Längenproblem

Der Ausdruck Längenproblem oder Längengradproblem bezeichnet die schwierige Bestimmbarkeit der geographischen Länge bei der Positionsermittlung insbesondere von Schiffen auf dem offenen Meer. Während die geographische Breite relativ einfach mit für die Seefahrt hinreichender Genauigkeit messbar ist, gestaltet sich die Bestimmung der Länge mit ähnlicher Genauigkeit weitaus schwieriger, denn hierfür wird die Referenzzeit eines Ortes mit bekannter Länge gebraucht. Das Längenproblem war erst um 1750 gelöst.

Das Längenproblem hat erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen. Ohne Möglichkeit zur genauen Bestimmung des Längengrades navigierten Schiffe in bekannten Gewässern bis zur gewünschten geographischen Breite und segelten dann den Breitengrad entlang. Schiffe mussten oft wochenlang „Breiten absegeln“, um eine bestimmte Position zu finden, was zu großen Zeitverlusten führte. Bereits 1600 hatte der König von Spanien erfolglos einen Preis für eine Lösung ausgesetzt.

Ein gesamteuropäisches Problem

Die Gründung des königlichen Observatoriums in Greenwich durch Karl II. im Jahre 1675 war Englands erster Schritt auf der Suche nach genauen Längenangaben. In Paris (Pariser Sternwarte) und St. Petersburg wurden ähnliche Observatorien gegründet.

Erst nachdem Admiral Sir Cloudesley Shovell 1707 auf der Heimkehr von einer siegreichen Schlacht auf die Scilly-Inseln aufgelaufen war, wobei vier der 21 Schiffe sanken und er mit rund 1.450 Männern ums Leben kam, und nach einer Petition von William Whiston und Humphry Ditton (untermauert durch Stellungnahmen von Isaac Newton und Edmond Halley), lobte 1714 Englands Parlament für eine praktisch brauchbare Lösung des Längenproblems ein hohes Preisgeld aus: bei einer Genauigkeit von höchstens einem halben Grad Abweichung 20.000 £ und bei einer Genauigkeit bis zu einem Grad Abweichung immer noch 10.000 £. Ein Grad Länge entspricht am Äquator 60 Seemeilen (etwa 111 km) und nimmt zu den Polen hin ab. Auf der Breite des Ärmelkanals beträgt die Strecke noch rund 40 Seemeilen (etwa 74 km).

Das Preisgeld entsprach einer für die Zeit enormen Summe. Der Kaufpreis eines seegängigen Schiffes mittlerer Größe betrug etwa 1.500 bis 2.500 £ und ein einfacher Arbeiter lebte von 10 £ im Jahr. Zur Verwaltung des Preisgeldes und zur Beurteilung eingereichter Vorschläge wurde die „Längenkommission“ Board of Longitude gegründet, der die damals bedeutendsten Astronomen und Mathematiker Englands angehörten, aber auch der Präsident der Royal Society, der Königlichen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Mögliche Lösungswege

Der relative Längengrad zu einer Position (Greenwich) kann mit Hilfe der Position der Sonne, sowie einer Referenzzeit (UTC/GMT) bestimmt werden.

Zur Bestimmung der geographischen Länge benötigt man die Sonnenzeit (die auf einem Schiff relativ einfach zu bestimmen ist) und dazu als Referenzzeit die Sonnenzeit eines Ortes mit bekannter geographischer Länge. Aus deren Differenz kann man die Länge errechnen, denn die Differenz der Zeit verhält sich zu 24 Stunden wie die Differenz der Längen zu 360°.

Beispiel: Auf dem Schiff ist Mittag, während gleichzeitig in Greenwich (0° Länge) 15:30 Uhr ist. Die Differenz der Zeit beträgt 3,5 Stunden. Also beträgt die Länge \frac{3{,}5 h}{24 h} \cdot 360^\circ = 52{,}5^\circ denn \frac{3{,}5 h}{24 h} = \frac{52{,}5^\circ}{360^\circ}. Da beim Schiff später als in Greenwich Mittag ist handelt es sich um westliche Länge.

Die Referenzzeit lässt sich durch aufwendige astronomische Beobachtungen ermitteln. Bedeutend einfacher ist das Mitführen einer Längenuhr, die während der ganzen Reise die Ortszeit des Referenzortes zeigt, ein Verfahren, das Gemma R. Frisius bereits 1530 vorgeschlagen hat. Zu dieser Zeit war aber der Bau einer Uhr, die auch auf einem Schiff mit schwankenden Bewegungen und sich ändernden klimatischen Bedingungen genügend genau geht, technisch noch nicht möglich.

