1. Das „Ding an sich", oder W. Tschernow widerlegt Friedrich Engels | Inhalt | 3. L. Feuerbach und J. Dietzgen über das Ding an sich

2. Über den „Transzensus", oder W. Basarow „bearbeitet" Engels

100

Während die russischen Machisten, die Marxisten sein möchten, die eine der entscheidendsten und bestimmtesten Erklärungen von Engels diplomatisch umgangen haben, so haben sie dafür eine andere Erklärung von ihm ganz nach Tschernowscher Art „bearbeitet". So langweilig, so mühsam die Aufgabe auch sein mag, richtigzustellen, was an dem Sinn der Zitate entstellt und verdreht ist, so kann jemand, der über die russischen Machisten sprechen will, sich ihr doch nicht entziehen.

Hier die Bearbeitung von Engels durch Basarow.

In dem Aufsatz „über historischen Materialismus"* sagt Engels über die englischen Agnostiker (Philosophen der Linie Humes) folgendes:


* Einleitung zur englischen Übersetzung der „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", ins Deutsche übersetzt von Engels selbst in der „Neuen Zeit", XI, l, 1892/1893, Nr. l, S. 15 ff. Russische Übersetzung - wenn ich nicht irre, die einzige - in dem Sammelband „Der historische Materialismus", S. 162 ff. Das Zitat findet sich bei Basarow in den „Beiträgen »zur* Philosophie des Marxismus", S. 64.

101

„... Ebenso gibt unser Agnostiker zu, daß all unser Wissen beruht auf den Mitteilungen, die wir durch unsre Sinne empfangen ..."

Es sei also für unsere Machisten bemerkt, daß auch der Agnostiker (Humeist) von den Empfindungen ausgeht und keine andere Quelle der Kenntnisse anerkennt. Der Agnostiker ist reiner „Positivist", den Anhängern des „neuesten Positivismus" zur gefälligen Beachtung!

„... Aber, setzt er" (der Agnostiker) „hinzu, woher wissen wir, ob unsre Sinne uns richtige Abbilder der durch sie wahrgenommenen Dinge geben? Und weiters berichtet er uns: Wenn er von Dingen oder ihren Eigenschaften spricht, so meint er in Wirklichkeit nicht diese Dinge und ihre Eigenschaften selbst, von denen er nichts Gewisses wissen kann, sondern nur die Eindrücke, die sie auf seine Sinne gemacht haben..."47

Welche zwei Linien der philosophischen Richtungen stellt Engels hier einander gegenüber? Die eine Linie ist die, daß die Sinne uns richtige Abbilder der Dinge geben, daß wir diese Dinge selbst kennen, daß die Außenwelt auf unsere Sinnesorgane einwirkt. Das ist Materialismus, mit dem der Agnostiker nicht einverstanden ist. Worin besteht aber das Wesen seiner eigenen Linie? Darin, daß er über die Empfindungen nicht hinausgeht, daß er diesseits der Erscheinungen stehenbleibt und darauf verzichtet, hinter den Grenzen der Empfindungen irgend etwas „Gewisses" zu sehen. Von diesen Dingen selbst (d. h. von den Dingen an sich, den „Objekten an sich", wie die von Berkeley bekämpften Materialisten sagten) können wir nichts Gewisses wissen - so lautet die ganz bestimmte Erklärung des Agnostikers. Also behauptet der Materialist in der Streitfrage, über die Engels spricht, die Existenz und die Erkennbarkeit der Dinge an sich. Der Agnostiker läßt nicht einmal den Gedanken an die Dinge an sich zu und erklärt, daß wir über sie nichts Gewisses wissen können.

Es fragt sich, wodurch sich der von Engels dargelegte Standpunkt des Agnostikers von dem Machs unterscheidet. Durch das „neue" Wörtchen „Element"? Es ist doch aber reine Kinderei, zu denken, daß eine philosophische Linie durch eine Nomenklatur geändert werden könnte, daß

