeln zur Aneignung der Welt des Menschen (die Manier, wie das Ich nun Besitz von der Welt ergreift, nachdem es keinen Respekt mehr vor dem Heiligen hat) liegen schon in den obigen Gleichungen.
Herr über seine Eigenschaften ist Sankt Sancho, wie wir sahen, bereits als mit sich einiger Egoist. Um Herr über die Welt zu werden, hat er nichts zu tun, als sie zu seiner Eigenschaft zu machen. Die einfachste Weise, dies zu tun, ist, daß er die Eigenschaft "des Menschen" mit dem ganzen Unsinn, der darin liegt, direkt als seine Eigenschaft ausspricht. So vindiziert er sich z.B. als die Eigenschaft des Ich den Unsinn der allgemeinen Menschenliebe, indem er behauptet, "Jeden" zu lieben (p. 387), und zwar mit dem Bewußtsein des Egoismus, weil "die Liebe ihn glücklich macht". Wer ein so glückliches Naturell hat, der gehört freilich zu denen, von welchen es heißt: Wehe Euch, so Ihr Einein dieser Kleinen ärgert!
Die zweite Methode ist die, daß Sankt Sancho Etwas als seine Eigenschaft konservieren will, während er dasselbe, wenn es ihm ganz notwendig als Verhältnis erscheint, in ein Verhältnis, eine Daseinsweise "des Menschen", ein heiliges Verhältnis verwandelt und damit zurückstößt. Dies tut Sankt Sancho selbst da, wo die Eigenschaft, getrennt von dem Verhältnis, durch welches sie realisiert wird, sich in reinen Unsinn auflöst. So will er z.B. p. 322 Nationalstolz beibehalten, indem er "die Nationalität für seine Eigenschaft, die Nation für seine Eignerin und Herrin erklärt". Er könnte fortfahren: Die Religiosität ist Meine Eigenschaft, sie aufzugeben als Meine
Eigenschaft, das sei ferne von Mir - die Religion ist Meine Herrin, das Heilige. Die Familienliebe ist Meine Eigenschaft, die Familie Meine Herrin. Die Rechtlichkeit ist Meine Eigenschaft, das Recht Mein Herr, das Politisieren ist Meine Eigenschaft, der Staat Mein Herr.
Die dritte Weise der Aneignung wird dann angewandt, wenn er eine fremde Macht, deren Druck er praktisch empfindet, ganz und gar als heilig verwirft, ohne sie sich anzueignen. In diesem Falle sieht er in der fremden Macht seine eigne Ohnmacht und erkennt diese als seine Eigenschaft, sein Geschöpf an, über das er in jedem Moment als Schöpfer hinaus ist. Dies ist der Fall z.B. mit dem Staat. Auch hier kommt er glücklich dahin, es mit keinem Fremden, sondern nur mit seiner eignen Eigenschaft zu tun zu haben, gegen die er sich nur als Schöpfer zu setzen braucht, um sie zu überwinden. Der Mangel einer Eigenschaft gilt ihm also im Notfall auch für seine Eigenschaft. Wenn Sankt Sancho verhungert, so ist nicht der Mangel an Nahrungsmitteln die Ursache davon, sondern Sein eignes Hungerhaben, seine eigne Eigenschaft des Hungerns. Wenn er aus seinem Fenster fällt und den Hals bricht, so geschieht dies nicht, weil die Macht der Schwere ihn herab stürzt, sondern weil der Mangel an Flügeln, die Ohnmacht zu fliegen, seine eigne Eigenschaft ist.