Jupitermonde

Die von Galilei (1564–1642) entdeckten Jupitermonde umkreisen den Jupiter so schnell, dass rund 1000-mal jährlich ein exakt vorausberechenbares Erscheinen oder Verschwinden eines Mondes eintritt. Sie sind also gewissermaßen als „Zeitmarken“ geeignet. Dieser Lösungsweg, den Galilei wohl auch zur Bewerbung seiner Teleskope propagierte, war auf Schiffen unbrauchbar, da wegen der Schiffsbewegungen die Beobachtungen bei weitem nicht genau genug sein konnten.

Dennoch bemühten sich Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen, zumindest auf dem Festland, mittels Beobachtung der Jupitermonde um exakte Längengradbestimmungen. Darunter waren Giovanni Domenico Cassini, Erasmus Bartholin und Ole Rømer.

Mond

Gut zu beobachten ist hingegen der Erdmond, dessen Bewegung allerdings erst durch aufwendige Berechnungen auf Basis genauer Beobachtungen vorhergesagt werden konnte. Weitaus früher konnten jedoch Mondfinsternisse vorausberechnet werden.

Mondfinsternisse

Viele dieser Erscheinungen sind von beinahe der halben Erdoberfläche aus beobachtbar, und durch Vergleich der Zeitpunkte des Ein- und Austritts des Erdschattens auf dem Mond lassen sich Differenzen der geographischen Längen der einzelnen Beobachter bestimmen. Dieses Verfahren wurde nachweislich von Plinius (ca. 23–79) und Ptolemäus (ca. 100–ca. 175) angewandt.

Die Finsternis am 24. Mai 997 wurde von Al-Biruni in Xiva und Abu l-Wafa in Bagdad zwecks Bestimmung der Längenunterschiede beobachtet.
Christoph Kolumbus hatte zwar Vorausberechnungen des Regiomontanus zur Verfügung, versuchte damit aber in der Karibik zweimal erfolglos, durch Beobachtung von Finsternissen seine geographische Länge zu bestimmen (1494, 1504).

Monddistanzen

Diese Methode wurde erstmals von Johannes Werner in seinem Werk „In hoc opere haec continentur Nova translatio primi libri geographiae Cl' Ptolomaei…“ (Nürnberg 1514) erwähnt, erlangte aber erst Beachtung, als Peter Apian sie in seinem „Cosmographicus liber…“ (Landshut 1524) genauer erörterte. Die Gründung von Observatorien, unter anderem in Greenwich, steht in direktem Zusammenhang mit dem Bedarf an exakten Beobachtungsreihen als Voraussetzung für eine Vorausberechnung.

Edmond Halley, der im Zusammenhang mit dem Längenproblem 1698 und 1700 zwei Reisen unternommen hatte, scheiterte an der Unzulänglichkeit seiner 1661 von Thomas Street errechneten Mondtafeln, war aber trotz seiner Arbeit an Mondtafeln einer der wenigen Unterstützer John Harrisons, der mit seinen Chronometern die Navigation revolutionieren sollte (siehe weiter unten).

Fündig wurde erst der deutsche Kartograph und Mathematiker Tobias Mayer (1723–1762), der 28-jährig, ohne ein reguläres Studium absolviert zu haben, in Göttingen einen Lehrstuhl für Mathematik erhielt. Während seiner Arbeit bei einem Kartenverlag in Nürnberg entwickelte er die ersten brauchbaren Mondtabellen, basierend auf mathematischen Berechnungen. Diese wurden von Sir Nevil Maskelyne (1732–1811) übersetzt und bearbeitet und boten noch lange Zeit eine billige, wenngleich umständlichere und weniger genaue Alternative zu Chronometern – bis diese nämlich für jeden Kapitän finanzierbar waren: die Britische Ostindien-Kompanie rüstete ihre Schiffe am schnellsten aus, die Umstellung der Royal Navy dauerte bis 1840, aber für Kapitäne kleinerer Handelsschiffe blieben diese Geräte noch lange Zeit unerschwinglich.

James Cook hatte auf seiner ersten Südseereise (1768–1771) noch nicht Harrisons bereits existierende Erfindung, wohl aber Maskelynes Bearbeitung von Mayers Tabellen zur Verfügung: 1767 wurde erstmals der danach jährlich erscheinende Nautical almanac and astronomical ephemeris veröffentlicht, in dem Mondtabellen abgedruckt wurden, welche die Winkelabstände des Mondes zu sieben Fixsternen zu vollen Stunden auflisteten. Cook hatte allerdings auf dieser Reise auch einen Astronomen an Bord.