102

Empfindungen aufhören, Empfindungen zu sein, wenn man sie „Elemente" nennt! Oder unterscheidet er sich etwa durch die „neue" Idee, nach der die nämlichen Elemente in der einen Verbindung das Physische, in der andern das Psychische bilden? Aber ist euch denn entgangen, daß der Agnostiker bei Engels ebenfalls an Stelle „dieser Dinge selbst" die „Eindrücke" setzt? Also unterscheidet auch der Agnostiker, dem Wesen der Sache nach, physische und psychische „Eindrücke"! Der Unterschied liegt wiederum ausschließlich in der Nomenklatur. Wenn Mach sagt: die Körper sind Empfindungskomplexe, so ist er Berkeleyaner. Wenn Mach sich „verbessert": die „Elemente" (Empfindungen) können in der einen Verbindung physische, in der anderen psychische sein, dann ist er Agnostiker, Humeist. Über diese beiden Linien kommt Mach in seiner Philosophie nicht hinaus, und nur die äußerste Naivität kann diesem Wirrkopf aufs Wort glauben, daß er wirklich sowohl den Materialismus als auch den Idealismus „überwunden" habe.

Engels nennt in seiner Darstellung absichtlich keine Namen, denn er übt nicht an den einzelnen Vertretern des Humeismus Kritik (die Berufsphilosophen neigen sehr dazu, die winzigen Veränderungen, die der eine oder andere von ihnen in die Terminologie oder in die Argumentation hineinbringt, als originelle Systeme zu bezeichnen), sondern an der ganzen Linie des Humeismus. Engels kritisiert nicht Details, sondern das Wesen der Sache, er greift das Grundlegende heraus, worin alle Humeisten vom Materialismus abwenden, und daher fallen sowohl Mill als auch Huxley und Mach unter seine Kritik. Ob wir sagen, daß die Materie eine permanente Empfindungsmöglichkeit sei (nach J. St. Mill), oder daß die Materie aus mehr oder weniger beständigen Komplexen von „Elementen", Empfindungen (nach E. Mach) bestehe - wir bleiben innerhalb der Grenzen des Agnostizismus oder Humeismus; beide Gesichtspunkte oder richtiger diese beiden Formulierungen werden von der Engelsschen Darstellung des Agnostizis­mus erfaßt; der Agnostiker geht nicht über die Empfindungen hinaus und erklärt, daß er von deren Quelle oder von deren Original usw. nichts Gewisses wissen kann. Und wenn Mach seiner Abweichung von Mill in der hier behandelten Frage große Bedeutung beimißt, so eben deshalb, weil die von Engels gegebene Charakterisierung der ordentlichen Professoren als [Flohknacker] auch auf Mach zutrifft. Einen Floh habt ihr geknackt, meine Herren, indem ihr kleine Korrekturen anbringt und die

103

Nomenklatur ändert, statt den grundlegenden Standpunkt der Halbheit aufzugeben!

Wie widerlegt nun der Materialist Engels - am Anfang seines Artikels stellt Engels seinen Materialismus offen und entschieden dem Agnostizismus gegenüber - die angeführten Argumente?

„... Das ist allerdings eine Auffassungsweise", sagt Engels, „der es schwierig scheint, auf dem Wege der bloßen Argumentation beizukommen. Aber ehe die Menschen argumentierten, handelten sie. ,Im Anfang war die Tat.' Und menschliche Tat hatte die Schwierigkeit schon gelöst, lange ehe menschliche Klugtuerei sie erfand. The proof of the pudding is in the eating" (man beweist den Pudding, man erprobt, man prüft den Pudding, indem man ihn ißt). „In dem Augenblick, wo wir diese Dinge, je nach den Eigenschaften, die wir in ihnen wahrnehmen, zu unserm eignen Gebrauch anwenden, in demselben Augenblick unterwerfen wir unsre Sinneswahrnehmungen einer unfehlbaren Probe auf ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit. Waren diese Wahrnehmungen unrichtig, dann muß auch unser Urteil über die Verwendbarkeit eines solchen Dings unrichtig sein, und unser Versuch, es zu verwenden, muß fehlschlagen. Erreichen wir aber unsern Zweck, finden wir, daß das Ding unsrer Vorstellung von ihm entspricht, daß es das leistet, wozu wir es anwandten, dann ist dies positiver Beweis dafür, daß innerhalb dieser Grenzen unsre Wahrnehmungen von dem Ding und von seinen Eigenschaften mit der außer uns bestehenden Wirklichkeit stimmen ..."

Die materialistische Theorie, die Theorie der Widerspiegelung der Gegenstände im Denken, ist hier also mit größter Klarheit dargestellt: die Dinge existieren außer uns. Unsere Wahrnehmungen und Vorstellungen sind ihre Abbilder. Durch die Praxis werden diese Abbilder einer Probe unterzogen, werden die richtigen von den unrichtigen geschieden. Doch hören wir Engels noch etwas weiter an (Basarow bricht hier das Zitat von Engels, bzw. von Plechanow, ab, denn er hält es augenscheinlich für überflüssig, sich mit Engels selbst auseinanderzusetzen).