Die vierte Methode, die er mit dem brillantesten Erfolg anwendet, ist die, Alles, was Gegenstand Einer seiner Eigenschaften ist, als seinen Gegenstand, für sein Eigentum zu erklären, weil er sich vermöge einer seiner Eigenschaften darauf bezieht, gleichviel, wie diese Beziehung auch immer beschaffen sei. Also was man bisher Sehen, Hören, Fühlen pp. nannte, nennt dieser harmlose Akkapareur <wörtlich: wucherischer Aufkäufer; dem Sinne nach: einer der alles an sich reißt> Sancho: Eigentum erwerben. Der Laden, den ich ansehe, ist als Erblickter der Gegenstand meines Auges, und sein Reflex auf meiner Retina ist das Eigentum meines Auges. Nun wird der Laden außer der Beziehung zum Auge sein Eigentum und nicht nur das Eigentum seines Auges - sein Eigentum, das geradeso auf dem Kopfe steht wie das Bild des Ladens auf seiner Retina. Läßt der Ladenhüter das Rouleau (oder nach Szeliga "Gardinen und Vorhänge") herunter, so hört sein Eigentum auf, und er behält, wie der bankrutte Bourgeois, nur noch die schmerzliche Erinnerung vergangenen Glanzes. Geht "Stirner" an der Hofküche vorbei, so erwirbt er sich allerdings ein Eigentum an dem Geruch der Fasanen, die dort gebraten werden, aber die Fasanen selbst bekommt er nicht einmal zu sehen. Das einzige nachhaltige Eigentum, was ihm dabei zuteil wird, ist ein mehr oder weniger lautes Knurren in seinem Magen. Übrigens hängt es nicht nur von dem vorhan-
denen Weltzustand ab, den er keineswegs gemacht hat, was und wieviel er zu sehen bekommt, sondern auch von seinem Beutel und von seiner ihm durch die Teilung der Arbeit zugefallenen Lebensstellung, die ihm vielleicht sehr viel verschließt, obgleich er sehr akkaparierende Augen und Ohren haben mag.
Hätte Sankt Sancho schlecht und recht gesagt, daß Alles was Gegenstand seiner Vorstellung ist, als von ihm vorgestellter Gegenstand, d.h. als seine Vorstellung von einem Gegenstande, seine Vorstellung, id est sein Eigentum ist, (ebenso mit dem Anschauen pp.), so würde man nur die kindliche Naivetät des Mannes bewundert haben, der an einer solchen Trivialität einen Fund und ein Vermögen erbeutet zu haben glaubt. Daß er aber diesem spekulativen Eigentum das Eigentum schlechthin unterschiebt, mußte natürlich eine große Magie auf die eigentumslosen deutschen Ideologen ausüben.
Sein Gegenstand ist auch jeder andere Mensch in seinem Bereich, "und als sein Gegenstand - sein Eigentum", seine Kreatur. Jedes der Ichs sagt zu dem andern (siehe p. 184): "Mir bist Du nur Dasjenige, was Du für Mich bist" z.B. mein Exploiteur), "nämlich Mein Gegenstand, und weil Mein Gegenstand, Mein Eigentum." Daher auch Meine Kreatur, die Ich jeden Augenblick als Schöpfer verschlingen und in Mich zurücknehmen kann. Jedes Ich nimmt das Andre also nicht als einen Eigentümer, sondern als sein Eigentum; nicht als "Ich" (si[ehe p. 184),] sondern als Sein-für-Ihn, als Objekt; nicht als sich angehörig, sondern als ihm, einem Andern angehörig, als sich entfremdet. "Nehmen Wir denn Beide, wofür sie sich ausgeben" (p. 187), für Eigentümer, für Selbstangehörige, "und wofür sie einander nehmen", für Eigentum, für dem Fremden Angehörige. Sie sind Eigentümer und sind es nicht (vgl. p. 187). Es ist aber für Sankt Sancho wichtig, in allen Verhältnissen mit Andern nicht das wirkliche Verhältnis zu nehmen, sondern was Jeder sich einbilden kann, in seiner Reflexion an sich ist.
Da Alles, was Gegenstand für "Ich" ist, vermittelst irgendeiner seiner Eigenschaften auch sein Gegenstand ist, d.h. also sein Eigentum, z.B. die Prügel, die er erhält, als Gegenstand seiner Gliedmaßen, seines Gefühls, seiner Vorstellung, sein Gegenstand, mithin sein Eigentum sind, so kann er sich als Eigentümer jedes für ihn vorhandenen Gegenstands proklamieren und damit die ihn umgehende Welt, möge sie ihn auch noch so sehr mißhandeln und zu einem "Menschen von nur idealem Reichtum, einem Lump" herabdrücken, sein Eigentum erklären und sich zu ihrem Eigentümer proklamieren. Andererseits, da jeder Gegenstand für "Ich" nicht nur Mein Gegenstand, sondern auch mein Gegenstand ist, so kann jeder Gegenstand mit derselben Gleichgültigkeit gegen den Inhalt für das Nicht-Eigne, Fremde, Heilige erklärt werden. Derselbe Gegenstand und dasselbe Verhältnis kann daher mit
gleicher Geläufigkeit und gleichem Erfolge für das Heilige und für Mein Eigentum erklärt werden. Es kommt Alles darauf an, ob der Akzent auf das Mein oder auf den Gegenstand gelegt wird. Die Methoden der Aneignung und Kanonisation sind nur zwei verschiedene "Brechungen" Einer "Wendung".