Maskelyne hat auch Erläuterungen zur Methode veröffentlicht; da diese längere Berechnungen erforderte, entstanden in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche abgekürzte und Näherungsmethoden. Besonders die von Nathaniel Bowditch (1773–1838) vorgeschlagene Methode fand über sein berühmtes (noch heute erscheinendes) Navigationshandbuch American Practical Navigator weite Verbreitung. Der „Bowditch“ führte entsprechende Hilfstabellen immerhin bis 1914, obwohl im Nautical Almanac schon Jahre zuvor keine Monddistanzen mehr enthalten waren.

Schiffsuhr

Während sich Astronomen um die Monddistanz-Methode bemühten, setzte der gelernte Tischler John Harrison auf genügend genaue Uhren. Bis um 1700 galten jedoch, selbst auf festem Boden, Uhren mit maximal einer Minute Abweichung pro Tag, also deutlich weniger als ein Promille, als kaum realisierbar.

Harrison stellte der Längengradkommission 1728 sein Konzept und 1735 eine erste Uhr vor. Das gelehrte Gremium verzögerte die Würdigung und Anerkennung seiner Arbeit um Jahrzehnte. Newton bezweifelte die technische Machbarkeit einer hinreichend genauen Uhr, was Harrison jahrzehntelang diskreditieren sollte. Besonders der Astronom Sir Nevil Maskelyne setzte, auch auf Newtons Einschätzung bauend, bis zuletzt auf die Monddistanzen und änderte die Auslegung der Ausschreibung zu Harrisons Ungunsten, vor allem nachdem er 1765 königlicher Astronom geworden war.

Ein anderes Problem Harrisons waren sein eigener Erfindergeist und sein Perfektionismus: Jede seiner Uhren unterschied sich erheblich von den früheren. Eine Taschenuhr, die er 1753 für sich selbst anfertigen ließ, bewog ihn zu einem vollkommen neuen vierten Konzept, an dem er bis 1759 arbeitete. Es brachte nach mehr als drei Jahrzehnten den Durchbruch.

Andere Vorschläge

Auf Grund des hohen Preisgeldes wurden auch ungeeignete und absurde Ideen für die Lösung des Längenproblems hervorgebracht und teilweise öffentlich diskutiert. Ein sehr abstruser Vorschlag war schon 1687 in dem Flugblatt Curious Enquiries gemacht worden. Ein Hund sollte mit einem Messer verwundet werden. Dann sollte im Heimathafen jeweils genau zur Mittagszeit Waffensalbe auf das Messer aufgebracht werden, woraufhin der Hund an Bord des Schiffes vor Schmerz aufheulen sollte und der Schiffsbesatzung die Uhrzeit im Heimathafen kundtun sollte. Der Erfinder hat leider nicht die Signalgeschwindigkeit verraten. Bei z. B. Schallgeschwindigkeit wäre das Signal einige Stunden unterwegs.

Die Mathematiker William Whiston und Humphry Ditton schlugen vor, in gleichmäßigen Abständen Schiffe im Meer zu verankern, die mehrmals täglich durch Böllerschüsse bei der Positionsbestimmung helfen sollten: Aus dem Zeitunterschied zwischen Blitz und Knall wäre der Abstand zum Böllerschiff errechenbar. Whiston, ein Schüler Newtons, war dabei von 600 m maximaler Wassertiefe der Ozeane ausgegangen. Dieses Verfahren war auf See nicht anwendbar, jedoch hatte es Anwendungen auf Land gegeben.

Ernsthaft in Erwägung gezogen wurde die Auswertung von Ungleichmäßigkeiten des Erdmagnetfelds, mit denen sich Edmond Halley, William Whiston, Christoph Semler beschäftigten. Diese Vorschläge erwiesen sich aber schon bald als unpraktikabel.

Die Lösung

Als James Cook 1775 von seiner zweiten Weltreise heimkehrte und die Qualität eines time keepers bestätigte, den Larcum Kendall als exakte Kopie von Harrisons Exemplar von 1759 ausgeführt hatte, galt auch den meisten Astronomen das Längenproblem als gelöst. Drei andere Uhren, die Cook ebenfalls zu testen hatte, waren allerdings den Belastungen der Reise nicht gewachsen. Im Logbuch nennt der zunächst skeptische Cook Kendalls Werk seinen „nie versagenden Führer“: Eine Uhr „nahm die Uhrzeit des Ausgangshafens mit auf die Reise“ und aus der Differenz zur Ortszeit war die Länge bestimmbar.

John Harrison erhielt nach langem Ringen den letzten Anteil des ihm zustehenden Preisgeldes. Postum wurden auch Tobias Mayer 3000 £ zugesprochen und seiner Witwe ausgehändigt.

Der Board of Longitude löste sich 1828 auf.

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Basierend auf einem Artikel in: externer Link Wikipedia.de
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Datum der letzten Änderung: Jena, den: 15.06. 2022