„... Finden wir dagegen, daß wir einen Fehlstoß gemacht, dann dauert es meistens auch nicht lange, ehe wir die Ursache davon entdecken; wir finden, daß die unserm Versuch zugrunde gelegte Wahrnehmung entweder selbst unvollständig und oberflächlich, oder mit den Ergebnissen andrer Wahrnehmungen in einer durch die Sachlage nicht gerechtfertigten

104

Weise verkettet worden war." (Die russische Übersetzung im „Historischen Materialismus" ist nicht richtig.) „Solange wir unsre Sinne richtig ausbilden und gebrauchen und unsre Handlungsweise innerhalb der durch regelrecht gemachte und verwertete Wahrnehmungen gesetzten Schranken halten, solange werden wir finden, daß die Erfolge unsrer Handlungen den Beweis liefern für die Übereinstimmung unsrer Wahrnehmungen mit der gegenständlichen Natur der wahrgenommenen Dinge. Nicht in einem einzigen Fall, soviel bis heute bekannt, sind wir zu dem Schluß gedrängt worden, daß unsre wissenschaftlich kontrollierten Sinneswahrnehmungen in unserm Gehirn Vorstellungen von der Außenwelt erzeugen, die ihrer Natur nach von der Wirklichkeit abweichen, oder daß zwischen der Außenwelt und unsren Sinneswahrnehmungen von ihr eine angeborne Unverträglichkeit besteht.

Aber dann kommt der neukantianische Agnostiker und sagt.. 48

Lassen wir die Analyse der Argumente der Neukantianer für ein anderes Mal. Es sei bemerkt, daß ein Mensch, der nur ein wenig mit der Sache vertraut oder auch nur einfach aufmerksam ist, begreifen muß, daß Engels hier denselben Materialismus darstellt, den alle Machisten immer und überall bekämpfen. Und betrachten wir nun also die Methoden, wie Basarow Engels bearbeitet:

„Hier tritt Engels tatsächlich", schreibt Basarow zu dem von uns angeführten Bruchstück aus dem Zitat, „gegen den Kantschen Idealismus auf..."

Falsch. Basarow verdreht die Sache. In dem Auszug, den er zitiert und den wir vollständiger zitieren, steht weder von Kantianismus noch von Idealismus auch nur eine Silbe. Hätte Basarow wirklich den ganzen Artikel von Engels gelesen, so hätte er sehen müssen, daß bei Engels erst in dem folgenden Absatz vom Neukantianismus und der ganzen Kantschen Richtung die Rede ist, eben dort, wo wir das Zitat abgebrochen haben. Und hätte Basarow jenen Auszug, den er selber zitiert hat, aufmerksam gelesen und durchdacht, dann hätte er sehen müssen, daß in den Argumenten des Agnostikers, die Engels hier widerlegt, absolut nichts Idealistisches oder Kantianisches zu finden ist; denn der Idealismus fängt erst dort an, wo ein Philosoph behauptet, die Dinge seien unsere Empfindungen; der Kantianismus fängt dort an, wo ein Philosoph sagt: das Ding an sich existiert, aber es ist unerkennbar. Basarow verwechselte den Kantianismus mit dem

105

Humeismus, und zwar deshalb, weil er, selbst halb Berkeleyaner und halb Humeist der Machistensekte, den Unterschied zwischen der humeistischen und der materialistischen Opposition gegen den Kantianismus (wie weiter unten noch ausführlicher gezeigt werden soll) nicht versteht.

„... Leider aber", fährt Basarow fort, „ist seine Argumentation gleichermaßen gegen die Plechanowsche wie gegen die Kantsche Philosophie gerichtet. Die Schule Plechanow-Orthodox befindet sich, wie schon Bogdanow bemerkt hat, in der Frage des Bewußtseins in einem verhängnisvollen Irrtum. Plechanow glaubt wie alle Idealisten, daß alles sinnlich Gegebene, d. h. zu Bewußtsein Kommende, ,subjektiv' sei; daß es Solipsist sein heißt, wenn man nur vom faktisch Gegebenen ausgeht; daß man das reale Sein nur jenseits der Grenzen alles unmittelbar Gegebenen finden könne..."