Alle diese Methoden sind bloß positive Ausdrücke für die Negation des in den obigen Gleichungen dem Ich Fremd-Gesetzten; nur daß die Negation wieder, wie oben, in verschiednen Bestimmungen gefaßt wird. Die Negation kann erstlich rein formell bestimmt werden, so daß sie den Inhalt gar nicht affiziert, wie oben bei der Menschenliebe und in allen Fällen, wo sich seine ganze Veränderung auf die Hinzufügung des Bewußtseins der Gleichgültigkeit beschränkt. Oder die ganze Sphäre des Objekts oder Prädikats, der ganze Inhalt kann negiert werden, wie bei Religion und Staat, oder drittens kann die Kopula, meine bisher fremde Beziehung zum Prädikat, allein negiert und auf das Mein der Akzent gelegt werden, so daß Ich mich als Eigentümer zum Meinigen verhalte, z.B. beim Gelde, was zur Münze Meines eignen Gepräges wird. Indem letzteren Fall kann sowohl die Eigenschaft des Menschen wie sein Verhältnis allen Sinn verlieren. Jede der Eigenschaften des Menschen wird dadurch, daß Ich sie in Mich zurücknehme, in Meiner Ichheit ausgelöscht. Es ist nicht mehr von ihr zu sagen, was sie ist. Sie ist nur noch nominell, was sie war. Sie hat als "Mein", als in Mir aufgelöste Bestimmtheit, gar keine Bestimmtheit mehr gegen Andre, noch gegen Mich, sie ist bloß von Mir gesetzt, Schein-Eigenschaft. So z.B. Mein Denken. Eben wie mit Meinen Eigenschaften verhält es sich mit den Dingen, die mit Mir in einem Verhältnis stehen und, wie schon oben gesehen, im Grunde auch nur [M]eine Eigenschaften sind - z.B. mit [Mei]nem angeschauten Laden. Insofern [also] in Mir das Denken von allen [andern] Eigenschaften, z.B. der Goldschmiedsladen wieder von dem Wurstladen etc. total unter[schieden] ist, kommt der Unter[schied] wieder als Unterschied des Scheins herein und macht sich auch nach Außen, in Meiner Äußerung für Andre, wieder geltend. Hiermit ist diese aufgelöste Bestimmtheit glücklich wieder vorhanden und muß, soweit sie überhaupt sprachlich ausgedrückt werden kann, ebenfalls in den alten Ausdrücken wiedergegeben werden. (Von Sankt Sanchos nichtetymologischen Illusionen über die Sprache werden wir übrigens auch noch ein geringes Wörtlein vernehmen.)
An die Stelle der obigen einfachen Gleichung tritt hier die Antithese. In ihrer simpelsten Form lautet sie z.B. so:
Denken des Menschen - Mein Denken, egoistisches Denken,
Mein das Denken aufhebt. Verwickelter schon wird die Antithese im folgenden Beispiel:
Das Geld als Tauschmittel des Menschen - | --- | Das Geld meines eignen Gepräges, als Tauschmittel des Egoisten - |
wo der Unsinn entbunden wird. - Noch verwickelter wird die Antithese, wenn Sankt Max eine Bestimmung hereinbringt und sich den Schein einer weitläuftigen Entwicklung geben will. Hier wird aus der einzelnen Antithese eine Antithesenreihe. Zuerst heißt es z.B.
Das Recht überhaupt als das Recht des Menschen | }-{ | Recht ist, was Mit Recht ist, |
wo er ebensogut statt Recht jedes andre Wort setzen könnte, da es eingestandenermaßen gar keinen Sinn mehr hat. Obgleich dieser Unsinn fortwährend noch mit unter läuft, so muß er doch, um von ihr weiterzukommen, eine andre, notorische Bestimmung des Rechts hereinbringen, die sowohl im rein persönlichen als auch im ideologischen Sinn gebraucht werden kann - etwa die Macht als Basis des Rechts. Nun erst, wo das Recht in der ersten These noch eine andere Bestimmtheit hat, die in der Antithese festgehalten wird, kann die Antithese einen Inhalt erzeugen. Nun heißt es:
Recht - die Macht des Menschen - Macht - das Recht Meiner,
was dann wieder sich einfach dahin auflöst:
Macht als Recht Meiner = Meine Macht.