Das ist ganz im Geiste Tschernows und seiner Versicherungen, daß Liebknecht ein echt russischer Volkstümler gewesen sei! Ist Plechanow ein Idealist, der sich von Engels abgewandt hat, warum sind Sie, der Sie angeblich ein Anhänger von Engels sind, dann nicht Materialist? Das ist doch einfach eine jämmerliche Mystifikation, Gen. Basarow! Durch den machistischen Ausdruck: das „unmittelbar Gegebene" beginnen Sie, den Unterschied zwischen Agnostizismus und Idealismus und Materialismus zu verwischen. Begreifen Sie doch, daß das „unmittelbar Gegebene", das „faktisch Gegebene" eine Konfusion der Machisten, Immanenzphilosophen und sonstiger Reaktionäre in der Philosophie ist, ein Mummenschanz, bei dem sich der Agnostiker (und manchmal auch, wie bei Mach, ein Idealist) als Materialist verkleidet. Dem Materialisten ist die Außenwelt, deren Abbild unsere Empfindungen sind, „faktisch gegeben". Dem Idealisten ist die Empfindung „faktisch gegeben", wobei die Außenwelt als „Empfindungskomplex" hingestellt wird. Für den Agnostiker ist ebenfalls die Empfindung „unmittelbar gegeben", er geht aber nicht darüber hinaus, weder zur materialistischen Anerkennung der Realität der Außenwelt noch zu der idealistischen Behauptung, daß die Welt unsere Empfindung sei. Daher ist Ihr Ausspruch, daß „man das reale Sein" (nach Plechanow) „nur jenseits der Grenzen alles unmittelbar Gegebenen finden könne", ein Unsinn, der sich unvermeidlich aus Ihrer machistischen Position ergibt. Aber wenn Sie auch das Recht haben, jede beliebige Stellung, auch eine machistische, zu beziehen, so haben Sie doch kein Recht,

106

Engels zu fälschen, wenn Sie von ihm sprechen. Aus den Worten von Engels jedoch geht sonnenklar hervor, daß das reale Sein für den Materialisten jenseits der Grenzen der „Sinneswahrnehmungen", Eindrücke und Vorstellungen des Menschen liegt, während es für den Agnostiker unmöglich ist, über die Grenzen dieser Wahrnehmungen hinauszugehen. Basarow glaubte es Mach, Avenarius und Schuppe, daß das „unmittelbar" (oder faktisch) Gegebene das wahrnehmende Ich und die wahrgenommene Umgebung in der berühmten „unauflöslichen" Koordination vereinige, und ist bemüht, dem Materialisten Engels diesen Unsinn zu unterschieben, ohne daß der Leser es merkt!

„... Die oben zitierte Stelle scheint Engels absichtlich zu dem Zweck geschrieben zu haben, um dieses idealistische Mißverständnis in der populärsten und zugänglichsten Form aus der Welt zu schaffen ..."

Nicht umsonst ist Basarow bei Avenarius in die Schule gegangen! Er setzt dessen Mystifikation fort: unter dem Schein der Bekämpfung des Idealismus (von dem bei Engels an dieser Stelle gar nicht die Rede ist) schmuggelt er die idealistische „Koordination" ein. Nicht übel, Gen. Basarow!

„... Der Agnostiker fragt: Woher wissen wir, daß unsere subjektiven Sinne uns eine richtige Vorstellung von den Dingen geben? ..."

Das ist eine Verdrehung, Gen. Basarow! Solch einen Unsinn, wie „subjektive" Sinne, sagt Engels selber nicht und schreibt das nicht einmal seinem Feinde, dem Agnostiker, zu. Andere Sinne als menschliche, d. h. „subjektive" - denn wir urteilen vom Standpunkt des Menschen und nicht eines Waldteufels — gibt es nicht. Sie unterschieben Engels schon wieder Machismus: Der Agnostiker, sagen Sie, hält die Sinne, genauer die Empfindungen, nur für subjektiv (der Agnostiker hält sie nicht dafür!), während Avenarius und ich das Objekt in eine unauflösliche Verbindung mit dem Subjekt „koordiniert" haben. Nicht übel, Gen. Basarow!

„... Was nennt ihr aber ,richtig'?", erwidert Engels. „Richtig ist das, was durch unsere Praxis bestätigt wird; folglich sind unsere Sinneswahrnehmungen, sofern sie durch die Erfahrung bestätigt werden, nicht ,subjektiv', d. h. nicht willkürlich oder illusorisch, sondern als solche richtig, real..."

Das ist eine Verdrehung, Gen. Basarow! Sie unterschieben an Stelle der Frage nach der Existenz der Dinge außerhalb unserer Empfindungen,

107

Wahrnehmungen, Vorstellungen die Frage nach dem Kriterium der Richtigkeit unserer Vorstellungen von „diesen" Dingen „selbst", oder genauer: Sie verdenken die erste Frage durch die zweite. Engels aber sagt klipp und klar, daß ihn von dem Agnostiker nicht nur der Zweifel des Agnostikers an der Richtigkeit der Abbilder trennt, sondern auch die Zweifel des Agnostikers, ob man von den Dingen selbst sprechen darf, ob man von ihrer Existenz „Gewisses" wissen kann. Wozu brauchte Basarow diese Unterstellung? Um die Frage, die für den Materialismus (und für Engels als Materialisten) die Grundfrage ist, zu verdunkeln und zu verwirren, nämlich die Frage, ob die Dinge, die durch ihre Einwirkung auf die Sinnesorgane die Empfindungen hervorrufen, außerhalb unseres Bewußtseins existieren. Es ist unmöglich, Materialist zu sein, ohne diese Frage positiv beantwortet zu haben, man kann aber Materialist sein und in der Frage nach dem Kriterium der Richtigkeit jener Abbilder, die uns die Sinne geben, unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Und wiederum verdreht Basarow die Sache, wenn er Engels unterstellt, die im Streit mit dem Agnostiker unsinnige und bornierte Formulierung gebraucht zu haben, unsere Sinneswahrnehmungen würden durch die „Erfahrung" bestätigt. Engels hat dieses Wort hier nicht gebraucht und konnte es nicht gebrauchen, denn Engels wußte, daß sowohl der Idealist Berkeley als auch der Agnostiker Hume, als auch der Materialist Diderot sich auf die Erfahrung berufen.

„... In den Grenzen, innerhalb deren wir mit den Dingen in der Praxis zu tun haben, fallen die Vorstellungen von einem Ding und seinen Eigenschaften mit der außer uns existierenden Wirklichkeit zusammen. ,Zusammenfallen' - das ist etwas anderes als ,Hieroglyphe' sein. Zusammenfallen bedeutet: in den gegebenen Grenzen ist" (hervorgehoben von Basarow) „die Sinnesvorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit ..."

Das Ende krönt das Werk! Engels ist nun à la Mach zubereitet, gebraten und mit machistischer Soße serviert. Hoffentlich verschlucken sich unsere verehrten Köche nicht daran.

„Die Sinnesvorstellung ist eben die außer uns existierende Wirklichkeit" !! Das ist ja gerade jener fundamentale Unsinn, die fundamentale Konfusion und das Grundfalsche am Machismus, woraus der ganze übrige Galimathias dieser Philosophie stammt und wofür Mach und Avenarius

108

von den Erzreaktionären und Predigern des Pfaffentums, den Immanenzphilosophen, in den Himmel gehoben werden. So sehr sich W. Basarow wendet, klügelt und diplomatisiert, um den heiklen Punkten auszuweichen, letzten Endes hat er sich doch verplappert und seine ganze machistische Natur verraten! Zu sagen: „die Sinnesvorstellung ist eben die außer uns existierende Wirklichkeit", heißt zum Humeismus oder gar zum Berkeleyamsmus zurückkehren, der sich im Dunst der „Koordination" zu verstecken suchte. Das ist eine idealistische Lüge oder der Kniff eines Agnostikers, Genosse Basarow; denn die Sinnesvorstellung ist nicht die außer uns existierende Wirklichkeit, sondern nur ein Abbild dieser Wirklichkeit. Sie wollen sich an die Zweideutigkeit des russischen Wortes совпадатъ* klammern? Sie wollen den unkundigen Leser glauben machen, daß „zusammenfallen" hier die Bedeutung von „dasselbe sein" hat und nicht die von „entsprechen"? Das heißt aber nichts weiter, als Engels Machsche Auffassungen unterschieben, indem man den Sinn eines Zitates fälscht.