Diese Antithesen sind weiter nichts als die positiven Umdrehungen der obigen negativen Gleichungen, bei denen sich schon am Schluß fortwährend Antithesen herausstellten. Sie übertreffen die Gleichungen noch an einfacher Größe und großer Einfalt.
Wie Sankt Sancho früher Alles für fremd, ohne ihn bestehend, heilig ansehen konnte, so kann er nun ebenso leicht Alles für sein Machwerk, für nur durch ihn bestehend, für sein Eigentum ansehen. Da er nämlich Alles in seine Eigenschaften verwandelt, so braucht er sich nun dazu nur [so zu ver]halten, wie er sich als mit sich einiger Egoist zu seinen ursprünglichen Eigenschaften verhielt, eine Prozedur, die wir hier nicht zu wiederholen brauchen. Hierdurch wird unser Berliner Schulmeister absoluter Herr der Welt - "freilich ist dies auch der Fall mit jeder Gans, jedem Hunde, jedem Pferde". Wig[and,] p. 187.)
Das eigentliche logische Experiment, das allen diesen Formen der Aneignung zugrunde liegt, ist eine bloße Form des Sprechens, nämlich die Paraphrase, die Umschreibung eines Verhältnisses als Ausdruck, als Existenzweise eines andern. Wie wir eben sahen, daß jedes Verhältnis als Exempel des Verhältnisses des Eigentums dargestellt werden konnte, geradeso kann es als Verhältnis der Liebe, der Macht, der Exploitation usw. dargestellt werden. Sankt Sancho fand diese Manier der Paraphrase in der Spekulation fertig vor, wo sie eine Hauptrolle spielt. Siehe unten "Exploitationstheorie".
Die verschiedenen Kategorien der Aneignung werden gemütliche Kategorien, sobald der Schein der Praxis hereingebracht und mit der Aneignung Ernst gemacht werden soll. Die gemütliche Form der Behauptung des Ich gegen das Fremde, Heilige, die Welt, "des Menschen" ist die Renommage. Dem Heiligen wird der Respekt aufgekündigt (Respekt, Achtung etc., diese gemütlichen Kategorien gelten ihm für Beziehung auf das Heilige oder auf ein Drittes als Heiliges) und diese permanente Aufkündigung eine Tat tituliert, eine Tat, die umso burlesker erscheint, als er fortwährend nur gegen das Gespenst seiner heiligenden Vorstellung kämpft. Andererseits, da die Welt trotz seiner Respektskündigung gegen das Heilige heillos mit ihm umspringt, genießt er dagegen die innere Befriedigung, ihr zu erklären, daß er nur nötig habe, zur Macht gegen sie zu kommen, um respektslos mit ihr umzuspringen. Diese Drohung mit ihrer weltvernichtenden reservatio mentalis <(geheimen) geistigen Vorbehalt> vollendet die Komik. Zur ersten Form der Renommage gehört, wie Sankt Sancho p. 16 "nicht den Zorn des Poseidon, nicht die rächenden Eumeniden" "fürchtet", p. 58 "den Fluch nicht fürchtet", p. 242 "keine Vergebung will" usw. und zum Schluß beteuert, die "maßloseste Entweihung" des Heiligen zu begehen. Zur zweiten Form seine Drohung gegen den Mond p. 218:
"Könnte Ich Dich nur fassen, Ich faßte Dich wahrlich, und finde Ich Mittel, zu Dir hinaufzukommen, Du sollst Mich nicht schrecken - - ich gebe Mich nicht auf gegen Dich, sondern warte nur Meine Zeit ab. Bescheide Ich Mich auch für jetzt, Dir etwas anhaben zu können, so gedenke Ich Dir's doch!" -
eine Apostrophe, in der unser Heiliger unter das Niveau von Pfeffels Mops im Graben sinkt - ebenso p. 425, wo er "der Macht über Leben und Tod nicht entsagt" usw.
Schließlich [kann] die renommistische Praxis wieder zu einer bloßen [Praxis] innerhalb der Theorie werden, [indem] der Heilige mit den pomp[haftesten] Worten Dinge getan zu haben [vorgibt], die er nie getan [hat, wobei er] tradi[tion]elle Triviali[tät]en vermittelst [voll]tönender Phrasen
[als] originelle Schöp[f]ungen einzuschmuggeln versucht. [Da]zu gehört eigentlich das ganze Buch, speziell seine uns als eine Entwicklung aufgedrungene, aber nur schlecht abgeschriebene Geschichtskonstruktion, dann die Versicherung, daß "das Buch" "gegen den Menschen geschrieben zu sein scheint" (Wig[and,] p. 168), und eine Unzahl einzelner Beteuerungen, wie: "Mit einem Hauche des lebendigen Ichs blase Ich Völker um" (p. 219 "des Buchs"), "Ich schlage frisch drauflos" (p. 254), p. 285: "Tot ist das Volk", ferner die Beteuerung, "in den Eingeweiden des Rechts zu wühlen", p. 275 und der herausfordernde, mit Zitaten und Sprüchlein verbrämte Ruf nach "einem leibhaftigen Gegner" p. 280.