Nimmt man das deutsche Original, so wird man die Worte „[stimmen mit]" finden, d. h. соответствуют, согласуются** — dieses letzte Wort ist die wörtliche Übersetzung, denn [Stimme] heißt голос. Die Worte „[stimmen mit]" können nicht bedeuten zusammenfallen im Sinne von „dasselbe sein". Aber auch für einen Leser, der nicht Deutsch kann, Engels aber mit etwas Aufmerksamkeit liest, ist völlig klar, kann es nicht unklar sein, daß Engels im Verlauf seiner ganzen Untersuchung die „Sinnesvorstellung" stets als [Abbild] der außer uns existierenden Wirklichkeit behandelt und daß demnach das Wort „zusammenfallen" russisch einzig im Sinne von entsprechen, übereinstimmen u. ä. zu verstehen ist. Engels den Gedanken zuschieben zu wollen, daß „die Sinnesvorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit ist", das ist eine solche Perle machistischer Entstellung, eine solche Verfälschung des Materialismus im Sinne des Agnostizismus und Idealismus, daß zugegeben werden muß: Basarow hat alle Rekorde geschlagen!

Es fragt sich, wie normale Menschen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, behaupten können, daß „die Sinnesvorstellung (gleichgültig in welchen Grenzen) eben die außer uns existierende Wirklichkeit" sei? Die Erde ist außer uns existierende Wirklichkeit. Sie kann mit unserer


* zusammenfallen. Der Übers.
** entsprechen, übereinstimmen. Der Übers.

109

Sinnesvorstellung weder „zusammenfallen" (im Sinne von: dasselbe sein) noch in einer unauflöslichen Koordination mit ihr sein, noch ein „Komplex von Elementen" sein, die in einer anderen Verbindung mit der Empfindung identisch sind, denn die Erde existierte bereits, als es weder Menschen noch Sinnesorgane noch eine so hoch organisierte Materie gab, daß bei ihr die Eigenschaft, Empfindungen zu haben, irgendwie klar bemerkbar gewesen wäre.

Das ist es ja, daß jene an den Haaren herbeigezogenen Theorien der „Koordination", der „Introjektion", der neu entdeckten Weltelemente, mit denen wir uns im ersten Kapitel befaßt haben, eben dazu dienen, die ganze idealistische Absurdität dieser Behauptung zu verhüllen. Die Formulierung, die Basarow ungewollt und unvorsichtig hingeworfen hat, ist deshalb vortrefflich, weil sie die himmelschreiende Absurdität deutlich aufdeckt, die man andernfalls aus einem Wust gelahrter, quasi-wissenschaftlicher, professoraler Kinkerlitzchen herausgraben müßte.

Bravo, Genösse Basarow! Wir werden Ihnen zu Lebzeiten ein Denkmal errichten: Auf der einen Seite wird Ihr Ausspruch stehen und auf der ändern die Inschrift: Dem russischen Machisten, der dem Machismus unter den russischen Marxisten das Grab geschaufelt hat!

 

Über zwei Punkte, die Basarow in dem angeführten Zitat berührt hat, werden wir noch gesondert sprechen: über das Kriterium der Praxis bei den Agnostikern (darunter auch den Machisten) und bei den Materialisten sowie über den Unterschied zwischen der Theorie der Widerspiegelung (oder Abspiegelung) und der Theorie der Symbole (oder Hieroglyphen). Zunächst setzen wir das Zitat aus Basarow noch ein wenig fort:

„... Was befindet sich aber jenseits dieser Grenzen? Darüber sagt Engels kein Wort. Nirgends zeigt er den Wunsch, jenen ,Transzensus' zu vollziehen, jenes Hinausgehen über die Grenzen der sinnlich gegebenen Welt, das der Plechanowschen Erkenntnistheorie zugrunde liegt..."

Jenseits welcher „dieser" Grenzen? Jenseits der Grenzen jener „Koordination" von Mach und Avenarius, die das Ich und die Umgebung, Subjekt und Objekt unauflöslich verschmelzen soll? Schon die Frage selbst, wie Basarow sie stellt, ist jedes Sinnes bar. Hätte er aber die Frage menschlich gestellt, dann wäre ihm klargeworden, daß die Außenwelt „jenseits der Grenzen" der Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen des

110

Menschen liegt. Aber das Wort „Transzensus" verrät Basarow wiederum einmal. Es ist eine spezifisch Kantsche und Humesche „Schrulle", zwischen der Erscheinung und dem Ding an sich eine prinzipielle Grenze ziehen zu wollen. Von der Erscheinung oder, wenn Sie wollen, von unserer Empfindung, Wahrnehmung usw. zu dem außerhalb der Wahrnehmung existierenden Ding überzugehen, ist im Sinne Kants ein Transzensus, und dieser Transzensus ist wohl dem Glauben, nicht aber der Erkenntnis gestattet. Der Transzensus ist überhaupt unstatthaft, wendet Hume ein. Und die Kantianer ebenso wie die Humeisten bezeichnen die Materialisten als Transzendentalrealisten, als „Metaphysiker", die einen unerlaubten Übergang (lateinisch: transcensus) von der einen Sphäre in eine prinzipiell verschiedene andere Sphäre vollziehen. Die modernen Philosophieprofessoren, die der reaktionären Linie von Kant und Hume folgen, bezichtigen den Materialismus (man nehme nur die Namen, die Woroschilow-Tschernow aufgezählt hat) in tausendfältigen Variationen immer wieder der „Metaphysik" und des „Transzensus". Basarow übernahm von den reaktionären Professoren sowohl das Wort als auch den Gedankengang und trumpft im Namen des „neuesten Positivismus" mit ihnen auf! Die Sache verhält sich doch aber so, daß die Idee des „Transzensus" selbst, d. h. die Idee einer prinzipiellen Grenze zwischen Erscheinung und Ding an sich eine absurde Idee der Agnostiker (Humeisten und Kantianer mit eingerechnet) und der Idealisten ist. Wir haben das schon an dem Engelsschen Beispiel mit dem Alizarin aufgezeigt und werden es noch mit den Worten Feuerbachs und J. Dietzgens deutlich machen. Zunächst aber möchten wir mit der „Bearbeitung" von Engels durch Basarow zu Ende kommen:

„... An einer Stelle seines ,Anti-Dühring' sagt Engels, das »Sein' außerhalb der sinnlichen Welt sei eine ,offene Frage', d. h. eine Frage, die zu lösen und sogar zu stellen uns jegliche Angaben fehlen."

Dieses Argument spricht Basarow dem deutschen Machisten Friedrich Adler nach. Und dieses letzte Beispiel ist fast noch schlimmer als das der „Sinnesvorstellung", die „eben die außer uns existierende Wirklichkeit ist". Auf S. 31 des „Anti-Dühring" (fünfte dtsch. Aufl.) sagt Engels:

„Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein, obwohl ihr Sein eine Voraussetzung ihrer Einheit ist, da sie doch zuerst sein muß, ehe sie eins sein kann. Das Sein ist ja überhaupt eine [offene Frage] von der Grenze

111

an, wo unser [Gesichtskreis] aufhört. Die wirkliche Einheit der Welt be­steht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft."49

Man sehe sich diese neue Pastete unseres Kochs an: Engels spricht vom Sein jenseits der Grenze, wo unser Gesichtskreis aufhört, d. h. zum Beispiel vom Sein des Menschen auf dem Mars usw. Es ist klar, daß ein solches Sein wirklich eine offene Frage ist. Basarow aber führt mit voller Absicht nicht das ganze Zitat an und gibt Engels so wieder, als ob bei ihm „das Sein außerhalb der sinnlichen Weh" eine offene Frage wäre!! Das ist der Gipfel der Absurdität: einem Engels wird hier die Auffassung jener Philosophieprofessoren zugeschrieben, denen Basarow gewohnt ist, aufs Wort zu glauben, und die J. Dietzgen mit Recht als diplomierte Lakaien des Pfaffentums oder des Fideismus bezeichnet hat. In der Tat behauptet der Fideismus entschieden, es existiere etwas „außerhalb der sinnlichen Welt". Die Materialisten lehnen dies in Übereinstimmung mit der Naturwissenschaft auf das entschiedenste ab. In der Mitte stehen die Professoren, Kantianer, Humeisten (die Machisten mit eingeschlossen) und andere, die „eine Wahrheit außerhalb des Materialismus und des Idealismus gefunden haben" und einen „Ausgleich" herstellen wollen, indem sie erklären, dies sei eine offene Frage. Hätte Engels jemals etwas Derartiges gesagt, so wäre es eine Schmach und Schande, sich Marxist zu nennen.

Nun aber genug! Eine halbe Seite Zitate aus Basarow ergibt einen solchen Knäuel von Verwirrung, daß wir uns genötigt sehen, uns auf das schon Gesagte zu beschränken, ohne alle Schwankungen des machistischen Denkens weiter zu verfolgen.



Datum der letzten Änderung : Jena, den: 25.01.2013