Die Renommage ist schon an und für sich sentimental. Außerdem kommt aber die Sentimentalität im "Buche" auch noch als ausdrückliche Kategorie vor, die namentlich bei der positiven Aneignung, welche nicht mehr bloße Behauptung gegen das Fremde ist, eine Rolle spielt. So einfach die bisherigen Methoden der Aneignung auch waren, so muß bei näherer Entwicklung doch der Schein hereingebracht werden, als ob das Ich sich dadurch auch Eigentum "im gewöhnlichen Verstande" erwerbe, und dies ist nur durch eine forcierte Aufspreizung dieses Ichs zu erreichen, nur dadurch, daß er sich und Andre in einen sentimentalen Zauber hüllt. Die Sentimentalität ist überhaupt gar nicht zu vermeiden, sobald er sich die Prädikate "des Menschen" unbesehen als seine eignen vindiziert, z.B. "Jeden" "aus Egoismus" "liebt" - und so seinen Eigenschaften eine überschwengliche Aufgedunsenheit gibt. So wird p. 351 "das Lächeln des Kindes" für "sein Eigentum" erklärt und ebendaselbst die Stufe der Zivilisation, auf der man die Greise nicht mehr totschlägt, als die Tat dieser Greise selbst mit den rührendsten Wendungen dargestellt pp. Zu dieser Sentimentalität gehört auch durchaus sein Verhältnis zur Maritornes.
Die Einheit von Sentimentalität und Renommage ist die Empörung. In ihrer Richtung nach Außen, gegen Andre, ist sie Renommage; in ihrer Richtung nach innen, als Knurren-in-sich, ist sie Sentimentalität. Sie ist der spezifische Ausdruck des ohnmächtigen Widerwillens des Philisters. Er empört sich beim Gedanken des Atheismus, Terrorismus, Kommunismus, Königsmordes etc. Der Gegenstand, wogegen Sankt Sancho sich empört, ist das Heilige; darum ist die Empörung, die zwar auch als Verbrechen charakterisiert wird, in letzter Instanz Sünde. Die Empörung braucht also in keiner Weise als eine Tat aufzutreten, da sie nur "die Sünde" wider "das Heilige" ist. Sankt Sancho begnügt sich daher damit, sich die "Heiligkeit" oder den "Geist der Fremdheit" "aus dem Kopfe zu schlagen" und seine ideologische Aneignung zu vollziehen. Wie ihm aber überhaupt Gegenwart und Zukunft sehr im
Kopfe durcheinandergehen, wie er bald behauptet, sich schon alles angeeignet zu haben, bald, es erst erwerben zu müssen, so fällt ihm auch bei der Empörung zuweilen ganz zufällig ein, daß er das wirkliche Fremde sich auch dann noch gegenüber hat, wenn er mit dem Heiligenschein des Fremden fertig geworden ist. In diesem Falle oder vielmehr Einfalle wird dann die Empörung in eine eingebildete Tat und das Ich in ein "Wir" verwandelt. Hierüber werden wir später das Nähere sehen. (Siehe "Empörung".)
Der wahre Egoist, der sich nach der bisherigen Darstellung als der größte Konservateur erwiesen hat, sammelt schließlich die Brocken "der Welt des Menschen", zwölf Körbe voll; denn "es sei ferne, daß Etwas verloren gehe!" Da sich seine ganze Aktion darauf beschränkt, an der ihm von der philosophischen Tradition überlieferten Gedankenwelt einige abgegriffene, kasuistische Kunststücke zu probieren, so versteht es sich von selbst, daß die wirkliche Welt für ihn gar nicht besteht und daher auch fortbestehen bleibt. Der Inhalt des Neuen Testaments wird uns dazu den Beweis im Einzelnen liefern.
So "erscheinen wir vor den Schranken der Mündigkeit und werden mündig gesprochen". (p. 86.)
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Datum der letzten Änderung: Jena, den : 16.04.2014